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Zwölftes Kapitel

Über Geistliche Snobs und Snobtum

Da schreibt mir ein liebenswürdiger junger Mann, der sich selbst als Snobling unterzeichnet: »Geehrter Herr Snob, sollte nicht derjenige Geistliche, der auf Ersuchen eines edlen Herzogs kürzlich eine Trauhandlung, die zwischen zwei durchaus zur Eingehung einer legalen Ehe berechtigten Personen stattfinden sollte, abbrach, in die Kategorie der geistlichen Snobs versetzt werden?«

Das, mein lieber, junger Freund, ist keine einfache Frage. Eines der illustrierten Wochenjournale hat bereits den Geistlichen im Bilde festgehalten und ihn höchst unbarmherzig an den Pranger gestellt, indem es ihn im Priestergewand darstellt, wie er gerade die Trauhandlung verrichtet. Das mag eine genügende Strafe für ihn sein, und deshalb bitte ich Sie, nicht weiter auf der Frage zu bestehen.

Es ist sehr leicht möglich, daß, wenn Miß Smith mit dem Erlaubnisschein, Jones heiraten zu dürfen, zu unserem Pfarrer gekommen wäre und dieser nicht den alten Smith in ihrer Begleitung gesehen hätte, er eine Droschke mit dem Kirchendiener nach ihm ausgeschickt haben würde, um den alten Herrn zu unterrichten, was vor sich gehen sollte. Sicherlich würde er auch die Zeremonie bis zur Ankunft des alten Smith hinausgeschoben haben. Wahrscheinlich hält er es für seine Pflicht, alle heiratslustigen Damen, die ohne ihren Papa kommen, zu fragen, warum ihr Vater abwesend ist, und zweifellos wird er stets den Küster nach dem fehlenden Alten schicken.

Oder es ist auch sehr möglich, daß der Herzog von Coeurdelion mit Herrn – wie heißt er doch gleich? – intim befreundet ist und oft zu ihm gesagt hat, wie heißt du gleich, mein Junge, meine Tochter soll niemals den Kapitän heiraten. Sollte sie je in deiner Kirche den Versuch machen, so bitte ich dich in Anbetracht unserer intimen Freundschaft, sofort Rattan in einer Mietskutsche nach mir auszuschicken, um mich herbeizuholen.

Obgleich in jedem dieser Fälle, mein lieber Snobling, der Pfarrer nicht berechtigt gewesen sein mag dazwischenzutreten, so wird man ihn dennoch dieserhalb zu entschuldigen vermögen. Er hat zwar nicht mehr Recht, meine Trauung zu verhindern wie mein Mittagessen, auf welch beide Dinge ich als freier Brite einen Anspruch habe, vorausgesetzt, daß ich dafür zahle. Ziehen Sie aber anderseits die pastorale Ängstlichkeit in Betracht, die einem tiefen Pflichtgefühl entspringt, und verzeihen Sie ihm seinen übel angebrachten, aber echten Eifer. Aber wenn der Geistliche im Falle des Herzogs etwas getan hätte, was er im Falle Smith nicht tun würde; und wenn er nicht bekannter mit der Familie Coeurdelion wäre wie ich mit dem Königlichen und Fürstlichen Hause Sachsen-Koburg-Gotha, dann, mein lieber Snobling, gestehe ich, daß Ihre Frage eine recht unliebsame Antwort herauslocken würde, und zwar eine, die ich mit allem Respekt zu geben ablehne. Ich bin neugierig, was wohl Sir George Tufto sagen würde, wenn eine Schildwache ihren Posten verließe, weil ein edler Lord (der durchaus nichts mit dem Dienst zu tun hat) sie zu dieser Pflichtverletzung verleitet hätte.

Ach, daß der Küster, der kleine Jungen prügelt und aus der Kirche treibt, nicht auch die Weltlichkeit heraustreiben kann denn was ist Weltlichkeit anderes als Snobtum? Wenn ich beispielsweise in der Zeitung lese, daß Seine Hochwürden, der Lord Charles James, einen Teil der adligen Jugend in der königlichen Kapelle konfirmiert hat, als ob die königliche Kapelle eine Art kirchlicher »Almack-Club« wäre und die jungen Leute sich in kleinen, exklusiven, vornehmen, aristokratischen Gruppen für die andere Welt vorzubereiten hätten, um auf ihrer Reise dorthin nicht durch die Gesellschaft des gewöhnlichen Volkes gestört zu werden: wenn ich solch einen Erguß lese (und ein oder zwei solcher Stückchen erscheinen für gewöhnlich in der Saison), scheint mir dies der ekelhafteste, gemeinste und abgeschmackteste Teil dieser ekelhaften, gemeinen und abgeschmackten Veröffentlichung, genannt der Hofbericht, zu sein, durch den das Snobtum zu einer ganz schaudererregenden Höhe gebracht wird. Wie, meine Herren, könnten wir denn nicht einmal die Kirche als Republik ansehen? Dort wenigstens würde selbst das Herald College gestatten, daß wir alle uns gleichen Ursprungs fühlen und direkt von Adam und Eva herstammen dürfen, deren Erbe zwischen uns allen geteilt ist.

Bei dieser Gelegenheit fordere ich alle Herzöge, Grafen, Barone und andere Potentaten auf, nicht diesen schamlosen Skandal und Irrtum mitzumachen, ich richte die Bitte an alle Bischöfe, die diese Veröffentlichung lesen, diesen Fall einer ernsthaften Berücksichtigung zu unterziehen und gegen die Wiederholung dieser Übung einzuschreiten, indem sie erklären: »Wir werden den Lord Tomnoddy oder Sir Carnaby Jenks unter Ausschließung anderer junger Christen weder gesondert konfirmieren noch gesondert taufen.« Wenn Ihre Lordschaften zu derartigen Erklärungen bewogen werden könnten, so würde ein großer Stein des Anstoßes beseitigt werden, und meine Aufzeichnungen über die Snobs würden nicht vergeblich geschrieben sein.

Eine Anekdote von einem berühmten Parvenü fällt mir ein, der Gelegenheit hatte, einem ausgezeichneten Prälaten, dem Bischof von Bullocksmithy, einen Gefallen zu tun, und der als Gegenleistung von Seiner Lordschaft sich erbat, daß er seine Kinder besonders in Seiner Lordschaft eigenen Kapelle konfirmieren möchte, was der gütige Prälat auch dementsprechend tat. Kann man die Satire weitertreiben? Ist von all den Lächerlichkeiten, die ich bis jetzt habe drucken lassen, dies nicht der allernaivste Unfug? Sieht es nicht so aus, als ob jemand nur dann in den Himmel kommen könnte, wenn er einen Extrazug benutzt, oder bildet er sich nicht zum mindesten ein, die Konfirmation wäre (wie es ja viele von der Kuhpockenimpfung glauben) dann wirksamer, wenn sie aus erster Hand erteilt würde?

Als jene hervorragende Persönlichkeit, die Begum Sumroo, starb, soll sie zehntausend Pfund dem Papst und zehntausend dem Erzbischof von Canterbury hinterlassen haben, um vor jedem Irrtum sicher zu sein und dadurch in jedem Falle die kirchlichen Autoritäten für sich zu haben. Dieser Fall ist wenigstens etwas offener und unverblümter snobhaft als die vorerwähnten. Ein Snob aus altem Hause wird in den Tiefen seiner Seele genau so stolz auf seinen Reichtum und seine Ehren sein wie ein Parvenü-Snob, der sie offensichtlich zur Schau stellt. Und eine hochgeborene Marquise oder Herzogin ist ebenso eitel auf sich und ihre Diamanten wie die Königin Quashyboo, die sich ein Paar Epauletten auf ihr Hemd nähen läßt und zu diesem Staatskleid noch einen Hahnenfederhut aufsetzt.

Nicht aus Mißachtung für mein Pairstum, das ich liebe und ehre (habe ich nicht tatsächlich bereits früher gesagt, daß ich bereit sein würde, aus meiner Haut zu fahren, wenn zwei Herzöge die Pall Mall mit mir auf und ab gehen wollten?)– nicht aus Mißachtung für die einzelne Person geht mein Wunsch darauf hinaus, daß diese Titel niemals erfunden worden sein möchten; man wolle aber berücksichtigen, daß es ohne Bäume auch keinen Schatten gibt. Um wieviel ehrbarer ginge es nicht in der Gesellschaft zu, um wieviel diensteifriger wäre nicht der Klerus (den wir ja gegenwärtig betrachten), wenn diese Versuchungen des Adels und die beharrlichen Lockungen der Welt nicht beständen, die ihn fortwährend umgarnen und auf Abwege zu führen drohen.

Ich habe so manches Mal miterlebt, wie es kam, daß Pfarrer um die Ecke gingen. Als zum Beispiel Tom Sniffle als Kurat für Herrn Fuddlestone, den Bruder von Sir Huddlestone Fuddlestone, der auf einer anderen Pfründe wohnte, aufs Land kam, konnte man sich kein gutmütigeres, arbeitsameres und trefflicheres Wesen als Tom vorstellen. Seine Tante wohnte bei ihm, sein Verhalten gegen die Armen war bewunderungswert. Er schrieb alljährlich Bücher voll der bestgemeinten, aber höchst faden Predigten. Als aber die Familie Lord Brandyballs aufs Land kam, ihn nach Brandyball-Park zum Mittagessen einlud, war Sniffle so aufgeregt darüber, daß er fast das Tischgebet zu sprechen vergaß und eine Schüssel mit Johannisbeergelee auf Lady Fanny Toffys Schoß fallen ließ.

Was war die Folge seiner Freundschaft mit dieser vornehmen Familie? Seine Tante zankte ihn aus, weil er jeden Abend auswärts aß. Das Ungeheuer vergaß seine Armen alle miteinander und trieb seinen alten Klepper durch das fortwährende Fahren nach Brandyball zu Tode, wo er in unsinniger Leidenschaft Lady Fanny anschwärmte. Er ließ sich die elegantesten neuen Kleidungsstücke und geistlichen Röcke aus London kommen; er erschien in Spitzenhemden, Lackstiefeln und parfümiert; er kaufte sich ein Vollblutpferd von Bob Toffy, wurde auf Schützenfesten, öffentlichen Essen und, ich erröte fast, es zu sagen, in einer Loge der Oper und später an der Seite Lady Fannys in Rotten Row sogar zu Pferde gesehen. Er fügte seinem Namen noch einen zweiten hinzu (wie es viele arme Snobs zu tun pflegen), und anstelle von T. Sniffle, wie früher, ließ er sich eine schöne glatte Karte drucken mit der Aufschrift: Rev. T. D'Arcy Sniffle, Burlington Hotel.

Das Ende all dieser Dinge kann man sich denken: als der Earl of Brandyball die Liebe des Kuraten für Lady Fanny erfuhr, bekam er den Schlaganfall, der ihn sobald darnach (zum unaussprechlichen Kummer seines Sohnes, des Lord Alicompayne) dahinraffte, und fiel über Sniffle mit jenen denkwürdigen Worten her, welche allen seinen Hoffnungen ein Ende machten. »Wenn ich nicht Achtung vor der Kirche hätte, Herr«, sagte Seine Lordschaft, »bei Gott, ich würde Sie die Treppe hinunterwerfen lassen.« Dann bekam der Lord den vorerwähnten Schlaganfall, und Lady Fanny heiratete, wie wir alle wissen, den General Podager.

Was den armen Tom betrifft, so war er bis über beide Ohren sowohl verschuldet wie verliebt.

Mr. Hemp aus der Portugalstraße ließ seinen Namen kürzlich als den eines wegen seiner Schulden abgesetzten Geistlichen veröffentlichen; seitdem hat man ihn in mehreren ausländischen Bädern gesehen, zuweilen hielt er noch Gottesdienst ab. Zuweilen paukte er zurückgebliebene Söhne reicher Eltern in Karlsruhe oder Kissingen für das Examen ein, zuweilen auch – müssen wir es sagen? – schlich er um die Roulettetische, mit einem Kinnbart, wie ihn Aristokraten zu tragen pflegen.

Wenn die Versuchung nicht an diesen unglücklichen Menschen in der Gestalt des Lord Brandyball herangetreten wäre, so würde er noch seinem Beruf still und ergeben nachgehen. Er würde seine Kusine mit 4000 Mark Mitgift, die Tochter eines Weinhändlers, geheiratet haben (der alte Herr zürnte seinem Neffen, weil er nicht Aufträge auf Wein bei Lord B. für ihn eingeholt hatte), er würde sieben Kinder gezeugt und Pensionäre angenommen haben, er würde von seinen Einnahmen etwas erübrigt haben und würde leben und sterben wie ein rechter Landpfarrer.

Hätte er etwas Besseres tun können? Ihr, die ihr wissen wollt, wie groß und gut und edel ein solch charaktervoller Mensch sein kann, lest Stanleys »Leben des Doktor Arnold«!


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