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Erster Teil

1.

»Wie sind Sie eigentlich zu Ihrem seltenen und seltsamen Namen gekommen, liebe Freundin?« fragte Camillo Witte, als er sich nach dem Weggange der übrigen Frühstücksgäste mit der Herrin des Hauses allein fand. Er hatte sich am Rauchtisch niedergelassen und griff nach einer Zigarre mit der Miene eines Mannes, der sich zu Hause fühlt. Offenbar war er noch nicht gesonnen aufzubrechen. Es war ein grauer Novembertag, windig und regenschwer, und es mochte Camillo Witte wohl verziehen werden, daß er sich der Behaglichkeit eines freundlich erwärmten Gemaches nicht gern entriß.

Die adlige Wirtin zog die Gardinen zu, ließ einige Lampen aufflammen, und nahm dann ihren gewohnten Platz im hochlehnigen Renaissancestuhl ein. Vom dunklen Holze der geschnitzten Lehne löste sich klar umrissen das zarte Silbergrau breitwelligen Haares, die perlenhafte Blässe eines feingeschnittenen, etwas strengen Gesichtes. Die schöne und aufrechte alte Dame lächelte auf den viel jüngeren Mann, der lässig im tiefen, weichen Ledersessel hing, mit spöttischer Nachsicht herunter.

»Der seltene und seltsame Name ist seit beinahe hundertzwanzig Jahren in unserer Familie erblich,« antwortete sie auf Camillos Frage; »er ist stets von der Mutter auf die erste Tochter übergegangen, und es wäre tragisch gewesen, hätte es irgendwann einmal keine Tochter gegeben, die ihn übernehmen konnte. Anderswo ersehnt man den Sohn, den Erben. In meiner Familie hat jedes junge Paar zuerst auf seine Bonvouloir gewartet.«

Camillo Witte erhob fragend den Blick. »Und Ihre Familie –?« Er besann sich. »Ich weiß, sie ist französischen Ursprungs. Aber welche Beziehung –?«

»Meine Familie stammt aus der Vendée,« sprach die alte Dame weiter. »Meine Familie gehört zu den durchaus nicht ganz seltenen, die heute noch im stillen für die Wiederaufrichtung des legitimen Königtumes beten. Lächeln Sie nicht: es gibt noch Legitimisten in Frankreich! Sie leben bescheiden in weltfernen, etwas baufälligen Schlössern, sind stolz und fromm und harren des Wunders von oben. Die Republik hat für sie nie existiert. Sie sehen in ihr das Reich des Antichrist, die ewige Anarchie, die Vergöttlichung des Mammon, den Sieg des Materialismus. Die Republik ist für sie kein Staatswesen, wie die Zivilehe für sie keine Ehe ist: sie weigern sich, mit Leuten zu verkehren, die nur staatlich getraut sind. Deshalb dienen sie auch diesem Unwesen nicht, weder im Heer noch in der Verwaltung, sondern leben kümmerlich in ihren schlecht möblierten Rittersälen vom Ertrag ihrer Felder und ein bißchen Jagd. Sie essen Rüben und gebratenen Käse von silbernen Tellern, in denen die Gedenktage ihres Hauses eingraviert stehen. Ihre Frauen kennen Schmuck und Spitzen seit lange nicht mehr, ihre Töchter kennen keinen Tennisplatz und kein Theater. Sie beten und entbehren und halten sich wach in der Hoffnung, daß ihnen alles vergolten werden wird, wenn das Lilienbanner über einem neuen und gereinigten Frankreich wehen wird. Aus solch einer Familie, lieber Camillo, stamme ich.«

»Das ist durchaus glaublich,« antwortete der junge Freund, indem er mit berechtigter Bewunderung zur schönen Sprecherin aufblickte. »Man sieht es Ihnen auf den ersten Blick an, daß der Geist der neuen Zeit Ihnen fremd ist. Fremd Ihren Lippen die vulgäre Grimasse des Zigarettenrauchens, fremd Ihren weichen schmalen Händen die rohe Ausarbeitung sportlicher Kraft. Und dieser kleine, spitze graue Samtschuh, der verstohlen wie ein Mäuschen unter dem Faltensaume Ihres langen Kleides hervorspäht, protestiert er nicht sichtlich gegen den Kommunismus aller Reize, dem die Frau der Gegenwart huldigt? Aber was hat dies alles mit dem Namen Bonvouloir zu schaffen?«

Die alte Dame senkte die Stirn, dachte ein wenig nach und erwiderte: »Ich sehe schon, ich muß Ihnen die Geschichte meiner Ahne erzählen, jener ersten Bonvouloir, nach der wir alle heißen. Man rührt nicht an solche Erinnerungen, ohne daß sie aufspringen wie die Blume im Märchen und einen einhüllen in ihren betörenden Duft. Bonvouloir! wie gerne spreche ich von ihr, wie selten wird mir der Zuhörer, den ich wünsche! Sie war die Tochter eines Baumwollwebers aus Cholet. Cholet liegt – – aber warten sie! Nehmen Sie jenen Atlas zur Hand, schlagen Sie die Karte des westlichen Frankreich auf: Sie werden dann meiner Erzählung leichter folgen. So! Sind Sie mit Zigarren versorgt? Schön! Erlauben Sie, daß ich als alte und altmodische Frau an meiner Spitze stricke, während ich erzähle? Danke! Horchen Sie jetzt nicht auf das Unwetter draußen, es ist gerade wie es sein muß, damit einem keine Geschichte zu lang wird. Ich darf also beginnen.«

Und so erzählte Bonvouloir Bonvouloirs Geschichte.


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