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Achtes Kapitel

Der Groß-Snob der City

Tatsache ist, daß diese Artikelserien ungeheures Aufsehen in allen Schichten unseres Reiches hervorgerufen haben. Zuschriften voll Bewunderung (!), voll Anfragen (?), Widerspruch, Zustimmung und Mißstimmung kamen auf den Redaktionstisch des »Punch« geflogen. Man hat uns gestellt, weil wir die Geheimnisse von drei verschiedenen Familien der Mogyns verraten haben sollen; nicht weniger als vier Lady Susan Scrapers hat man zu entdecken geglaubt; und junge Edelleute hüten sich, einen halben Schoppen Portwein zu bestellen und über die »Quarterly Review« im Club gebeugt zu sitzen, aus Furcht, für Sydney Scraper Esquire gehalten zu werden. »Woher kommt bloß Ihre Abneigung gegen die Baker Street?« fragte mich eine schöne, mit mir nicht einverstandene Dame, die jedenfalls von dorther stammt. »Warum greifen Sie nur die aristokratischen Snobs an?« heißt es in einer sehr geschätzten Zuschrift; »sollten denn nicht auch snobhafte Snobs an die Reihe kommen?« »Ziehen Sie doch auf die Universitäts-Snobs los«, sagt ein unwilliger Herr (der elegant mit zwei »l« schreibt). »Weisen Sie doch auf die klerikalen Snobs hin«, gibt ein anderer zu verstehen. »Als ich vor einiger Zeit im ›Hotel Meurice‹ in Paris war«, führt ein Schalk an, »sah ich den Lord B. mit seinen Stiefeln in der Hand sich aus dem Fenster lehnen und dem Hausknecht zurufen: ›Garçon, cirez-moi ces bottes‹. Sollte er nicht auch unter die Snobs versetzt werden?«

Nein, beileibe nicht. Wenn die Stiefel seiner Lordschaft schmutzig sind, so kommt es daher, weil er Lord B. ist und wohlgemerkt! – zu Fuß geht. Auch ist nichts Snobhaftes dabei zu finden, wenn man nur ein Paar oder ein Lieblingspaar Stiefel besitzt, und sicherlich ist es durchaus nicht snobartig, wenn man es gereinigt zu haben wünscht. Als Lord B. darum ersuchte, erfüllte er eine ganz natürliche und eines Gentleman passende Handlung, worüber ich mich so ehrlich freue, daß ich ihn in dieser gewinnenden, eleganten Haltung zeichnen ließ und dem Bild den Ehrenplatz am Anfang des Kapitels eingeräumt habe.

In der Snob-Hierarchie folgen nun die Groß-Snobs der City, die einer näheren Betrachtung wohl wert sind. Aber dabei stoße ich auf eine Schwierigkeit. Der Groß-Snob der City läßt nicht leicht jemanden vor; es sei denn, daß er Kapitalist ist, sonst darf man ihn nicht in seinem verschwiegenen Sprechzimmer in Lombard Street aufsuchen. Oder man müßte schon ein Sproß aus adligem Hause sein, dann ist wenigstens etwas Hoffnung vorhanden, von ihm empfangen zu werden. In einer Groß-Snob-Firma der City befindet sich für gewöhnlich ein Partner, dessen Name bei Veranstaltungen zu wohltätigen Zwecken zu finden ist und der Exeter-Hall besucht. Man kann auch einen Blick eines anderen (dem in Wissenschaft machenden City-Snob) bei Soireen des Lord N. oder bei Vorlesungen der London Institution erhaschen oder einen dritten (den in Kunst machenden City-Snob) auf Gemäldeauktionen, in privaten Bildergalerien, in der Oper oder der Philharmonie finden. Aber näherer Verkehr ist in den meisten Fällen mit diesen würdevollen, achtunggebietenden und protzigen Wesen nicht zu pflegen möglich.

Als gewöhnlicher Gentleman darf man hoffen, fast an jedermanns Tisch sitzen zu dürfen, wie an der Tafel des Lord-Gouverneurs der Provinz, ja man kann sogar in einer Quadrille im Buckingham-Palast tanzen (geliebte Lady Wilhelmina Wagglewiggle, erinnern Sie sich des Aufsehens, das wir auf dem Ball unserer verewigten, angebeteten Königin Caroline im Brandenburg-House zu Hammersmith machten?); aber die Türen der City-Snobs sind ihm in den meisten Fällen verschlossen. Und daher stammt meine ganze Wissenschaft über diese große Klasse fast nur vom Hörensagen.

In den anderen Ländern Europas geht der Bank-Snob mehr aus sich heraus, ist mitteilsamer und empfängt alle Welt bei sich. Zum Beispiel: wer kennt nicht die fürstliche Gastfreundschaft der Familie Scharlaschild sowohl in Paris, Neapel, Frankfurt und anderwärts? Sie sehen alle Stände bei sich, sogar die Armen erscheinen auf ihren Festen. Der Fürst Polonia in Rom und sein Bruder, der Herzog von Strachino, sind ebenso bekannt wegen ihrer Gastfreundlichkeit. Ich liebe den Geist des erstgenannten Edelmannes. Da Titel in Rom wohlfeil sind, hat er den Oberbuchhalter seines Bankhauses zum Marquis machen lassen, und seine Lordschaft versteht es ebenso tadellos wie ein Bürgerlicher, euch beim Geldwechseln einen Bajocco aus der Tasche zu ziehen. Es gewährt ein Behagen, solche Art Granden mit ein paar Kupferstücken entlohnen zu können, auch dem Ärmsten kommt damit zum Bewußtsein, daß er Gutes zu tun vermag. Die Polonias haben in die größten und ältesten Familien Roms hineingeheiratet, und man kann ihre heraldischen Embleme (einen goldenen Pilz auf azurblauem Grunde) an hundert Stellen der Stadt vereint mit dem Wappen der Colonnas und Dorias sehen.

Unsere City-Snobs haben den gleichen Hang zu aristokratischen Heiraten. Das habe ich gern. So unbezähmbaren und mißgünstigen Charakters ich auch bin, so große Genugtuung gewährt es mir, diese beiden vom Humbug zehrenden Klassen, die die soziale Herrschaft unseres Königreiches untereinander geteilt haben und sich natürlich hassen, Frieden schließen und sich verbinden zu sehen zum Zwecke ihrer gegenseitigen, unsauberen Interessenpolitik. Ha, wie gerne sehe ich, wie ein von Ahnenstolz geblähter alter Aristokrat, der Nachkomme berühmter normannischer Seeräuber, dessen Blut jahrhundertelang rein geblieben ist und der auf einen bürgerlichen Engländer herabsieht wie ein freigeborener Amerikaner auf einen Neger, ha, wie gerne sehe ich den alten Steifnack genötigt, sein Haupt zu beugen, seinen höllischen Stolz hinunterzuschlucken und den Becher der Erniedrigung zu trinken, der ihm vom Bankhause »Pump und Aldgate« kredenzt wird. »Pump und Aldgate«, sagt er, »Euer Großvater war ein Maurer, und die Bank hebt noch seine Kelle auf, Euer Stammbaum beginnt in einem Arbeiterhause, während der meine sich auf alle königlichen Paläste Europas zurückführen läßt. Ich kam mit Wilhelm dem Eroberer herüber: Ich bin der wirkliche Vetter von Karl Martell, Orlando Furioso, Philipp August, Peter dem Grausamen und Friedrich Barbarossa. Ich vereinige mit meinem Wappenschild das königliche Wappen von Brentford. Ich verachte Euch, aber ich brauche Geld; deshalb will ich Euch meine geliebte Tochter Blanche Steifnack für hunderttausend Pfund verkaufen, um meine Grundschulden abzahlen zu können. Euer Sohn darf sie heiraten, und sie soll dann Lady Blanche Pump und Aldgate werden.«

Der alte Pump und Aldgate geht begierig auf den Handel ein, denn es ist ihm ein schöner Gedanke, daß Geburt für Geld zu kaufen ist. So wird das Vorurteil der Geburt eingeschätzt. Wieso sollten wir, die wir sie nicht besitzen, höheren Wert darauf legen als die, die sie ihr Eigen nennen. Vielleicht ist der beste Gebrauch, den man vom Adelskalender machen kann, der, daß man die Familien der Reihe nach durchgeht und feststellt, wie viele ihre Geburt er- und verkauft haben, wie viele arme Adelssprößlinge sich an die Töchter reicher City-Snobs verkaufen und wie viele reiche City-Snobs adlige Damen kaufen – dann erst wird man die doppelte Niedrigkeit des ganzen Handels zu bewundern imstande sein.

Der alte Pump und Aldgate kauft den Artikel und bezahlt dafür seinen Marktpreis. Der Verkauf des jungen Mädchens wird vom Bischof zu St. Georg am Hannover Square gesegnet, und das Jahr darauf können Sie lesen, daß auf Roehampton am Sonnabend die Lady Blanche Pump und Aldgate einem Sohn und Erben das Leben geschenkt hat.

Als nach diesem interessanten Ereignis ein alter Bekannter den jungen Pump im Sprechzimmer der Bank sah, begrüßte er ihn vertraulich mit den Worten: »Hallo, Pump, mein Junge, wie geht es Ihrer Frau?«

Herr Pump sah ihn sichtlich bestürzt und schockiert an und erwiderte ihm nach einer Pause: »Ich danke Ihnen, Lady Blanche befindet sich recht wohl.«

»So, ich glaubte, bei Ihrer Frau wäre das Ereignis eingetreten«, sagte das plump vertrauliche Ekel und verabschiedete sich. Zehn Minuten später kannte die ganze Börse diese Geschichte und erzählt sie noch heute, wenn der junge Pump auf der Bildfläche erscheint.

Man kann sich das schwere Dasein des armen Pump, dieses Märtyrers des Mammons, gut ausmalen; man vergegenwärtige sich die häuslichen Freuden eines Mannes, der eine Frau besitzt, die ihn verachtet, der nicht einmal seine eigenen Freunde im eigenen Hause bei sich sehen kann, der nach Aufgabe der Beziehungen zu seinem angestammten Mittelstande noch nicht in den höheren Kreisen Zutritt hat, der sich schließlich mit allen möglichen Zurückweisungen, Enttäuschungen und Erniedrigungen abgefunden hat und in dem Gedanken zufrieden ist, daß sein Sohn dereinst glücklicher sein wird.

In einigen alten vornehmen Klubs der City war es früher Sitte, daß, wenn ein Mitglied eine Guinee zu wechseln wünschte, ihm das Kleingeld stets in gewaschenen Silberstücken gebracht wurde, da das Geld, welches unmittelbar aus dem Besitz der Plebs in seine Hände gelangen könnte, als zu ordinär angesehen wurde, um die Finger eines Gentleman zu verunreinigen. So verhält es sich auch mit dem Gelde eines City-Snobs. Nachdem es eine oder mehrere Generationen lang sich zu Gütern, Wäldern, Schlössern und städtischen Herrenhäusern »hindurchgewaschen« hat, wird ihm schließlich gestattet, als aristokratische Münze passieren zu dürfen. Der alte Pump fegt den Laden, tut Botengänge, bekommt Vertrauensposten und erreicht es, Teilhaber zu werden. Pump der Zweite wird Chef des Hauses, häuft Geld zu Geld und verheiratet seinen Sohn an die Tochter eines Lords. Pump der Dritte betreibt sein Bankgeschäft weiter, aber sein Hauptgeschäft im Leben ist darauf gerichtet, der Vater von Pump dem Vierten zu werden, der schon als Vollblutaristokrat aus dem Ei kriecht, seinen Sitz im Hause der Lords als Baron Pumpington einnimmt und dessen Geschlecht erblich über unsere Nation von Snobs zu herrschen berufen ist.


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