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Bis hierher war die Erzählerin gekommen, als ein bescheidenes Klopfen und ein leises Öffnen der Türe sie unterbrach – in einem Augenblicke, wo Camillos ganzes Wesen mit gespannter Hingabe auf den nächsten wartete. Es war indessen ganz dunkel geworden, und der winterliche Sturm rüttelte stärker an den Fenstern. Camillo, der die Gewohnheiten der alten Freundin kannte, erhob sich mit einer kleinen Anstrengung über sich selbst, um ihr gute Nacht zu wünschen. Sie pflegte um diese Zeit von einer Dienerin in ihr Schlafgemach geleitet, entkleidet und nach umständlicher Körperpflege zu Bett gebracht zu werden, worauf ihr einfaches, meist kaltes Abendbrot hineingetragen und ihrem Belieben überlassen wurde. Diese geruhige Mahlzeit ließ sie gut und lang schlafen, hielt die zarte Farbe ihrer Wangen jung, gestattete aber zugleich ab und zu noch einige geistige Beschäftigung oder eine kleine heitere Unterhaltung vor dem Einschlummern. Nun also stand die alte Dienerin mit mahnender Gebärde auf der Schwelle, und es blieb nichts übrig als Gehorsam, obgleich Camillo für sein Leben gern noch erfahren hätte, was für ein Gesicht der junge Feldherr wohl gemacht haben mochte, als er so ohne Worte erfuhr, wer der »Kerl« sei, hinter dem Bonvouloir herlief. Die alte Dame erhob sich mit einem leisen Kopfschütteln des Bedauerns, zu sehr an ihre eigene kleine Tyrannei gewöhnt, um ein Hinausschieben zu wagen. Aber schon in der Türe angelangt, wandte sie sich noch einmal um und lud ohne Verlegenheit den jungen Hausfreund ein, sie etwa zwei Stunden später in ihrem Schlafzimmer aufzusuchen. Sie sei nun einmal gut im Zuge und habe selbst ihre Lust daran, die einmal begonnene Erzählung zu Ende zu führen, er möge von ihr denken, was er wolle. Camillo wollte an gesundheitsschädigende Folgen einer so starken seelischen und geistigen Anspannung erinnern, aber die Dame versicherte, daß ein Verhalten des epischen Stromes sie weit mehr schädigen, jedenfalls ihr den Schlaf rauben würde. Da sagte er dankend und erfreut sein Kommen zu.
Das Schlafgemach, das er zwei Stunden später betrat, war mit Akajoumöbeln und alten Brokaten ausgestattet, doch hatte das Bett keinen Himmel. Die alte Dame saß mehr als sie lag in Kissen und Decken von tiefroter Seide, sah blaß und fein aus wie Elfenbein und hatte ihr silbernes Haar unter einer kleinen Spitzenhaube verborgen, die sie jünger aussehen ließ als die erklügeltste Haartracht. Camillo erschrak beinahe vor der keuschen Anmut dieser fast siebzigjährigen Frau mit der zarten Haut und den lebensvollen Augen. Sie fühlte wohl, daß sie gefiel, und ihr Ausdruck wurde noch jugendlicher. Ein feiner Hauch von Erröten zog über ihr Gesicht.
»Ich sehe,« sagte der junge Mann, »Sie sind sich des königlichen Vorrechts bewußt, das die Frauen der großen Gesellschaftsepochen genossen: auch im Bette noch Hof zu halten. Sie sind so sehr berufen für dieses Vorrecht, daß ich bedaure, hier nicht zwanzig Ritter vorzufinden, die in gleicher Ehrfurcht ersterben wie ich. Sie könnten auf einem Thron nicht hoheitsvoller aussehen als inmitten dieses Seidenprunkes, den Sie ja wohl nicht ernstlich zum Schlafen benutzen werden.«
»Warum nicht?« fragte die alte Dame lachend. »Ich drücke keine Falte in diese Seiden! Das ist auch ein Teil unserer alten, jetzt so tief verachteten Erziehung, daß wir Haltung bewahren, selbst wenn wir schlafen. Aber nicht wahr, diese Stoffe sind schön? Ich habe gewagt, Sie hierher zu bitten, weil ich Ihre Freude daran genießen wollte. Und nun bedenken Sie, daß Menschen, so arm, so elend behaust, so fern von dem Anblicke jeglicher Pracht, wie keiner unserer ärmsten Arbeiter heute, diese köstlichen Gebilde entworfen und gewebt haben, in die sie alles hineingelegt haben mögen, was ihre Phantasie ihnen als königlich oder göttlich erscheinen ließ. Denn nur an den König oder die Kirche konnten sie denken, wenn sie diese ihre Schöpfungen aus den Händen gaben. Erzählen nun diese Stoffe nicht besser als alle Worte, was der König und die Kirche den Gemütern jener Zeit bedeuteten?«
Nun mußte Camillo Witte lachen. »Sie legen Bedeutung in jedes Ding,« sagte er, »und beweisen damit, daß Sie Dichterin sind. Ihre Auslegung könnte aber nur Geltung haben für Menschen noch weit früherer Zeit, als die, von der wir sprechen. Ludwig XVI. trug einen braunen Tuchrock und brachte seine Feierstunden mit Schlosserarbeiten zu, an denen er ein knabenhaftes Gefallen fand; seine Gemahlin spielte die ›Fermière‹ oder hütete Lämmchen, wenn sie vergnügt sein wollte, und die Seiden, die sie trug, hatten recht phantasielose Streifenmuster. Wollen Sie nun behaupten, daß diese handgreifliche Vermenschlichung des Königtums dazu beigetragen habe, dem Symbol seine Glorie zu nehmen?«
»Wer weiß, ob dem nicht so ist,« erwiderte die Dame. »Unter dem vierzehnten Ludwig ging es dem Volke jedenfalls viel schlechter als unter dem sechzehnten, trotzdem nahmen die zahlreichen kleinen Aufruhre, die Hunger und Kriegslast unter seiner Regierung hervorgebracht hatten, stets ein glimpfliches Ende. Majestät darf sich vor allen Dingen nicht selbst preisgeben, sie muß in Geste und Erscheinung Majestät bleiben, und ein König, der das nicht versteht, ruft Revolution sicherer hervor als die bitterste Hungersnot. Vielleicht ist das Symbol einer Größe, die trägt, verantwortet, vorangeht, der man sich hingibt, dem Volke nötiger als manches andere.«
»Das ist,« wandte Camillo ein, »die Ansicht derer, die das Königreich zurückwünschen. Ich gestehe, sie hat etwas für sich. Wäre nur die äußere Majestät auch immer mit der inneren Größe verbunden, die das Gottesgnadentum als eine Verantwortung und nicht als ein Vorrecht empfindet! Der Begriff ›Gottesgnadentum‹ an sich ist schön, ich liebe ihn. Denn wenn ich mir sage, daß das große Amt, das mir anvertraut ist, nur eine unverdiente Gnade Gottes ist, so werde ich mich seiner Erfüllung demütiger und gewissenhafter befleißigen, als wenn ich glaube, es meiner persönlichen Tüchtigkeit zu verdanken: Gnade ist etwas, was immer wieder von mir genommen werden kann! Leider ist der schöne Begriff nicht immer so verstanden worden, während das äußere Sinnbild der Größe recht fleißig ausstaffiert und dargestellt wurde. Nein, mir ist der arme Sechzehnte, der seine unkönigliche und verkümmerte Seele bescheiden hinter einer bürgerlichen Handwerksfreude barg, weit mehr wert, als ein König, der mit dem Purpurmantel auch die Majestät anzuziehen glaubt. Er hat zu schwer dafür büßen müssen, daß er etwas sein sollte, was zu sein ihm nicht gegeben war.«
»Mit diesem Worte,« sagte die greise Bonvouloir, »heben Sie alles auf, was man Standesvorrecht nennt, und geben der Republik recht, die da sagt: erweise, wozu du taugst, wir werden dir deine natürliche Verwendung geben. Sollte indes nicht ein Mensch in die Pflichten eines Standes hineinwachsen können, wenn er einmal darin geboren ist, und wenn er die genügende Ehrfurcht vor diesem Stande von Kindesbeinen an gelernt hat?«
»Das ist eine Frage, die zu beantworten man mehr von den Gesetzen des Seelenwachstums wissen müßte als ich,« antwortete der junge Mann. »Aber wohin sind wir geraten? Wollen wir die Psychologie des revolutionären Gedankens untersuchen, oder wollen wir Bonvouloirs Geschichte vernehmen?«
Und mit einem leichten Kopfneigen den heiteren Vorwurf auf sich nehmend, fuhr die Erzählerin in ihrer Geschichte fort.
Herr von Larochejacquelein hatte während der zwei Jahre, die er auf der Kriegsakademie zu Paris verbrachte, für einen Weiberhasser gegolten. Wir lachen heute, oder wir erschrecken, wenn wir hören, daß so ein Wort auf einen Sechzehn- bis Achtzehnjährigen angewendet wurde, und daß also das Durchschnittsalter für die Einschätzung der Liebesfähigkeit eines Mannes in frecher Weise schon an die Grenze des Kindesalters gesetzt wurde. Nun, Heinrich hatte sich als unbegabt erwiesen, aber es mochte wohl kaum eine Abneigung gegen das Geschlecht überhaupt dabei mitgespielt haben, sondern einfach eine gesunde Verachtung für die Verlogenheit und Anmaßung, mit der sich dies Geschlecht in der Umgebung des Hofes darstellte. Jene Mädchen, wenn sie kaum den Kinderschuhen entwachsen waren, heischten eine Beachtung, eine Form des Umganges, die mit ihrer Jugend und inneren Unbedeutendheit nicht vereinbar war: sie waren preziös in viel höherem Sinne als die Preziösen des vergangenen Jahrhunderts. Der gesunde Landjunker ärgerte sich schlechthin über diese Gänschen, die einen Verstoß so leichter Art wie ein Übersehen ihrer schmächtigen Persönlichkeiten im Gewühle eines Ballsaales mit sehr wahrnehmbarer ›Ungnade‹ bestrafen zu dürfen und sich dadurch noch in der Wertschätzung der Männer zu heben glaubten. Er kehrte ihnen den Rücken, aber ich will nicht beschwören, daß er seine männliche Reife nicht an anderen, dankbareren Gegenständen betätigte.
Also: Bonvouloir wurde seine Geliebte, und dem natürlichen, einfachen Wesen erschloß sich das natürlich und einfach empfindende Herz des Jünglings, wie sich ein junges, sehr einsames, von vielen Verantwortlichkeiten belastetes Herz einem warmen, mitfühlenden und ganz anspruchslos hingegebenen eben erschließen muß. Ich möchte sagen, Larochejacquelein liebte das Mädchen auf zweierlei Art: dem Herrn, dem Vertreter einer adligen Kaste behagte die freundliche Demut und strahlende Diensteifrigkeit des Bürgerkindes, und dem blutjungen Gesellen, der noch ein gut Teil ungespielter Spiele in seinem Inneren verschloß, war die Gespielin lieb, die ohne Verlegenheit so kindisch sein konnte wie er selbst war. Wenn der arme junge Feldherr sich todmatt regiert hatte auf seinem verlorenen und nutzlosen Posten, dann flog er in Bonvouloirs Arme und benahm sich wie ein rechter Knabe, glücklich, übermütig, der Wirklichkeit vergessend. Und nie erinnerte ihn Bonvouloir an diese Wirklichkeit! Auch für sie war, wenn sie vereint waren, wirklich nichts anderes als ihr Glück, und wenn inmitten eines Kusses eine Kanonenkugel neben ihr in die Wand geschlagen hätte, sie hätte sich nicht stören lassen! Und Heinrich gewiß auch nicht. Je schwerer die aufgezwungene Generalwürde, die Sorge um das Unternehmen, das der besten Kräfte beraubt war, auf ihn drückte, desto leidenschaftlicher erhob sich seine junge, gehemmte Lebenskraft in der Liebe. Er berauschte sich an dem schönen und zärtlichen Mädchen wie an dem süßesten Weine, und er trank so lange und so tief, daß der Rausch ihm auch über das graue Elend seiner letzten Tage in Saumur hinweghalf, als alles sich auflöste und es kein Halten mehr gab für die entmutigten Bauern. Als einige Bauern ihm Nachricht von Lescures Genesung und von einem geplanten Angriff auf Lucon brachten, gab er Saumur auf und brach, selig wie ein Vogel, der dem Käfig entschlüpfen darf, zur Unterstützung des neuen Unternehmens auf.
Die brave Fleurette, die Bonvouloirs Glück fast wie ein eigenes genoß, und die zur Diebin an ihren vornehmsten Kunden wurde, um das bewunderte Mädchen mit Band und Spitze zu schmücken für den liebenden Gebieter, hätte nur zu gern während des Feldzuges die Obhut und Fürsorge über Bonvouloir weiter ausgeübt. Aber Heinrich wußte, daß die Vendée nicht so bald wieder Herrin über Saumur sein würde, und daß ein Wiedersehen mit seiner Geliebten vielleicht zu einem gefährlichen Unternehmen werden könnte, wenn erst Canclaux in der Stadt befahl. Er tat also, was er vordem so heftig verurteilt hatte, und tat es unter den sehr erstaunten Augen der paar Leute, die ihm noch Gefolgschaft bildeten: er ließ seine Geliebte im Troß hinter sich herlaufen!
Es war nur ein klägliches Häufchen, das Saumur verließ, aber es hatte kaum den Weg ins offene Land genommen, da ward es zum Fluß, der die Quellen der Berge und die Bäche der Ebenen aufnimmt, und schwoll von Stunde zu Stunde bis zu hinreißender Gewalt. Der alte Zauber des Bandenkrieges, den die adligen Herren mit allen Mitteln zu beschwören suchten, ward wieder wirksam. Und so, in ihrer wilden, unfaßbaren Weise, schlugen die Bauern auch wieder einige ihrer glücklichen Siege.
Unterdessen hatte Herr von Lescure mit Charette und d'Elbée einen Überfall auf Luçon vorbereitet, und was war natürlicher, als daß Heinrich sein Teil daran haben sollte? Lescure hatte eine ganz ordentliche kleine Kerntruppe ausgebildet, deren bester Teil eine Kompagnie Schweizer unter ihrem Oberst Keller war, lauter wohlgeschulte, kriegserfahrene Soldaten, die zu gehorchen verstanden und mit Bajonett und Säbel so gut wie mit der Flinte umzugehen wußten. Dazwischen schob er die Bauern in weiser Verteilung, hoffend, daß der feste Rahmen sie halten würde, wenn sie nach ihrer Weise zu verschwinden versuchen sollten; und er ließ Mahnungen eindringlichster Art ergehen und drohte sogar mit Strafen, was großes und sehr unfreudiges Erstaunen weckte: denn die Bauern huldigten dem Grundsatze, daß man Leute, die ihr Bestes geben, nicht antreiben dürfe. Immerhin begriffen sie, daß hier etwas Neues am Werke war und wollten sehen, wie es sich bewähren würde. Der Plan war so gefaßt, daß d'Elbée auf gerader Bahn von Norden her, Charette und Lescure dagegen von den Diagonalen aus, alle zugleich Luçon angreifen sollten, und es waren die Verbände ordnungsgemäß gestaffelt und jedem einzelnen der genaue Zeitpunkt seines Eingreifens vorgeschrieben. Ein schöner, sauberer Plan, nur daß er nie auf einem Manöverfeld geübt worden war, und daß der General Tuncq ihm geschickt zu begegnen wußte und beim ersten Gegenstoß die heilloseste Verwirrung in das ganze Programm brachte. Sogar d'Elbée stand eine Weile ratlos und wußte nicht, ob Vorgehen oder Verweilen geboten war. Dann sprachen große Kanonen von den Mauern der Stadt, und Tuncq fiel aus, gedeckt von ihrem dämonischen Schutze, und fiel wie eine Lawine mit festgeschlossenen Massen aus, zermalmend und unwiderstehlich. Was nun folgte, war das fürchterlichste Gemetzel, das die Vendée je erlebt hatte, und zum dritten Male in wenigen Wochen zersplitterte und zerrieb dieser General Tuncq, der eines Türhüters Sohn war, die Heere mit den Fahnen des Königs. Viertausend Bauern waren auf dem Schlachtfelde geblieben, und die sogenannten Kerntruppen auf ein verschwindendes Nichts zusammengeschmolzen. Sie retteten sich mit den Offizieren nach les Herbiers, wo sie todesmatt und verzweifelt ihr Unglück zu übersehen versuchten, und von da am nächsten Tage mit hängendem Gefieder nach Mortagne.
Das war der erste tiefe Schatten, der auf Bonvouloirs rosenroten Liebesweg fiel. Zwar war Heinrich, der unter Lescure gekämpft hatte, unverwundet geblieben, aber seine Erschütterung war so schmerzlich anzusehen, daß es einem Auslöschen seines ganzen Daseins gleichkam. Er war von den wenigen gewesen, die den Plan der Herren Lescure und Charette als unausführbar bezeichnet hatten und stets dafür eintraten, man müsse den Bauern ihre Kampfweise lassen, gegen die alle republikanischen Angriffe wirkungslos blieben. Nun hatten sie standhalten gelernt und die Lehre auch gleich mit so entsetzlich vielen Leben bezahlen müssen. Heinrich sah die nächsten Folgen voraus: Mißtrauen der Bauern in die strategische Weisheit ihrer Führer, und auf der anderen Seite Eigensinn der militärisch Gebildeten, die immer wieder versuchen würden, das Versagen ihrer Methode auszugleichen, ihre Richtigkeit zu beweisen. »Von heute ab,« sagte er traurig zu Herrn de Rivault, der Lescures persönlicher Adjutant gewesen war, »haben wir zwei Vendéen. Eine, die aus der Seele der Bauern, und eine, die aus dem Verstande der Führer kommt.« Es erfüllte ihn mit großer Bitterkeit, daß Lescure auf seiten derer stand, die nach Heinrichs Ansicht das Wesen des Volkes nicht verstanden.
Er saß am Abend jenes schrecklichen 14. August in einer Hütte unweit les Herbiers, weil er vermeiden wollte, mit Lescure und den anderen Führern zusammenzukommen, wohl fühlend, daß er Vorwürfe, die seiner Jugend nicht verziehen werden konnten, nicht zurückhalten würde. Bonvouloir hatte sich zu ihm gefunden, wagte aber nicht, ihn anzusprechen, sondern kauerte still in einer Ecke, den tränennassen Blick unverwandt auf die gebeugte Gestalt gerichtet, die sich gegen die Helle des kleinen Fensters gerade genug abhob, daß man die namenlose Verzweiflung in ihrer Haltung erkennen konnte. Ab und zu sah Bonvouloir die Schultern des Mannes in einer Bewegung zucken, die ihr ins Herz schnitt. Die Hörige, die die Hütte bewohnte, wagte nicht, ihre armselige Kerze anzuzünden, wagte nicht, Brot oder Milch anzubieten, auch sie begriff, daß hier Wunden offen lagen, die eines Lufthauchs Bewegung zu heftigeren Schmerzen entzünden mußte; sie war schweigend hinausgegangen. Die halbe Nacht verging so. Dann sah Bonvouloir, wie Heinrich sich erhob, stand schnell auf und schob sich vor ihn hin. Er wurde ihrer gewahr und fragte etwas rauh: »Was tust du hier?« und ohne darauf zu antworten, nahm sie ihn bei der Hand und sagte: »Komm, du hast nun lange genug getrauert. Solche Dinge müssen geschehen. Aber wenn wir nur schweigen und dulden, so vergessen wir, warum sie geschehen müssen. Von jetzt ab kämpfe du auf deine Art. Sie ist die gute.« Und sehr erstaunt erfuhr der junge Mann, wie genau seine schöne Geliebte in allerlei kriegerische Dinge eingeweiht war, und daß sie ihre kleinen Ohren überall da gehabt hatte, wo Bauern oder Soldaten über den neuen Plan gesprochen hatten. »Unser Herr Heinrich würde das besser gemacht haben,« war ein trauriger, aber doch willkommener Trost, dem sie ihm als von hundert Paar Lippen kommend übermitteln konnte. Er drückte ihr die Hand, was sie in diesem Augenblicke tiefer beglückte als die heißeste Liebkosung. Leise zog sie ihn aus der Hütte. Das Pferd, nur flüchtig gefesselt, hatte sich losgemacht, graste aber friedlich mitten auf einer mattbeleuchteten Wiese und mußte eingefangen werden; dabei zu helfen, erleichterte Bonvouloirs Gemüt, es kam sogar ein- oder zweimal zu einem schüchternen Lachen. Dann hob er sie hinter sich aufs Pferd und ritt mit ihr nordwärts in die sommerliche Nacht hinein.