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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Ein Besuch bei einigen Snobs auf dem Lande

O nein, an der Mahlzeit, zu der wir uns hinsetzten, will ich nicht zu strenge Kritik üben. Der Tisch eines Gastfreundes ist mir unverletzlich. Aber das eine darf ich wohl sagen, daß ich lieber Sherry als Marsala trinke, wenn ich ihn haben kann, und zweifellos war es der letztere, den ich vor Tische hatte aufziehen hören. Er war zwar nicht von der besten Sorte, indessen schien die Majorin Ponto den Unterschied zwischen den Weinsorten überhaupt nicht zu kennen, da sie ihn konsequent während der ganzen Mahlzeit Amontillado nannte, auch nur ein halbes Glas davon trank, so daß der Rest für den Major und seinen Gast übrigblieb.

Stripes bediente in der Livree des Pontoschen Hauses, die, zwar etwas schäbig schon, doch von übertriebener Eleganz strotzte und mit einer Menge kostbarer Schnüre und übergroßer Wappenknöpfe besetzt war. Die Hände des braven Burschen waren, wie ich bemerkte, sehr groß und schmutzig, auch durchzog ein leichter, von ihm ausgehender Stallduft das Zimmer, wenn er, um anzubieten, hin und her ging. Ich würde zwar ein sauberes Hausmädchen vorgezogen haben, aber die Ansichten der Londoner sind in dieser Beziehung vielleicht ein wenig zu scharf, denn ein treuer Diener ist, alles in allem genommen, doch vornehmer.

Nach der Zusammenstellung der Mahlzeit zu schließen, die aus Mockturtlesuppe (aus Schweinskopf bereitet), aus Schweinebraten und aus gerösteten Schweinerippchen bestand, mußte kurz vor meiner Ankunft wohl eins der schwarzen Hampshire-Borstentiere geopfert worden sein. Es war ein ausgezeichnetes und gut zubereitetes Essen, das gewiß nur durch seine Einförmigkeit etwas beeinträchtigt wurde. Eine ähnliche Erfahrung machte ich auch am folgenden Tage.

Während des Essens richtete Mrs. Ponto eine Menge Fragen an mich, die meine adligen Verwandten betrafen. »Wann Lady Angelina Skeggs in die Gesellschaft eingeführt werden würde, und ob die Gräfin, ihre Mama (das sagte sie unter Kichern mit viel Schalkhaftigkeit) noch immer ihre unnatürlich rote Hautfarbe trüge? Ob Mylord Guttlebury außer seinem französischen Küchenchef und seinem englischen Bratenwender sich noch einen Italiener für die Konfitüren hielte? Wer auf Lady Clapperclaws Jours zu sehen sei? Und ob die Donnerstag-Déjeuners bei Sir Champignon amüsant wären? Und ob es wahr wäre, daß Lady Carabas beim Versetzen ihrer Diamanten hätte erfahren müssen, daß sie unecht seien und der Marquis die echten Steine bereits vorher verkauft habe? Aus welchem Grunde der große Tabakhändler Snuffin die Verlobung seiner zweiten Tochter aufgehoben habe, und ob es wahr sei, daß eine Mulattin aus Havanna gekommen wäre, die gegen die Verbindung Einspruch erhoben hätte?«

»Auf mein Wort, gnädige Frau«, begann ich und wollte fortfahren, daß ich auch nicht eine Silbe von all den Sachen wüßte, die Mrs. Ponto so zu interessieren schienen, als der Major mich unter dem Tisch mit seinen großen Füßen trat oder vielmehr stampfte und sagte: »Machen Sie keine Ausflüchte, mein alter Snob, wir wissen alles, wir wissen, daß Sie einer der vornehmsten Leute in London sind, wir lesen, daß Sie auf Lady Clapperclaws Soireen und den Déjeuners von Champignon waren, und was die Rubadubs betrifft, so werden Sie bei ihnen als Verwandten natürlich ...«

»Ja, natürlich, ich bin zweimal wöchentlich bei ihnen zu Tisch«, fiel ich ein, denn ich erinnerte mich, daß mein Vetter Humphry Snob von den Mittleren Templern ein eifriger Besucher vornehmer Gesellschaften war und daß ich oft seinen Namen in der »Morning Post« ganz am Ende der Teilnehmerliste verschiedener Gesellschaften gelesen hatte. Ich schäme mich zu gestehen, daß ich den Wink benutzte und Mrs. Ponto mit ziemlich reichlicher Auskunft über die ersten englischen Familien versorgte, die jene hohen Herrschaften in Verwunderung versetzt haben würde, wenn sie sie hätten hören können. Ich beschrieb ihr ganz genau die drei herrschenden Schönheiten auf den Almack-Bällen der letzten Saison, erzählte ihr im Vertrauen, daß Seine Hoheit der D*** von W*** sich am Tage nach der Enthüllung seines Denkmales verheiraten wolle; daß Seine Hoheit der D von D gleichfalls im Begriff stünde, die vierte Tochter des Erzbischofs Stephan zu Hymens Altar zu führen – kurz, ich erzählte ihr genau in dem Stil der letzten Novellen Gores.

Die Frau Majorin war entzückt von meiner glänzenden Unterhaltung. Sie fing an, mir französische Allerweltsbrocken vorzureiten, wie es in den Novellen geschieht, warf mir sehr graziös eine Kußhand zu und sagte mir, als sie wie eine ältliche Fee hinaustrippelte, ich möchte bald zum »Kaffy« in den »Salong« kommen, wo »öng pö de Musick« gemacht würde.

»Soll ich eine Flasche Portwein aufziehen, oder trinken Sie lieber auch so was wie Genever mit Wasser?« fragte Ponto und warf mir einen kläglichen Blick zu. Das klang ja ganz anders, als ich nach seinen Gesprächen im Rauchzimmer des Klubs hatte vermuten können. Dort pflegte er mich auf die Schulter zu klopfen und zu sagen: »Kommen Sie nur erst einmal nach Mangelwurzelshire, mein lieber Snob, da sollen Sie Jagden erleben und einen so wunderbaren Rotspon bekommen, wie es in der ganzen Grafschaft so leicht keinen gibt.« – »Schön«, sagte ich, »ich trinke lieber Genever als Portwein und noch lieber Gin.« Das war ein Glück. Denn es gab Gin, und Stripes brachte heißes Wasser auf einem prächtigen neusilbernen Teebrett.

Das Klimpern einer Harfe und eines Klaviers ließen bald erkennen, daß Mrs. Pontos »öng pö de Musick« angefangen hatte, und der Stallduft, der nun wieder in der Person von Stripes ins Zimmer drang, forderte uns auf, dem »Kaffy« und dem kleinen Konzert näherzutreten. Mrs. Ponto nötigte mich mit einem gewinnenden Lächeln auf das Sofa, auf dem sie mir Platz machte und von wo wir eine schöne Aussicht auf die Rückseiten der jungen Damen hatten, die für die musikalische Unterhaltung sorgten. Wirklich, es waren sehr breite Hinterfronten, genau nach der gegenwärtig neuesten Mode, denn Krinolinen, oder was sonst deren Stelle vertritt, sind kein kostspieliger Luxus, und junge Damen auf dem Lande können es sich leisten, diese Mode mit sehr geringen Ausgaben mitzumachen. Miß Emily am Klavier und ihre Schwester Maria an der Harfe, die sich ja schon etwas überlebt hat, waren in hellblauen Kleidern, die sich heftig bewegten und bauschten wie Greens gefüllter Luftballon.

»Was für einen wundervollen Anschlag Emily hat – und welch schönen Arm Maria«, bemerkte Mrs. Ponto in guter Laune, indem sie die Vorzüge ihrer Töchter herausstrich und ihren eigenen Arm so hin- und herbewegte, als ob sie nicht wenig Genugtuung über die Schönheit dieses Gliedes empfände. Ich bemerkte, daß sie neun mit Sicherheitsschlössern versehene Armbänder trug, deren Anhängsel das Miniaturbild des Majors enthielten, außerdem schlängelten sich Messingschlangen in unzähligen Windungen mit feurigen Rubin- oder sanften Türkishaufen bis zu ihrem Ellenbogen herauf.

»Erinnern Sie sich an diese Polkas? Sie wurden am 23. Juli, dem Tage der großen Fête in Devonshire-House, gespielt?« »Ja«, sagte ich wiederum, »ich kenne sie genau«, und fing an, den Kopf zu wiegen, als ob ich diese alten Bekannten wiedererkannt hätte.

Als ihr Musikprogramm erledigt war, hatte ich das Glück, den beiden langen und mageren Misses Ponto vorgestellt zu werden und mich mit ihnen zu unterhalten, während sich nun ihre Gouvernante, Miß Wirt, an das Klavier setzte, um uns mit Variationen über das Thema »Nun wollen wir mal die Treppe raufgehn« zu ergötzen. Sie hielten also wirklich gleichen Schritt mit der Mode.

Für den Vortrag des die »Treppe-rauf-Gehens« habe ich keine andere Bezeichnung, als daß er verblüffend war. Zuerst holte Miß Wirt die originelle und schöne Melodie, so wie sie wirklich war, mit viel Hingebung aus dem Instrument heraus und hackte jede Note so scharf abgerissen und laut ab, daß es Stripes im Stall sicherlich gehört haben muß.

»Sehen Sie nur ihre Finger«, sagte Mrs. Ponto, und wahrhaftig, sie hatte Finger so dick wie Truthahnbeine und so lang, daß sie die ganze Klaviatur umspannen konnten. Als sie die Melodie langsam heruntergepaukt hatte, fing sie an, auf eine andere Weise »die Treppe raufzugehen«, und tat es mit geradezu unglaublicher Raserei und Schnelligkeit, sie wirbelte die Treppen rauf, sie galoppierte die Treppen rauf, sie rasselte die Treppen rauf, und als sie endlich die Melodie nach oben gebracht hatte, drehte sie sie wieder um und eilte mit ihr quietschend bis in den Hausflur runter, wo sie gleichsam mit einem Krach, ganz erschöpft durch die atemlose Hast des Runtersteigens, umfiel. Darauf spielte Miß Wirt »das Treppen-rauf-Gehen« mit der pathetischsten und berückendsten Feierlichkeit. Klägliches Stöhnen und Schluchzen drang aus den Tasten, und man weinte und zitterte, wenn man »die Treppen rauf« ging. Die Hände der Miß schienen in den Variationen zu ermatten, zu jammern und zu sterben, dann kamen sie wieder mit einem wilden Schrei und Trompetengeschmetter zu sich, als ob Miß Wirt eine Bresche stürmen wollte. Obgleich ich nichts von Musik verstehe, saß ich mit offenem Munde da und lauschte diesem wundervollen Spiel so andächtig, daß der »Kaffy« kalt wurde, und ich wunderte mich, daß die Fenster nicht platzten und der Kronleuchter beim Dröhnen dieses an ein Erdbeben gemahnenden Musikstücks nicht von der Decke fiel.

»Ein großartiges Geschöpf! Nicht wahr?« sagte Mrs. Ponto, »die Lieblingsschülerin von Squirtz – unschätzbar, solch ein Wesen zu haben! Lady Carabas würde ihre Augen um ihren Besitz hergeben, ein Wunder von Ausbildung! Vielen Dank, Miß Wirt.« Die beiden jungen Damen holten Luft und stießen einen Seufzer der Bewunderung aus, und es war ein überschwenglicher Klang aus tiefster Seele, wie man ihn nur in der Kirche zu hören bekommt, wenn der Prediger eine eindrucksvolle Kunstpause macht.

Miß Wirt schlang ihre beiden überknochigen Hände um die Taillen ihrer beiden Schülerinnen und sagte: »Meine lieben Kinder, ich hoffe, ihr werdet bald imstande sein, das Stück ebenso gut zu spielen wie eure arme kleine Gouvernante. Als ich bei den Dunsinanes war, war es das Lieblingsstück der teuren Herzogin, und Lady Barbara und Lady Jane Macbeth mußten es lernen. Ich erinnere mich, daß Lord Castletoddy sich in sie verliebte, als er es zum ersten Male von ihr spielen hörte. Und obwohl er nur ein irischer Pair mit nicht mehr als fünfzehntausend Pfund Jahreseinkommen war, überredete ich Jane doch, ihn zu nehmen. Kennen Sie Castletoddy, Mr. Snob? Runde Türme – süßes Besitztum in der Grafschaft Mayo. Der alte Lord Castletoddy (der jetzige Lord hieß damals Lord Inishowan) war ein sehr exzentrischer alter Herr – es hieß sogar, er wäre verrückt. Ich hörte Seine Königliche Hoheit, den armen Herzog von Sussex (welch ein Mann, meine Lieben, aber ach, dem Rauchen ergeben) – – ich hörte Seine Königliche Hoheit zu dem Marquis von Anglesea sagen, ›ich glaube wirklich, Castletoddy ist verrückt!‹ Aber Inishowan war es gewiß nicht, als er meine süße Jane heiratete, obgleich das liebe Kind nur ihre zehntausend Pfund ›pour tout potage‹ hatte.«

»Eine ganz unschätzbare Person«, flüsterte mir die Majorin Ponto zu, »hat in der allerhöchsten Gesellschaft gelebt.« Und ich, der ich es zu sehen gewohnt war, daß Gouvernanten in der Welt beiseite geschoben werden, war entzückt, eine zu finden, die die Situation beherrschte und vor der sich selbst die majestätische Ponto beugte.

Mein Licht war, wie man zu sagen pflegt, auf einmal verlöscht. Gegenüber einer Dame, die mit einer Herzogin aus dem roten Buch intim war, wagte ich meinen Mund nicht zu öffnen. Sie war zwar keine Rosenknospe, hatte aber neben einer gestanden. Sie hatte ihre Schultern an denen der Großen dieser Welt gerieben, und über diese sprachen wir nun unaufhörlich, den ganzen Abend, und über das, was vornehm ist, und über den Hof, bis es endlich Zeit wurde, ins Bett zu gehen.

»Gibt es Snobs in diesem Paradies?« rief ich aus, als ich in das lavendelduftende Bett sprang. Das Schnarchen Pontos aus dem Schlafzimmer nebenan dröhnte mir als Antwort.


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