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Das Zusammentreffen der Madame Recamier mit dem ersten Consul.

Wenn Madame Recamier auf den Wunsch ihres Gatten dem liebeglühenden Lucian Bonaparte nicht die Thür wies, wie sie es gern gethan hätte, und, setzen wir hinzu, wie sie es durchaus hätte thun müssen, wäre nicht durch politische Rücksichten die verletzte Würde zum Schweigen verdammt worden, wenn Madame Recamier es demnach nicht vermeiden konnte, Lucian Bonaparte in dem Heiligthum ihres Hauses zu empfangen, so durfte sie sich auch nicht Festen entziehen, die er besonders ihr zu Ehren veranstaltet hatte. Lucian, der nach dem achtzehnten Brumaire das Ministerium des Innern bekleidete, gab nun ein glänzendes Mittagsmahl mit darauf folgendem Concerte zu Ehren des ersten Consuls. So hieß es der Welt gegenüber; in Wahrheit aber hatte Lucian es darauf abgesehen, die Dame seines Herzens unter seinem Dache, wenn auch nur auf Stunden, um sich zu haben. Während dieses Festes befand sich nun Madame Recamier zum ersten Male mit dem Helden des achtzehnten Brumaire gesellschaftlich zusammen. Sie hatte ihn allerdings vor mehreren Jahren im Hofe des Luxemburgpalastes gesehen, aber in beträchtlicher Entfernung; doch immer nicht entfernt genug, um nicht von jenem zornigen Blicke geschreckt zu werden, durch den er sie für die Vermessenheit strafte, mit ihrer Schönheit gegen seinen Ruhm in die Schranken zu treten.

Madame Recamier war auf dem Feste bei Lucian Bonaparte in weißen Atlas gekleidet und trug um Hals und Arme einen Schmuck von kostbaren Perlen. Doch ihr schönster Schmuck blieb immer ihre Schönheit und seltene Anmuth. Ob die Gattin Lucian Bonaparte's wirklich krank war, oder nur Unwohlsein vorschützte, um nicht Madame Recamier begrüßen zu müssen, wagen wir nicht zu entscheiden; genug, die Herrin des Hauses erschien nicht und ließ sich durch ihre Schwägerin, Elisa Bacciocchi, vertreten. Da Madame Recamier in ihrer wundervollen Schönheit, wie überall, wo sie erschien, auch diesmal die Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft erregte, so zog sie sich, noch immer etwas verlegen werdend bei der allgemeinen Beachtung, in einen Winkel bei dem Kamin zurück, wo sie eine Zeitlang unbemerkt zu bleiben hoffte, während sie von dort ihre Blicke ungestört über den Saal gleiten zu lassen gedachte. Wie sie nun aus ihrem Winkel hervorlugte, so bemerkte sie nicht weit von sich einen Herrn, den sie für Joseph Bonaparte hielt. Da sie mit diesem ältern Bruder des ersten Consuls häufiger bei Frau von Staël zusammengetroffen war und sich mehr als einmal mit ihm unterhalten hatte, so neigte sie leicht und verbindlich das Haupt gegen ihn, wie es nach Pariser Sitte und nach dem Grade ihrer Bekanntschaft ganz natürlich war. Der Gruß ward ihr zurückgegeben, mit äußerster Artigkeit, aber in einer Weise, die Befremdung verrieth. Jetzt erkannte Madame Recamier, daß es nicht Joseph Bonaparte, sondern der erste Consul war, den sie gegrüßt hatte. Madame Recamier fand an diesem Abende die Mienen des ersten Consuls überaus mild und freundlich, so daß sie den schrecklichen Blick, den er ihr im Hofe des Luxemburgpalastes zugeworfen hatte, mit diesem Antlitze gar nicht zu reimen wußte. Fouché saß neben dem ersten Consul und sah, während Letzterer angelegentlich mit ihm sprach, wiederholt nach Madame Recamier hinüber. Die schöne Frau, die hinter ihrem Fächer alles genau beachtete, konnte über den Gegenstand des Gespräches nicht in Zweifel sein. Bald darauf erhob sich der erste Consul, um an bekannte Persönlichkeiten hier und da ein Wort zu richten. Daß Fouché sich von seinem Herrn und Meister getrennt hatte, bemerkte sie erst, als der ihr unangenehme Mensch dicht neben ihr Platz nahm und ihr zuflüsterte: »Der erste Consul findet Sie reizend.« Wenn Madame Recamier im Großen und Ganzen keine Eitelkeit kannte, so war der erste Consul doch eine zu bedeutende Persönlichkeit, als daß es sie nicht angenehm hätte berühren sollen, auch ihm in günstigem Lichte zu erscheinen. Durch diese, ihm geneigte, Stimmung kam es denn auch wol, daß er bei näherer Betrachtung ihr immer besser und besser gefiel. Er erschien so einfach und natürlich, während Lucian sich immer so feierlich und aufgebauscht darstellte. Der erste Consul zeigte wol deshalb so freundliche Mienen, weil er eine Tochter Lucian's, die ungefähr vier Jahre alt war, an der Hand hielt. Kinder liebte er nun sehr, aber doch immer nur so, daß sein Feuergeist bald von ihnen zu wichtigeren Dingen hinschweifte. So unterhielt sich auch Bonaparte angelegentlich mit verschiedenen Personen der Gesellschaft, vergaß aber ganz dabei, daß er die kleine Tochter Lucian's an der Hand hielt, und daß diese ihre freie Bewegung seit mehreren Minuten einbüßte. Das vierjährige Kind konnte es zuletzt nicht mehr aushalten und fing laut zu weinen an. Da ward der erste Consul natürlich inne, wie wenig er sich zum Kinderwärter eigne, und sprach mit dem Tone lebhaften Bedauerns: »Arme Kleine! Ich hatte dich ganz vergessen.« In spätern Jahren, wo Madame Recamier so viel Rücksichtsloses, ja, Tyrannisches von Bonaparte hören mußte, fielen ihr immer die mit so großer Weichheit gesprochenen Worte ein, die er an die kleine Tochter Lucian's gerichtet hatte. Der erste Consul schien es am heutigen Abende darauf abgesehen zu haben, bei Madame Recamier einen günstigen Eindruck hervorzubringen. Da ihm die Huldigungen seines Bruders Lucian sehr wohl bekannt waren, so rief er, als dieser nicht weit von ihm und der Madame Recamier vorübereilte, um sich zu erkundigen, ob die Thüren zum Eßsaale geöffnet werden könnten, so rief er mit verbindlichem Lächeln: »Auch ich möchte gern nach Clichy gehen!« Jedenfalls wäre der erste Consul für Madame Recamier ein noch unbequemerer Liebhaber gewesen, als sein Bruder Lucian.

Jetzt ward mit lauter Stimme gerufen, daß das Mahl angerichtet sei.

Der erste Consul ging Allen vorauf in den Speisesaal, bot aber keiner einzigen Dame den Arm. Nach ihm begab sich die Gesellschaft, ohne eine bestimmte Rangordnung einzuhalten, ebenfalls in den Saal und wählte sich auch die Plätze nach Gutdünken. Zur Rechten des ersten Consuls nahm seine Mutter, Madame Lätitia, Platz; zu seiner Linken blieb der Stuhl leer, da Niemand sich dort zu setzen wagte. Als Madame Recamier in den Saal getreten war, so hatte Elisa Bacciocchi ihr im Vorübergehen einige Worte zugeflüstert, die aber von ihr nicht verstanden wurden. Sie ließ sich an derselben Seite nieder, wo der erste Consul saß, war aber durch mehrere Plätze von ihm getrennt. Dieses Leerlassen des Sitzes neben ihm schien den ersten Consul zuletzt zu verdrießen; er blickte ziemlich unwillig im Saale umher und rief, da noch mehrere Herren umherstanden, mit lauter Stimme, indem er auf den Stuhl neben sich hinwies: »Nun, Garat, nehmen Sie da Platz!« Garat, ebenso wenig verlegen wie Molière bei Ludwig XIV., näherte sich mit gefälligem Anstande, und das Mahl nahm seinen Anfang. Neben Madame Recamier hatte Cambacérès Platz genommen. Der erste Consul, nicht ohne Neid zu ihm hinsehend, rief: »Ah, Bürger-Consul, Sie suchten sich die Schönste aus!« Zum größten Bedauern des Epicureers Cambacérès währte das Mahl, das reich an wohlschmeckenden Gerichten war und für seinen weitern Verlauf noch vieles versprach, kaum eine halbe Stunde. Der erste Consul, der bei seinem Feuergeiste nirgends lange Ruhe hatte, kurze Zeit schlief, wenig aß und sich unaufhörlich abarbeitete, der erste Consul sprang plötzlich von der Tafel auf, und die Mehrzahl der Gäste wagte nicht, nach ihm sitzen zu bleiben. Als der erste Consul bei Madame Recamier vorüberging, fragte er sie mit verbindlicher Miene, ob sie es nicht etwas kalt im Saale gefunden habe. Dann, ohne ihre Antwort abzuwarten, fügte er hastig hinzu: »Aber, warum wählten Sie nicht den Platz neben mir?« Madame Recamier antwortete mit sichtbarer Verlegenheit: »Das hätte ich nimmer gewagt!« Der erste Consul entgegnete darauf in demselben verbindlichen Tone: »Dieser Platz gebührte Ihnen indeß.« Madame Elisa Bacciocchi, die eben näher trat, rief: »Das war es ja, was ich Ihnen erst sagte.«

Man begab sich jetzt in den Saal, wo die Vorbereitungen zum Concerte getroffen waren. Die Damen nahmen in einem Halbkreise vor dem Orchester Platz, hinter und neben ihnen die Herren. Der erste Consul setzte sich ganz allein neben das aufgeschlagene Clavier. Das Concert begann mit einer Gluck'schen Arie, die Garat vortrefflich sang. Hierauf folgte Instrumentalmusik. Doch da der erste Consul hiervon sehr wenig verstand und sich nicht zu langweilen liebte, so schlug er ungeduldig auf das Clavier und rief laut nach Garat.

Da schon damals der Wunsch und der Wille Bonapartes Allen Gesetz war, so schwieg augenblicklich das Orchester, und Garat trat vor. Er sang eine Arie aus Orpheus, und zwar mit seltener Vollendung.

Madame Recamier, die schöne Musik und schönen Gesang leidenschaftlich liebte – sie leistete selbst in der Tonkunst ganz Achtungswerthes – Madame Recamier ließ ihre Seele auf den Wogen der süßen Liebesklagen dahintragen. Es klang in ihrem Busen, nicht ganz deutlich zwar, aber doch im tiefsten Grunde verständlich, ob sie nicht beglückter gewesen, wenn, statt all' der Huldigungen, die sie umrauschten, sie sich einem Einzigen ganz hätte hingeben dürfen. Das war das Lösende und Klarmachende der Kunst, während sie im Glanze und Gedränge der Welt über ihr Inneres im Dunkel blieb. Wenn sie nun diesem gehobenen Zustande sich für Secunden entriß und im Saale umherblickte, so fand sie die Augen des ersten Consuls jedesmal scharf und forschend auf sich gerichtet. Am Schlusse des Concerts kam er sogleich auf sie zu und fragte: »Nicht wahr, Sie lieben die Musik in hohem Grade?« Als er noch etwas hinzufügen wollte, eilte Lucian herbei und mischte sich in das Gespräch. Mit dem Falkenauge der Eifersucht hatte er das große Interesse bemerkt, das der erste Consul an Madame Recamier zu nehmen schien; demnach konnte er es jetzt nicht ertragen, Beide allein mit einander sprechen zu sehen. Dem ersten Consul behagte die Einmischung seines Bruders durchaus nicht, und er entfernte sich sofort. Doch das Andenken an die wunderholde Frau begleitete den Helden und Staatsmann in seine Welt von Thaten, und als er sich einen kaiserlichen Hofstaat einrichtete, hatte er den dringenden Wunsch, daß Madame Recamier als Palastdame über die Tuilerien den Glanz ihrer Schönheit verbreite.

Indeß sollte das spätere Leben den Mars und die Venus nicht in Liebe geeint, sondern in Feindschaft getrennt sehen. Bei Napoleon's leidenschaftlichem Charakter war es zuletzt wol Haß, was er für Madame Recamier empfand, während diese bei der Milde ihrer Natur sich auf Abneigung beschränkte.


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