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Letztes Kapitel

Meine teuren Freunde und Brüder Snobs! Wir sind jetzt bei Nr. 45 unserer Artikelserie angelangt, und es ist mir wie ein Traum, daß wir ein ganzes sterbenslanges Jahr zusammengegangen und über das Menschengeschlecht geplaudert und uns lustig gemacht haben. Wenn wir aber selbst hundert Jahre alt würden, so glaube ich, würden wir noch eine Fülle von Gesprächsstoff über das unerschöpfliche Snob-Thema finden.

Das Nationalgefühl regt sich im Hinblick auf die Snobs. Briefe laufen täglich ein, die uns Sympathiebeweise bringen und die Aufmerksamkeit des »englischen Snob« auf noch nicht von uns geschilderte Snob-Arten lenken. »Wo bleiben Ihre Theater-Snobs, wo Ihre Kaufmanns-Snobs, Ihre medizinischen und chirurgischen Snobs, Ihre Beamten- und Juristen-, Ihre Künstler-, Ihre Musik- und Sport-Snobs?« schreiben mir meine verehrten Leser. »Sie werden doch zweifellos nicht die Kanzlerwahl in Cambridge versäumen und es nicht unterlassen, den Kathedergewaltigen etwas am Zeuge zu flicken, die mit dem Hut in der Hand einen jungen Prinzen von sechsundzwanzig Jahren anflehen, Ehrendoktor ihrer berühmten Universität zu werden?« So schreibt mir ein Freund, auf dessen Siegel das Wappen des »Cam- und Isis-Club« zu sehen ist. »Bitte, bitte«, ruft ein anderer, »jetzt, wo die Opernsaison beginnt, halten Sie uns doch eine Vorlesung über Omnibus-Snobs.« Gewiß, ich schriebe gar zu gern ein Kapitel über die Kathedergewaltigen und ein zweites über die snobhaften Dandys. Auch meiner teuren Theater-Snobs denke ich in Schmerzen, und auch von einigen snobhaften Künstlern kann ich mich nur schwer losreißen, denn ich beabsichtige schon lange, mit ihnen ein Hühnchen zu rupfen.

Was habe ich aber wohl für einen Grund, dies noch hinauszuschieben? Wenn ich glücklich mit den eben erwähnten Arten fertig wäre, so würden sofort wieder Snobs auftauchen. Das gäbe also eine Arbeit ohne Ende, die ein einzelner gar nicht fertigbringen könnte. Hier sind nur geringfügige Bausteine und eine ganze Pyramide müßte gebaut werden. Daher ist es wirklich am besten, ich höre auf. So wie Jones immer dann aus dem Zimmer geht, wenn er einen guten Witz gemacht hat, so wie Cincinnatus und General Washington sich auf dem Gipfel ihrer Popularität in das Privatleben zurückzogen – wie Prinzgemahl Albert, der den Grundstein zum Börsengebäude legte, den weiteren Bau aber den Maurern überließ und sich dann nach Hause zu seinem königlichen Diner verfügte – wie der Dichter Bunn erst am Ende der Saison den Hervorrufen auf der Bühne Folge leistet und mit unbeschreiblich überschwenglichen Gefühlen seine »lüüben« Freunde jenseits der Rampenlichter segnet – so, meine lieben Freunde, sagt »der englische Snob« im Hochgefühl seiner Eroberungen und im Glanze seines Sieges unter dem Beifallsgetose der Menge – als ein Triumphator zwar, aber dennoch bescheiden – euch Lebewohl.

Aber nur für eine Saison, nicht auf ewig. Nein, nein. Es gibt einen berühmten Schriftsteller, den ich sehr verehre – der seit zehn Jahren in jeder seiner Vorreden sich von seinem Lesepublikum verabschiedet und der doch immer zu aller Freude wieder mit einem neuen Werke herauskommt. Wie kann er es übers Herz bringen, so oft Adieu zu sagen? Daß Bunn bewegt ist, wenn er das Volk segnet, glaube ich gern; denn Scheiden tut immer weh. Selbst ein Familienekel ist einem schließlich teuer. Wäre es mir doch selbst schmerzlich, Jawkins zum letzten Male die Hand schütteln zu sollen. Ich glaube sogar, daß es einem gemütvollen Sträfling, der am Ende seiner Verbannungszeit in die Heimat zurückkehren darf, etwas trübselig zumute sein muß, wenn er von Vandiemensland Abschied nimmt. Wenn der Vorhang nach der letzten Vorstellung einer Pantomime heruntergelassen wird, ist es dem armen alten Hanswurst sehr traurig zumute, dessen darf man gewiß sein. Aber ha! mit welcher Freude stürzt er am Abend des nächsten sechsundzwanzigsten Dezember auf die Bühne und ruft sein »Wie geht es euch? – Wir sind wieder da!« Doch ich werde sentimental – kehren wir also wieder zu unserer eigentlichen Aufgabe zurück.

Das Nationalgefühl regt sich und beschäftigt sich mit den Snobs. Das Wort Snob hat in unserem braven englischen Wörterbuche Aufnahme gefunden. Vielleicht ist es nicht möglich, den Sinn des Wortes erschöpfend genug zu erklären. Wir können es ebensowenig definieren wie die Begriffe Witz, Humor und Humbug. Trotzdem verstehen wir es aber. Vor einigen Wochen hatte ich das Glück, an einer gastlichen Tafel neben einer jungen Dame zu sitzen. Der alte Jawkins hielt wie gewöhnlich eine seiner blöden und hochtrabenden Reden, und ich schrieb auf das blütenweiße Damasttischtuch »S– –B«, indem ich meine Nachbarin hierauf aufmerksam machte.

Die junge Dame lächelte und wußte sofort, was ich meinte. Im Geist füllte sie die beiden Buchstaben aus, die ich mit andeutender Zurückhaltung verheimlicht hatte, und ich las in ihrem zustimmenden Blick, daß sie mich verstanden hatte und daß auch nach ihrer Meinung Jawkins ein Snob wäre. Es ist zwar richtig, daß man die Damen nur schwer dazu bewegen kann, das Wort anzuwenden, aber es ist auch unleugbar, daß ihr kleiner lächelnder Mund einen allerliebsten Ausdruck annimmt, wenn sie es aussprechen. Sollte eine junge Dame daran zweifeln, so möge sie nur auf ihr Zimmer gehen und vor dem Spiegel das Wort »Snob« sagen. Wenn sie diesen einfachen Versuch macht, so wette ich meinen Kopf, sie wird lächeln und zugeben, daß das Wort ihrem Munde reizend steht. Es ist ein hübsches, kleines, rundes, ganz aus weichen Buchstaben bestehendes Wort mit einem Zischlaut vorn, der es darum nur noch pikanter zu machen geeignet ist.

Unterdessen fährt Jawkins in seiner holprigen, prahlenden und langweiligen Redeweise fort, ohne sich seiner Wirkung nur im geringsten bewußt zu sein. Und so wird er sein ganzes Leben lang quasseln und eselhaft schreien, zum mindesten aber so lange, wie er noch Zuhörer findet. Durch keine Macht der Satire kann man die Natur des Menschen und der Snobs ändern, ebensowenig wie man aus einem Esel dadurch ein Zebra machen kann, daß man seinen Rücken mit Streifen bemalt.

Aber wir können unsere Umgebung warnend darauf hinweisen, daß die Person, die sie und Jawkins so bewundern, ein Betrüger ist. Wir können ihn dazu bringen, daß er sich selbst als Snob zu erkennen gibt, und ihn auf die Probe stellen, ob er ein eingebildeter Schwätzer, ob seine zur Schau getragene tiefe Demut echt ist, ob seine Unbarmherzigkeit und sein Stolz wirklich nur einem beschränkten Geiste entspringen. Wie ist sein Verhalten einem großen Manne gegenüber – wie behandelt er einen unter ihm Stehenden? Wie benimmt er sich in der Gegenwart Seiner Hoheit des Herzogs und wie in der des Krämers Smith?

Mir scheint es aber, als ob der ganzen englischen Gesellschaft durch die Anbetung des Mammons, der sie frönt, ein Kainszeichen aufgedrückt ist; also daß wir, die Niedrigsten wie die Höchsten, auf der einen Seite kriechen, uns bücken und speichellecken, auf der anderen unsere Mitbrüder schlecht behandeln und verachten.

Meine Frau spricht mit großer Zurückhaltung – »Selbstgefühl« nennt sie es – mit der Frau unseres Nachbarn, des Krämers; und sie, ich meine Mrs. Snob – Eliza – würde ihr Auge darum geben, wenn sie wie ihre Kusine, die Frau des Kapitäns, hoffähig wäre. Sie – wiederum sie – ist eine treue Seele, es verursacht ihr aber Herzensangst, wenn sie gestehen muß, daß wir in der Upper Thomson Street, Somer's Town, wohnen. Und obwohl ich glaube, daß Mrs. Whiskerington im Grunde ihres Herzens uns wohlgesinnter ist als ihren Vettern, den Smigsmags, so sollten Sie nur einmal hören, wie sie von Lady Smigsmag – »und ich sagte zu Sir John: ›mein lieber John‹« – und von dem ganzen Smigsmagschen Hause und den Gesellschaften auf der Hyde-Park-Terrasse schwärmt.

Wenn Lady Smigsmag, die mit unserer Familie, wie man zu sagen pflegt, durch einen Scheffel Erbsen verwandt ist, meine Eliza trifft, so hält sie ihr einen Finger hin, den es meiner Frau gnädigst erlaubt ist, in der denkbar herzlichsten Weise zu drücken. Aber dagegen sollten Sie einmal das Benehmen der gnädigen Frau sehen, wenn sie bei einer ihrer erstklassigen Dinergesellschaften Lord und Lady Langohr begrüßt!

Ich kann sie nicht länger ertragen, diese diabolische Erfindung der Standesunterschiede, welche jede natürliche Freundlichkeit und treue Freundschaft tötet. Selbstgefühl – o Himmel! Rang und Vortritt – Gott soll mich bewahren! Die Rang- und Standesliste ist eine Lüge und wert, ins Feuer geworfen zu werden. Rang und Vortritt zu regeln: das war eine Aufgabe, würdig eines Zeremonienmeisters verflossener Jahrhunderte!

Erscheine, großer Marschall, und regle die Gleichheit in der Gesellschaft; dein Stab wird dann die gleisnerischen, alten goldenen Hof-Stecken hinwegfegen! Wenn das nicht so wahr ist wie das Evangelium – wenn die Welt nicht gerade danach lechzte – wenn die Anbetung des Erbadels nicht ein Humbug und ein Götzendienst ist – dann laßt uns die Stuarts wieder zurückholen und der freien Presse die Ohren am Pranger abschneiden!

Wenn mich je wieder die mit uns vervetterten Smigsmags mit Lord Langohrs einladen, so möchte ich nach Tische eine Gelegenheit wahrnehmen, um ihm in der höflichsten Weise von der Welt zu sagen: »Sir, das Schicksal schenkt Ihnen jährlich etliche tausend Pfund. Die unvergleichliche Weisheit unserer Voreltern hat Sie als Führer und erblichen Gesetzgeber über mich gestellt. Unsere bewunderungswürdige Verfassung (der Stolz der Briten und der Neid aller umliegenden Nationen) zwingt mich, Sie als meinen Ältesten, Vorgesetzten und Vormund anzuerkennen. Ihr ältester Sohn, Fitz Heehaw, ist eines Sitzes im Parlament sicher; Ihre jüngeren Söhne, die de Brays, werden sich bescheidentlich mit dem Range eines Vizekapitäns und Oberstleutnants begnügen, oder sie werden uns an auswärtigen Höfen vertreten oder auch eine gute Pfründe annehmen, vorausgesetzt, daß sie ihnen paßt. Diese Stellen, so spricht es unsere bewunderungswürdige Verfassung (der Stolz und der Neid usw. usw.) aus, sind Ihnen vorbehalten, ohne Ihre Dummheit, Ihre Laster, Ihren Eigennutz oder auch nur Ihre gänzliche Unfähigkeit und Torheit in Erwägung zu ziehen. Dumm, wie Sie sein mögen (und wir haben ebensosehr das Recht, anzunehmen, daß Mylord ein Esel, wie andererseits, daß er ein erleuchteter Patriot ist) – so dumm, sage ich, wie Sie auch sein mögen, so wird Sie doch niemand einer so unglaublichen Torheit für fähig halten, um anzunehmen, daß Sie sich gleichgültig dem Glück gegenüber verhalten, das Sie besitzen, oder daß Sie gar Neigung haben sollten, darauf zu verzichten. Nein – und als gute Patrioten würden selbst unter glücklicheren Verhältnissen auch Smith und ich, wenn wir Herzöge wären, zu unseren Standesgenossen halten.«

Wir würden uns darein ergeben, daß wir eine hohe Stellung einnehmen. Wir würden uns mit jener bewunderungswürdigen Verfassung (dem Stolz und dem Neid usw. usw.), die uns zu den Herren der Welt und der unter uns Stehenden macht, zufrieden erklären; insbesondere würden wir nicht an dem Begriff der erblichen Standesrechte rühren, der zuwege bringt, daß so viele Menschen vor uns kriechen. Möglicherweise würden auch wir uns um die Korngesetze scharen und gegen die Reform-Bill Opposition machen. Wir würden lieber sterben, als die Akte gegen die Katholiken und die Dissidenten zu widerrufen; auch wir würden es vermöge unseres edlen Systems der Klassengesetzgebung fertiggebracht haben, Irland in seine jetzige bewunderungswürdige Lage zu versetzen.

Bis jetzt sind aber Smith und ich noch keine Earls. Wir sind daher auch nicht der Ansicht, daß es zum Besten der Armee Smiths sein kann, wenn der junge de Bray mit fünfundzwanzig Jahren Oberst werden würde – und daß es weder im Interesse der diplomatischen Beziehungen Smiths liegt, wenn Lord Langohr als Gesandter nach Konstantinopel ginge, noch in dem unserer inneren Politik, daß Langohr seine erblichen Fühler auch dahinein steckte.

Dieses Dienern und Kriechen hält Smith für das Werk der Snobs. Und er wird alles tun, was in seiner Macht und Kraft liegt, um selbst ein Snob zu werden, damit er sich nicht länger den Snobs zu unterwerfen nötig hat. Zu Langohr wird er sagen: »Wir sehen jetzt endlich ein, Langohr, daß wir ebenso gut sind wie Sie. Wir schreiben sogar richtiger und denken mindestens ebenso folgerichtig wie Sie. Wir wollen Sie nicht als unseren Herrn anerkennen und nicht mehr Ihre Stiefel wichsen. Das lassen Sie Ihre Diener tun, die dafür bezahlt werden; und der Reporter, der zu Ihnen kommt, um die Liste der Gäste, die zu Ihren Festen oder Déjeuners dansants nach Haus Langohr geladen sind, zu erfahren, erhält dafür sein Zeilenhonorar von der Zeitung. Was aber uns betrifft, mein alter Langohr, so sind wir Ihnen für nichts zu Dank verpflichtet, und wir wünschen Ihnen auch nicht mehr zu bezahlen, als wir Ihnen schuldig sind. Wir werden unsere Hüte vor Wellington abnehmen, weil er Wellington ist, aber vor Ihnen – wer sind Sie eigentlich?«

Ich haben die Hofberichte gründlich satt; die im vornehmen Jargon abgefaßten Nachrichten verursachen mir Übelkeit. Worte wie »fashionable«, »exklusiv«, »aristokratisch« und ähnliches halte ich für gottlose, unchristliche Beiworte, die aus anständigen Wörterbüchern verbannt werden sollte. Eine Hofrangordnung, die geniale Männer an einen Nebentisch setzt, halte ich für eine snobhafte Rangordnung. Eine Gesellschaft, die gesittet sein will und Künste und Wissenschaften verachtet, halte ich für eine snobhafte Gesellschaft. Du, der du deinen Nächsten verachtest, bist ein Snob; du, der du deine eigenen Freunde verleugnest, nur aus dem Grunde, um Höhergestellten nachzulaufen, bist ein Snob! Du, der du dich deiner Dürftigkeit schämst und über deinen Beruf errötest, bist ein Snob; und ebenso du, der du dich deiner Herkunft rühmst oder auf deinen Reichtumm stolz bist.

Mr. Punchs Beruf ist es, Leute dieses Schlages zu verlachen. Möge sein Lachen maßvoll sein, möge er nie einen Schlag aus dem Hinterhalt führen, und möge er stets, selbst wenn er seine Miene zum spöttischen Grinsen verzieht, die Wahrheit sagen – möge er aber auch nie vergessen, daß Spott zwar gut, die Wahrheit jedoch besser und die Liebe das allerbeste ist.


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