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Und dennoch kamen diese Stürme, schneller, als irgend jemand gedacht hätte! Mein lieber Freund, Sie kennen die Geschichte der Vendée, Sie wissen von der kläglichen Niederlage vor Granville, das von den kühn und klug zusammengeführten Garnisonen vieler Städte besetzt und verteidigt war, die Umklammerung und Verfolgung, in der sich Klebers Feldherrngeist mit Westermanns Vernichtungswut paarte, die Auflösung und Zersprengung des ganzen Bauernheeres, den schreckensvollen Tod von mehr als vierzigtausend angstgepeitschten, ratlosen Menschen. Es geht über meine Kraft, dies im einzelnen zu schildern. Frau von Lescure hat in ihren Memoiren den wilden Schrecken ganz erschöpft. Sie beschreibt den Rückprall der entgeisterten Armee, die zum ersten Male die furchtbare Waffe platzender Granaten gegen sich gerichtet sah, sie beschreibt den Kampf in den engen Gassen der Städte, die sie flüchtig durcheilen, die erbarmungslosen Rächer auf ihren Fersen. Sie erzählt von den Hinrichtungen derer, die den Adligen der Vendée Unterkunft gegeben, ja, auch nur Brot verkauft haben, von den verzweifelten Durchbrüchen der Überlebenden, von ihren Schlupfwinkeln in den abgelegensten Dörfern, ihrer Armut, die bei Bauern um Brot arbeiten mußte, von ihrer Ruhelosigkeit vor ununterbrochener Verfolgung auch dann noch, als die letzten Schüsse in den winterstarren Wäldern verhallt waren. Was Frau von Lescure schildert, ist ein unerhört gefahrenreiches und mühevolles Leben während fünf langer Wintermonate. Sie selbst und ihre Mutter lebten als Bäuerinnen verkleidet bei einfachen Pächtern auf dem Lande, hießen Jeannette und Marion, hüteten Schafe und strickten Strümpfe, um ihr Leben zu verdienen. Sie schliefen auf einem Heuboden, den sie mittels einer Leiter erklettern mußten, aßen Suppen aus Roggenkleie und saurer Milch, und wenn Streifen republikanischer Häscher die Dörfer absuchten, so flüchteten sie in den Wald und nächtigten in hohlen Bäumen oder in der Lagermulde eines Wildtieres, von dürrem Laube bedeckt bis an den Hals. Das kleine Mädchen der Frau von Lescure, das den Anstrengungen dieser unerhört schwierigen Flucht nicht gewachsen war, starb bei fremden Bauersleuten, bei denen sie zurückbleiben mußte, als das erschöpfte Körperchen den Dienst versagte. Erst gegen Ende des Winters fanden die zwei adligen Pilgerinnen ein leidliches Unterkommen bei einem mutigen Fräulein im Dorfe Prinquiau, wo denn im April Frau von Lescure zwei kleine Mädchen zur Welt brachte, von denen eines nach zwanzig Tagen starb. Beide Kinder wurden von einem alten Dorfpriester, der keinen Eid auf die neue Verfassung geschworen hatte, getauft, und die Urkunde davon steht eingeritzt auf zwei bäuerlichen Zinntellern, die später wieder in den Besitz der Frau von Lescure gelangten. Von den Resten der Armee, von ihren Führern, von Heinrich, van Duyren, dem Bischof, Frau von Bonchamps oder anderen Freunden erfuhr Frau von Lescure in diesen langen Monaten nur unbestimmte Gerüchte. Man nahm an, daß einige, der Verheerung entronnen, zu Charette geflüchtet oder in die heimischen Wälder zurückgekehrt seien, andere mochten sich den Chouans angeschlossen haben, von denen nunmehr die ersten Unternehmungen bekannt wurden. Bis zum Ende des Jahres 1794 dauerte die Verbannung der edlen Frauen, dann kam die Amnestie, Haussuchungen und Verfolgungen hörten auf, und Frau von Lescure konnte mit ihrer Mutter in deren Heimat an der Garonne ziehen, wo sie später als Gattin von Heinrichs aus dem Exil heimgekehrtem Bruder noch ein reiches eheliches Glück erlebt hat. Von ihr will ich nun nichts weiter berichten.
Als die Vendée von Fougères aufgebrochen war, um Granville zu erobern, hatten viele der adligen Frauen es sich nicht versagen können, ihre Gatten noch bis Avranches zu begleiten. Auch Louise und Bonvouloir freuten sich der Möglichkeit, den Abschied noch hinauszuschieben, obgleich Larochejacquelein und van Duyren versicherten, die Trennung könne nur wenige Tage dauern. Das Wetter, obgleich kalt und feucht, mußte den englischen Schiffen günstig gewesen sein, die Entfernung von Jersey bis Granville war so gering, daß sich die Dauer der Überfahrt auch bei ungünstigem nicht wesentlich verlängert hätte. Alles war voll der schönsten Gewißheit, auch Louise, die irgendwie unter Bonvouloirs Bann stand und für einmal jedes Bedenken abgeschworen hatte. Der Abschied war unfeierlich und jeder Rührung bar, nichts anderes kam zu Worte als geschäftige Fürsorge der Frauen um die Bekleidung und Bequemlichkeit der Männer, und Anweisungen der letzteren, wie Nachrichten von Granville weiter nach Fougères geleitet werden sollten. Dann sahen Louise und Bonvouloir von der Zinne eines Stadtturmes herab die Armeen abmarschieren, sahen das frohe Aufblicken der grüßenden Männer, ein Rückschauen und Hüteschwenken aus größerer Entfernung, und dann nichts mehr. Sie brachten den Rest des Tages damit zu, das Meer abzusuchen mit ihren scharfen und sehnsüchtigen Augen, ob sie vielleicht am Horizont die weißen Segel der Engländer vorübergleiten sähen, und kehrten Abends enttäuscht der schiefergrauen Einförmigkeit, die sich dunkel und undurchdringlich in die Ewigkeit spannte, den Rücken. Sie nächtigten bei adligen Leuten, machten sich zeitig auf, um beim ersten Laut der ersehnten Nachricht aufbrechen und die Geliebten einholen zu können, scherzten, sehnten sich, machten Pläne und brachten mühsam den Tag herum bis in die späten Stunden des Nachmittags. Dann hörten sie Geschrei von unsagbar wildem und schrecklichem Klange in den Straßen und fühlten erstarrenden Herzens, daß dies kein Siegesjubel sein konnte. Wie sie angstvoll aus dem Hause traten, sahen sie sich auch schon erfaßt von der Strömung einer kopflosen Flucht, der sie sich nicht mehr entreißen konnten. Einwohner, Soldaten, Bauern, Pferde und Wagen bildeten wieder jenen verworrenen, in einer Richtung drängenden Knäuel, den die beiden entsetzten Frauen nun schon kannten als das Letzte, das Unsagbare, das Chaos, wo der Mensch aufhört Mensch zu sein, wo nur noch der Irrsinn den Weg weist. Sie liefen mit bis gegen Mitternacht, einfach weil es nicht möglich war, den Schritt zu wenden. Dann, mitten auf einer großen Heide hörten sie hinter sich heftiges Geschützfeuer, und schöpften Hoffnung aus dem Gedanken, daß, wo gekämpft würde, Offiziere der Vendée sein müßten. Sie gewannen ein Gehölz seitab vom Wege, wo sie sich bargen bis zum Tagesgrauen. Dann suchten sie, immer vom knatternden Gewehrfeuer geleitet, einen Pfad, der nicht von Flüchtlingen überschwemmt war und nordwärts führte.
Als die Sonne aufging, kamen sie in ein Dorf und fanden auch dieses in Auflösung. Man belehrte sie, daß das Feuer von verfolgenden Truppen der Blauen herrühre, daß es näher komme, daß nur schnellste Flucht das Leben sichern könne, und forderte sie auf mitzukommen. Als die Leute sahen, daß die beiden jungen Frauen vor Mattigkeit nicht mehr stehen konnten, labten sie sie mit heißer Milch und packten sie auf einen Wagen, auf dem alte Frauen und Kinder saßen. Wahrlich waren die beiden Armen froh, eine kurze Rast zu genießen, sie schliefen sogar, aneinandergelehnt, auf dem rüttelnden Fuhrwerk ein, aber als sie sich etwas erholt hatten, fiel es ihnen aufs Herz, daß sie sich auf diese Weise von ihren Männern allzuweit entfernten. Sie stiegen ab, wandten sich wieder nordwärts, indem sie den Weg nach Avranches erfragten. Sie begegneten vielen Leuten, auch Bauern und Soldaten, die aus Heinrichs Armee stammen mußten, und sie hörten zwanzigmal in den traurigsten Abwandlungen die Erzählung eines Weltunterganges. Etwas Unerhörtes mußte in Granville vor sich gegangen sein! Sie forschten nach Heinrich, nach Keller und vielen anderen Namen, erhielten die verworrensten Auskünfte und fanden es schließlich ratsam, das eigene Forschen fortzusetzen. Bonvouloir sagte ganz richtig: »Wenn die Sache in Granville mißlungen ist, so hat Heinrich nur noch eine Hoffnung, und das ist Rennes. Laß uns versuchen, nach Rennes zu gelangen!« Sie machten sich aufs neue auf die Wanderschaft, nur von dunklen Instinkten geleitet; Wegweiser gab es damals nur an den großen Landstraßen, und die Leute, denen sie begegneten, hatten nicht mehr Ahnung, wo Rennes liegen mochte, als sie selbst.
Sie waren für eine solche Wanderung weder beschuht noch bekleidet und mußten die Mildtätigkeit der Bauern anrufen, um ihre nassen und zerfetzten Hüllen gegen wärmere und derbere zu tauschen. Man gab ihnen nach und nach, was sie brauchten, aber es hielt schwer, Unterkunft zu finden, oft auch nur für eine Nacht, weil das ganze Land voll war von Streiftrupps der Blauen, die scharfe Haussuchungen hielten und unmenschlich straften, wenn sie verborgene Anhänger der Vendée fanden. Immerhin war es auf dem Lande noch erträglicher als in den Ortschaften, wo man sie mit Hunden hetzte; die Bauern waren mit ihren Herzen doch immerhin der königlichen Sache ergeben und wagten einmal etwas, um ein paar arme Flüchtlinge zu retten. Doch führte diese Erkenntnis der Gefahr, die sie mitbrachten, die Frauen dazu, immer abgelegenere Täler und immer einsamere Gehöfte aufzusuchen. So dauerte es lange, ehe sie überhaupt nur wußten, daß sie wirklich auf dem Wege nach Rennes waren. Nun aber hörten sie, daß Rennes ganz von Blauen besetzt sei, und irgend jemand wollte wissen, daß die Reste der Vendée Mans erobert hätten und auf Angers zu marschierten. Louise und Bonvouloir hatten sich das Wort gegeben, ihre Namen nicht zu nennen, deshalb mußten sie auch im Fragen eine gewisse Vorsicht üben, und selten, sehr selten durften sie die Fragen tun, die ihnen zumeist am Herzen lagen. Sie erfuhren nie etwas Genaues, aber so viel durften sie mit Bestimmtheit annehmen, daß Heinrich noch am Leben war, daß er kämpfte, wenn auch mit kleineren Scharen, und wo er war, durfte man ja wohl auch van Duyren vermuten. Am häufigsten fragten die Frauen nach Herrn d'Autichamps, es erwies sich aber, daß die wenigsten Menschen überhaupt nur seinen Namen kannten, während Larochejacqueleins Name in aller Munde war: wo man von der Vendée sprach, da meinte man ihn. Dies war ein Trost für Bonvouloir, denn wenn er gefallen wäre, so hätte man ihn betrauert; schwer zu tragen aber hatte Louise, denn van Duyren war keiner der bekannten Führer und sein Name überall fremd. Noch ermaßen die jungen Frauen nicht die ganze Schrecklichkeit der Vernichtung, die über die Armee gekommen war; sie glaubten sich selbst nur in ein zufälliges und unglückliches Wirrnis einer einzelnen Schar verwickelt, und die übrige Armee längst wieder geordnet und schlagkräftig in den Händen ihrer Führer. Gerüchte, die durchs Land gingen, bestärkten sie in diesem Glauben.
Da sie sich von Rennes aus rückwärts wandten, mußten sie notgedrungen wieder in die Gegend von Fougères gelangen; bald waren sie mitten in dem großen Waldgebiet, das diese Stadt umgab. Sie kamen an einem Meiler vorüber, wollten um Unterkunft bitten, aber die Leute, die da mit Weibern, Kindern, Hunden und Schafen in Hütten der niedrigsten Art hausten, sahen zu armselig und zu vertiert aus: sie eilten weiter und waren froh, daß sie nicht verfolgt wurden von den wolfsähnlichen Menschen. Einige Stunden später verriet der Rauch, der blau durchs Dickicht strich, einen zweiten Meiler. Sie wollten ihn umgehen, noch schaudernd bei der Erinnerung an den Anblick jener ersten Kohlenbrenner, als ihnen ein Kind über den Weg lief, das zwar zerlumpt und schmutzig, aber anmutig und fröhlich aussah. Sie redeten es an, gingen mit ihm und fanden drei oder vier Familien, kaum besser behaust und auch nicht weniger zerlumpt als die ersten, aber in gewissem Sinne menschlicher. Es hielt nicht leicht, sich mit ihnen zu verständigen, schon wollte selbst die mundartenkundige Bonvouloir daran verzweifeln, da erschien auf der Bildfläche die Mutter des erwähnten Kindes und war ein junges Wesen von einer mäßigen Schmuckheit, die gleich verriet, sie habe einmal in einer besseren Umgebung gelebt. Die machte freundlich den Dolmetsch und tat ihre Freude kund, wieder einmal Leute aus jener schöneren Welt zu sehen, hatte eine gefällige Gewohnheit des Dienens und war gleich bereit, den Damen eine der Hütten einzuräumen, in denen man sich übrigens nur gebückt bewegen konnte. Die Todmüden dankten gerührt auch für diese bescheidene Gastfreundschaft. Es schien, als habe das junge Weib, als die einzige Welterfahrene, eine Stimme im Rate dieser kleinen Köhlergemeinde, denn es geschah alles so, wie sie es wollte, und sie war den Flüchtlingen wohlgesinnt. Ob diese Leute mit ihrer Meinung auf seiten der Republik oder auf seiten der Königlichen standen, wäre schwerlich zu ermitteln gewesen, Louise hatte den Eindruck, als ob sie selbst nicht ganz im reinen über die Bedeutung dieser Worte seien; jedenfalls waren ihre Herzen auf seiten der Unglücklichen, und wenn flüchtige Patriotinnen anstelle der beiden Adligen gekommen wären, so wäre die Aufnahme um nichts verschieden gewesen. Die junge Frau brachte eine Roggenmehlsuppe, die heiß durch die Adern der ermatteten Wandernden lief. Dann erzählte Bonvouloir, was sie zu erzählen für gut hielt, und jene übersetzte den neugierigen und erstaunten Schwägern, was sie verstand; denn sie faßte bei weitem nicht den Sinn jedes Wortes. Immerhin tat sie sich etwas zu gut auf ihr Wissen und ihre Erfahrung von der »Welt da draußen«, und sonnte sich in einer gewissen Vertraulichkeit mit den vornehmen Damen, die den anderen Weibern vorläufig noch Scheu einflößten. Das hübsche Kind, gesellig veranlagt wie die Mutter, kam auf Louisens Schoß gekrochen und schlief da ein, und Louise betrachtete es liebevoll trotz des fürchterlich schmutzigen Näschens und trotz der Läuse, die in seinem blonden Haare wimmelten.
Der nächste Morgen brachte tiefen Schnee, der sich hielt, häufte und bis Mittag undurchdringliche Mauern zwischen den Baumstämmen aufführte. Nur im Umkreise des Meilers schmolz er weg und ließ den kleinen Platz gangbar. Louise und Bonvouloir sahen sich ratlos an, da kam das junge Weib und bot ihnen im Namen der übrigen Gastfreundschaft an, bis Tauwetter eintreten würde. Im November war nicht mit langer Dauer solchen winterlichen Wetters zu rechnen. Immerhin dauerte es vier Tage, und in dieser Zeit erwarb sich Louise die glühende Liebe der ganzen Gesellschaft, weil sie den Kindern die Kleidchen flickte, sie wusch und ihre kleinen lockigen Köpfchen etwas ziervoller zurechtfrisierte, weil sie den Frauen, die allesamt krank waren, einfache Heilmittel empfahl, die sie sich in Fougères besorgen sollten, wenn ihr Weg sie dahin führte. Bonvouloir hatte unterdessen verraten, daß sie beide auf der Suche nach ihren Männern seien, die der Krieg von ihnen gerissen hatte, ohne daß sie wußten, ob sie noch lebten. Dies hatte aller Mitleid entzündet, und es begannen nun selbst die schwerfälligen Männer sich mit dem Schicksale der Fremden zu beschäftigen. Das Leiden der einen Köhlersfrau brachte dann den Gedanken zur Reife, es möchten die Männer, die mit dem Tage der Schneeschmelze eine Ladung Kohlen nach Fougères zu fahren beabsichtigten, doch Bonvouloir mit sich nehmen, damit sie die von Louisen verschriebenen Heilmittel einkaufen und zugleich etwas über den Verlauf des Krieges erfahren könne. Louisen an dieser Unternehmung teilnehmen zu lassen, erschien niemandem ratsam, da man ihr, wie die junge »Weltkundige« behauptete, die Marquise von weither ansähe, und da die Patrioten in Fougères »schreckliche Dinge mit den Adligen täten«.
Louise glaubte vor Angst vergehen zu müssen bei dem Gedanken, allein unter diesen Halbmenschen bleiben zu sollen, fügte sich aber schließlich der Überlegung, daß nur auf diese Weise etwas von dem in Erfahrung zu bringen sein könne, was für sie Leben und Tod bedeutete. Sie schwor sich zu, wenn nach den verheißenen vier Tagen die Wagen ohne Bonvouloir wiederkehren sollten, glattweg nach Fougères zu laufen und sich dem Revolutionstribunal zu stellen, da sie den Tod auf dem Schafott immerhin als einen würdigen Abschluß ihres Lebens betrachtete und ihn leichter fand als dies Umherirren ohne Ziel. Bonvouloir beruhigte sie: sie würde gewiß wiederkommen, es sei durchaus kein Grund, daran zu zweifeln! Besaß sie doch, im Rocksaum eingenäht, die wenigen Groschen, die man ihr in der letzten Herberge geschenkt hatte, und würde sie also die versprochenen Heilmittel kaufen und in Verwahrung halten als Preis der Rückfahrt. Sie machte sich ein Männergewand zurecht, schwärzte ihr Gesicht, zog eine Wollmütze über die Ohren und sah einem Köhlerjungen so ähnlich als möglich. Als sie zum Schlusse noch eine Pfeife ergriff und sachgemäß stopfte, liefen ihr plötzlich die hellen Tränen übers Gesicht, weil sie des Tages gedenken mußte, wo sie in ähnlicher Verkleidung vor Heinrich gestanden hatte und er ihr die Pfeife aus dem Munde gerissen und in die Ecke geschleudert hatte. Der Köhlerbursche, der ihr mit der Pfeife ein äußerst kostbares Geschenk zu machen geglaubt hatte, sah verdutzt die unerwartete Wirkung. Sie sagte schnell: »Der Rauch beißt!« und wischte ihre Tränen ab.
In Fougères wurden die zwei Kohlenwagen in einem großen Lagerhause vor der Stadt untergestellt. Bonvouloir tränkte die Pferde, erkämpfte sich in rauhen Knabenlauten einen guten Stallplatz für sie und tat gelegentlich vorsichtige Fragen nach dem Kriege. Es war gut, daß der Ruß ihre Wangen deckte, denn auch sie konnte nicht ohne Erstarren des Blutes hören, was sie hören mußte. Man wies ihr den Platz, auf dem an einem einzigen Tage fünfzehnhundert Bauern füsiliert worden waren. Man forderte sie auf, in die Stadt zu gehen und die Guillotine anzusehen, auf der noch täglich Häupter adliger Männer und Frauen fielen, und man sprach von Siegen, nichts als Siegen der Blauen. Bonvouloir faßte sich und fragte: »Ist es denn noch nicht bald zu Ende? Man sollte meinen, es gäbe nachgerade keine Rebellen mehr?« Man antwortete ihr: »Die sind nicht so leicht auszurotten! Immer glaubt man sie geschlagen, und immer tauchen sie wieder irgendwo auf. Aber es kann nun nicht mehr lange dauern. Man hat sie umstellt. Über die Loire können sie auch nicht mehr zurück, Kleber hat beide Ufer besetzen lassen. Erst gestern ist ein Floß, das sich Flüchtlinge gebaut haben, in den Grund geschossen worden mit allen, die drauf waren.« Nach einer Weile fragte Bonvouloir, während die Knie unter ihr bebten: »Wer aber führt sie denn noch, die Hunde? Ich denke, es sind alle Führer guillotiniert worden?« Und wie ein Ruf aus Gottes eigenem Himmel durchfuhr sie die Antwort: »Wer sie führt? Der leibhaftige Gottseibeiuns führt sie, das Ungeheuer von Saint-Aubin.« Sie wagte an diesem Tage keine weitere Frage zu tun, das Schwingen von tausend Seligkeiten in ihrer Stimme würde sie verraten haben.