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Als Frau von Lescure die Straße erreichte, hemmte die Menge der aus Cholet herströmenden Flüchtlinge ihren Weg. Sie ward eingeholt, und mit Hilfe der drei oder vier Herren, die sich ihr zu Dienst hielten, gelang es ihr nach einigem Herumfragen, die Spur ihres Gatten zu finden. Sie erreichte ihn in dem Dorfe Chaudron, eine kurze Strecke vor Beaupréau, und war glücklich, ihn noch am Leben zu finden. Als sie Bonvouloir um ihn beschäftigt sah, fiel sie dieser ohne Scham um den Hals und küßte sie. Lescure war um ein geringes weniger schwach als am Tage vorher, vielleicht peitschte auch die Erkenntnis der Lage seinen Willen, er richtete sich etwas auf und redete ein paar Worte, obgleich ihm die leiseste Bewegung des Kinnbackens unerträgliche Schmerzen bereitete. Ein »Arzt« – ach! was nannte man so in diesen Tagen! – ein sogenannter » barbier-chirurgien«, wie jede Familie einen solchen unter ihrer Dienerschaft besaß, hatte ihn zur Ader gelassen, um das steigende Fieber zu bekämpfen. Weiter wußte er nichts vorzuschlagen.
Die ganze Landschaft schien jetzt eine einzige unabsehbare Bewegung nach Norden zu, ein langsames Dahinrollen dunkler, dichtgedrängter Massen, hinter denen wie eine Wand von Schall der Kanonendonner einer nahen Schlacht stand. D'Elbée, Heinrich, Stofflet, Royrand und Bonchamps hatten noch einmal die Bauern gesammelt, es waren während der Nacht Leute aus der Bretagne und aus dem Anjou zu ihnen gestoßen, ein letztes, verzweifeltes Entgegenwerfen sollte das nachdrängende Verhängnis aufhalten. Frau von Lescure erzählte erfreut von dem Zusammenströmen der Bauern in Beausse. Sie ahnte nicht, daß die Leute kamen, weil der Schutz der Armee ihr letztes Hoffen war, weil sie wußten, daß morgen ihr Dorf, ihre Ernten, ihre Heimat vom Erdboden vertilgt sein würden, sie selbst, wenn man sie ergriff, weggeschleppt, wenn nicht gleich an den Bäumen ihrer eigenen Obstgärten aufgeknüpft. Sie war immer noch voll gläubiger Zuversicht, die tapfere Frau, und sie setzte nun den Weg mit dem kranken Gatten gen Beaupréau hin fort, an nichts anderes denkend als an die Linderung seiner Schmerzen, an die winzigen Bequemlichkeiten, die sie für ihn einrichten konnte. Sie ließ eine Sänfte zurechtmachen und den Verwundeten tragen. Aber auf tiefausgefahrenen und zerfurchten Wegen ist auch der Gang eines Sänftenträgers nicht sicher. Lescure verlangte bald stöhnend wieder nach der Karre, die dann übers weiche Ackerfeld gefahren wurde. Frau von Lescure und Bonvouloir setzten sich zu seinen Häupten und hielten eine kleine Schlinge, aus einem Halstuche hergestellt, in der sein Kopf leise schaukelnd ruhen konnte und die Stöße des Wagens nur abgeschwächt empfing.
Bei äußerst langsamer Fortbewegung erreichte das Trauerfuhrwerk, von einigen Soldaten begleitet, Beaupréau erst in tiefer Nacht, um unweit des Tores von van Duyren, Larochejacquelein und einigen anderen Herren empfangen zu werden, die von den früher angekommenen Damen, denen um Frau von Lescure bangte, auf die Suche geschickt worden waren. Der Anblick dieser Männer bedeutete indes für Frau von Lescure wie für Bonvouloir Entsetzen, ihre Anwesenheit gab, noch ehe ihre verstörten Gesichter gesprochen hatten, untrügliche Kunde von einer verlorenen Schlacht, von abgeschnittener Rückkehr nach Cholet. Frau von Lescure wagte nur flüsternd zu fragen, während die Herren sie nach dem für sie bestimmten Hause führten, und die Antworten wurden ebenso leise gegeben. Jeder Ausdruck des Schmerzes wurde um Lescures willen unterdrückt. Es war nicht nur die Schlacht verloren, trotz der zwei- oder dreitausend Bretonen und Anjouleute Bonchamps, sondern es war auch dieser selbst hoffnungslos verwundet und lag in diesem Augenblicke im Sterben in einem Bürgerhause in Beaupréau. Auch d'Elbée war verletzt, doch wußte niemand genau, wie schwer. Er war kurz vor Beaupréau verschwunden, man hatte ihn zuletzt in Begleitung des jüngeren Cathelineau gesehen. Seine Gattin, die sich sehr tapfer gezeigt hatte, nahm an, er habe sich nach la Loge, seinem Landsitze, bringen lassen, um seiner Wunde zu pflegen; sie war ebenfalls dahin aufgebrochen.
»Was wird nun geschehen?« Die kaum gehauchte Frage Frau von Lescures konnte Heinrich nur mit einem Achselzucken beantworten. Bonchamps Wille und Vorschlag war gewesen, die Loire zu überschreiten, und er hatte zu diesem Zwecke mit seinen letzten Kräften noch durchgesetzt, daß der Prinz Talmont und d'Autichamps ohne Aufenthalt weiter bis nach Saint-Florent marschieren, dort die Loire überschreiten und Varades besetzen sollten. Er hatte ihnen mitgegeben, was von den Bretonen noch marschfähig war, und diese Leute hatten Kähne im Ufergebüsch verborgen, mit denen noch in der Nacht der Übergang bewerkstelligt werden konnte. Larochejacquelein und d'Elbée freilich waren hart gegen diese Anordnung aufgetreten: sie konnten nicht glauben, daß ein Volk auf fremdem Boden besser kämpfen sollte als da, wo ihm Weg und Steg vertraut ist, wo es Eigentum zu verteidigen hat, wo Brüder und Freunde ihm zu Hilfe kommen konnten. Auch mißtraute Heinrich, der Gastfreundschaft der Bretonen, auf die Bonchamps so sicher zählte: weder Bonchamps, noch die bretonischen Edlen, mit denen er verhandelt hatte, waren über die Größe des Opfers klar, das die Umstände von ihnen fordern würden. Statt einer Armee von acht- bis zehntausend siegreichen Helfern sollten nun – nach oberflächlicher Zählung – etwa vierzig- bis fünfzigtausend Flüchtlinge mit Kind und Kegel ins Land geführt werden, das sie in wenigen Tagen wie eine Raupenplage überschwemmen würden. Aber Bonchamps war nicht mehr fähig gewesen, solche Erwägungen in Betracht zu ziehen, er hielt eigensinnig an seinem Plane fest, war auch überzeugt, daß die bretonischen Edlen, die den Aufstand längst vorbereitet haben sollten, für jede Not Abhilfe finden würden. Also waren Talmont und d'Autichamps nach Varades vorgerückt, und wenn nicht Lescure oder Royrand bessere Einsicht erwecken und etwa eine Vereinigung mit Charette durchsetzen würden, so mußte morgen schon der ganze Heerwurm der Flüchtlinge folgen. »Lescure?« flüsterte die erschrockene Gattin. »Muß er gefragt werden? Könnt Ihr ihn nicht ruhen lassen?« Heinrich seufzte. »Er ist die letzte Hoffnung derer, die vor dem Wahnsinn dieses Loire-Überganges zurückschrecken.«
Das stattliche Haus eines wohlgesinnten Bürgers hatte die adligen Frauen aufgenommen. Lescure wurde gut gebettet und empfing einige Erleichterung. Da er eine leise Frage nach dem Verlaufe der Schlacht tat, mußte Frau von Lescure mit brechendem Herzen ihm den entsetzlichen Ausgang und die Absichten der Führer mitteilen, mußte die Tränen sehen, die ihm langsam die Augen füllten und die sie nicht abzuwischen wagte, weil sie wußte, daß er sich ihrer schämte. Doch bemerkte sie erstaunt, daß der Vorschlag des Loire-Übergangs ein lebhafteres Aufleuchten seiner Augen zu bewirken schien, er bat, Larochejacquelein rufen zu lassen, und er verhandelte mit diesem bis zum nahen Morgen, wobei er sich freilich fast nur auf Zeichen mit Händen und Augen beschränken mußte, da die Bewegung des Mundes beim Sprechen seine Schmerzen verschärfte. Als Heinrich ihn gegen Morgen verließ, geschah es mit dem Befehle, den Übergang zu bewerkstelligen, den er bekümmert an die Herren des Rates weitergab.
Bonvouloir hatte in diesen grauenvollen Stunden kaum ein Wort an ihren Gatten gerichtet, den sie so niedergeschlagen und so ratlos fand, wie sie ihn nie gekannt hatte. Sie wußte nicht, wo er nächtigte, erfuhr erst lange nachher, daß er sein Haupt nicht zum Schlafe gelegt hatte, sondern zwischen dem armen Lescure und den Offizieren des Rates Stunde um Stunde mit Überlegungen und Anordnungen verbracht hatte. Er hatte sie nur einmal, als sie sich ihm leise in den Weg schob, flüchtig geküßt, aber mit so traurigem Blicke und mit so kalten Lippen, daß es auch ihr Trauer ins Herz gegossen hatte. Nun saß sie in einem Winkel einer großen, dunklen Stube auf einer Bank, die man durch Decken zum Bette umgestaltet hatte. Im anderen Winkel lag Bonchamps mit röchelndem Atem auf seinem Sterbebette, und das leise Weinen der Gattin klang ergreifend zu ihr herüber. Sie betete Dankgebet auf Dankgebet, daß sie nicht an Stelle dieser armen Frau stand, daß ihr Gatte noch unverletzt und tätig am Werke war, wenn er ihr auch fern war in seinen Gedanken. Auch eine junge Schwester des Herrn von Bonchamps und sein achtjähriger Knabe waren in demselben Raume untergebracht; sie lagen nebeneinander auf einem großen Bette und schliefen tief.
Die Herren des Rates hatten einen frühen Aufbruch nach Saint-Florent angeordnet, und weiter ging also der Zug, diesmal auf ganz stillen Straßen; denn die Bauernscharen, gepeitscht von der Angst der Verfolgung, waren fast ohne Aufenthalt vorangestürmt und weitergezogen, besonders als sie von dem Vormarsch der Bretonen gehört hatten und von einem geplanten Angriffe auf Varades. Der Gedanke des Überganges, den die Führer noch zögernd erwogen, war bereits Gemeingut geworden unter diesen wilderregten Scharen, die so bereit waren, zu verzweifeln, und ebenso schnell bereit, neue und phantastische Hoffnungen zu fassen. Das Land hinter ihnen war zerstört – vor ihnen lag Fülle und Sättigung an fremden Ernten! Die Bretonen, die Bonchamps herbeigeführt hatte, hatten ihnen Mut gemacht durch die Versicherung, daß jenseits der Loire Tausende von Kämpfern nur auf die Verbündeten warteten, um den Krieg gegen die Republik aufzunehmen. Und so hielt und lagerte bereits am herbstkahlen Ufer des Stromes eine Völkerwanderung mit Wagen und Vieh, als die langsam reitenden Offiziere und Damen mit dem Planwagen, in dem Lescure stöhnte, und der schwarzverhüllten Karre, in der der tote Bonchamps lag, in Saint-Florent eintrafen.
Da man durch sichere Kundschaft erfahren hatte, daß Kleber nicht über Cholet hinausgegangen war – er mochte die Rebellen in der Falle vermuten, da an ein Überschreiten des Flusses niemand in seiner Umgebung dachte –, so konnten die ermüdeten Führer sich einen Tag der Ruhe in Saint-Florent gönnen, während am Ufer der Loire bereits ein wilder Kampf um Boote, ein Suchen nach Furten, und ein emsiges Aus- und Einschiffen am Werke war. Es ergab sich, daß bei Ancenis der Fluß eine Untiefe aufwies, die durchfahren werden konnte. Der ganze Strom der Bauernkarren, der etwa zwanzigtausend Frauen und Kinder trug, zweiunddreißig Kanonen, an die hundert Munitionswagen und nicht weniger als sechshundert Karossen von flüchtenden Bürgern und Edelleuten, bewegte sich also flußabwärts, der willkommenen Furt zu. Frau von Lescure hielt es für ratsam, den leidenden Gatten auf einem Boote übersetzen zu lassen. Sie ersann und bereitete einen Rohrstuhl mit hoher Lehne, die sie liebevoll polsterte, ließ metallene Reifen zum Durchstecken von Piken unter dem Sitze anbringen und hatte so eine leichte Sänfte hergestellt, auf der Lescure von zwei kräftigen Burschen getragen werden konnte. Sie selbst und Agathe wollten nebenher gehen, ein ausgespanntes Tuch zwischen sich vor dem Stuhle hertragen, auf das Lescure die Füße legen konnte, wenn ihm das Herabhängen der Beine Mühsal schuf. Die liebende Frau war so eifrig und so glücklich mit ihrer Erfindung, daß Lescure nicht wagte, ihre Nützlichkeit in Zweifel zu ziehen. Er folgte ihren Bewegungen mit seinen fieberblanken Augen, in denen noch Zärtlichkeit, aber auch schon der Schmerz des Abschiedes lag.
Bonvouloir sah auch in Saint-Florent so gut wie nichts von ihrem Gatten. Sie hielt sich wieder in Frau von Lescures Nähe auf, ging aber von Zeit zu Zeit durch die Straßen, um Nachrichten zu sammeln und nach Heinrich zu fragen. Am späten Nachmittag stieß sie auf ihn, wie er, von einem Soldaten begleitet, durch die Gasse dahergesprengt kam. Sein Gesicht war bös und wild, er schien keinen Begegnenden zu sehen. Aber als Bonvouloir die Arme gegen ihn ausstreckte, gewahrte er sie doch, riß sein Pferd an und begrüßte sie ohne ein Lächeln der Freude. Sie wußte nicht, was sagen, und auch Heinrich starrte sie eine Minute lang wortlos an. Dann rief er plötzlich dem Soldaten zu, er möge absteigen und die Frau Marquise aufs Pferd heben. Bonvouloir, die kaum je ein Pferd bestiegen hatte, fürchtete sich sehr, aber sie gehorchte, raffte ihren großen Radmantel und ließ sich in den Sattel heben. Der Gaul war zum Glück todmüde. Heinrich kam dicht an ihre Seite, griff ab und zu in ihren Zügel und gab ihr Weisungen.
Sie ritten der Loire zu, mitten in die Scharen der Bauern hinein, die sich noch um den Übergang mühten. Es waren an dieser Stelle nicht mehr als acht Kähne aufzutreiben gewesen, und viel zu langsam für die Geängstigten ging das traurige Werk vor sich. Viele schwammen hinüber. Da mitten im Strom eine kleine Insel lag, auf die die Strömung zutrieb, so gelang dies Wagnis auch leidlichen Schwimmern. Nur eine Frau war, als sie von dem Inselchen wieder abstieß, von der Strömung unglücklich gegen einen Stein getrieben worden, der sie verhängnisvoll verletzt haben mußte. Sie versank gleich darauf und ertrank.
Heinrich hob Bonvouloir aus dem Sattel, gab ihr die Zügel beider Pferde in die Hand und bat sie, still auf ihn zu warten. Er selbst wollte noch einmal versuchen, die Bauern zur Vernunft zu bringen, den Stromübergang zu verhindern. Ihm schien ein Verweilen in den vertrauten Gebieten rätlicher. Wohl war das Land zerstört, die Heimstätten verwüstet in breiten Gebieten; aber straßenarm und unwegsam, von dichten Wäldern durchzogen, hütete das Boccage noch manches verborgene Tal, noch manche buschreiche Schlucht, wo Zuflucht und heimliches Sammeln noch denkbar war. Vielleicht nur wenige Tage klugen Verbergens, und neue Möglichkeiten taten sich auf. Mochte man immerhin die Frauen, Kinder und Wehrunfähigen, den ganzen Lasttroß den Bretonen zu Gaste schicken – nur die Männer, die streitbaren Männer sollten bleiben! War es denn so lange her, daß sie diese selben Männer, die jetzt sinnlos vor Angst ins Wasser liefen, daß sie waffenlos, nur mit Stöcken in der Faust, gegen die Kanonen der Republik anrannten und sie eroberten – hier in diesem selben Saint-Florent! Wo war der Geist jener Märztage?
Heinrich redete wie ein Engel, aber er redete umsonst. Eine wilde Hoffnung auf Neues, Besseres betörte die Massen, ein Gerücht von nahender englischer Hilfe, von Schiffen, die auf Jersey gelandet wären und nur darauf warten sollten, daß Granville ihnen die Tore auftat, tanzte lockend vor ihnen her. Wer es ausgeheckt, war nicht zu ermitteln; es war so festgewachsen, daß es nicht mehr zu tilgen war. Jenseits der Loire lag Fülle, Verbrüderung, Sieg, jenseits der Loire lag das Paradies!
Bonvouloir stand still, in ihren schwarzen Mantel gehüllt, von der Oktoberkälte durchschauert. Sie blickte Heinrich nach, sah ihn in der Menge verschwinden. Nun horchte sie auf die Stimmen der Menschen um sie her, hörte Klagen und Hoffnungen, fühlte den gespenstischen Massentrieb, der sie alle vorwärts jagte ins Ungewisse hinein. Sie hörte auch ein paar alte Männer in ihrer Nähe darüber beraten, wer sie führen solle, nun da Herr von Lescure sterben werde. Der Prinz Talmont? Niemand würde ihm gehorchen, er war hochmütig, ein Schwelger, ein Hofmann! Mit seligem Erschauern hörte Bonvouloir immer wieder Heinrichs Namen nennen. Er war der Held, wie das Volk ihn wollte, und er war zugleich ein Naher und Vertrauter, man hatte ihn gekannt, als er noch ein kleiner Knabe war und Dorfbuben gegen Dorfbuben befehligte. Man nahm es ihm nicht übel, daß er jetzt vom Übergange abriet. Er befahl ja nicht, er riet nur. Und er hatte ja schließlich immer getan, was die Bauern gewollt hatten!
Bonvouloir sah so erfreut aus, daß einer der Männer stutzte; er merkte, daß sie zugehört hatte. Da dachte sie, daß sie sprechen müsse, und löste sich vom Pferde, an das sie sich gelehnt hatte. »Gott wird euch segnen, daß ihr euren Führer liebt,« sagte sie zu den Männern. »Ich bin die Marquise von Larochejacquelein.«
Da drängten sich viele um sie, küßten ihr die Hand und begannen zu klagen über Erlebtes und Erlittenes. »O Frau Marquise! Was haben wir getan, daß die Heiligen uns so heimsuchen?« Sie wollten auch Gewisses über die neuen Pläne von ihr erfahren, sie fragten vertrauensvoll, wie Kinder die Mutter fragen, von der sie annehmen, daß sie alles weiß. Die Engländer säßen doch in Jersey? Wieviele? Irgend jemand hatte behauptet, fünfzigtausend. Ein Prinz aus dem Hause Bourbon führe sie. Dieser Glaube stand jetzt vor aller Schritten, wie einst die Legende von der Offenbarung unter dem Baume von Saint-Laurent. Und Bonvouloir, nur allzu empfänglich für jede Art von Schwärmerei, nahm den süßen und gefährlichen Tau des Massenwahnes in sich auf. Sie fühlte sich getröstet, sie lächelte den Leuten zu, sie sagte: »Ja, ja, es ist gewiß so, wie ihr sagt,« zu allem, was Hoffnung und Sehnsucht vorbrachte. Und als Heinrich nach zwei langen Stunden wiederkehrte, fand er seine kleine Marquise von Bauern umringt und hörte, wie sie gerade das Gegenteil von dem predigte, was er den Leuten beizubringen so mühsam versucht hatte: er hatte Wahn zerstören wollen, sie, mit einem unschuldigen und vertrauenden Lächeln, peitschte ihn auf! Er wollte zornig werden, ihr Vorwürfe machen, aber als er wenige Minuten gelauscht hatte, stand er leicht beschämt davon ab. Er fühlte, daß in ihr die größere Kraft war, die Kraft des unsterblichen, nie versiegenden Glückvertrauens, und er ergab sich. Als er sie wieder aufs Pferd hob, das nun viele Hände hielten, küßte er sie leise aufs Haar, und in dieser Nacht nahm er sie mit in sein Quartier, unbekümmert um das, was unterdessen an der Loire vor sich gehen würde.