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Vielfache Besuche bei der Verbannten.

Konnte auch Frau von Staël ihren versprochenen Besuch, der dem Herzen der Madame Recamier die größte Labung gewährt haben würde, nicht zur Ausführung bringen – welche nothwendige Entsagung dem leidenschaftlichen Freundschaftsgefühle der berühmten Frau das schmerzlichste Opfer kostete – so empfing doch die schöne Verbannte vielfachen andern Besuch, theils von hervorragenden Einwohnern der Stadt, theils von durchreisenden, ihr durch das Pariser Salonleben bekannt gewordenen, Persönlichkeiten. Es erschienen für kürzere oder längere Zeit Herr von Harcourt, der spätere Herzog, ferner der Marquis von Catellan – in Châlons-sur-Marne hatte seine Gattin der Madame Recamier die Verbannung tragen helfen – endlich Junot, als er sich nach Illyrien begab, um als Statthalter diese neugewonnene Provinz Frankreichs zu verwalten. Auch Talma, der im Winter von 1812–1813 in Lyon eine Reihe von Vorstellungen gab, stellte sich der schönen Verbannten vor, da er sie persönlich kannte. Madame Recamier hatte sich zuerst gesellschaftlich mit ihm bei Frau von Staël berührt, die eine große Bewunderin seines Talents war; später gewährte sie ihm auch Zutritt zu ihrem Salon. Obgleich Talma nun von dem Kaiser mit großer Auszeichnung, ja, Herzlichkeit behandelt wurde, so war er doch, wie alle wahren Künstler, nicht liebedienerisch. Er beeiferte sich demnach, der schönen Verbannten, die er verehrte, mochte der Kaiser sie auch hassen, seine Aufwartung zu machen und ihr seine Huldigung zu Füßen zu legen. Madame Recamier erschien regelmäßig im Theater, wenn Talma auftrat, und befand sich dann meist in Begleitung der Herzogin von Chevreuse und der Herzogin von Luynes. Obgleich der Schwächezustand der Herzogin von Chevreuse einen solchen Grad erreicht hatte, daß sie nur noch wenige Stunden während des Tages außerhalb des Bettes verbringen konnte, so begleitete sie doch, wenn es ihre Kräfte irgend erlaubten, Madame Recamier zu den Talma'schen Vorstellungen. Auch hatte sie Gelegenheit, den berühmten Schauspieler persönlich kennen zu lernen, da er von Zeit zu Zeit bei Madame Recamier das Mittagsmahl einnahm. Wie sich bei der schönen Verbannten ausgezeichnete Persönlichkeiten aus den verschiedensten Lebensstellungen begegneten, so ward einst, als Talma der Gast der Madame Recamier war, der Bischof von Troyes gemeldet. Auch der Bischof konnte zu den Verbannten gezählt werden, indem er den Argwohn der kaiserlichen Regierung auf sich gezogen hatte. Dies war weiter kein Wunder, da er bei hervorragender Begabung einen unabhängigen Sinn zeigte, mithin wegen seiner Talente, die er gegen die Regierung gebrauchen konnte, beaufsichtigt werden mußte. Vor allem verbot man ihm die Kanzel, obgleich ihm die geweihte Rede schön von den Lippen floß. Wer sich gegen den Kaiser und das kaiserliche Regiment auch nur schweigend verhielt und an der allgemeinen Weihräucherung nicht Theil nahm, ward in den herrschenden Kreisen als Verbrecher angesehen und als ein räudiges Schaf aus der sanftblökenden Heerde ausgestoßen. Der Bischof von Troyes war übrigens nicht bloss auf geistlichem Gebiete ein sehr belesener Mann, sondern auch in der weltlichen Literatur bewandert. Die Tragödien Corneille's und Racine's erquickten und erhoben ihn in seinen Mußestunden. Wegen seines geistlichen Charakters hatte der Bischof niemals ein Schauspiel besucht. Bei seiner aufgeklärten Denkungsart war es ihm nun überaus erfreulich, mit dem berühmten Schauspieler, der die Rollen der classischen Tragödie so meisterhaft verkörperte, zusammenzutreffen. Gemäß der feinen Vermittelung der Madame Recamier und gemäß den vortrefflichen Manieren, die sowol den Bischof, wie den Schauspieler auszeichneten, wurden diese beiden Männer aus zwei so ganz verschiedenen, sich oft feindlich begegnenden Sphären bald mit einander vertraut, so daß ihr Verkehr sich zu einem sehr herzlichen gestaltete. Talma, den es überaus angenehm berührte, bei einem hohen katholischen Geistlichen einer so aufgeklärten Denkungsart zu begegnen, legte in sein Benehmen gegen den Bischof eine viel größere Ehrfurcht, als es sonst die gesellschaftliche Gewohnheit des selbstbewußten Künstlers war. Als er hörte, daß der Bischof nie einer Theatervorstellung beigewohnt, habe, so suchte er in der Schatzkammer seines Gedächtnisses nach den Stellen in seinen Rollen, die einen erhebenden Gedanken oder eine religiöse Empfindung ausdrückten, und recitirte diese mit einer Weihe und Vollendung, wie er es Tausenden von Zuschauern gegenüber nicht mit gleicher Freudigkeit gethan hätte. Dieser milde, aufgeklärte Bischof war dem berühmten Schauspieler etwas ganz Neues und fesselte seine Sympathien in höherm Grade, als eine bunt zusammengewürfelte Zuschauermenge. Als Talma mit seiner Recitation zu Ende war, erlaubte er sich die Bemerkung, wie ihm erzählt worden, daß der Bischof mit außerordentlicher Weihe und Würde zu seiner Gemeinde gesprochen habe, und daß es ihm ein sehr belehrender Genuß sein werde, wenn Monseigneur geruhen wolle, ihm auch eine Probe seiner Kunst zu geben. Der liebenswürdige Bischof nahm diese Bitte keineswegs übel, sondern erhob sich und hielt in feurigen Worten einen längern Vortrag über ein passend gewähltes Thema. Talma in dem Wahrheitsdrange eines nicht schmeichelnden Künstlers lobte und tadelte, je nachdem Gutes oder minder Gutes geleistet ward. Mit der Betonung und Bewegung des Oberkörpers war Talma durchaus zufrieden. Doch weniger mit dem Unterkörper. In seiner Lebhaftigkeit und künstlerischen Unbefangenheit sich mit der Hand bis an die Hüfte des Bischofs vorwagend, sprach er:

»Bis hierher, Monseigneur, ist alles vortrefflich; aber das untere Stockwerk Ihres Körpers ist etwas hölzern. Man sieht gleich, daß Sie bisher nicht nöthig hatten, an Ihre Beine zu denken.«

So huldigte man auch in Lyon der schönen und tugendhaften Madame Recamier, ganz wie man es in Paris gethan hatte. In ihrer geistigen Bedeutung und sanften Vermittelung gelang es ihr, die anscheinend widerstrebendsten Elemente einander so zu nähern, als ob Wahlverwandtschaft zwischen ihnen stattfände.

War es nun der Madame Recamier geglückt, während ihrer Verbannung in Lyon einen Bischof und einen Schauspieler mit gegenseitiger Achtung für einander zu erfüllen, so hatte sie in eben dieser Stadt das Verdienst, eine junge Engländerin vor geistigem Tode und sittlicher Versunkenheit zu retten, und sie aus einer äußerst weltlichen Wirksamkeit zu einer fast himmlischen Sphäre zu entrücken. Lady Webb nämlich, eine der vielen englischen Damen, die durch Napoleons despotische Maßregeln in Frankreich als Gefangene zurückgehalten wurden, und die häufiger bei Madame Recamier zum Besuche kam, hatte mit herzlicher Theilnahme gegen sie einer Landsmännin gedacht, deren Tugend große Gefahr laufe. Diese Landsmännin war ein sehr hübsches Kind, das mit Seiltänzern umherzog, und das, elternlos, von keinem zärtlichen Auge bewacht wurde. Madame Recamier, durch die ihr von der Lady Webb geschilderten Gefahren für die Unschuld des englischen Waisenkindes bangend, veranlaßte, daß die Seiltänzergesellschaft, bei der letzteres mitwirkte, im Hofe des Hôtel de l'Europe eine Vorstellung gab. Da das Kind ganz der Schilderung der Lady Webb entsprach, indem der Adel seiner Züge nicht mit seiner unwürdigen Beschäftigung im Einklange stand, so fühlte Madame Recamier ein inniges Mitleid mit der anscheinend für einen höhern Beruf Bestimmten und durch das Unglück in eine solche Tiefe Herabgeschleuderten. Madame Recamier, obgleich damals nicht mehr über einen fürstlichen Reichthum gebietend, scheute doch vor keinen Kosten zurück, um die kleine Engländerin den Gefahren ihrer Stellung zu entreißen. Sie kaufte sie demnach los von der Bande, mit der sie umherzog, um sie auf ihre Kosten unterrichten und für eine edlere Laufbahn vorbereiten zu lassen. Bei ihrer Abreise von Lyon übergab sie das verwaiste Kind der Obhut ihrer frommen Schwägerin, die sich ihrem Amte mit großer Gewissenhaftigkeit unterzog. Im Jahre 1821 empfing Madame Recamier aus Lyon die Nachricht, daß ihre Schutzbefohlene, für die sie jährlich ein nicht unbedeutendes Kostgeld bezahlt hatte, allen Gefahren der Welt entronnen und in ein Kloster gegangen sei.

So gereichte der Aufenthalt der Madame Recamier in Lyon Vielen zur Freude und Manchem zum Nutzen, ihr Weggang aber verursachte Allen, die sie gekannt hatten, aufrichtige Betrübniß.


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