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Madame Recamier auf einem Feste bei Barras.

Die jedesmaligen Machthaber Frankreichs haben sich um Gesetzlichkeit stets sehr wenig bekümmert. Unter den Königen schickte man die der Regierung unbequemen Persönlichkeiten in die Bastille, unter dem Convente köpfte, unter dem Directorium deportirte man sie. Wir haben schon erzählt, daß die Familie der Madame Recamier, die kein theures Haupt unter der Schreckensherrschaft verlor, ihre verhältnißmäßige Sicherheit wol der schützenden Hand verdankte, die Barrère über ihr ausgestreckt hielt. Jetzt, da das Directorium am Ruder war, erheischte es die Klugheit, daß die angeseheneren Familien, um von den Beamten, die in Frankreich stets zu Uebergriffen geneigt sind, ungeschoren zu bleiben, mit irgend einem Mitgliede der Regierung gut standen, damit sie an höchster Stelle bei etwaigen Ungerechtigkeiten Schutz suchen konnten. Aus diesem Grunde erschien Herr Recamier mit seiner Gemahlin im Frühlinge des Jahres 1799 auf einem Feste des Directors Barras. Herr Recamier, dessen Bankiergeschäft eine immer größere Ausdehnung gewann, hielt, um in seinen Bewegungen nicht gehemmt zu werden, Beziehungen zu der obersten Behörde für unerläßlich. Er überredete deshalb seine Gemahlin, daß sie sich entschließe, der an sie von Barras ergangenen Einladung Folge zu leisten. Madame Recamier hatte sich bis dahin den Gesellschaften des Directoriums ferngehalten, was wol viel dazu beitrug, daß ihr Name auch vor dem leisesten Makel bewahrt blieb. Es ist bekannt, daß man Josephine Beauharnais, die spätere Gemahlin Bonaparte's, beschuldigte, sich gegen die Aufmerksamkeiten des Directors Barras gar nicht spröde gezeigt zu haben. Ja, ihrer Verwendung – so erzählte man sich – verdankte Bonaparte den Oberbefehl über das Heer in Italien. Wie dem auch sei, die Gesellschaft während des Directoriums, und namentlich die bei Barras erscheinende, erfreute sich keines guten Rufes. Die Zurückhaltung der Madame Recamier diesen Kreisen gegenüber war demnach nur zu begreiflich. Sie würde sich deshalb auch schwerlich entschlossen haben, der im Frühling des Jahres 1799 von Seiten Barras' an sie ergangenen Einladung Folge zu leisten, wenn einzig die Klugheitsrücksichten des Herrn Recamier in die Wagschale gefallen wären. Aber, was die Entscheidung gab, war ihr gutes Herz. Man hatte sie nämlich ersucht, durch ihre Fürsprache einen Priester aus dem Gefängnisse zu befreien. Dieser war nämlich noch nicht aus der Liste der Emigrirten gestrichen gewesen, mithin ohne Erlaubniß nach Frankreich zurückgekehrt. Hierauf stand nun eine sehr harte Strafe. Wenn es demnach nicht gelang, das Herz eines der Directoren zu rühren, so hatte der arme Priester sich auf Deportation gefaßt zu machen. Dies war für Madame Recamier entscheidend. Sie mußte Barras sprechen und den Zauber jener süßen Rede versuchen, durch den sie so vielen Unglücklichen bereits Trost und Hülfe gebracht hatte.

So erschien denn die schönste und zugleich tugendhafteste Frau von Paris im Frühling des Jahres 1799 zum ersten Male in den Sälen des von Barras bewohnten Luxemburgpalastes.

Barras eröffnete sein Fest mit einem Concerte. Gerade als Madame Recamier und ihr Gemahl in den Festsaal eintraten, spielte man eine Ouvertüre. Das Erscheinen der durch ihre Schönheit berühmten Frau, die zum ersten Male einem Feste bei Barras beiwohnte, erregte allgemeines Aufsehen. Barras, der die Blicke sämmtlicher Anwesenden dem Eingänge des Saales zufliegen sah, errieth sogleich die Ursache dieser Bewegung. Obgleich eine dicht vor ihm stehende Menschengruppe ihn einengte, so steuerte er doch geschickt um sie herum, und als er jetzt vor sich sehen konnte, erkannte er die an dem Arme ihres Gemahls langsam durch die neugierige Menge vorschreitende Madame Recamier. Sogleich stürzte Barras vor, um der Königin des Festes seinen Arm zu bieten und ihr einen Ehrensitz anzuweisen. Als Madame Recamier Platz genommen hatte und ein wenig um sich blickte, bemerkte sie in einem Lehnstuhle nicht weit von ihr eine Dame, die zwar nicht mehr ganz jung aussah, aber durch Grazie und Eleganz einen sehr günstigen Eindruck hervorbrachte. Sie benutzte die erste Gelegenheit, um sich nach dieser Dame zu erkundigen, und erfuhr, es sei die Gemahlin des Generals Bonaparte. Wie der Blick der Madame Recamier zuerst durch die anmuthige Josephine gefesselt worden, so wandte sich ihre Aufmerksamkeit etwas später einem Manne zu, der ihr noch näher saß, und der anfangs mehr auffiel, als gefiel. Da er von kleinem Körperbaue und verwachsen war, so hatten ihn die Kissen seines Lehnstuhls dermaßen eingehüllt, daß außer seinem Antlitze eigentlich nichts von ihm sichtbar ward. Aber der Kopf dieses mißgestalteten Mannes hatte sehr ansprechende Züge. Er ward bald darauf der Madame Recamier vorgestellt. Es war ein Mitglied des Directoriums, Herr La Réveillère-Lépeaux. Unter der übrigen, ziemlich gemischten Gesellschaft zog ein Mann von noch jugendlichem Aussehn durch sein stolzes Auftreten die Aufmerksamkeit der Madame Recamier auf sich. In dem übermüthigen Ausdrucke seines Gesichts las man, daß er sich mit vielen Personen hier zusammenbefinde, die er lieber in der Antichambre, als im Salon gesehen hätte. Es war Talleyrand.

Gegen Mitternacht begab sich die Gesellschaft in einen hellerleuchteten Speisesaal, wo ein prächtiges Mahl aufgetragen ward. Madame Recamier betrat den Saal an dem Arm des Directors La Réveillère-Lépeaux. Dort lud Barras, der Madame Bonaparte geführt hatte, sie ein, neben ihm Platz zu nehmen, so daß er zwischen der anmuthigen Josephine und der schönen Julie saß, mithin ein beneidenswerther Sterblicher war. Während des Mahles verfehlte Madame Recamier nicht, mit Barras den Gegenstand eingehend und dringend zu besprechen, um dessentwillen sie sich vorzüglich entschlossen hatte, auf dem Feste zu erscheinen. Sie sagte mit bewegter Stimme, daß es ihr fast wie ein Unrecht vorkomme, sich von so viel Lust und Pracht umgeben zu sehen, während ein bejahrter Priester, dessen Tugenden sie habe rühmen hören, nachdem er Jahrelang das harte Brod der Verbannung gekostet, jetzt bei seiner Rückkehr, nach der er sich täglich und stündlich gesehnt, in einen finstern Kerker geworfen worden sei und von dem Schrecklichsten bedroht werde. Madame Recamier wurde bei ihrer Erzählung so bewegt, daß ihr die Thränen in die Augen traten, und sie zu sprechen aufhören mußte, bevor sie mit ihrem Berichte zu Ende war. Barras, von sehr leichtfertigem, aber durchaus nicht bösartigem Charakter, bat Madame Recamier, ihren zarten Wangen durch das Salz der Thränen nicht ihren leuchtenden Schimmer zu rauben; er werde für den greisen Priester thun, was irgend in seiner Macht stehe. Der Priester ward auch bald darauf freigegeben, so daß Madame Recamier für ihr Erscheinen auf dem Feste bei Barras, was ihr erst sehr schwer gefallen war, sich reich belohnt fühlte.

Die Zeitungen berichteten ausführlich von diesem glänzenden Feste bei'm Director Barras und theilten einige Verse mit, in denen der Dichter Despaze die schöne Julie gefeiert hatte.

So empfing Madame Recamier überall, wo sie erschien, die Huldigungen, die ihrer seltenen Anmuth gebührten.


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