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Vierunddreißigstes Kapitel

Ehe und Snobs

Aus dem vornehmen Roman »Zehntausend Pfund jährlich« entsinne ich mich einer besonders pathetischen Beschreibung, auf wie christliche Art der Held, Mr. Aubrey, sein Schicksal ertrug. Nachdem er in den blühendsten und beredsamsten Worten seine Entsagung kundgegeben und sein Stammschloß verlassen hat, läßt der Verfasser Aubrey in einer Postkutsche, wahrscheinlich eingekeilt zwischen seiner Frau und seiner Schwester, nach London fahren. Es ist gegen sieben Uhr. Wagen rasseln, Türklopfer werden geschlagen und in den schönen Augen von Kate und Mrs. Aubrey schimmern Tränen bei dem Gedanken, daß in glücklicheren Zeiten um diese Stunde ihr Aubrey zum Diner in die Häuser seiner aristokratischen Freunde zu gehen pflegte. So lautet der Sinn dieser Stelle – die eleganten Worte habe ich vergessen. Aber das edle, ach so edle Gefühl werde ich stets würdigen und im Gedächtnis behalten. Gibt es etwas Erhabeneres als den Gedanken, daß die Verwandten eines vornehmen Mannes in Tränen wegen eines Diners ausbrechen? Welcher Verfasser hat mit so wenig Strichen wohl je glücklicher den Typus eines Snobs gezeichnet?

Wir lasen diese Stelle kürzlich im Hause meines Freundes, des geistreichen Rechtsanwalts Raymond Gray, Esquire, der zwar nicht die geringste Praxis, aber glücklicherweise einen gesunden Humor sein eigen nennt, der ihn befähigt, seine Zeit abzuwarten und seine bescheidene Stellung in dieser Welt lachend zu ertragen. Bis sich dieser Zustand geändert hat, muß sich Mr. Gray in die harte Notwendigkeit schicken und wegen der Teuerungsverhältnisse im nördlichen Gerichtsbezirk in einem winzigen Hause in einer winzigen kleinen Straße in der lustigen Nachbarschaft von Grays Inn wohnen.

Aber weit merkwürdiger ist es, daß Gray dort verheiratet ist. Mrs. Gray war eine geborene Miß Harley Baker, und ich glaube, ich habe nicht nötig zu sagen, daß dies eine angesehene Familie ist. Sie ist m it den Cavendishs, den Oxfords und den Marrybones verwandt und trägt, trotzdem sie von ihrem früheren Glanze etwas eingebüßt hat, den Kopf so hoch wie nur irgendeine. Ich weiß, daß Mrs. Harley Baker niemals ohne John, mit dem Gebetbuch unterm Arm, zur Kirche ging, und auch ihre Schwester, Miß Welbeck, wird nie auch nur dreißig Schritt sich, um Einkäufe zu machen, vom Hause entfernen ohne den Schutz Ihres Zuckerhutpagen Figby, und das, obwohl die alte Dame so häßlich ist wie nur eine im Kirchspiel und so groß und bärtig wie ein Grenadier. Was war das für ein Staunen darüber, daß Emily Harley Baker sich soweit erniedrigen konnte, Raymond Gray zu heiraten? Sie, die schönste und stolzeste in der Familie, sie, die ihr Näschen über Essex Temple rümpfte, der mit dem vornehmen Hause der Albyns verwandt war. Sie, die nicht mehr als viertausend Pfund alles in allem zu erwarten hatte, heiratete einen Mann, dem kaum soviel zur Verfügung stand. Ein Schrei der Wut und des Unwillens wurde in der ganzen Familie laut, als sie von dieser Mésalliance hörte. Mrs Harley Baker spricht von ihrer Tochter nie anders als von einem zugrunde gerichteten Geschöpf und mit Tränen im Auge. Mrs. Welbeck sagt: »Ich betrachte ihn als einen Schurken« – und sie hat die arme gutmütige Mrs. Perkings, auf deren Ball sich die jungen Leute kennenlernten, als Kupplerin hingestellt.

Wie schon erwähnt, wohnen also Mr. und Mrs. Gray einstweilen in Grays Inn Lane mit einem Haus- und einem Kindermädchen, die alle Hände voll zu tun haben, und dabei fühlen sie sich herausfordernd und unnatürlich glücklich. Es ist ihnen auch noch nicht ein einziges Mal eingefallen, über ihr Essen zu weinen wie das erbärmlich wimmernde und snobhafte Weibervolk meines Lieblings-Snobs Aubrey in dem Roman »Zehntausend Pfund jährlich«, sondern sie nehmen im Gegenteil die bescheidenen Lebensmittel, die ihnen die Vorsehung zukommen läßt, mit dankbarem Gemüt entgegen und haben vielmehr tatsächlich – wie der Schreiber dieses dankbar bezeugen kann – auch für hungrige Freunde noch zeitweilig etwas übrig.

Ich erwähnte diese Mahlzeiten und einige vorzügliche Zitronen-Puddings, die Mrs. Gray selbst zubereitet, unserem gemeinsamen Freunde, dem großen Mr. Goldmore, dem Direktor der Ostindien-Gesellschaft gegenüber, worauf das Gesicht dieses Herrn einen Ausdruck annahm, als ob er vor Schreck einen Schlaganfall bekommen sollte, und mühsam nach Luft ringend sagte er: »Was, sie geben wirklich Diners?« Er schien es verbrecherisch und wunderbar zu finden, daß solche Leute überhaupt den Mut besäßen zu essen und daß es nicht einfach zu ihren Gepflogenheiten gehörte, an ihrem Herdfeuer hingekauert zu sitzen und einen Knochen oder eine Brotrinde zu benagen. Stets, wenn er sie in Gesellschaft trifft, kann er sich nicht enthalten, seiner Verwunderung darüber Ausdruck zu geben (was sehr laut geschieht), daß sie so schick angezogen erscheint und er einen ungeflickten Rock auf seinem Leibe zu tragen imstande ist. Ich hörte, wie er sich einmal über ihre Armut vor dem vollversammelten »Brandstifter-Klub«, dessen Mitglieder er, Gray und ich zu sein die Ehre haben, aufhielt.

Wir treffen uns fast täglich im Klub. Um halb fünf kommt Goldmore aus der City in die St. James Street, und man kann ihn dann am Eckfenster, das die ganze Pall Mall beherrscht, die Abendzeitungen lesen sehen. – Er ist ein großer vollblütiger Mann mit einem Bündel Berlocken auf seiner weit ausgeschnittenen Weste. Er hat lange Rockschöße, die mit Briefen von Agenten und Akten von den Gesellschaften, deren Aufsichtsrat er ist, angefüllt sind. Wenn er geht, so klingeln seine Berlocken. Ich möchte wohl gern einen solchen Mann zum Onkel haben, aber kinderlos müßte er sein; wie wollte ich ihn dann lieben, verehren und gut zu ihm sein!

Um sechs Uhr, zur Zeit des größten Verkehrs, wenn alle Welt auf der St. James Street ist, wenn die Kutschen sich durch die auf ihrem Stand stehenden Droschken hindurchwinden, wenn die Dandies mit ihren aristokratischen Allüren sorglosen Gesichtes aus den Fenstern bei White gucken, wenn man alte Grauköpfe durch die Spiegelscheiben bei Artur einander zunicken sehen kann, wenn die Rotröcke allgegenwärtig zu sein wünschen, um die Pferde jedes Gentleman halten zu können, wenn der pompöse Portier in roter Livree sich in seinem Glanze vor Marlborough House sonnt – kurz, wenn der Londoner Verkehr in seinem Zenit steht, kann man eine hellgelbe mit Rappen bespannte Equipage, auf deren Bock ein Kutscher in enganliegender florettseidener Perücke mit zwei gepuderten Lakaien in weiß und gelber Livree sitzen, am Tor des »Brandstifter-Klub« vorfahren sehen, während im Wagen selbst eine in schillernde Seide gekleidete, dicke Dame mit einem Pudel und einem roten Sonnenschirm sitzt. Ein Diener geht hinein und meldet Goldmore (der es natürlich bereits weiß, da er aus dem Fenster zusammen mit etwa vierzig anderen Brandstiftern hinausgesehen hat): »Ihr Wagen, Sir!« Goldmore nickt. »Vergessen Sie nicht pünktlich um acht Uhr«, sagt er zu Mulligatawney, seinem Mitdirektor von der Ostindischen Gesellschaft; er steigt dann in den Wagen und fällt neben Mrs. Goldmore zu einer Spazierfahrt im Park in die Kissen zurück und läßt sich demnächst nach seiner Wohnung am Portland Platz fahren.

Beim Wegfahren des Wagens fühlen die jungen Gecken ihr Herz vor Stolz gebläht, gehört er doch sozusagen zu ihnen. Denn zum Klub gehört dieser Wagen, und der Klub gehört ihnen. Sie blicken der Equipage voll Interesse nach. Wenn sie sie im Park treffen, so sehen sie ihr nach wie einem guten Bekannten. Aber halt, wir sind noch nicht bei den Klub-Snobs! Oh, meine braven Snobs, was für eine Bestürzung wird es bei euch geben, wenn meine Aufzeichnungen über euch erst erscheinen werden!

Aus meiner Beschreibung Goldmores kann man einen Schluß auf seinen Charakter ziehen. Er ist ein gravitätischer Leadenhall Krösus, sonst aber gutmütig und leutselig – schauderhaft leutselig. »Mr. Goldmore«, pflegt seine Frau zu sagen, »kann es niemals vergessen, daß er es dem Großvater von Mrs. Gray zu verdanken hatte, daß er nach Indien geschickt wurde; und obgleich diese junge Frau die törichtste Partie von der Welt gemacht und damit ihre Stellung in der Welt aufgegeben hat, scheint ihr Gatte doch ein fleißiger junger Mann zu sein, dem wir nach Kräften vorwärtshelfen wollen.« Sie pflegen daher die Grays zwei- oder dreimal in der Saison zum Diner einzuladen, und um ihre Güte noch größer erscheinen zu lassen, hat ihr Kellermeister Buff den Auftrag, einen Einspänner zu mieten, der sie nach dem Portland Place hin und von dort wieder zurück nach Hause fahren soll.

Natürlich bin ich ein viel zu guter Freund, als daß ich Gray nicht die Meinung Goldmores über ihn erzählt hätte und die Verwunderung des Nabobs bei dem Gedanken, daß der beschäftigungslose Anwalt überhaupt zu Mittag zu speisen vermöchte. Goldmores Aussprüche über Gray wurden tatsächlich im Scherz von uns jungen Dachsen im Klub weiter kolportiert und ausgebeutet, und wir pflegten ihn zu fragen, wann er zum letzten Male Fleisch gegessen hätte? Ob wir ihm etwas von unserem Mittagstisch mitbringen dürften? Und so trieben wir tausend ähnliche Spaße mit ihm in unserer mokanten Weise.

Als um diese Zeit Mr. Gray eines Tages aus dem Klub nach Hause kam, machte er seiner Frau die verblüffende Mitteilung, daß er Goldmore zum Essen eingeladen habe.

»Mein Lieber«, sagte Mrs. Gray erschrocken, »wie kannst du nur so grausam sein? Wie sollte es Mrs. Goldmore fertig bringen, in unser Eßzimmer hineinzukommen?«

»Beruhige dich, Mrs. Gray, die gnädige Frau befinden sich in Paris. Nur der Krösus wird erscheinen, und später gehen wir ins Sadler's-Wells-Theater. Goldmore behauptete neulich im Klub, er hielte Shakespeare für einen großen dramatischen Dichter, den man unterstützen müsse, worauf ich ihn in feurigem Enthusiasmus zu einem festlichen Essen einlud.«

»Gott im Himmel, was können wir ihm vorsetzen? Er hat zwei französische Köche. Du weißt, was Mrs. Goldmore uns von ihnen alles erzählt hat, und er ist es gewohnt, jeden Tag mit Ratsherren zu speisen.«

»Meine Lucie, für drei Uhr bereite
Eine Hammelkeule ganz schlicht,
Gelingt saftig und zart sie dir heute,
Gibt es dann wohl ein besseres Gericht?«

sagte Gray, meinen Lieblingsdichter zitierend.

»Aber der Koch ist krank, und den fürchterlichen Pastetenbäcker Pattypan kannst du doch ...«

»Ruhig, Frau«, sagte Gray in tief tragischem Tone. »Ich werde die Besorgung der Mahlzeit in die Hand nehmen. Mache nur alles, wie ich es angeben werde. Lade unseren Freund Snob zur Teilnahme an dem Fest ein. Mein sei die Aufgabe, es zu richten.«

»Sei nicht verschwenderisch, Raymond«, sagte seine Frau.

»Gib Frieden, du furchtsame Frau des Klientenlosen. Das Diner für Goldmore wird sich unseren beschränkten Mitteln anpassen, tu nur alles so, wie ich es dich heißen werde.« Und da ich aus dem verschmitzten Gesichtsausdruck des Schelms erriet, daß er einen genialen Streich vorbereitete, so erwartete ich voller Ungeduld den folgenden Tag.


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