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Wenige Tage nach der Hochzeit beschloß Heinrich, den neue Angriffe der Blauen hinwegriefen, sein junges Weib nach la Boulaye zu bringen und dort unter den Schutz der Damen Lescure und Donnissan zu stellen. Nicht daß er für ihre Sicherheit ernstlich besorgt gewesen wäre! Es war ihm ein inneres Gebot, seine Frau Marquise in die Umgebung zu bringen, die ihr gebührte, und ein besonderer Reiz, daß er bei dem Wortgefecht, das sich unfehlbar ergeben mußte, noch einmal die geheimnisvollen und wunderbaren Beweggründe seines Handelns vor sich selbst und anderen klarlegen konnte. Er wollte zu Lescure so sprechen: »Ich habe dieses Mädchen besessen, und ich glaubte alles empfangen und alles gegeben zu haben, was Liebe gewähren kann. Aber immer war in mir ein ungelöschter Durst, ein Verlangen nach mehr, eine Ruhelosigkeit, wie man sie einem unvollendeten Werke gegenüber empfindet, und ich wußte mir kein Genügen. Als ich dann, fast gegen meinen Willen, das Wort gesprochen hatte, das Bonvouloir für immer an mich band, da wußte ich, was mir gefehlt hatte. Man hat ein Rechtgefühl in sich, wenn man es auch oft selbst nicht weiß. Und ein Genuß, den man nicht voll bezahlt hat, ist nun eben kein Genuß! Gerade in der Liebe will man nicht Schuldner sein, weit lieber, wenn es angeht, Gläubiger. Das muß jeder Mann von Ehre verstehen.«
Nun, selbstverständlich sagte Heinrich nicht eines von diesen schönen Worten, denn er wurde von Herrn und Frau von Lescure mit einer Kälte empfangen, die den ganzen Freudetrieb seines Herzens verdorren ließ. Bonvouloir sahen sie gar nicht an; nur die alte Frau von Donnissan ging auf sie zu, nahm ihre Hände und rief mit klagender und anklagender Stimme immer wieder: »Mein armes Kind, wie konntest du uns dies antun? Wir waren gut zu dir, wir haben dich geliebt, wie konntest du uns mit solchem Undank lohnen?« Bonvouloir, innerlich von ihrer Schuld beinahe überzeugt, war zum Glücke von Heinrich vorbereitet worden: er hatte sie mit harter Strafe bedroht, wenn sie ein Wort demütigen Verzichtes sich würde entschlüpfen lassen! So stand sie still, mit gesenkten Lidern, aber Festigkeit und Würde in ihrer Haltung, und wartete ab, wie sich die Edlen verständigen würden.
Frau von Lescure machte Heinrich ziemlich die gleichen Vorstellungen, die schon das alte Fräulein von Larochejacquelein gemacht hatte, in ernsterer, weitsehender Weise. Aber Heinrich hatte gerade den Lescures gegenüber einen sicheren Einwand: Herr von Charette tat, was er nicht hätte tun wollen, er liebte ohne den Segen der Kirche, und dieser Tatsache entsprang eine fühlbare Abneigung bei den gesitteteren Bauern, die sich bei Rückschlägen in sehr harten Verdammungsworten zu äußern pflegte. Herr von Lescure erwiderte höhnisch: »Es hat doch nicht gehindert, daß seine Bauern ihn anbeten, weil er zu siegen versteht.« Heinrich gab erbittert zurück: »Die rohen Maraisleute lieben ihn, weil er ihnen das Plündern und jede Unzucht erlaubt!« Der Wortstreit sprang damit, wie so oft, auf ganz andere Gebiete über, als die, von denen er seinen Ausgang genommen hatte.
Dann trat Louise ein, gerade als das Gefecht hitzig zu werden begann. Ohne einen Augenblick zu zögern, lief sie auf Bonvouloir zu, umarmte sie und nannte sie ohne Umschweife »Base«, worauf sie Heinrich mit lebhaften Worten pries, daß er dem höheren und besseren Gebote zu gehorchen gewußt und sein Leben von unlauterem Geheimnis freigehalten habe. Heinrich war für die unerwartete Hilfe nicht so dankbar, wie er gesollt hätte, da er die unbehagliche Erkenntnis gewann, er habe sich durch seine Verheiratung mit dem Bürgerkinde den jakobinischen Ansichten seiner überspannten Verwandten unerwartet genähert. Louise war ihm immer abstoßend erschienen mit ihren Predigten von natürlichen Menschenrechten und ähnlichen Dingen, und er hatte sich bisher nicht Rechenschaft gegeben, daß er diesen ihm so widerwärtigen Grundsätzen, ohne es zu wissen, gefolgt war. Jetzt ging es ihm auf; und mehr noch, er sah zu seinem Ärger, daß Lescure, dem kein Humor fremd war, den Zusammenhang spürte und sich höchlich an ihm ergötzte. Da aber Bonvouloir sich voll Vertrauen in Louisens Arme gelegt hatte, so vermochte er seinen Verdruß auf keine Weise zu äußern und stand ziemlich dumm zwischen der triumphierenden Republikanerin, der abweisenden Edelfrau und dem schmunzelnden Lescure, der im verschmitzten Auge schon wieder eine kleine Bosheit erraten ließ. Indes, es erfolgte eine unerwartete Lösung. Lescure, den die komische Wendung der Dinge wohl heiter gestimmt haben mochte, erklärte mit einem Male, die Sache wäre nun geschehen und nicht durch Worte aus der Welt zu schaffen. Bonvouloir habe sich immer als ein ehrenfestes Persönchen erwiesen, und er, Lescure, sei auch geneigt, sie als Marquise gelten zu lassen, wenn sie gewissermaßen eine Probezeit auf sich nehmen und sich im weiteren Umgange ihres höheren Berufes würdig erweisen wolle. Sie möge nun einstweilen ruhig im Hause bleiben und als liebe Verwandte betrachtet werden. Wenn sie ihre Stellung mißverstehe, werde man mit ihr und Heinrich abzurechnen wissen.
Heinrich empfand zwar Lescures Worte immer noch als eine unerträgliche Anmaßung, aber er besann sich, daß Bonvouloirs natürliche Anmut, ihre grenzenlose Selbstlosigkeit und ihr kluges Anpassungsgefühl jeder Probe standhalten würden, und daß eine schöne Rechtfertigung ihm und ihr gewiß sei. Er ritt also halb getröstet wieder ab, und Bonvouloir trat augenblicklich und ohne jede Ziererei ihr altes Amt als Helferin und vertraute Dienerin wieder an, als ob sie das Haus Lescure nie verlassen hätte. In la Boulaye wurde eben Zider gepreßt, Wintervorräte an getrockneten Äpfeln wurden eingelegt, Fleisch wurde eingesalzen und ein haltbares Brot wurde hergestellt, alles in solcher Weise, daß es bei plötzlichen Ortswechseln oder gar längerem Kampieren nützlich sei. Da war Arbeit für geschickte und fleißige Hände, und keine Hilfe war entbehrlich. Sogar die alte Frau von Donnissan arbeitete mit. Bonvouloir glitt ganz natürlich in den Reigen von vielen sich ablösenden Helferinnen hinein, und wenn etwas sie beirren konnte, so war es nur der Umstand, daß sie jetzt das trauliche »du«, das sie empfing, auch zurückgeben mußte. Es dauerte ein paar Tage, ehe ihr diese neue Gewohnheit geläufig war, und sie mußte oft wegen ihrer Schüchternheit, die sie für Vergeßlichkeit auszugeben suchte, geneckt werden. Herr von Lescure, der sich in den ersten Tagen jeder Anrede enthalten hatte, sah sie mit gütigen Augen an und nannte sie bald ohne Umstände mit dem verwandtschaftlichen Namen. Als er Heinrich zum ersten Male wiedersah, bemerkte er mit herzlichem Ausdrucke, wie lobenswert ihm Bonvouloirs Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit erscheine: »Sie hat nicht ein einziges Mal die Marquise herausgekehrt,« sagte er, »und wenn wir sie mit diesem Namen anriefen, so lachte sie nur und erwiderte, sie sei Bonvouloir und wolle als Bonvouloir sterben. Nie scheint sie an sich zu denken, immer ist sie für andere da, ja, sie spricht auch nicht einmal von sich selbst, sondern hört nur bereitwillig und geduldig andere sprechen. Wenn sie arbeitet, tut sie es mit Anmut und Leichtigkeit, als ob sie spiele, und so erniedrigt die Arbeit sie nicht, sondern gibt ihr nur Gelegenheit, eine harmlose Überlegenheit zu zeigen. Sie ist durch und durch vornehm, und ihr Adel beruht, wie ich mir denke, auf einer großen Lebenssicherheit, die ihr nicht bange werden läßt um das, was ihr zukommt. Immer ist mir, als wolle sie sagen: wenn nur Ihr Schwachen das Eure habt, mir bleibt es nicht aus, das Schicksal und ich sind gute Freunde, ich habe nicht nötig, den Hals zu strecken. Und wenn sie wirklich einmal zu kurz käme, würde sie kein Wort darüber verlieren, sondern denken: es geht auch einmal mit etwas weniger Glück. Wahrhaftig, du hast eine gute Frau errungen, du Knabe!«
Heinrich war innig beglückt über solche Worte aus solchem Munde, denn Lescure war von spöttischer Art, und es war selten, daß er ernsthaft lobte. »Ich kann dir auch sagen,« erwiderte er, »woher sie diese schöne Sicherheit hat. Sie glaubt einfach wirklich an Gott und an ihre Heilige Jungfrau, und es könnte geschehen, was immer, sie würde es richtig und gut finden, denn Gott kann nichts Verkehrtes machen. Es gibt sehr selten Menschen, die diesen Glauben haben, und Bonvouloir ist die erste, die mir begegnet ist. Sieh dich einmal um, und dann sage mir, ob ich nicht recht habe!«
»Teufel!« bemerkte Lescure, »du redest wie Louise, die auch immer vorgeben will, es glaube eigentlich kein Mensch so recht und wahr an Gott, sonst müßten wir alle viel bescheidener sein.« Damit hatte er nun freilich Heinrichs gute Laune gleich wieder ein wenig gedämpft, denn jede Übereinstimmung mit Louisen galt diesem unbesehen als Jakobinertum; doch verhielt er weitere Neckereien. Etwas in der Betrachtung von Bonvouloirs Wesen schien ihn zum Weiterdenken anzuregen.
Der einzige, der durchaus nicht zu wissen schien, wie er sich zur neuen Verwandtschaft stellen sollte, war Herr van Duyren. Er war im Stabe Lescures, wohnte in Châtillon und kam jeden zweiten oder dritten Abend nach La Boulaye geritten, um seine Braut zu besuchen. Er hatte sich äußerst empört gezeigt, als er von Heinrichs Heirat gehört hatte, und erklärte noch immer, Bonvouloir sei für ihn nichts weiter als eine Dirne und Abenteurerin, und er weigere sich, mit ihr an dem gleichen Tische zu sitzen. Das hatte wieder einige Wortwechsel mit Louise zur Folge gehabt, bei denen sie leidenschaftlicher als je das Einzelne in Beziehung zum Allgemeinen gebracht und mit revolutionären Redensarten geknallt hatte wie eine Petarde. Sie erbitterte ihn dadurch noch mehr, er sah die Notwendigkeit, Grundsätze zu beweisen, und es kam dahin, daß er sein Kommen verschwor, wenn man ihm den Tort antun würde, die Dirne zu den gemeinsamen Mahlzeiten zu rufen. Louise, auf einen klugen Wink von Frau von Lescure hin, schwieg. Bonvouloir lachte nur und meinte: »Dem künftigen Gatten muß man gehorchen!« Und somit verschwand sie jedesmal, wenn Herr van Duyren angeritten kam, wie ein Mäuschen in sein Loch verschwindet, wenn es die Katze ahnt. Louise konnte es sich nicht versagen, ihren Verlobten zu strafen, indem sie häufig eine schöne Frucht, ein seltenes Stück Weißbrot ober Käse, oder auch ein Glas Apfelwein auf die Seite tat, um es dann in van Duyrens Gegenwart einem dienenden Knaben zu übergeben mit den auffällig laut gesprochenen Worten: »Bringe dies der Frau Marquise von Larochejacquelein.« Sie sagte öfter zu ihm: »Solche Leute wie du haben uns die Revolution gebracht«, was er lebhaft bestritt: nur der unwürdigen Mischung der Stände, die man aus Schwäche, aus Geldgier oder aus verkehrter Auffassung hatte einreißen lassen, verdanke man, daß die Kanaille die Macht im Lande an sich gerissen habe.
Alle diese kleinen Wirrsale würden stärkere Bedeutung gewonnen haben ohne Bonvouloirs kaltblütige Beherrschtheit; wenn Louise etwas verlegen ihren Bräutigam zu entschuldigen suchte, antwortete sie nur leichthin: »Laß doch, es lohnt sich nicht, sich deshalb zu entzweien. Wenn Heinrich kommt, werde ich sein, was er befiehlt, daß ich sei. Bis dahin bin ich Bonvouloir.« Und in der Tat erschien sie, als Heinrich und van Duyren einmal gleichzeitig in La Boulaye weilten, mit der natürlichsten Miene von der Welt bei Tische, als ob es keinen Herrn van Duyren gäbe. Dieser, als er des jungen Freundes ritterliche Haltung vor seinem schönen Weibe beobachtete, wagte nun doch keinen Einwand gegen die unerwünschte Gesellschaft, und so versiegte die Mißstimmung im Sande, ohne daß Heinrich je etwas davon erfuhr. Van Duyren betrug sich von da ab geziemend gegen die stets gleichmäßig freundliche Bonvouloir.
Es mochte auch sein, daß die größeren Begebenheiten der letzten Septembertage, atemraubend wie herbstliche Nebel, das Gemüt unempfänglich machten gegen die Nadelstiche gekränkter Eitelkeit. So Schweres brach über die Vendée herein, daß freilich sich auch der letzte Bauer geschämt haben würde, hätte er ernsthafte Uneinigkeit um geringer Dinge willen bei sich gepflogen. Um diese Zeit war es zwischen Lescure und Charette zu einem verhängnisvollen Streite gekommen, und zwar um keiner wichtigeren Sache willen, als daß Herr von Marigny auf Lescures Befehl eine Wagenladung guter Schuhe, die in Saint-Fulgent erbeutet worden waren, an die Bauern des Boccage verteilte, die auf ihren rauhen Wegen deren sehr bedürftig waren. Charette, der schon wenige Tage zuvor seine Verstimmung über einen mißlungenen Beutezug in gehässiger Weise die Boccageleute hatte entgelten lassen, war nun nicht mehr zu versöhnen: er verschwand lautlos mit allen seinen Bauern, einige Stunden vor einem von ihm selbst geplanten und nach seinen Angaben vorbereiteten Angriffe auf Châtaigneraye, und ließ Lescure und Larochejacquelein vor dem Feinde in der allergefährlichsten Lage allein. Da d'Elbée und Stofflet in Clisson festgehalten waren, wo sie ein erneutes Vordringen der Mainzer aufhalten mußten, war auf ihre Hilfe nicht zu rechnen: der Angriff auf Châtaigneraye mußte aufgegeben werden und damit ein fester und strategisch wichtiger Posten in der Hand des Feindes verbleiben.
Diese Enttäuschung kam nicht allein. Prinz Talmont hatte eigenmächtig ein Unternehmen gegen Doué eingeleitet und wurde unter fürchterlichen Verlusten geschlagen. Und Bressuire war wieder in Westermanns Händen!
Die Lage wurde nun so gefährlich, daß Lescure sich entschloß, einen herzlich bittenden und in den versöhnlichsten Worten gehaltenen Brief an Charette zu senden, er möchte die Mainzer von hinten angreifen und so die Armee d'Elbées bewegungsfähig machen. D'Elbée selbst ließ Botschaft auf Botschaft ins Marais laufen, um Lescures Bitten zu unterstützen. Charette ließ erwidern, er müsse nun seinerseits bedacht sein, sich einen uneinnehmbaren Zufluchtsort zu sichern, und führte seine Leute nach der Insel Noirmoutiers, die er, da sie von niemandem bedroht war, auch rasch eroberte. Er war nun so entfernt, daß seine Hilfe in der gegenwärtigen Bedrängnis nicht in Betracht gezogen werden konnte. Und da lag es denn Lescure, Larochejacquelein und Royrand, die insgesamt über ein Heer von viertausend Leuten geboten, ob, dem Ansturm Westermanns von Süden, dem der Mainzer von Norden und einem vereinigten Vorrücken der Garnisonen von Chantonnay und Châtaigneraye von Südwesten her standzuhalten. Sie wurden besiegt, Châtillon mußte preisgegeben werden. Und wieder ein eiliger Rückzug auf Cholet, diesmal in rieselndem Regen, bei ungewohnter Herbstkühle, die mit den Republikanern verbündet zu sein schien, weil sie Herzen und Glieder der Heimatlosen starr machte. Auch die Familie in La Boulaye zog mit in der ungeordneten und erschreckenden Flucht.
Nun war der Augenblick gekommen, wo Klebers Plan sich groß und unhemmbar abrollen sollte. Der Befehl hatte gelautet, daß am 4. Oktober General Rey von Thouars, am fünften General Santerre von Doué, am gleichen Tage General Chalbos von Châtaigneraye aus gegen Bressuire aufbrechen sollten, welches sie am siebenten erreichen sollten und Dank der trefflich vorbereitenden Arbeiten der Mainzer und Westermanns auch erreichten. Ein Strom von zwölftausend Mann, aus dem Zusammenflusse ungezählter leuchtender Bäche gebildet, brach am 8. Oktober gegen Châtillon hin auf, um sich bei den Moulins aux Chèvres mit den nun gleichfalls gesammelten Bauern des Boccage zu treffen. Lescure hatte in höchster Not alles zusammengerufen, was an Leuten aufzubringen war, hatte alle anderen Stellungen preisgegeben, und die Niederlage, die nun folgte, war eine vollkommene und unwiderrufliche. Und nun stand den republikanischen Armeen auch der Weg nach Cholet offen.