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2.

Auch van Duyren war in Laval und hielt einige Stunden der Ruhe für zulässig, ehe er sich mit d'Autichamps auf weitere Erkundung begab. Er suchte seine Braut auf, so oft er eine Möglichkeit dazu ersah, aber er war abgehetzt und nicht weniger verdrossen als Heinrich. Aus anderen Gründen! Mit Bitterkeit sprach er von lässiger Bereitschaft der bretonischen Adligen, von unerfüllten Versprechen. Den Flüchtlingen, die Laval aufgenommen hatte, ging es gut genug, aber die Tausende, die sich auf dem offenen Lande verteilt hatten, klagten über karge Bewirtung. Louise versuchte den Erbitterten zu besänftigen. »Du mußt billig sein,« sagte sie. »Da sind Weiler von zehn, zwölf Häusern. Fünfhundert Familien lagern sich im Umkreis, fordern Brot, schöpfen die Brunnen aus, lassen ihr Vieh auf den Feldern weiden. Du kannst es nicht unverzeihlich finden, wenn sich die Leute nicht freigebig erweisen. Woher sollen sie es nehmen?« Van Duyren antwortete zornig: »Sie hatten alle Ernten in den Speichern. Aber sie haben ihre Bohnen, ihr Korn vergraben, ihr Vieh in den Wäldern versteckt. Hunde! Hungrige Hunde, die nicht wissen, was Opfersinn heißt! Wir haben Heim und Gut für die Sache dahingegeben, und sie mißgönnen uns das bißchen Nahrung.«

Louise erwiderte traurig: »Warum setzt man Größe voraus bei so armen Geschöpfen? Was wissen sie vom König, was war, was gab er ihnen je? Ihr ganzes Leben war nur Sorge, Arbeit und Mühe um das bißchen Nahrung, das Ihr so leichtherzig von ihnen fordert. Sie hatten es eingebracht, sie sahen dem Winter beruhigt entgegen. Nun kommen wir, bringen ihnen den Krieg, lassen sie entblößt, dem Verhungern preisgegeben. Man muß sie verstehen.«

Van Duyren fand nur eine sehr bittere Erwiderung. »Ich bin es gewöhnt,« sagte er, »daß du das Dreckpack, die Canaille unter allen Umständen verstehst, uns, die wir das Beste wollen und die schwersten Opfer bringen, dagegen niemals. Wie, zum Teufel, soll ein Krieg geführt werden, wenn die Hunde sich auf ihre Speckseiten setzen und die Zähne fletschen?«

Zu seiner Verwunderung gab Louise diesmal nicht, wie es sonst ihre Art war, eine spitze Antwort. Sie sah ihn mit leicht schwimmenden Augen an, nahm seine Hand und legte ihre Wange drauf. »Verzeih mir, wenn ich es dir schwer mache,« sagte sie. »Mir ist so weh um all dies nutzlose Leiden. Dieser arme Lescure! Die liebe, tapfere Frau! Und Frau von Bonchamps, die gestern in Varades ihren Mann begraben hat, und heute hören muß, wie die Blauen sein Grab geschändet haben! Es macht mich wirr und unsicher, diese Qualen mit anzusehen, immer muß ich mich fragen, ob wir ein Recht haben, so viel Glück zu zerstören, so viel Entsagung zu verlangen. Kein König könnte seines Thrones froh werden, wenn er nur einen Tag lang sähe, was wir nun täglich sehen.«

»Wenn er mit deinen Augen sähe, gewiß nicht!« antwortete van Duyren besänftigt, zu rascher Versöhnung geneigt. »Man darf nicht an die Menschen und ihre Leiden denken, das wäre Auflösung jedes Staates. Der Staat darf alles von uns fordern, in seinem Namen muß jedes Leiden süß sein. Die das noch nicht wissen, sollen es von uns lernen.«

Louise, aufhorchend, trat einen Schritt zurück. »Die Republik spricht anders,« sagte sie ernst. »Sie sagt: der Staat ist da, um allen Menschen zu helfen. Alles dürfen sie von ihm verlangen, er muß Abhilfe finden für alle Leiden. Ich fürchte, diese Lehre wird lieber und leichter geglaubt werden als Eure.«

»Ein schönes, aber unerfüllbares Versprechen,« sagte van Duyren mit halbem Lachen. »Niemand, der nur so weit denkt, wie seine Nase lang ist, kann sich von solchem Geschwätz blenden lassen.« Und da Louise nichts weiter anzuführen wußte, sprachen sie den knappen Rest ihres Beisammenseins von lieblicheren Dingen.

Schon am Abend dieses ersten Tages gab es einen kleinen Aufruhr in der Stadt. Viele der reicheren Bürger hatten die neue amerikanische Bodenfrucht in wohlumfriedeten Gärten vor den Toren gepflanzt, sie war der Reife nahe, und die armen Flüchtlinge wußten um die linde, wohltuende Sättigung, die sie gewährte. Da sie nicht einzubrechen wagten, verfielen sie auf eine List: sie klopften an die Haustüren und bettelten um ein Säckchen voll Pataten für irgendeinen Kranken. Zuerst gab man ihnen willig und reichlich, aber die Bettler häuften sich, und bald wurden sie mit Schimpf davon gejagt. Nun hielten sie sich doch für befugt, das Versagte einfach zu rauben, indem sie auf den Geiz der Verbündeten schalten. Es liefen Klagen bei den Offizieren ein, die nun untersuchen und strafen mußten. Eine böse Stimmung lag in der Luft, und vierundzwanzig Stunden nach dem Einzug der Vendée wünschten die Bewohner von Laval schon von Herzen ihren baldigen Abzug.

Der folgende Tag brachte zweierlei Stimmung. Gegen Mittag liefen Gerüchte durch die Stadt, daß die Mainzer im Anrücken seien. Am Nachmittag sprach man von Westermann und General Beaupui, die von Nantes her unterwegs seien. Nun gab es viele, die der Vendée einen guten Sieg wünschten, denn die republikanischen Generäle hielten furchtbares Gericht über Städte, die den Rebellen Aufnahme gewährt hatten; noch hingen an den Mauern die Fetzen der öffentlichen Bekanntmachungen, die Verrätern und Nachgiebigen mit Brandschatzung drohten. Es gab andere, die beriefen sich auf den kampflosen Abzug der Besatzung, die sie hätte schützen müssen, fühlten sich sicher im Bewußtsein, nur dem Zwange gewichen zu sein, und wünschten die Vendée hinweg, ehe es zu einem Angriffe auf die Stadt kam. Die Herren der Vendée kamen zusammen und beschlossen, die Nichtkämpfer am folgenden Morgen auf den Weg nach Fougères zu schicken, doch sollte, nach d'Autichamps Rat, die Armee bei Laval versammelt bleiben und eine starke Vorhut noch in der Nacht den Mainzern entgegengehen. Larochejacquelein und Keller hatten den Befehl darüber, und diesmal gehörte auch van Duyrens kleine Schar zu diesen Erwählten. Der ganze Tag war eine einzige wilde Erregung äußerster Eile, und erst spät Abends gelang es van Duyren noch einmal, seine Braut aufzusuchen. Er fand sie blaß, ihre Augen voll kummervoller Zärtlichkeit, ihre Rede weich, von einer schmerzlichen Innigkeit durchzittert. Er zog sie in seine Arme, sie preßte sich an ihn, so daß er fragen mußte: »Liebst du mich denn wirklich, Louise? Hast du Angst um mich? Es ist süß, dies zu glauben! Bisher habe ich dich mir immer fern gefühlt, wenn wir im Gefecht standen.« Sie antwortete leise: »Es ist eine wohlverdiente Strafe für mich, daß du mir dieses sagst. Aber ich liebe dich und habe immer um dich gezittert, und Gott weiß, wie heiß ich euch den Sieg wünsche! Aber ich wollte, dies alles wäre vorüber, und wir wären Mann und Frau und säßen still auf unserem Lande. Manchmal denke ich, es wird nie dahin kommen.«

»Es wird!« entgegnete van Duyren, von ihrer Zärtlichkeit erwärmt und gläubig. »Sobald wir hier Herren sind und dieser Kleber da, wo er längst sein müßte, auf der Guillotine, wollen wir Hochzeit feiern. Es kann nun wirklich nur noch Tage dauern, das Land hier ist mit uns, und wir haben wahre Reichtümer an Waffen und Munition. Gib acht, ich bleibe auch unverwundet, mein Herz sagt es mir.«

Sie verloren sich in Küssen, und plötzlich fühlte van Duyren, daß Louisens Wangen tränennaß waren. »Schäme dich, du Kind,« sagte er gerührt und glücklich. »Schäme dich vor Bonvouloir, die ich noch eben gesehen habe, wie sie ihrem Manne den Patronengürtel füllte, so ruhig, als wär's ein Reisesack. So muß eine Soldatenfrau beschaffen sein. Sie denkt auch mit keinem Gedanken an eine Gefahr oder an ein Unterliegen.« Louise hatte die Antwort auf den Lippen: Ja, sie glaubt an das Recht auf unserer Seite, das macht den Unterschied! Aber sie brachte die Worte, die ihr grausam schienen, nicht heraus. Nur daß sie Bonvouloirs Namen in einer sehnsüchtigen Weise vor sich hinseufzte, die van Duyren sich beglückt in anderem Sinne deutete. »Bald sind auch wir so weit,« flüsterte er noch im Enteilen.

Louise hatte die ganze Nacht zu tun, um für sich und die Lescures alles reisefertig zu machen, denn Frau von Lescure verließ das Lager ihres Kranken nicht mehr. Sie dachte dabei immerfort an van Duyrens Abschiedsworte und gestand sich, daß die Sehnsucht nach Vereinigung auch ihr im Blute läge. Jede Stunde konnte ihn ihr rauben für immer, und sie war nicht der Meinung, die ab und zu geltend gemacht wurde, daß sie sich glücklich schätzen müsse, ihm noch nicht völlig verbunden zu sein, solange die Gefahr frühen Wittums drohte. Sie wußte, wie oft sie ihn verletzt hatte, wie oft er an ihrer Liebe hatte zweifeln müssen, und sie hätte ihm gern den Beweis gegeben, daß sie wirklich sein war, auch wenn sie nicht an den Sieg der Vendée glaubte. Gerade darum um so mehr! Sie bemitleidete ihn so sehr! Und als sie gegen Morgen völlig angekleidet noch eine Stunde Ruhe suchte, gelobte sie sich ernsthaft, während sie leise vor sich selbst errötete, wenn er nur diesmal glücklich aus dem Gefechte käme, so wollte sie sich in der Tat ein Beispiel an Bonvouloir nehmen, aber in ganz anderem Sinne, als der ehrbare Herr vermutete.

Das Nachtgefecht gegen die Mainzer war heiß und blutig, lief aber glücklich aus, und die Vendée konnte am anderen Morgen ihre Schlachtreihen auf den Höhen von Château-Gontard in günstiger Stellung entfalten. Freund! meine Frauenlippen sind nicht kühn genug, um die Schrecken und Herrlichkeiten der Schlacht zu schildern, die sich am Morgen des 24. Oktober da abrollte, und die alles, was die Republik aufzubieten gehabt hatte, in verworrenster Flucht nach Süden trieb. Genug, wenn ich sage, daß Larochejacquelein und Keller die eigenen Kanonen der Blauen gegen sie richteten, ja, daß sie sie mit diesen Kanonen selbst verfolgten, indem sie die entsetzten Fahrer mit Peitschenhieben antrieben, ihnen zu gehorchen. Kleber, L'Echelles, Westermann, Chalbos suchten ratlos nach den Gründen einer so völligen Auflösung, und aus ihren widersprechenden und verworrenen Berichten kann man lesen, daß ihnen die Niederlage so trefflicher Truppen ein Rätsel blieb. Die berühmten Bloßschen Grenadiere wurden bis auf den letzten Mann niedergemacht, Bloß selbst suchte den Tod, weil er keine Ehre mehr für sich ersah. Die Vendée hatte verhältnismäßig geringe Verluste zu verzeichnen, die Zahl der erbeuteten Kanonen, der Waffen und Lebensmittel entschädigten für vieles, und berauscht vom Gefühle wiedergewonnener Übermacht zogen die Sieger nordwärts, beflügelten Schrittes, um sich mit den Vorangewanderten zu vereinigen. Der breite Zug der Nichtkämpfer hatte nicht viel Weges hinter sich gebracht. Zu oft hatte man rasten müssen, um den schrecklichen Ton der fernen Kanonade zu befragen, welcher Seite er Sieg bedeuten möge. An den Wegrändern war man gesessen, angstvoll horchend, und ausgesandte Späher wurden mit Bangen und Sehnsucht erwartet, ob sie erwünschte oder gefürchtete Nachricht brächten. Kurz vor Ernée erfolgte die Vereinigung. Welch ein Jubelgeschrei, als Zurückblickende die weißen Fahnen der Sieger über die letzten Bodenwellen heraufsteigen sahen, als sich leuchtend und rauschend das geschlossene Heer heranwälzte, die blitzenden Waffenröcke der Offiziere, die weißen Kittel der Boccageleute, die schwarzen Mäntel der Bretonen, alles in der beglückenden Ordnung solcher, die ein gutes Tagewerk getan haben! Wie alles die Arme auftat, sich umfing, sich dankerfüllt zu Gott wendete! Die zuerst in Ernée ankamen, hatten nichts Eiligeres zu tun, als die Glocken läuten zu lassen, und die Heranziehenden antworteten mit Hymnen und weithin hallenden Siegesrufen. Und gerade ging auch der glänzende Sonnenschein über das Land hin, den herbstliche Nebel noch verhüllt hatten, und die fast erstorbene Hoffnung auf nahen Frieden schimmerte in Tausenden von neu aufleuchtenden Augen.


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