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Habe ich da doch eine ziemliche Menge Vorwürfe deshalb über mich ergehen lassen müssen, weil ich Monarchen, Prinzen und den löblichen Adel in die Kategorie der Snobs eingereiht habe. In diesem Kapitel hoffe ich aber jedermann zufriedenzustellen, indem ich konstatiere, daß gerade unter den achtbaren Klassen unseres großen und glücklichen Reiches der größte Überfluß an Snobs zu finden ist. Ich gehe meine geliebte Baker Street entlang (ich schreibe gerade die Biographie Bakers, des Begründers dieser berühmten Straße), weiter durch die Harley Street (wo an jedem zweiten Haus eine Erinnerungstafel angebracht ist), durch Wimpole Street, die so lieblich ist wie die Katakomben, nämlich ein altersgraues Mausoleum des Adels. Ich durchstreife die Umgegend des Regent Parkes, wo an den anliegenden Häusern der Gips schadhaft ist, wo Methodistenprediger auf den grünen Plätzen vor drei oder vier Kindern predigen, wo aufgeschwemmte Reiter um ihrer Gesundheit willen im einsamen Schmutze galoppieren. Ich schlängele mich durch die Zickzackwege von May Fair, wo man Mrs. Kitty Lorimers Einspänner dicht neben der wappengeschmückten Familienkutsche der alten Lady Lollipop fahren sehen kann. Ich schlendere durch Belgravia, diesen farblos feinen Bezirk, wo alle Bewohner steif und korrekt aussehen und die Häuser mit einer matten bräunlichweißen Farbe gestrichen sind. Ich verliere mich in die neuen Plätze und Terrassen des funkelnagelneuen Bayswater- und -Tyburn-Junction-Straßenzuges, und überall in all diesen verschiedenen Stadtvierteln überkommt mich stets dieselbe Wahrheit. Zufällig bleibe ich vor einem Hause stehen und sage: »O Haus, du wirst bewohnt – o Türklopfer, an dich wird geklopft – o du noch nicht in Livree steckender Lakai, der du deine faulen Waden sonnst, indem du dich an dieses Eisengitter lehnst – du wirst bezahlt von Snobs.« Es ist ein schrecklicher Gedanke, den auszudenken ein wohlgesinntes Gemüt beinahe zum Wahnsinn treiben könnte, nämlich, daß vielleicht auch nicht eins unter zehn Häusern zu finden wäre, in dem nicht im Empfangszimmer der Adelskalender ausläge. Wenn ich an den Kummer denke, den dieses törichte, lügnerische Buch verursacht, möchte ich gern sämtliche Exemplare verbrennen, so wie der Barbier im Don Quijote dessen verrückte Rittergeschichten verbrannte.
Seht euch einmal jenes große Haus mitten auf dem Platze an. Hier wohnt der Earl von Loughcorrib. Er hat eine Rente von 50 000 Pfund jährlich. Ein déjeuner dansant, das vorige Woche im Hause abgehalten wurde, hat wer weiß was gekostet. Die Zimmerdekoration und die Buketts für die Damen allein 400 Pfund. Der Mann in grauen Beinkleidern, der weinend die Treppe herunterkommt, ist ein Gläubiger. Lord Loughcorrib hat ihn ruiniert und läßt ihn nicht mehr vor; nun guckt seine Lordschaft durch die Vorhänge seines Arbeitszimmers ihm nach. Geh deiner Wege, Loughcorrib, du bist ein Snob, ein Tartüff der Gastfreundschaft, du bist ein Schuft, der gefälschte Anweisungen auf die Gesellschaft in Umlauf setzt; aber genug, ich werde zu redselig.
Ihr seht das schöne Haus Nr. 23, wo der Schlächterjunge an der Kellerklingel läutet. Er hat drei Hammelkoteletts in seiner Mulde. Sie sind zum Mittagessen für eine sehr achtbare Familie bestimmt! Für Lady Susan Scraper und ihre Töchter Miß Scraper und Miß Emily Scraper. Die Dienstboten haben sich zu ihrem Glück auf Kostgeld verdungen. Es sind zwei Diener in lichtblauen und kanariengelben Livreen. Ein dicker, stämmiger Kutscher, der Methodist ist, und ein Tafeldecker, der schon lange nicht mehr bei der Familie geblieben sein würde, wenn er nicht Ordonnanz beim General Scraper gewesen wäre, als er sich bei Walcheren Tobago so sehr auszeichnete. Die Witwe stiftete dem »Klub alter Kampfgenossen« sein Porträt, wo es in einem der hinteren Toilettenräume aufgehängt wurde. Er ist dargestellt, am Fenster seines Arbeitszimmers stehend, im Hintergrunde werden aus einer Art Wirbelwind Kanonen abgefeuert. Er zeigt auf eine Karte, auf welcher die Worte »Walcheren Tobago« stehen.
Lady Susan ist, wie jedermann in der »Britischen Bibel« nachlesen kann, eine Tochter des bereits erwähnten großen und guten Earl Bagwig. Sie hält jedes ihr gehörige Stück für das größte und schönste der Welt. Die vornehmsten Leute, die es gibt, sind die Buckrams, ihr eigenes Geschlecht; ihnen im Rang folgen die Scrapers. General Scraper war der größte und beste General. Gegenwärtig ist sein ältester Sohn der größte und beste; sein zweiter Sohn ist der nächstgrößte und nächstbeste. Sie selbst ist eine Musterfrau.
Sie ist auch wirklich eine hochachtbare und ehrwürdige Dame. Sie geht natürlich zur Kirche und würde die Kirche in Gefahr glauben, wenn sie es unterließe. Sie ist Mitglied verschiedener Wohltätigkeitsanstalten und ist auch Vorsitzende mehrerer solcher Vereine, die einen ausgesprochen kirchlichen Charakter haben: zum Beispiel vom Königin-Charlotte-Wöchnerinnenheim, von dem Asyl für Waschfrauen, vom britischen Heim für Trommlerstöchter usw. usw. Sie ist das Vorbild einer vornehmen alten Dame.
Kein Kaufmann kann ihr nachsagen, daß sie nicht noch jedes Vierteljahr pünktlich ihre Rechnungen bezahlt hätte. Die Bettler der Nachbarschaft meiden sie wie die Pest; denn wenn sie unter dem Schutze von Johann ausgeht, hat dieser Diener stets zwei oder drei Arbeitsnachweise bei sich. Zehn Pfund im Jahr kostet sie ihre ganze Wohltätigkeit. Keine andere vornehme Dame in ganz London wird für dieses Geld so oft ihren Namen gedruckt lesen können.
Diese drei Hammelkoteletts, welche man in der Küche verschwinden sah, werden heute abend um sieben Uhr auf dem Familiensilber angerichtet werden, in Anwesenheit des großen Dieners und des schwarzgekleideten Tafeldeckers, und die Helmzier und das Wappen der Scrapers werden überall glänzen. Ich habe Mitleid mit Miß Emily Scraper, sie ist noch jung – jung und hungrig. Ist es wahr, daß sie ihr Taschengeld für Semmeln ausgibt? Böswillige Zungen behaupten es, aber sie kann nur sehr wenig für Semmeln ausgeben, diese hungrige Seele! Denn in der Tat – wenn die Diener und Kammerjungfern und die gemieteten dicken Kutschgäule und die sechs Diners in der Saison und die zwei Abendgesellschaften und die Miete für das große Haus und die Reise in ein englisches oder ausländisches Bad bezahlt sind, dann ist das Einkommen unserer Dame auf eine winzige Summe zusammengeschmolzen, und sie ist so arm wie Sie oder ich.
Sie würden es nicht glauben, wenn Sie ihre große Karosse bei Hofempfängen vorfahren sähen und dabei einen Schimmer ihrer Federn, Schleifen und Diamanten erhaschten, die über dem rötlichen Haar und der Habichtsnase wogen. Sie würden es nicht glauben, wenn Sie gegen Mitternacht »Lady Susan Scrapers Wagen« ausrufen hörten, so daß ganz Belgravia gestört wird. Sie würden es nicht glauben, wenn sie in die Kirche rauscht, hinter ihr der gehorsame Johann mit den Gebetbüchern. Ist es möglich, würden Sie sagen, daß eine so große und ehrwürdige Dame sich in Geldklemme befindet!? Ach Gott, und doch ist es so. Ich wette, daß sie nie ein Wort wie Snob in dieser gottlosen und gemeinen Welt gehört hat. Aber, o Stern- und Hosenbandorden, wie würde sie auffahren, wenn sie es hörte, daß sie, die so würdevoll wie Minerva, so keusch wie Diana ist (aber ohne ihre heidnischgöttliche und nicht damenhafte Neigung für den Jagdsport), daß sie gleichwohl ein Snob ist.
Sie ist ein Snob, solange sie diese übertriebene Wertschätzung für ihre eigene Person, ihren Namen und ihre äußere Erscheinung hat und dieser unerträglichen Prahlerei frönt, solange wie sie, nur um wie Salomo sich in ihrem Glanze zu sonnen, auf Reisen geht, solange wie sie, woran ich fest glaube, mit einer Hofschleppe am Nachtgewande und einem Turban aus Paradiesvögeln zu Bett geht; solange wie sie so unerträglich tugendhaft und herablassend ist und solange wie sie nicht mindestens einen ihrer Diener zum Wohle für ihre Töchter zu Hammelkoteletts verarbeiten läßt.
Die Kenntnis von all diesem verdanke ich meinem alten Schulkameraden, ihrem Sohne Sydney Scraper, einem Hofgerichtsadvokaten ohne jede Praxis, dem friedfertigsten, höflichsten und liebenswürdigsten aller Snobs, der niemals über sein Einkommen von 200 Pfund jährlich hinaus gelebt hat und der jeden Abend im »Oxford- und Cambridge-Club« zu finden ist, wo er stumpfsinnig die »Quarterly Review« liest und sich am harmlosen Genuß eines Schoppens Portwein erfreut.