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Madame Recamier ward bei ihrer Rückkehr nach Rom von ihren dortigen Bekannten mit der größten Herzlichkeit bewillkommnet, besonders von den beiden Brüdern Canova. Als die Festlichkeiten der Osterwoche beendet waren, luden die beiden Brüder mit einer gewissen Feierlichkeit sie ein, der von ihr früher so häufig beehrten Künstlerwerkstatt einmal wieder ihren Besuch zu schenken. Madame Recamier sagte mit Freuden zu. Hatte der Meißel Canova's während ihrer Abwesenheit doch sicher Angefangenes vollendet und Neues zu schaffen begonnen. Als Madame Recamier zur verabredeten Zeit in der Künstlerwerkstatt anlangte, ward sie von den beiden Brüdern Canova empfangen, die sie durch die ihr bekannten Säle führten, wo sie sich über Manches freuen durfte, das bei ihrer Abreise noch nicht so herausgearbeitet oder noch gar nicht angefangen war. Indeß wollte es ihr scheinen, als ob Canova während der Zeit ihrer Abwesenheit, gegen seine Gewohnheit, nicht sehr fleißig gewesen. Natürlich hütete sie sich, diesen Gedanken laut werden zu lassen. Da die beiden Brüder ihr feierliches Aussehn beibehielten, so war Madame Recamier gewiß, daß ihrer noch eine Ueberraschung harre; doch, worin diese bestand, ahnte sie nicht; sonst würde sie ihre Mienen bester beherrscht haben. Sie ward nunmehr von den beiden Brüdern eingeladen, in jenen Raum einzutreten, zu dem Canova sie gleich bei ihrem ersten Besuche geführt hatte, und der sich nur Solchen erschloß, die von den Musen ausgestattet worden mit der Gabe, das Schöne zu schaffen, oder es doch wenigstens nachzufühlen. Als Madame Recamier in der Mitte des kleinen Raumes Platz genommen hatte, trat Canova in großer Erregung vor einen grünen Vorhang, den er zurückzog. Man erblickte zwei weibliche Büsten; die eine mit einfach gescheitelten Haaren; bei der andern war das Haupt zur Hälfte mit einem Schleier bedeckt. Beide Büsten zeigten die Züge der Madame Recamier; bei beiden war der Blick zum Himmel erhoben. » Mira, se ho pensato a lei«, sprach Canova mit zitternder Stimme, indem er das Auge, schimmernd in reinster Freundschaft und in befriedigtem Künstlerstolze, auf Madame Recamier richtete, von der er mit Recht einen begeisterten Dank erwartete. Er hatte während der Zeit ihrer Abwesenheit sich ganz diesen beiden Büsten gewidmet, und da er vermöge seiner Begabung das Liebliche geschickt zu meistern verstand, so meinte er, der Anmuth seiner Freundin ganz gerecht geworden zu sein. Leider nun machten die beiden Büsten auf Madame Recamier nicht den erwarteten Eindruck, und da sie nicht im Mindesten darauf vorbereitet war, daß der berühmte Bildhauer ihr ein sie darstellendes Werk vorführen werde – sie hielt die Umrisse ihres Gesichts für die Sculptur nicht edel genug – so verrieth sie durch ihre Mienen, die ihr Inneres treu abzuspiegeln pflegten, das, was sie dachte. Canova, der sich wie ein Kind auf diese Ueberraschung gefreut hatte, fühlte sein Herz gekränkt und seinen Künstlerstolz verwundet, als er bemerkte, daß seine Freundin nicht das Glück theilte, das ihn beim Schaffen so voll durchwogt hatte. Vergebens war Madame Recamier bemüht, als sie ihre Mienen wieder in ihrer Gewalt hatte, dem von ihr verehrten und geliebten Künstler einen Balsam auf die von ihr sehr wider ihren Willen geschlagene Wunde zu legen; er schätzte die gute Absicht, von der sie sich leiten ließ; aber der Schmerz blieb, daß es ihm nicht gelungen war, ihr durch sein Werk eine Freude zu bereiten. Da Canova nie wieder gegen sie jener Ueberraschung in seinem Allerheiligsten gedachte, so faßte sich Madame Recamier eines Tages ein Herz und fragte mit schüchterner Stimme, ob ihre Büste jetzt ganz vollendet sei. Canova' antwortete, ganz ohne Bitterkeit, aber mit leicht bebender Stimme: »Die Büste gefiel Ihnen nicht; ich habe eine Beatrice daraus gemacht.« Die Züge der Madame Recamier wurden demnach dazu verwandt, die durch Dante unsterblich gewordene Florentinerin in Marmor darzustellen. Dies Werk ist unter den Canova'schen eins der geschätztesten.
Madame Recamier, die so liebenswürdig und verbindlich selbst gegen unbedeutende und ihr gleichgültige Personen war, empfand es aufs Schmerzlichste, daß sie einem geschätzten Freunde und verehrten Künstler so wider ihren Willen eine Kränkung bereitet hatte. Dies ist in ihrem so beglückenden Leben vielleicht der einzige Fall, wo sie, statt Wonne, Verstimmung hervorrief. Da das Zusammensein mit Canova seit dieser, ihm verursachten, Kränkung auf die feinfühlende Madame Recamier immer wie ein Vorwurf wirkte, so gab sie den Bitten der Königin von Neapel gern Gehör, auf einige Tage wenigstens wieder zu ihr herüberzukommen. Madame Recamier, die diesmal nur kurze Zeit in Neapel verweilen wollte, ließ ihre Nichte in Rom zurück und machte die Reise unter dem Schutze einer englischen Familie. Sie fand die Königin als Regentin vor, sehr thätig, aber in großen Seelenqualen. Hatte sie auch im Interesse ihres Gemahls und ihrer Kinder geglaubt, den Beitritt zu der Coalition befürworten zu müssen, so beseelte sie doch in hohem Grade das Bonaparte'sche Familiengefühl, und wenn sie ihren Bruder, den Kaiser, auch mehr fürchtete, als liebte, so blickte sie doch mit Bewunderung an ihm empor, und er erschien ihr in übermenschlichen Umrissen. Diesen Halbgott nun gestürzt und den Helden, dem die Welt zu klein gewesen, auf eine winzige Insel verwiesen zu sehen, erfüllte sie mit Gram und Unwillen. Madame Recamier konnte demnach die Kunst der Tröstung und Beschwichtigung, die sie so gut verstand, jetzt im vollsten Maße ausüben.
Als Madame Recamier sich eines Morgens bei der Königin befand, auf deren großem Arbeitstische eine Menge von französischen Zeitungen und neuerschienenen Flugschriften ausgebreitet lagen, so blätterte die für Alles ein Auge habende Herrscherin in dem für sie aufgespeicherten Vorrathe herum, das Meiste gleichgültig bei Seite legend. Da fiel ihr Blick aus eine Flugschrift, die im Jahre 1814 so großes Aufsehn machte, betitelt: »Ueber Bonaparte und die Bourbonen.« – »Ach,« rief die Königin, »ein neues Werk von Chateaubriand. Wir wollen es gemeinsam lesen.« Da die Königin noch mehreres zu unterschreiben hatte, so nahm Madame Recamier die neueste Arbeit ihres berühmten Landsmannes in die Hand, um sich die Zeit zu vertreiben. Sie ahnte damals nicht, daß er in ihrem Freundeskranze eine der glänzendsten Blumen bilden werde. Chateaubriand hat bekanntlich in dieser Flugschrift für die Bourbonen die Farben des sonnigen Himmels und für die Bonapartes das Schwarz der Hölle gewählt. Madame Recamier erkannte dies sofort, obgleich sie die Flugschrift nur durchblätterte. Sie bedauerte diesen gehässigen Ton, da die arme Königin, die schon so vieles zu leiden hatte, durch die, gegen ihren großen Bruder und ihr ganzes Geschlecht geschleuderten, Vorwürfe tief gekränkt werden mußte. Deshalb legte sie die Schrift, die wie Feuer in ihren Händen brannte, mit ängstlicher Hast auf ein Büchergestell und sagte, als die Königin sie fragend anblickte: »Madame, Sie werden das Werk des Herrn von Chateaubriand besser allein lesen.«
Nachdem Madame Recamier aus der Fülle ihres liebenden Herzens die ihr befreundete Königin in den Aengsten und Qualen ihrer Seele getröstet hatte, eilte sie nach Rom zurück, um dort ihre Reise nach Frankreich vorzubereiten, das sie nach dem Sturze Napoleons nicht mehr als Verbannte zu betreten brauchte.
Bei ihrem jetzigen Verweilen in Rom, das meist durch Abschiednehmen und durch Vorbereitungen zur Rückkehr nach Frankreich ausgefüllt ward, erlebte sie noch ein seltenes und sie bis zu Thränen rührendes Schauspiel. Der Papst Pius VII., gleich ihr von Napoleon seiner Heimath entrissen, kehrte nach trüben Jahren der Verbannung in seine Hauptstadt zurück, die ihn mit unbeschreiblichem Jubel empfing. Die Mitglieder des vornehmsten römischen Adels waren dem Papste bis Storta entgegen geeilt, hatten ihm die Pferde ausgespannt und zogen in langer Reihe – der schwergebaute Galawagen bedurfte auch eines zahlreichen menschlichen Vorspanns – den Nachfolger Petri in die ewige Stadt, deren Balcone mit Teppichen geschmückt, deren Straßen in einen Blumenflor verwandelt waren, und deren Luft durchwogt ward von dem Dufte der wohlriechendsten Pflanzen und von dem Jubelgeschrei einer festlich gekleideten Menge. Auf dem Corso, dort, wo die zwei Kirchen der Porta del Populo gegenüberliegen, war eine Tribüne errichtet, wo Römerinnen und fremde Damen im höchsten Schmucke die Ankunft des Papstes erwarteten. Hier stand als die Schönste der Schönen Madame Recamier, mit Andacht und Rührung dem erhebenden Schauspiele entgegensehend. Jetzt verkündete ein immer lauteres Jubelgeschrei das Nahen des Papstes. Und dann ward es plötzlich still in der Menge. Der von römischen Nobilis gezogene Galawagen glitt feierlich durch die Mitte des Corso's, den Papst dahin führend, der, auf den Knieen liegend und mit verklärten Blicken um sich schauend, das zur Erde gesunkene, ihm ein inniges Willkommen zurufende, Volk rechts und links hin segnete. Als Pius VII. an Madame Recamier vorübergekommen war, bestieg diese ihren, sie erwartenden, Wagen und gelangte auf Seitenwegen in die Sanct-Peterskirche, die in prächtigster Ausschmückung den heimgekehrten Papst erwartete. Sie mußte lange harren, bevor der durch viele Straßen sich nur schrittweise fortbewegende Zug, der den römischen Staaten den weltlichen und geistlichen Herrscher in einer Person zurückbrachte, bei Sanct-Peter anlangte. Doch als endlich das Tedeum mit seinen feierlichen Klängen die weiten Halten der riesigen Kirche durchbrauste, als von allen Altären der Weihrauch aufwallte, und inmitten von Cardinälen, Erzbischöfen und Bischöfen der Papst langsam und demuthsvoll einherschritt, um vor dem Hauptaltare niederzusinken und dem Allmächtigen zu danken für die ihm gnädig gewährte Rückkehr, da weinten ringsum Männer und Frauen, und auch über die schönen Wangen der gefühlvollen und gläubigen Französin rollte der Zähren silbernes Naß.
Bevor Madame Recamier Rom verließ, machte sie noch dem General Miollis einen Abschiedsbesuch. Alle Leute, die vor ihm gekrochen waren, so lange er den gewaltigen Napoleon vertreten hatte, flohen ihn jetzt, da sie meinten, es könnte ihnen schaden, wenn sie mit ihm gesehen würden. Er lebte demnach ganz verlassen auf einer Villa, die sein Eigenthum war, und die noch jetzt seinen Namen trägt. Ein alter Soldat wartete ihm auf. Der General war bei vielfachen Lebenserfahrungen nicht verwundert über die Fahnenflucht der vornehmen Römer, die ihm früher die größte Ergebenheit geheuchelt hatten. Aber sein straffes Soldatenthum und eine im Verkehr mit der treulosen Menschheit erworbene Philosophie vermochten nicht ganz die Rührung in ihm niederzukämpfen, als die schöne Madame Recamier, die von dem Kaiser so viel zu leiden gehabt hatte, ihn, den von aller Welt Gemiedenen, aufsuchte und ihm ein herzliches Lebewohl sagte. Madame Recamier, die stets der Gekränkten und Verlassenen sich annahm, würde in jedem Falle zum General Miollis hinausgefahren sein. Aber sie ward zu diesem Schritte auch durch Dankbarkeit bewogen. Hatte sie doch im erkenntlichen Herzen seine Freundlichkeit bewahrt, als sie von Albano nach Rom hineingekommen war, um für das Leben des jungen Fischers zu bitten. Wenn er ihrem Begehren auch nicht hatte entsprechen können, so war er doch gütig und theilnehmend gegen sie gewesen, und deshalb trieb es sie, ihm vor ihrer Abreise aus Rom ihre Erkenntlichkeit darzuthun.
Als Madame Recamier allen ihren Pflichten in der ewigen Stadt genügt hatte, bestieg sie vergnügt den Reisewagen, der sie dem schönen Frankreich und dem schmerzlich vermißten Paris zuführte, jenem Paris, das in den feinern Schichten der Gesellschaft seine Salonkönigin nicht minder begeistert empfing, wie Rom seinen Pontifex.