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3.

Nach diesen Worten legte sich die Erzählerin, ein wenig ermüdet, in die Kissen zurück, schloß die Augen und lächelte ihrerseits nicht weniger beseligt als Bonvouloir gelächelt haben mochte, nachdem sie einmal die ewige Gültigkeit eines Gefühls begriffen hatte, das sie selbst in ihren kühnsten Wünschen nie anders denn als einen flüchtigen Traum zu bezeichnen gewagt hatte. Hatte die weißhaarige, die gegenwärtige Bonvouloir eine ähnliche Offenbarung erlebt? Ihr feines Gesicht war ganz rosig angeglüht, und die verklungene Schönheit ihrer Jugend lag darauf wie die schmeichelnde Sonne eines Wintertages auf einer blassen Landschaft. Camillo Witte sah sie voll Rührung an. Er ahnte, daß sie an der Geschichte ihrer Vorfahrin baute in holder Willkür einer lebendigen Phantasie, die Blumen aus dem Boden der Wirklichkeit mit dem Tau aus den Wolken des Traumlandes tränkt, die zwischen Erlebtem und Erdachten keine Grenze mehr zu ziehen vermag, weil sie stärker lebt im geistig Geschauten als im körperlich Wahrgenommenen. Und er glaubte ihr, weil die unsagbare Anmut ihres Gesichtes jene ferne Bonvouloir glaubhaft machte, der sie die eigene, von Mitgefühl und Zärtlichkeit schwingende Seele lieh, die eigene reizende Schelmerei und Lebensfreude. Ganz zart streichelte er die herabhängende Hand der schönen Greisin, bis sie die Augen aufschlug und, sich rasch und fröhlich aufrichtend, in ihrer Erzählung fortfuhr.

 

Auf la Durbelière wurde also eine Hochzeit zugerüstet, und eine merkwürdige Hochzeit war es in der Tat. Der Festsaal, der beim Brande etwas mitgenommen worden war, mußte erst aus dem Schutt gegraben werden, die Kapelle, die nur als Aufbewahrungsraum für Waffen und Patronenkisten gebraucht worden war, mußte Tünche und frische Bemalung empfangen, und zu alledem fanden sich mehr als hundert Paar Hände, die unsagbar willig, aber durchaus nicht in gleichem Maße geschickt waren. Heinrich und Bonvouloir arbeiteten mit den Bauern um die Wette, und die Städtchen des Bezirkes erfuhren mehr als eine Woche lang nichts mehr von »Brigantenüberfällen«, so daß die Blauen sich brüsten durften, sie hätten das Raubgesindel nun einmal gründlich zur Ruhe geschüchtert. Das Raubgesindel bewies aber gleich wieder, schneller als man denken konnte, erhöhte Lebensfähigkeit, denn Getreide, Wild, Fische, Hammel, Geflügel und vor allen Dingen Apfelwein in schönen und festen Gebinden wurde in dem Hochzeitshause benötigt, und die Bauern setzten ihre Ehre darein, dies alles herbeizuzaubern, ohne oder auch gegen den Befehl ihres Generals. Bonvouloir und Heinrich sahen sich oft ratlos an: es war nicht möglich, aus der Sünde herauszukommen! Aber die Freude der Bauern, ihr Eifer, alles so trefflich wie möglich zu gestalten, ließ sich nicht bändigen, auch waren sie alle willens, beim Schmause das ihrige zu leisten; da mußte das Paar sich fügen und das Urteil über Gut und Böse für einmal einem höheren Richter überlassen.

Sehr ernsthaft hielt aber Bonvouloir ihren Entschluß aufrecht, zur Hochzeit nun und nimmer ein Kleid aus erbeuteten Stoffen tragen zu wollen, obgleich ein paar kecke Burschen dazu einen Überfall auf das Lager eines Händlers in les Aubiers gemacht hatten. Es ergab sich eine kleine Schwierigkeit aus diesem löblichen Entschlusse. Denn in la Durbelière fand sich nichts, was des Tages würdig gewesen wäre, und die Städte, wo man dergleichen kaufen konnte, betrat Heinrich aus guten Gründen nicht gern: die Besatzungen waren mittlerweile wieder verstärkt worden, was eine natürliche Folge der emsigen Tätigkeit seiner Bauern war. Man hätte bis nach Châtillon schicken müssen. Aber Heinrich verfiel auf einen besseren Rat. Nicht weit von St. Aubin lebte im einsamen Schlößchen das alte Fräulein Anne von Larochejacquelein, seine Tante. Die barg in lavendelduftenden Kommoden noch alle ihre höfischen Gewänder, mit denen sie vor fünfzig Jahren in Versailles geprangt hatte, und mochten sie auch etwas wunderlich im Schnitt sein, so hatten sie dafür die Weihe des königlichen Blickes erhalten, der vielleicht eine Sekunde lang darauf geruht hatte. Heinrich traute sich zu, die alte Dame zu gewinnen, ritt auch alsbald hin und legte sich auf dem Wege die schönsten Worte zurecht, wie er Bonvouloirs unvergleichlichen Reiz, ihren Wert, ihre Berufenheit in eindringlicher Weise schildern und ein Hochzeitsgewand für sie erbitten wolle.

Fräulein von Larochejacquelein war nicht so leicht zu behandeln, wie Heinrich gehofft hatte. Weder des jungen Mädchens gepriesene Schönheit, noch das Wunder des Marienbaumes, noch der Dienst an der Eroberung von Bressuire vermochten die Tatsache auszulöschen, daß die »Troßdirne«, wie sie Bonvouloir böswillig nannte, nun einmal keine Marquise von Larochejacquelein werden könne, daß sie Heinrichs späteres Auftreten bei Hofe hemmen, daß sie ihn unglücklich machen würde. Des alten Fräuleins letztes Wort war und blieb ›der König‹ und ›die Königin‹, und allen Bitten und Vorstellungen hatte sie nur immer die allerhöchste Ungnade entgegenzusetzen und den unfehlbaren Untergang der ganzen Familie, verursacht durch einen Jugendstreich, den nur Heinrichs Besessenheit zu einem unwiderruflichen machen wolle. Das Verhältnis, wie es jetzt bestand, schien ihr für Bonvouloir gut genug und für Heinrich weder schimpflich noch schädlich, und das Versprechen an die Bauern eine von Heinrichs vielen Überspanntheiten, die sicher auch unter den einfachen Leuten kein einziger ernst nehmen würde. So keifte sie altjüngferlich, bis Heinrich die Ungeduld übernahm und er zornig dazwischen rief: »Laß endlich deinen König! Gott weiß, ob es je wieder einen geben wird in Frankreich!«

Fräulein von Larochejacquelein verstummte, erblaßte und stand langsam auf. »Was ist das?« fragte sie nach einer Weile ängstlich und entrüstet zugleich. »Wir kämpfen nun seit einem Vierteljahr, wir lassen unsere Schlösser niederbrennen – meines steht noch, aber ich bin der Ehre gewärtig, für den König mein Teil mitzutragen! – wir hungern, wir werden eingekerkert und hingerichtet, und nun sagst du mir: wer weiß?! Der Teufel soll euch holen, wenn es nicht in diesem Jahre noch einen unbestrittenen König in Frankreich gibt!«

Heinrich erwiderte böse: »Wirklich, es sieht so aus, als ob wir dahin kämen! Sieh dir diese Bauern an, die alle Zucht verlernt haben! Dieses Land, das bald kein Brot mehr hergibt! Diesen Lescure, der mit Charette eine unheilvolle Freundschaft unterhält und Siege erficht, die uns ein Drittel unseres Heeres kosten und das eroberte Gebiet nicht um eine Meile erweitern! Diesen Prinz Talmont, der bei alledem immer davon redet, auf Paris zu marschieren, und diesen Bischof, den niemand kennt und dessen Stuhl in Pondichérie gestanden haben soll, von wo er geflohen ist, niemand weiß warum! Unsere gestempelten Assignaten gelten hübsch hier im Umkreise von Châtillon, in Fontenay oder Machecoult wirft man sie uns vor die Füße! Ich habe nie gehört, daß der Erfolg so aussieht!« Er stampfte zornig mit dem Fuße und schlug mit dem Säbel auf den Tisch.

Das alte Fräulein, zwar erschüttert, hatte doch noch die Kraft, zu fragen, was dies alles mit der Troßdirne zu tun habe, und warum Heinrich ihr diese Dinge erzähle, die natürlich barer Unsinn seien und nur im Widerschein seiner schlechten Laune so grell beleuchtet sich darböten. Die Antwort Heinrichs kam wie ein Schuß, um nichts sanfter als seine bisherige Rede, und um nichts logischer: »Für die Hoffnung, die ich heute noch in unser Unternehmen setze, verkaufe ich mein Glück nicht. Ich werde das Mädchen zu meiner Frau machen, trotz aller Könige der Welt, und wenn die Meinen mich deshalb verleugnen, so lasse ich mich von der Republik anwerben und gehe an den Rhein!« Er ließ zur Erleichterung seines fast berstenden Herzens und zur Bekräftigung seines Versprechens ein paar hübsche Soldatenflüche folgen.

Fräulein von Larochejacquelein schüttelte sich ein wenig, sagte »Pfui!« und fügte nach einer kleinen Überlegung mit milder Stimme hinzu: »Weshalb bist du eigentlich zu mir gekommen?« Heinrich brachte seine Bitte um ein Brautkleid vor.

Da weinte sie beinahe, so tief kränkte sie die Zumutung, daß ein Kleid, das der König und die Königin gesehen und – wie sie versicherte – besonders anmutig gefunden hatten, daß solch ein Heiligtum den Leib eines verworfenen Mädchens schmücken solle. Heinrich, beinahe erheitert, fand nun endlich das rechte Wort, indem er der alten Hofdame klar machte, nur sein Glück, seine seelische Ruhe und Freude, andererseits auch das Vertrauen und die Liebe seiner Bauern vermöchten noch Gewähr zu geben für den Fortgang einer Sache, die so unberufene Hände wie die des Prinzen Talmonts und Charettes bereits schwer gefährdet hätten. Bonvouloir gelte den Bauern nun einmal für eine Erwählte, er dürfe ihre Ehre nicht bloßstellen, und er könne es auch nicht, da sein Gefühl ihm in ihr die wahre Glücksbringerin für die große Sache zeige. Er verspreche, sein Äußerstes zu wagen, wenn er das holde Mädchen an der Seite haben könne, und er verspreche ferner, daß bei der durchaus nicht zweifelhaften und nun wohl nicht mehr fernen Krönung Ludwig XVII. auch die Frauen der Vendée zur Huldigung zugelassen werden müßten; das wollten die Sieger sich als besondere Gunst erbitten. Dann solle Bonvouloir in dem Kleide, das schon Ludwig XV. gesehen habe, bei Hofe erscheinen, die Geschichte des Kleides solle mit der Geschichte von Bonvouloirs Taten vorgetragen und ihre feierliche Aufnahme in den Adel mit der Patenschaft des Fräuleins Anne von Larochejacquelein begründet werden: ein rosiges Zukunftsbild, das nach dem eben erlebten Hagelwetter wie ein milder Sonnenuntergang auf das alte Fräulein wirkte.

Eine verschlossene Lade wurde nun unter Seufzen geöffnet und neben vielen verblichenen Brokaten und welken Spitzen ein Prunkkleid aus blauem und silbernem Gewebe hervorgeholt, das wie ein Bergwasser schillerte und sich, in unendlicher Weite fließend, bauschte. »Ich glaube zwar nichts von deinen Reden, weder die mutlosen noch die hoffnungsvollen,« sagte die alte Dame dabei zu dem stürmischen Neffen, »aber der Gedanke, daß dies Kleid noch einmal bei Hofe gesehen werden könnte, hat mich ein wenig gerührt. Siegen werden wir ja gewißlich, und wer weiß, ob dann die tapferen Frauen der Vendée nicht in Wahrheit den herrlichen Lohn erhalten werden, dem jungen Könige die Hand küssen zu dürfen? Also nimm es und schwöre mir, daß du es als ein Heiligtum bewahren wirst, sobald die Hochzeit vorüber ist.« Dieser Schwur wurde natürlich bereitwilligst geleistet.

Fräulein Anne von Larochejacquelein, einst sehr bewunderte Modeschönheit am Hofe des fünfzehnten Ludwigs, war keine Sylphe gewesen, sondern ein robustes Landkind, und die weichen Wellen des Silberbrokates waren reichhaltig genug, um für Bonvouloirs schmächtiges Figürchen eine leidlich modische Gewandung herzugeben. Bezaubernd sah die braune Haut aus dem matten Blau, eine neue, ernste, beinahe adlige Schönheit trat zutage, von dem kostbaren Kleide würdig unterstützt, und Heinrichs Entzücken ward Anbetung, als er das wunderbare Geschöpf so in seiner richtigen Fassung erblickte. Ja, das war eine Marquise, wie kein König sie adeln konnte, gekrönt von der segnenden Natur, die etwas Vollkommenes hatte schaffen wollen und nicht gekargt noch gezögert hatte, wenn sie es auch in bescheidenem Bette erzeugt hatte! Bonvouloir schämte sich ihrer eigenen Schönheit, sie legte rasch das stolze Kleid wieder ab, bis am Morgen des Hochzeitstages Heinrichs liebende Hand sie damit schmückte.

Der alte Garten der Durbelière, das Gelände rings um das Schloß, war zum Lager für hundert oder mehr Familien geworden, die der Hochzeit des Führers und Gutsherrn beiwohnen wollten und schon einen oder zwei Tage vorher sich im Feiern übten. Ein Priester alter Ordnung war bereit; jeder Raum war mit Laub und Blumen freudig geschmückt, Fahnen wehten von den Türmen und aus den Fenstern, es hätte nicht herrlicher sein können, wenn wirklich der Sieg errungen und ein König eingezogen wäre. Bonvouloir im silbernen Kleide stand unter ihren Gästen im gelben Zwilchkittel und groben Wollrock und lachte sich selbst aus, daß sie so prächtig aussah. Es wurde gebraten auf vielen Feuern, ungeheuer geschmaust, noch ungeheurer getrunken, die Lust schlug tollere Wellen, und Tanz, Gesang, Lärmen wilderer Art von Klappern, Pfeifen, Trommeln und Gewehrschüssen hallte aus Wald und Garten, wie solches eben von jeher Bauernart ist und war. Bläuliches Mondlicht und rötlicher Fackelschein teilten sich in die Pflicht, der späten Freude zu leuchten.

Heinrich ging voll Glück umher und zeigte sich als Gebieter und Ehemann. Er, der sich seiner Jugend immer so schamvoll bewußt gewesen war, kam sich nun wichtig und würdig vor, ein Mann, der sein eigenes Leben gezimmert, ein anderes zu führen übernommen hatte, und der gewiß ist, seiner Aufgabe gewachsen zu sein. Er war nun wieder voll des seligsten Vertrauens, versöhnt mit allem, was ihm hemmend erschienen war, jedes Gelingens gewiß: ein gläubiger junger Mensch, dem das Feuer der eigenen Empfindung die Dinge vergoldet. Was er sah und hörte, der schöne Sommertag, das Gelände voll malerischer und heiter bewegter Menschen, die ihn anlachten und ihm zutranken, die silberschimmernde Frau an seiner Seite, die Fahnen und Kränze am alten, lieben Gemäuer, alles erfüllte ihn mit dem Bewußtsein unendlichen Reichtums. Und wie er der Beständigkeit seiner Liebe gewiß war, so glaubte er auch Beständigkeit im äußeren Wohlbefinden erwarten zu dürfen und warf alle Sorgen frohgemut hinter sich. Unendliche Jahre immer wachsenden Glückes lagen vor ihm.

Während der Trauung war es geschehen, daß der Priester auf die bürgerliche Gültigkeit dieser Ehe hinwies, die in Treue zum alten Königtum, in Treue zur unverfälschten Kirche geschlossen worden war, und die mit den Fahnen Ludwigs des XVII. stand und fiel: denn vor der Republik war es keine Ehe. Mit einem heißen Aufwallen beseligender Hingabe preßte Heinrich die Hand der neben ihm stehenden Bonvouloir: »jetzt müssen wir siegen!« verhieß dieser Händedruck. Unlöslich war ihr Geschick mit dem der Heiligen Sache verbunden: diese mußte gelingen, damit Bonvouloir in Wahrheit Marquise von Larochejacquelein war, und wie Bonvouloir mit ihrem Gebet und ihrer weiblichen Hilfefähigkeit dem Königtum und der Kirche diente, so diente diese wiederum ihr, denn nur durch Königtum und Kirche war das geknüpfte Band ein ewiges und heiliges. Vor dem bürgerlichen Gesetz der Republik war ein Priester, der den Revolutionseid verweigert hatte, nicht befugt, Ehen zu schließen: vor dem Gesetze der alten königlichen Verfassung wäre nur ein solcher es gewesen. Heinrich war in der Fülle seiner bewegten Gedanken beinahe so weit gekommen, daß ihm der ganze Aufstand einzig um Bonvouloirs willen ins Werk gesetzt schien!

Bonvouloir war nicht weniger ergriffen. Sie war noch am Tage vorher der Ansicht gewesen, daß diese Hochzeit keinen Unterschied in ihr Verhältnis zu Heinrich bringen würde, und sie hatte dies auch unbefangen ausgesprochen: »Können wir uns mehr lieben, als wir es jetzt schon tun?« Jetzt schien es ihr unbegreiflich, daß sie so gedacht und gesprochen hatte. Sie hatte ein Geschenk von unermeßlichem Werte empfangen, ein Geschenk, das sie bis an das Ende ihrer Tage mit sich tragen sollte, das sie rein halten sollte wie das kleine, stets in ein weißes Tüchlein gehüllte Gebetbuch, ein Geschenk, an das sich höchstes Vertrauen und ernsteste Mahnung knüpfte: das Geschenk seines Standes. Und hocherhobenen Hauptes, wie eine unsichtbare Krone trug sie dieses Geschenk der Liebe. Jeder ihrer leisen, bebenden Atemzüge war ein Schwur. War sie nur ein armes, unwissendes Mädchen, konnte sie in Rede und Bewegung nicht das sein, was ihr Name von ihr verlangte, in einem konnte sie ihm genügen: sie konnte für diesen Stand kämpfen und sterben.

Als der Abend sank, saß das Paar auf einer schmalen Terrasse vor dem Schlosse, die den Garten überschaute, und ergötzte sich am Anblick der ländlichen Tänze. Ab und zu erhob sich Heinrich, um eine Runde mitzumachen, wobei er dankbar empfand, wie wenig der vornehme Mann braucht, um Freude zu verbreiten und Menschen zu beglücken: nichts als ein wenig Scherz und Freundlichkeit! Die schöne junge Frau sah ihm zu und nickte Beifall, auch sie war sich des köstlichen Vorrechts, erfreuen zu können, mit Bewegung bewußt geworden. Mitten in diesen Festschluß hinein sah man plötzlich einen Zug fackeltragender Bauern sich bewegen, die vor der Terrasse Aufstellung nahmen, ganz augenscheinlich, um den Vermählten eine Huldigung darzubringen. Es waren Bauern aus entfernteren Tälern, die unter Larochejacquelein gefochten hatten und ihren Anteil an seiner Freude nicht entbehren wollten. Sie hielten eine kleine Ansprache, die gut gemeint war und gütig aufgenommen wurde, und dann begannen sie, Bündel und Taschen zu öffnen, denn die meisten von ihnen hatten nach wohlbekannter Hochzeitssitte ein kleines Geschenk für die Braut mitgebracht. Heinrich und Bonvouloir tauschten lächelnde Blicke, während sie zusahen, was da alles zutage trat. Es war eine wahre Musterkarte von allerlei Nutzlosigkeiten, wie sie bei Plünderungen wohl mitzugehen pflegten, von den Bauern lange herumgeschleppt wurden, und in manchem Tauschhandel zuletzt das beste von ihrer Schönheit eingebüßt hatten. Da gab es Fächer, Schuhe, Schürzen, Halstücher und Kämme, aber auch zerbrochene Uhren, Döschen, leicht oder schwer beschädigt und nur mit einem halben Deckel noch schielend, Pistolen, alte Wehrgehänge, Uniformstücke, Spielkarten in schmucken Kassetten, seidene Geldbörsen, Porzellanfigürchen ohne Hände, eingelegte Pfeifchen, eine Gitarre, Bänder und sogar auch ein oder das andere Schmuckstück von artiger Arbeit, aber ohne Edelsteine. Jeder der guten Leute legte seine Gabe mit einem so strahlenden Gesichte hin, als sei er sich bewußt, den verdientesten Dank zu ernten, und Bonvouloir, eingedenk ihrer neuen Macht, kargte nicht mit Worten und Gebärden der Entzückung. Vielleicht waren ihre liebenswürdigen kleinen Jubelschreie wirklich nicht alle Verstellung; sie hatte bisher nichts besessen, was über Dinge der strengsten Notwendigkeit hinausging, Heinrich hatte sie nicht verwöhnt, und die Beutestücke der Bauern waren ihr verboten: so mochte ein silbernes Kettlein, den Schlüsselbund daran zu tragen, oder ein seidenes Strumpfband ihr willkommener sein als Heinrich dachte. Er sah ihr belustigt zu und dachte, sie spiele recht gut die große Dame. Um so erschrockener nahm er daher ein tiefes Erblassen wahr, das ihr Gesicht erkalten ließ, als ob eine Ohnmacht ihr drohe. Solcher Wandlungen ungewohnt, riß er sie mit einem Angstruf an sich und sah, was sie in der Hand hielt: ein Buch, vornehm in Brokat und Leder gebunden, mit einem schmalen Scharnier und dem Überrest einer silbernen Schnalle, die darauf hinwies, daß es vordem verschließbar gewesen war. Der alte Bauer, der es ihr überreicht hatte, von dieser Wirkung seiner Gabe sehr enttäuscht, suchte stotternd begreiflich zu machen, wo er den Gegenstand gefunden und warum er ihn für würdig gehalten habe, von vornehmen Händen besessen zu werden: er hatte einen silbernen Leuchter im Tausch dafür hingegeben! Bonvouloir erholte sich augenblicklich wieder und stattete ihren Dank in guter Form ab. Dann aber konnte sie nicht verhindern, daß die Tränen kamen, während Heinrich befangen und erstaunt in dem Buche blätterte und bald auch so blaß war wie seine junge Marquise. Es war Henriettens Tagebuch, was sie in Händen hielten, und die Vision eines schrecklichen Tages brachte das Bewußtsein einer unsicheren und grausamen Wirklichkeit in die Betrachtung des verklingenden Abends.


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