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Fünfunddreißigstes Kapitel

Weiteres über Snobs und Ehe

Pünktlich zur Stunde (bei dieser Gelegenheit kann ich es nicht unterlassen, hiermit meinem Haß, Zorn und Unwillen gegen jene elenden Snobs Ausdruck zu geben, die um neun Uhr zum Essen kommen, wenn sie um acht geladen sind, nur um Aufsehen in der Gesellschaft zu erregen. Möchte doch der Abscheu anderer Leute über dieses Gebaren, das Schimpfen anderer, die Flüche der Köche, diese Ekel verfolgen und so die mißhandelte Geselligkeit rächen!) – pünktlich, sage ich, mit dem Glockenschlag fünf, für welche Zeit Mr. und Mrs. Gray gebeten hatten, sah man einen Jüngling von eleganter Erscheinung, in feinem Gesellschaftsanzug, dessen gepflegter Bart auf Akkuratesse schließen ließ und dessen leichter Schritt Energie verriet (in Wahrheit war er aber hungrig, was er immer zur Essenszeit ist, aufweiche Stunde diese auch fallen mag), dessen reiches goldenes Haar in Locken auf seine Schultern fiel und der einen absolut neuen seidenen Zylinder für vier Schilling und neun Pence aufgesetzt hatte, seinen Weg über Bittlestone Street und Bittlestone Square nach Grays Inn nehmen. Ich habe wohl nicht nötig zu sagen, daß die fragliche Person niemand anders als Mr. Snob war. Er kommt nie zu spät, wenn er zum Diner eingeladen wird. Aber nun zurück zu meiner Erzählung!

Mag sich immerhin Mr. Snob geschmeichelt haben, daß er Aufsehen erregte, als er seinen Stock mit dem reich vergoldeten Knopf durch Bittlestone Street spazieren führte (ich gestehe, daß ich wirklich einige Köpfe aus dem Fenster von Miß Squilsby, der Putzmacherin mit dem Messingfirmenschild gegenüber von Raymond Gray, die drei Hüte aus Silberpapier und zwei die Spuren von Fliegenschmutz tragende französische Modellbilder in ihrem Schaukasten hat, mir nachblicken sah), so kann doch die Aufregung, die meine Ankunft verursachte, nicht mit der verglichen werden, welche die kleine Straße in Aufruhr versetzte, als fünf Minuten nach fünf der Kutscher mit der Silberperücke, der gelbe Kutschbock und die Rappen Mr. Goldmores in ihren glänzenden silbernen Geschirren durch die Straße kutschierten. Es ist eine sehr kleine Straße mit sehr niedrigen Häusern, von denen die Mehrzahl ähnliche Messingfirmenschilder aufweist wie bei Miß Squilsby. Kohlenhändler, Architekten, Inspektoren, zwei Ärzte, ein Anwalt, ein Tanzlehrer, natürlich auch verschiedene Häusermakler bewohnten die Häuser – kleine zweistöckige Gebäude mit kleinen Haustoren, die mit Stucksäulen verziert sind. Goldmores Kutscher ragte beinahe über die Dächer; aus dem ersten Stockwerk heraus hätte man bequem dem im Wagen hingegossenen Krösus die Hand reichen können. Alle Fenster dieser ersten Stockwerke waren im Nu mit Kindern und Frauen besetzt. Da war Mrs. Hammerly in Lockenwickeln, Mrs. Saxby mit ihrem schiefen Gesicht, Mr. Wriggles, der durch die Gazevorhänge guckte, während er ein Glas heißen Grog dabei in der Hand hielt – kurz, die ganze Bittlestone Street war in heilloser Aufregung, als die Equipage Goldmores vor der Tür von Raymond Gray vorfuhr.

»Wie lieb von ihm, daß er mit beiden Bedienten kommt«, sagte die kleine Mrs. Gray und schaute gleichfalls nach dem Fuhrwerk hinaus. Der größere Bediente sprang von seinem Sitz und klopfte mit solcher Wucht an die Tür, daß es durch das ganze Haus hallte. Alle Köpfe guckten heraus; die Sonne schien, selbst der Drehorgeljunge hörte auf zu spielen – der Bediente, der Kutscher, das rote Gesicht und die weiße Weste Goldmores leuchteten in ihrem Glanze. Der herkulische Plüschbehoste kam wieder heraus, um den Wagenschlag zu halten.

Raymond Gray öffnete seine Tür – in Hemdsärmeln. So eilte er auf den Wagen zu. »Treten Sie näher, Goldmore«, sagte er, »Sie kommen gerade recht, alter Herr. Mach die Türe auf, ›Wie-heißt-du-doch‹, und laß deinen Herrn aussteigen« – und »Wie-heißt-du-doch« gehorchte mechanisch, Verwunderung und Schreck auf seinen Zügen, mit denen sich allein das sprachlose Erstaunen messen konnte, welches das purpurrote Gesicht seines Herrn zeigte.

»Um welche Za––it befehlen der gnädige Herr den Wa––agen?« fragte »Wie-heißt-du-doch« mit jener eigentümlichen, unbuchstabierbaren lakaienhaften Aussprache, welche einen der hauptsächlichsten Reize seines Daseins bildet. »Das beste ist, wir bestellen ihn heute abend vor das Theater«, mischte sich Gray ein. »Von hier bis Wells ist nur ein Schritt, den wir zu Fuß gehen können. Billetts für uns alle habe ich bereits besorgt. Seid bis elf vor Sadler's Wells.« »Ja, um elf«, rief Goldmore bestürzt und ging unruhigen Schrittes ins Haus, als ob er zum Schafott ginge (und wirklich sah es so aus, als ob der verteufelte Gray ihn schon wie Jack der Aufknüpfer am Kragen hätte). Der Wagen fuhr, von zahllosen aus Flurfenstern und Balkons ihm nachblickenden Augen verfolgt, fort, und noch heute kommt sein Erscheinen der Bittlestone Street als etwas Wunderbares vor.

»Treten Sie dort ein, und unterhalten Sie sich mit Snob«, sagte Gray und öffnete die Tür zu dem kleinen Salon. »Ich werde rufen, wenn die Koteletts fertig sind, Fanny ist unten und sieht nach dem Pudding.«

»Barmherzigkeit«, sagte Goldmore ganz vertraulich zu mir, »wie kann er uns nur einladen, ich hatte wirklich keine Ahnung von dieser – dieser großen Not.« »Zu Tisch, zu Tisch«, ruft Gray nun aus dem Eßzimmer, aus dem mächtiger Bratenduft herausquillt; und als wir eintreten, sehen wir Mrs. Gray zu unserem Empfang bereit. Sie sah aus wie eine Prinzessin, die aus irgendeinem Zufall eine Kartoffelschüssel in der Hand hält, die sie gerade auf den Tisch setzen will. Ihr Gatte briet unterdessen Hammelkoteletts auf einem Rost über dem Feuer.

»Fanny hat den Pudding gemacht«, sagte er, »die Koteletts sind mein Werk; hier ist ein besonders schönes, versuchen Sie das mal, Goldmore.« Und er warf ihm ein zischendes Kotelett auf den Teller. Worte und Ausrufungszeichen vermögen die sprachlose Überraschung des Nabobs nicht zu beschreiben!

Das Tischtuch war sehr alt und aus einer Menge Flicken zusammengesetzt, der Senf befand sich in einer Teetasse, Goldmore hatte eine silberne – wir anderen eiserne Gabeln.

»Ich bin nicht mit einem silbernen Löffel im Munde geboren«, sagte Gray ernst, »diese Gabel ist unsere einzige, für gewöhnlich benutzt Fanny sie.«

»Raymond«, ruft Mrs. Gray mit beschwörender Miene.

»Sie war es sonst besser gewohnt, wie Sie wissen, und ich hoffe, ihr eines Tages ein Tafelservice schenken zu können. Ich habe gehört, daß galvanisch versilbertes Geschirr ganz ausgezeichnet sein soll. Aber zum Teufel, wo bleibt denn der Junge mit dem Bier? Und nun«, sagte er, »will ich wieder ein Gentleman sein.«

Er zog sich sodann seinen Rock an und setzte sich ganz ernsthaft zu Tisch mit vier frischen Hammelkoteletts, die er gerade fertiggebraten hatte.

»Wir essen nicht jeden Tag Fleisch, Mr. Goldmore«, fuhr er fort, »und es ist für mich ein Hochgenuß, so wie heute zu tafeln. Ihr großen englischen Herren, die ihr aus dem Vollen lebt, habt keine Ahnung, was für Entbehrungen ein Anwalt ohne Klienten ertragen muß.«

»Um Gottes willen«, sagte Mr. Goldmore.

»Wo bleibt denn nur unser ›Gemischtes‹? Fanny, geh doch hinüber zu Kley und hole uns das Bier! Hier hast du sechs Pence!« Was gab das für ein Erstaunen, als Fanny aufstand, um es zu holen!

»Um Gottes willen, lassen Sie es mich holen!« schrie Goldmore. »Nicht um die Welt, mein verehrter Herr, sie ist daran gewöhnt ... Man würde Sie lange nicht so gut bedienen wie meine Frau, lassen Sie sie nur ruhig gehen und seien Sie vielmals bedankt«, sagte Raymond mit erstaunlicher Gemütsruhe. Und Mrs. Gray ging aus dem Zimmer und kam nach einiger Zeit wirklich mit einem Teebrett herein, auf dem eine Zinnkanne mit Bier stand. Die kleine Polly (der ich zu ihrer Taufe die Ehre hatte, ex officio einen silbernen Becher zu schenken) folgte ihr mit einer Anzahl Tabakspfeifen und dem denkbar spitzbübischsten Ausdruck in ihrem kleinen pausbäckigen Gesicht.

»Hast du Tapling wegen des Gin gesprochen, liebe Fanny?« fragte Gray, nachdem er Polly aufgetragen hatte, die Pfeifen auf den Kamin zu stellen, wo die kleine Person kaum hinauflangen konnte. »Der letzte schmeckte nach Terpentin, und selbst deine Kunst konnte daraus keinen annehmbaren Punsch machen.«

»Das hätten Sie wohl kaum für möglich gehalten, Goldmore, daß meine Frau, eine geborene Harley Baker, je selbst in die Lage käme, Gin-Punsch zu bereiten? Ich glaube, meine Schwiegermutter würde sich das Leben nehmen, wenn sie das von ihr hörte.«

»Mache dich nicht immer über Mama lustig«, sagte Mrs. Gray. »Nun, nun, sie würde ja nicht gleich sterben, und ich wäre der letzte, der ihr das wünschte. Und du brauchst auch keinen Gin-Punsch zu machen, und du liebst ihn ja auch nicht. – Goldmore, trinken Sie Ihr Bier aus dem Glas oder aus dem Zinnkrug?«

»Um Gottes willen!« stieß der Krösus noch einmal heraus, als die kleine Polly den Krug mit ihren Patschhändchen umfaßte und ihn lächelnd dem erstaunten Direktor anbot. Mit einem Wort, so begann das Essen und endete auch auf ähnliche Weise. Gray verfolgte seinen unglücklichen Gast mit der seltsamsten und übertriebensten Schilderung seiner Kämpfe, seines Elends und seiner Armut. Er beschrieb, wie er in der ersten Zeit ihrer Ehe die Messer geputzt und wie er die Kinder in einem kleinen Karren gezogen hätte, wie seine Frau eigenhändig Pfannkuchen bereitet und sich ihre Kleider teilweise selbst geschneidert hätte. Er beauftragte seinen Schreiber Tibbits, (der in Wirklichkeit das Bier aus dem Gasthause geholt hatte, das dann von Mrs. Gray nur aus dem Nebenzimmer hereingebracht wurde) – »die Flasche Portwein« zu bringen, sobald das Diner vorüber sei, und erzählte Goldmore im Stil seiner bisherigen Aufschneidereien eine Geschichte, auf wie wunderbare Weise er in den Besitz dieser Flasche gekommen sei. Als die Mahlzeit ganz beendet und es Zeit war, ins Theater zu gehen, auch Mrs. Gray sich bereits zurückgezogen hatte und wir gleichsam wiederkäuend und ziemlich schweigsam beim letzten Glase Portwein saßen, unterbrach Gray plötzlich die Stille, klopfte Goldmore auf die Schulter und sagte: »Nun, Goldmore, sagen Sie mir mal etwas.«

»Was?« fragte der Krösus.

»War das nicht ein gutes Essen?«

Goldmore richtete sich auf, als ob eine plötzliche Erleuchtung über ihn gekommen wäre. Er hatte gut gegessen und wußte es bis jetzt noch nicht einmal. Die drei Hammelkoteletts, die er verzehrt hatte, waren die besten ihrer Art. Die Kartoffeln waren so vorzüglich gewesen, wie sie nur hatten sein können. Und was den Pudding betraf, so war er nur zu gut. Der Porter war kühl und schäumend und der Portwein wert, auf eines Bischofs Tafel zu erscheinen. Ich habe zukünftige Absichten auf ihn, denn in Grays Keller liegt noch mehr.

»Nun«, sagte Goldmore nach einer Pause, während er sich Zeit nahm, über die Frage, die Gray so plötzlich an ihn richtete, nachzudenken. »Auf mein Wort – nun, wo Sie es sagen – ich – ich habe wirklich ganz furchtbar gut gegessen – furchtbar gut – auf mein Wort! Auf Ihr Wohl, mein alter Gray, und auf das Ihrer liebenswürdigen Gattin, und wenn Mrs. Goldmore erst wieder heimgekehrt ist, so hoffe ich, Sie öfters am Portland Place zu sehen.«

Nun wurde es Zeit, ins Theater zu gehen, und wir sahen Phelps in Sadler's Wells.

Das Beste an dieser Geschichte (für deren Wahrheit ich Wort für Wort meine Ehre verpfände) ist, daß nach diesem Bankett, welches Goldmore so erfreut hatte, der ehrliche Kerl so großes Mitleid mit dem hungernden und elenden Gastgeber empfand, daß er sich entschloß, ihm in seinem Beruf zu helfen. Und als Direktor der neugegründeten Lebensversicherungsgesellschaft »Antibilious« hat er Gray zum ständigen Syndikus mit einem hübschen Jahresgehalt ernannt. Und erst gestern in einer aus Bombay gekommenen Berufungssache (Buckmuckjee Bobbachee contra Ramchowder Bahawder) vor dem Geheimen Rat hat Lord Brougham Mr. Gray, der in dem Fall plädierte, zu seiner bemerkenswerten und genauen Kenntnis des Sanskrits beglückwünscht.

Ob er Sanskrit versteht oder nicht, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber Goldmore hat ihm die Sache verschafft, und so kann ich nicht umhin, dem pompösen alten Kerl, wenn auch widerstrebend, meine Hochachtung zu zollen.


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