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Herr Esmenard, der in den häufigen, mit Madame Recamier über das Buch ihrer Freundin geführten, Unterhandlungen für die schöne und edle Frau eine an Bewunderung grenzende Sympathie gefaßt hatte, Herr Esmenard verabschiedete sich bei ihr vor seiner Abreise nach Italien. Er wollte ihres holden Anblicks noch einmal theilhaftig werden, aber dann führte ihn auch die uneigennützige Absicht zu ihr, sie wo möglich durch wohlmeinenden Rath vor drohendem Ungemach zu bewahren. Wußte er doch aus den ihm, als Censor, zugeflossenen Verhaltungsbefehlen, mit welchem Hasse Napoleon Frau von Staël verfolgte. Napoleon, der in seiner Vermessenheit nahe daran war, sich, gleich Alexander dem Großen, göttlichen Ursprung beizulegen, wollte, daß jede Person, nach der er seinen Blitzstrahl geschleudert, in Asche verwandelt und für die Welt nicht mehr vorhanden sein sollte. Mathieu von Montmorency hatte gewagt, die von Napoleon vervehmte Frau von Staël zu besuchen, sofort traf auch ihn ein gleiches Verbannungsdecret. Napoleon, der wußte, wie leidenschaftlich die von ihm gehaßte Frau in ihrer Zuneigung war, hatte das Verbannungsdecret unmittelbar nach Coppet senden lassen, damit die Schloßherrin Zeugin sei von der Bestürzung, die ihren Freund ohne Zweifel bei der unheilvollen Nachricht erfassen werde, und die ihr einen Dolchstich in's Herz versetzen mußte. Traf ihn doch einzig die Verbannung, weil er einer vom Kaiser gehaßten Frau seine Freundschaft nicht entzogen hatte. Und der arglistige Napoleon hatte seinen Pfeil nur zu geschickt abgeschossen. Er prallte ab von dem undurchdringlichen Panzer, den christliche Gefaßtheit um die Brust Mathieu's von Montmorency gelegt hatte, und traf mit schneidendster Spitze in das minder gut verwahrte Herz der Frau von Staël. Unter strömenden Thränen und lauten Ausrufen der Verzweifelung klagte sie sich an, daß sie über ihren edelmüthigen Freund ein solches Ungemach gebracht habe. Sie gleiche dem Orestes, der die ihm theuersten Wesen in sein Unglück und in seine Ruhelosigkeit mithineinziehe.
Nach diesen neuesten Erfahrungen und nach den ihm bekannten Gesinnungen des Kaisers in Betreff der Frau von Staël, hatte Herr Esmenard, der es wahrhaft gut mit Madame Recamier meinte, den triftigsten Grund, ihr für die Zukunft ein allzu edelmüthiges Verhalten gegenüber ihrer Freundin dringend abzurathen. Er erklärte es für seine Pflicht, ihr darlegen zu müssen, wohin sie ihre zu große Herzensgüte führen werde ( où l'entraînait son extrême bonté). Madame Recamier antwortete ihm ungefähr dasselbe, was sie in einer frühern Unterredung mit Fouché ausgesprochen hatte. Nur fand sie für Herrn Esmenard einen wohlwollenderen Ton, weil sie ihn für besser hielt, als den dienstwilligen Schergen des Kaisers. Der Grundgedanke ihrer längern Auseinandersetzung war auch heute, wie damals, daß sie sich niemals ihren Freunden entziehen werde, vor allem, wenn sie im Unglück seien. Dann aber entwickelte sie in ausführlicher Rede, wie es ihr ganz undenkbar scheine, daß eine so mächtige Regierung, wie die kaiserliche, sich dadurch beunruhigt fühlen solle, wenn eine harmlose Frau ihrer unglücklichen Freundin einen Besuch abstatte. Was aber auch die Folgen ihrer Handlungsweise sein möchten, ihr Entschluß stehe fest, einer berühmten Schriftstellerin, die sie liebe und verehre, den Beweis ihrer zärtlichen Ergebenheit nicht vorzuenthalten. Alle Vorstellungen, die Herr Esmenard noch weiter versuchte, erwiesen sich als völlig vergebliche.
Madame Recamier reiste am 23. August 1811 von Paris ab, um sich nach Aix in Savoyen zu begeben, wo die im verflossenen Jahre gebrauchten Bäder ihrer Gesundheit ungemein wohlgethan hatten. Sie richtete ihre Reise aber so ein, daß sie in die Nähe von Coppet kam, wo sie ihre Freundin zu umarmen und kurze Zeit bei ihr zu verweilen gedachte. Frau von Staël empfing demnach einen Brief, in dem Madame Recamier ihre baldige Ankunft anzeigte. Dieser Brief erfüllte Frau von Staël mit Wonne, um sie dann in desto tiefere Verzweiflung zu stürzen. Ihr Herz jubelte auf bei dem Gedanken, die geliebte Freundin an ihre Brust zu drücken, und in banger Ahnung erbebte sie andrerseits vor dem Ungewitter, das Madame Recamier durch den Besuch bei einer vom Kaiser Vervehmten über ihrem Haupte heraufbeschwöre. Der Edelmuth der Frau von Staël siegte über die Sehnsucht nach dem Anblicke ihrer Freundin. Sie sandte ihr einen Boten mit einem Briefe entgegen, in dem sie dieselbe beschwor, nicht über Coppet zu kommen. Doch hier stritt Edelmuth mit Edelmuth. Madame Recamier ließ sich durch die Berücksichtigung einer drohenden Zukunft nicht bewegen, der Freundschaft ihr Recht zu versagen. Frau von Staël flog ihr am Schloßchore entgegen, die Arme jubelnd ausgebreitet, und dann von Thränenströmen überfluthet und wie eine Trauerweide dastehend. Madame Recamier küßte die Thränen von den Wangen der Frau von Staël und theilte ihr von einer Gefaßtheit mit, die sie in Wahrheit erfüllte, und die, wie jedes echte Gefühl, auch die Kraft besaß, in fremder Brust eine gleiche Empfindung zu erwecken. Sie verweilte nur anderthalb Tage in Coppet und setzte dann eine Reise fort, die ja die harmlosesten Zwecke verfolgte. Doch die Polizei Napoleon's dachte über diese Sache nicht so günstig. Eine andere Ansicht zu haben, als der damalige Herr Europa's, und gar sich zu dieser Ansicht frank und frei zu bekennen, erschien als Tollheit oder Majestätsverbrechen. Wen man nicht in's Narrenhaus sperren konnte, den schickte man in die Verbannung. So traf Madame Recamier das letztere Schicksal. Gerade, als sie in Richecour bei ihrer Base, der Baronin von Dalmassy, verweilte, gelangte die Nachricht von dem über sie Beschlossenen zu ihr; denn hatten ihre vielen einflußreichen Freunde auch nicht die Kraft gehabt, den Donnerkeil dem Arme des Imperators zu entreißen, so konnten sie doch die Bedrohte in schonender Weise auf das Unvermeidliche vorbereiten. Madame Recamier gab sofort ihre Badereise auf, um noch schnell, ehe es zu spät sei, nach Paris zu eilen. Sie wollte dort noch einmal ihren alten Vater umarmen, bevor er durch den verhängnißvollen Umkreis von vierzig Meilen, in welchem Napoleon die ihm verhaßten Persönlichkeiten von seiner Hauptstadt fernhielt, ihrer liebenden Sorgfalt entrückt wurde. Doch gelangte sie nur bis Dijon, wo sie ihren Gatten traf, der ihr entgegengeeilt war. Dem Herrn Recamier war das Verbannungsdecret seiner Gattin am 3. September eingehändigt worden. Da Madame Recamier. leider zu schnell von Coppet abgereist war, um ihr dorthin die verhängnißvolle Botschaft zu senden und durch sie Frau von Staël auf den Tod zu verwunden, so hatte die napoleonische Polizei sich diejenige Person ausgesucht, die nach der leidenschaftlichen Freundin am schwersten von dieser Kunde mußte betroffen werden. Bei dem dringenden Verlangen, das Madame Recamier aussprach, ihren alten Vater noch einmal zu umarmen, meinte ihr Gatte, daß sie es schon wagen könne, auf kurze Zeit heimlich nach Paris zu kommen. Sie ward während der zwei Tage, die sie dort verweilte, merkwürdiger Weise von der Polizei nicht behelligt, woraus man nicht auf Zartheit zu schließen hat, sondern darauf, daß die sonst so gut unterrichtete von der Anwesenheit der Vervehmten nichts erfahren hatte.
Als ersten Aufenthaltsort in ihrer Verbannung wählte Madame Recamier Châlons-sur-Marne.