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Mit dem Ausdrucke tiefsten Schmerzes und äußerster Ermattung sank die Erzählerin in die Kissen zurück; das gespannte Antlitz lag bleich wie altes Elfenbein auf der roten Seide. Die ganze sorgenvolle Angestrengtheit, die jenen fernen Armeeführern die Wangen gehöhlt und die Lippen gestrafft hatte, drückte sich in den schmalen Zügen der mitfühlenden Enkelin aus, und eine solche Angst lag in ihren dunkelgeränderten Augen, als sei ihr der Ausgang des großen Unternehmens noch ebenso ungewiß, wie er jenen Armen war. Camillo Witte, mehr von diesem späten Miterleben als von der Erzählung selbst ergriffen, sann auf Ablenkung; er klingelte der Zofe und befahl, etwas Tee oder heißen Wein zu bereiten, um die Ermattete zu beleben. Während es geschah, drängte er zur Ruhe, bat um Verschiebung der Fortsetzung auf den folgenden Abend, erreichte aber nichts als eine abwehrende Handbewegung und ein leises Kopfschütteln. »Denken Sie, daß ich einschlafen konnte, ehe ich diese Erzählung beendet habe?« fragte die Greisin, als sie ihre Müdigkeit etwas überwunden fühlte. »Ich würde sie mir selbst fertig erzählen, wenn Sie mich jetzt verließen, denn nun strömt das Wort, von wachen Erinnerungen getragen, und kann erst verrauschen, wenn der Quell versiegt. Solche Schatten der Vergangenheit, wenn man sie einmal aus ihren Gräbern gelockt hat, schreien nach Gestalt, nach neuer Gegenwart, nach Leben, und sie erwürgen den, der es ihnen nicht gibt oder nicht geben kann. Lassen Sie mich also ruhig diese traurige Epopöe beenden. Bis zum Sonnenaufgang hoffe ich fertig zu sein, und dann bleiben mir immer noch die wenigen Stunden Schlaf, die mein Alter erfordert. Und wenn ich alles gesagt habe, dann werde ich wirklich schlafen, so tief und fest, als ob ich die ganze Mühsal selbst miterlebt hätte.«
»Ich glaube indes,« wandte Camillo Witte ein, »ich kann Sie, während Sie Ihren Wein schlürfen, ein wenig ablösen, indem ich die geschichtliche Folge der Ereignisse aufzähle, so wie sie mir aus früheren Studien bekannt sind. Diese erschütternde Wanderung der vielen tausend Menschen durch fremdes Land, von Stadt zu Stadt, immer von der Hoffnung getragen, sich irgendwo, irgendwie erholen, zu menschlichen Lebensbedingungen zurückkehren zu können, immer enttäuscht, immer weiter gehetzt vom hitzig folgenden Westermann, enttäuscht auch in dem Verhalten der Bretonen, deren anfängliche Hilfsbereitschaft sich an der Riesenzahl der Zugewanderten erschöpfte und sich zuletzt, natürlich genug, in Schrecken und Abwehr verkehrte. Achtzigtausend Menschen, mögen sie auch Gesinnungsgenossen sein, müssen zum Feinde werden in einem Lande von beschränkten Hilfsquellen, und es ist den Einwohnern der Bretagne gewiß zu verzeihen, daß sie, zum Teil wenigstens, ihr Vieh und ihre Kornvorräte zu verbergen suchten, um nicht selbst Hungers zu sterben. Wo sie es nicht taten, genügte das Vorhandene meist nur, um die ersten Rotten zu ernähren, während die in der Mitte des Zuges wandernden Frauen und Kinder, die Kranken und die zahlreichen Nonnen, endlich die starke Nachhut, die oft genug die Verfolger aufhalten und zurückwerfen mußte, nichts Eßbares mehr vorfand als die Berge saurer Apfel, die, zur Mostbereitung gesammelt, überall in den Obstgeländen und in den Pressehäusern aufgetürmt lagen. Schreckliche Krankheiten waren die Folgen dieser wertlosen Kost bei feuchtem und kaltem Wetter. So mögen die entsetzten Heerführer schon nach wenigen Tagen begriffen haben, daß auf bretonischer Erde kein Vorteil für sie erwuchs. Nun aber gab es kein Zurück mehr, die Blauen standen im Rücken, jede eroberte Stadt mußte schon nach kurzem Aufenthalte wieder geräumt werden, keine bot sich als Festung oder Sammelpunkt, so oft auch Larochejacquelein den Versuch machte, den Verfolgern in entscheidender Weise entgegenzutreten. Vielleicht weniger die Kampfesmüdigkeit als jene dunkle, von Legenden genährte Sehnsucht nach dem Zusammenschluß mit den englischen Helfern ließ wieder und immer wieder die Bauern Blick und Fuß dem Norden zuwenden. Wie Engel, mit leuchtenden Waffen, standen jene Engländer am Ufer des Meeres und warteten nur darauf, daß man ihnen eine Hafenstadt auftue, um in ihrer ganzen Unwiderstehlichkeit einzuziehen und die Blauen vor sich herzutreiben mit dem Hauche ihres Mundes! Blond waren sie und blauäugig, diese Engländer, ein Königsvolk, feindlich den dunklen Propheten der Gleichheit, verwandt dem stolzen Bauerntum des westlichen Frankreich: darum mußte die Hilfe von ihnen kommen! – Welch unsagbar bitterer Betrug auch dies! Die Engländer, trotz wiederholter Versprechungen, landeten nicht einen Mann. Was ging Frankreich sie an, was Europa, solange sie für ihr eigenes Land nichts zu fürchten hatten? Die Hafenplätze verschlossen sich dem Ansturm der Vendée erfolgreicher als die anderen Städte, und so erfuhren die rückwärts Getriebenen nicht einmal, daß sie leeren Traumgespinsten nachgezogen waren. Die Katholische Armee, rasend geworden durch Mißerfolge, entmenscht von Leiden, gleichgültig gegen den Tod, wandte sich wie ein verwundeter Eber und stürmte den Weg zurück, den sie gekommen war, überall Spuren der Wut und Verzweiflung hinterlassend. – Habe ich richtig erzählt, und gibt dies knappe Feld Ihnen Raum genug, um Bonvouloirs fernere Schicksale darin einzuzeichnen?«
Die alte Dame nahm den Faden wieder auf. »Die ferneren Schicksale unserer Freunde sind allerdings nicht so rasch erzählt, wie dies Stück Weltgeschichte, dessen Einzelheiten für uns verschwimmen, wie die Gliederung horizontferner Berge. Wir müssen näher heran gehen und manches Unwesentliche betrachten, aber auch dies wird nun nicht mehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Bleiben Sie also geduldig. Ich muß noch einmal auf den Loireübergang zurückkommen, der sich für die Familien Lescure und Bonchamps sowie deren Anhang fast verhängnisvoll gestaltet hätte. Der wohlgebaute Stuhl hatte sich zwar als nützlich erwiesen, Lescure litt wenig, die kleine Prozession, die auch den Leichnam Bonchamps geleitete, bewegte sich vorsichtig dem Ufer zu, von den geordneten Regimentern des Obersten Keller und von Larochejacqueleins besten Leuten im Rücken gedeckt. Denn es zeigten sich, wie gesagt, schon die Vorhuten der Blauen auf den Hügeln. Das Ufer indes war noch belagert von Bauern, die gleichfalls Verwundete zu retten hatten, und die deshalb im Kampfe des vorigen Tages, der um die Boote ging wie ums letzte Brot, hatten zurückstehen müssen. Hunderte waren ihrer! Und als nun die Adligen, mit ruhiger Selbstverständlichkeit, eines der größeren Boote für sich belegen wollten, stießen sie auf Widerstand in der erschreckendsten Form. Diese gleichen Leute, die ihre Haut zu Markte getragen hatten für den Traum eines Königtums, die klammerten sich jetzt wie Irrsinnige an ihr bißchen Leben und hätten sich in die Fluten gestürzt, wenn sie nicht von ihren Verwundeten gehalten worden wären. Das umstrittene Boot faßte etwa dreißig Personen, und ein regelrechter Kampf entspann sich alsbald zwischen den Dienern der adligen Häuser und den Führern der Bauernkarren, auf denen die Leidenden lagen. »Wir haben das gleiche Recht, zu leben, wie ihr!« mußte Frau von Lescure sich entgegenschreien hören. »Was wäret ihr ohne uns? Sollen wir immer alles allein bezahlen? Platz da, wir waren zuerst am Ufer!« Die Offiziere schafften schließlich Ordnung, aber nicht ohne einen Kordon von erprobten Soldaten gelang die Einschiffung. Frau von Lescure bemerkte entsetzt: »Sie sind alle zu Sansculotten geworden! Ihre Führer sind ihnen nichts mehr!« worauf Louise mit weißem Gesicht erwiderte: »Der Tod ist ihnen nicht süßer als uns. Das ist die große Gleichheit, die kein König aufheben kann.« Es waren aber alle zu sehr um Lescure beschäftigt, um auf diese Ketzerei zu antworten.
Der Bootsführer brachte die Adligen nun keineswegs bis ans andere Ufer, sondern nur bis an das Inselchen, wo sie, wie er behauptete, vor den Schüssen der Verfolger in Sicherheit wären, und stieß gleich wieder ab, um möglichst viele der Bedrohten in gleicher Weise zu retten. Es nützte nichts, daß Frau von Lescure Gold anbot, wenn er die Überfahrt für sie vollenden würde: ihm schien es Pflicht, an jene Gefährdeten zu denken, und so mußten die Adligen warten, bis das Ufer von Flüchtlingen leer war; dann erst gewährte man ihnen die Weiterfahrt. Keller und Larochejacquelein mit ihren Tapferen standen noch drüben, hatten Deckung im Ufergebüsch und erwiderten das Feuer der Blauen. Diese Überfahrt war eine schreckliche Erfahrung für Frau von Lescure und alle, die wie sie an die größeren Lebensrechte ihrer Kaste glaubten. Louise fand das Verhalten des Bootsmannes lobenswert, es waren immerhin Menschen aus drohender Gefahr gerettet worden, ohne daß es die Adligen wesentlich beeinträchtigt hätte; allein ganz unmöglich war es ihr, die empörten Damen zu dieser Ansicht zu bekehren.
Das erste, was den Flüchtenden auf dem anderen Ufer in den Weg kam, war ein völlig zerstörtes Dorf, über dem der Rauch des kaum verglommenen Brandes in der Nebelfeuchte lastete. Tote Pferde und Menschen lagen auf dem zerstampften Felde. Da war also die ernste Mahnung an harten Widerstand auch hier, und der Traum eines triumphierenden Einzuges in brüderlich geöffnete Gefilde löste sich in flatternde Ungewißheit auf. Die bretonischen Adligen, mit denen der tote Bonchamps Unterhandlungen gepflogen hatte, waren ihrer Bauern sicher; für die Städte und ihre Garnisonen hatten sie nicht eintreten können. Es erwies sich also, daß diejenigen recht behielten, die auf dem rechten Ufer nur eine Wiederholung der Dinge vorausgesagt hatten, die das Heer auf dem linken Ufer bereits lange und bitter ausgekostet hatte.
In Varades waren Quartiere für die Adligen bereitet, es fanden sich da am Abend des schweren Tages auch die Offiziere der Nachhut ein, und wieder saß man in fremden Zimmern, bei kümmerlicher Gastlichkeit beisammen und erwog die weiteren Entschlüsse. Heinrich und Oberst Keller, die nun nicht mehr im Zweifel waren, daß Kleber ohne Besinnen die Verfolgung auf das rechte Loireufer tragen würde, schlugen vor, die Armeen bei Angers zu sammeln und, gestützt durch den Zuzug der bretonischen Adligen mit ihren kampffrischen Leuten, den Blauen eine entscheidende Schlacht anzubieten. Es hatten sich etwa sechstausend bretonische Bauern anwerben lassen, phantastische Erscheinungen in ihren langen Haarmähnen und den großen Mänteln aus schwarzen Ziegenfellen. Sie brachten gefüllte Brotsäcke mit, erhebliche Vorräte an Salpeter und Blei, und erwiesen sich als treffsichere Schützen. Talmont, der bei aller Vermessenheit seiner Pläne ein guter Soldat war, bildete leichte Regimenter aus diesen wunderlichen Leuten, die er »die kleine Vendée« nannte; sie waren trefflich verwendbar, als Vorhut oder als Flankenschutz, sehr beweglich und von der gleichen geisterhaften Unfaßbarkeit, wie die Bauern des Boccage in den ersten Monaten des Krieges. Aus ihren Reihen sind später die Chouans hervorgegangen.
D'Autichamps und Talmont brachten Aufklärungstruppen bis nahe an Angers heran, fanden aber schon die Dörfer und Höhen vor der Stadt von republikanischen Truppen besetzt, so daß sie zum Rückzug bliesen. Der Plan, Angers als Stützpunkt zu nehmen, mußte also zurücktreten, und es gewann jener ausschweifende und abenteuerliche Gedanke, geradezu auf Granville loszumarschieren und dort die Landung der Engländer abzuwarten, wieder an Leben und Greifbarkeit. Es half nichts, daß Heinrich warnte und wieder warnte: wer sich auf fremde Hilfe verlasse, sei in der Tat verlassen. Mit den sechstausend Bretonen konnte man hoffen, Klebers ganze Macht zu brechen, nur stellen solle man sich, kämpfen, als ob man allein und von Gott und Menschen verlassen wäre, das wäre die einzig richtige Art zu kämpfen! Das Unwahrscheinlichste, Unglaubhafteste reizte mehr als die schlichte Erkenntnis. Die Armee nahm Richtung auf Laval, erreichte dieses am 21. Oktober, also nur vier Tage nach dem Loireübergang, und fand offene Pforten und Herzen. Es schien also, als ob der heißesten Sehnsucht Erfüllung bestimmt sei. Die Adligen wurden in der Stadt und den umliegenden Schlössern gut ausgenommen, die Bauernscharen verteilten sich überall im Gelände, wo sich Lager errichten ließen, wo Bäche, Felder oder Siedlungen für Unterhalt bürgten. Die Verwundeten kamen in gute frische Betten. Alle Herzen erwärmten, die schönsten Hoffnungen belebten sich aufs neue. Man freute sich der erfüllten Erwartungen, und man lachte alle diejenigen aus, die gegen den Loireübergang gesprochen hatten. Von diesen nun Verstimmten und Beschämten war Heinrich der Verstimmteste.
Sie hatten ihn, den Jüngsten, kaum Zwanzigjährigen, auf Lescures Rat wirklich zum Generalissimus ernannt, indem sie zugleich jeden seiner Vorschläge, die ihnen natürlich nicht Befehle sein konnten, ablehnten. Frau von Lescure schreibt in ihren Memoiren, daß Heinrich sich mit Tränen gegen die aufgedrungene Würde gewehrt habe. Tränen der Bescheidenheit nannte sie es: es werden wohl Tränen der Wut gewesen sein! Denn nur zu gut kannte Heinrich die Gründe dieser Wahl. Es war ein Bissen Honig auf das harte Brot der Bauern, die ihn vergötterten. Sie sollten ihn haben, ihren Liebling, er sollte ihnen verantwortlich sein, ihm sollten sie ihre Nöte zuschreiben, er sollte sich mit ihnen auseinandersetzen! Für die Adligen war er trotzdem nur der Lernende, der keine Meinung haben durfte. Er war, wie einst Cathelineau, nur die schöne Fahne, die vor den Bauernscharen hergetragen wurde; den Weg gab ihr der Wille der Älteren und Angesehenen.
Vereinsamt und verdrossen in seinem Herzen war er in Laval eingeritten. Es fügte sich, daß er ein besonders wohnliches kleines Quartier in einem Bürgerhause unweit des Tores fand. Ein reinliches Stübchen tat sich gegen einen Obstgarten hin auf, die breitästigen Bäume trugen noch die purpurrot leuchtenden Früchte, um ein steinernes Becken, in dem ein Brunnen plätscherte, wob sich ein Kranz herbstlicher Blumen. In einer Weinlaube stand eine kleine Bank, die reifen Trauben lockten darüber zu süßem Raube. Da holte er sich Bonvouloir, so ungern Frau von Lescure die nimmermüde Helferin entbehren mochte. Er hatte Gründe, darauf zu beharren, daß ein Tag der Ruhe auch ihr vonnöten wäre. In der Tat hatte Bonvouloir die ersten Anzeichen beginnender Mutterschaft empfunden, was Agathe bemerkt und freudig weiter erzählt hatte. Bonvouloir schämte sich, auf diesen Grund hin Vergünstigungen anzunehmen, da Frau von Lescure in demselben Zustand und schon zwei Monate weiter fortgeschritten war. Aber Heinrich sprach diesmal mit großer Bestimmtheit, als ob er sein Recht auf Oberbefehl wenigstens in so kleinen Dingen geltend machen müsse, und Agathe entschied, daß sie und Fräulein Louise genügend starke Helferinnen bei der Pflege des Kranken sein würden. Im Grunde war Bonvouloir glücklich, des Dienstes bei dem Leidenden enthoben zu sein, dessen Wunde unerträglich zu riechen begann und dessen Stöhnen das Herz zerriß. Sie zog also in dem bürgerlichen Paradies ein und empfing dankbar vom Schicksal das Geschenk zweier unbeschreiblich seliger Tage.
In Varades waren die Lebensmittel knapp gewesen, in Laval, das die republikanische Besatzung ohne den Versuch eines Widerstandes geräumt hatte, herrschte eine gewisse bescheidene Fülle. Es gab Brot und Erbsen, gesalzenes Fleisch und Kürbisse, getrocknete Fische, die aus den Küstenstädten gekommen waren, und gelegentlich auch etwas Wild. Bonvouloir hielt haus und hatte die Freude, den müden und verärgerten Mann an ihrem Tische froh werden zu sehen. Wenn sie seine Stirne schwer sah, so ließ sie alles glänzen, was an zauberischen Tiefen in ihr war, ließ alle Glocken ihres Glaubens und Gottvertrauens läuten und fühlte seine Unruhe verebben unter dem sanften Strich ihrer Hände. Er hielt sich nun für schuldig, ihr reinen Wein einzuschenken über das, was er von dem Unternehmen hielt, aber als sie wahrnahm, daß es nichts Gutes war, was er sich von der Seele reden mußte, hielt sie ihm mit einer bittenden Gebärde den Mund zu. »Verurteile nicht!« sagte sie leise. »Sie sind alle nur Werkzeuge. Wenn du an das Ganze glaubst, so kannst du nicht denken, daß ein d'Autichamps oder ein Talmont Gottes Wege kreuzen sollten.« Heinrich besann sich, dann antwortete er errötend: »Ich glaube an das Ganze! Aber ich bin nun nicht mehr so sicher, daß wir es sein werden, die Frankreich seinen König zurückgeben. Es sind zu viele unter uns, die mehr an sich denken als an die Sache.« Bonvouloir erwiderte: »Vielleicht sollen wir nur die Steine aus dem Felde roden und die Furchen ziehen. Es werden andere kommen, die werden säen, und wieder andere, die werden ernten. Aber wenn wir das, was uns zufällt, freudig tun, so haben wir doch etwas Großes getan.« Er antwortete: »Es muß wohl so sein, und der Beweis ist, daß wir nicht anders handeln können, als wir handeln. Aber dann muß ich auch tun, was mir das innere Gesetz gebietet: und das ist, diesen besessenen Schwärmern widerstreben, solange ich kann.«
Er versuchte nun, dem jungen Weibe klarzumachen, warum er an die englische Hilfe nicht glauben könne, und warum er davor zurückschrak, die ganze Breite eines Landes zwischen seine Scharen und ihre Heimat zu legen. »Vor uns das Meer, und Kleber im Rücken,« sagte er. »Was soll draus werden?« Bonvouloir erwiderte: »Ich kann dazu nichts sagen, ich bin zu unwissend. Du mußt den Bauern klarmachen, was du fürchtest. Gehorchen sie dir nicht, so war es Gottes Wille, der ihnen den Weg gezeigt hat, und wenn der Weg ins Meer führt, so war es auch Gottes Wille.« – »Höre einmal,« sagte Heinrich halb lachend, »das ist eine verteufelt bequeme Sache, die du dir da ausgedacht hast! Aber vielleicht hast du recht. Man muß das Gute und Vernünftige versuchen, geht es nicht, so soll man nicht hadern. Es kommt am Ende doch alles, wie es mußte.« – »Siehst du?« lächelte sie. »Und nun kannst du wieder froh sein!« Er mußte in den folgenden Tagen oft an ihre lächerliche kleine Weisheit denken, wenn die Last ihn zu zermalmen drohte. Es war nichts besonders Tiefsinniges, was sie da gesagt hatte, aber es schien ihm ein Lüftchen Leichtherzigkeit zuzuwehen. Er kümmerte sich weniger um das, was er die Torheit der andern nannte, hielt aber daran fest, immer und immer wieder auf die Gefahren des Planes hinzuweisen, wenn er Gelegenheit hatte, seine Meinung vorzubringen.
Die beiden Tage in Laval also gab er sich ganz dem Glücke seiner Liebe hin. Manchmal küßte er Bonvouloir heftiger und flüsterte ihr zu: »Wir werden siegen, mein Herz! Wir, und nicht die Fernen, die nach uns kommen! Denn wenn wir nicht siegen, so ist das, was du im Schoße trägst, kein Larochejacquelein.« Er erinnerte sie immer wieder daran, daß sie nach den Gesetzen der Republik nicht Mann und Frau waren. Aber niemals trübte es ihr den sonnigen Blick. »Wir werden eben so lange kämpfen, bis es erreicht ist,« antwortete sie dann unerschrocken. »Frankreich wird seinen König haben und mein Kind seinen Vater.«