Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einundzwanzigstes Kapitel

Einige Festland-Snobs

Nun, wo der September ins Land gezogen ist und unsere Pflichten vorüber sind, ist vielleicht keine Klasse von Snobs so in Flor wie die der Festlands-Snobs. Ich beobachte sie täglich, wenn sie ihre Wanderungen vom Strande bei Folkestone aus antreten. Ich sehe Scharen von ihnen abreisen. (Vielleicht nicht ohne das mir angeborene Verlangen, mit diesen glücklichen Snobs zugleich die Insel verlassen zu dürfen.) Lebt wohl, teure Freunde, sage ich, ihr könnt schwerlich ahnen, daß die Person, die euch vom Strande aus nachsieht, euer Freund, Historiograph und Bruder ist!

Ich begegnete heute unserem ausgezeichneten Freunde Snooks an Bord der »Königin der Franzosen«; eine große Anzahl Snobs waren gleichfalls auf dem Deck dieses schönen Schiffes, die ihre Reise in all ihrer Pracht und Stattlichkeit antraten. In vier Stunden werden sie in Ostende sein und von da aus nächste Woche den Kontinent überschwemmen; sie werden das berühmte Bild des britischen Snobs in ferne Länder tragen. Ich werde sie dort nicht sehen, aber ich werde im Geist bei ihnen sein; denn in Wirklichkeit gibt es kaum ein Land in der bekannten und zivilisierten Welt, in dem meine Augen sie nicht schon ergattert haben.

Ich habe Snobs in roten Röcken und Jagdstiefeln über die römische Campagna streifen sehen und habe ihre Flüche und ihre mir nur zu gut bekannten Sportausdrücke in den Galerien des Kolosseums gehört. Ich habe einen Snob auf einem Kamel in der Wüste getroffen und sah ihn vor der Pyramide des Cheops frühstücken. Ich möchte wohl gerne wissen, wie viele artige britische Snobs sich gerade in dieser Minute, wo ich über sie schreibe, aus jedem Fenster nach dem Hof von Hotel Meurice in der Rue de Rivoli hinauslehnen oder hinausbrüllen: »Garsong, du päng«, »Garsong, du väng«; oder wie viele über den Toledo in Neapel stolzieren, oder selbst nur wie viele auf dem Ostender Pier nach Snooks Ausschau halten – nach Snooks und den übrigen Snobs an Bord der »Königin der Franzosen«.

Sieh dort den Marquis von Carabas mit seinen beiden Wagen. Die gnädige Marquise kommt gerade an Bord und sieht sich dort mit jener glücklichen Mischung von Entsetzen und Unverschämtheit um, welche die gnädige Frau auszeichnet; dann eilt sie zu ihrer Equipage, denn es ist für sie ein Ding der Unmöglichkeit, sich unter die anderen Snobs auf Deck zu mengen. Da sitzt sie nun, um in der Einsamkeit die Seekrankheit auszukosten. Die Erdbeerblätter in dem Wappen auf ihrem Wagenschlag haben sich auch in das Herz der gnädigen Frau eingeprägt. Wenn die Reise nach dem Himmel anstatt nach Ostende ginge, so würde sie, wie ich fest annehme, für sich reservierte Plätze verlangen und die besten Zimmer im voraus bestellen. Ein Kurier mit umgehängter Geldtasche, ein großer, finster dreinblickender Lakai, eine unverschämt aussehende französische Kammerfrau (deren wundervoll plundriges Kostüm einer reisenden Kammerzofe nur eine weibliche Feder deutlich zu beschreiben vermöchte) und eine unglückselige Gesellschafterin umgeben sie, um den Wünschen der gnädigen Frau und ihres King Charles Spaniel nachzukommen. Sie rennen hin und her mit Eau de Cologne und Taschentüchern aus Spitzen und Batist und stopfen geheimnisvolle Kissen hinten und vorn in jede nur mögliche Ecke des Wagens.

Der kleine Marquis, ihr Gemahl, geht mit verängstigtem Gesicht, an jedem Arm eine dürre Tochter, auf dem Deck auf und ab. Die Hoffnung der Familie, mit mohrrübenfarbenem Kinnbart, raucht bereits auf dem Vorderdeck; er trägt ein großkariertes Reisekostüm, kleine Zeugschuhe mit Lackspitzen und ein Hemd mit eingestickten Riesenschlangen. Woher kommt nur der wunderbare Hang der reisenden Snobs, in solchem Anzüge loszuziehen? Warum kann er nicht in gewöhnlichem Rock usw. reisen? Warum hält er es für passend, sich wie ein trauernder Hanswurst zu kleiden? Sieh, selbst Jung Aldermanbury, der Talghändler, der soeben an Bord geht, trägt einen Reiseanzug, der über und über von Taschen klafft; und der kleine Tom Tapeworm, der Anwaltsschreiber aus der City, der nur drei Wochen Urlaub hat, zieht mit Gamaschen und einem nagelneuen Jagdjackett los und läßt sich wahrlich einen Schnurrbart auf seiner kleinen, sonst nur Schnupftabakspuren tragenden Oberlippe stehen.

Pompejus Hicks gibt seinem Diener weitschweifige Anordnungen und ruft laut: »Davis, wo ist der Kasten mit dem Rasierzeug?« und »Davis, Sie hätten lieber den Pistolenkasten in die Kajüte nehmen sollen.« Der kleine Pompejus reist mit Rasiermessern, aber ohne Bart; wer kann mir aber sagen, wen in aller Welt er mit seinen Pistolen erschießen will? Und was er mit seinem Diener anfangen will, außer auf ihn zu warten, kann ich wirklich nicht ahnen.

Sieh da den ehrlichen Nathan Houndsditch mit seiner Frau und ihrem kleinen Sohn. Was für ein Ausdruck aufgeblasener Befriedigung leuchtet doch aus den Zügen dieser Snobs von der orientalischen Rasse! Was hat er bloß für einen Anzug an! Wieviel Ringe und Ketten, wieviel Stöcke mit goldenen Knöpfen und Diamanten, und was für einen Kinnbart der Schuft nicht gar trägt! (Dieser Schuft versagt sich doch wirklich kein noch so billiges Vergnügen!) Der kleine Houndsditch hat einen kleinen Stock mit vergoldetem Knopf und Mosaikverzierungen, was ihm einen besonderen Anstrich verleiht. Und nun zu der Frau – sie erglänzt in allen Farben des Regenbogens; sie trägt einen roten Sonnenschirm mit weißem Futter, einen gelben Hut, smaragdgrünen Schal und einen in allen Farben schillernden Umhang; ferner gelbe Stiefel und rhabarberfarbene Handschuhe; bunte Glasknöpfe funkeln und glänzen von der Größe eines Vierpennystückes bis zu einer Krone an der ganzen Vorderseite ihres prachtvollen Kostüms. Wie schon gesagt: ich sehe »unsere Leute« gern an ihren Gala-Tagen, sie sehen so pittoresk und so über die Maßen prächtig und glücklich aus. Dort kommt der Kapitän Bull, adrett und nett, rein und fein, der jedes Jahr seines Lebens vier bis sechs Monate auf Reisen ist; er fällt nicht durch den Luxus seiner Kleidung auf, auch nicht durch Unverschämtheit oder unangenehmes Benehmen, aber dennoch halte ich ihn für einen ebenso großen Snob wie nur irgendeinen an Bord. Bull verlebt die Saison in London, schmarotzt dort auf Diners herum und schläft in einer Dachkammer in der Nähe des Klubs. Überall im Auslande ist er gewesen, er weiß, wo es in jeder Hauptstadt auf dem Kontinent den besten Wein gibt; in den ersten Hotels verkehrt er mit der ersten englischen Gesellschaft, er kennt jeden Palast und jede Bildergalerie von Madrid bis Stockholm, er spricht ein entsetzliches Kauderwelsch, das mit Brocken aus fünf oder sechs Sprachen untermischt ist und weiß nichts – aber auch rein gar nichts. Bull macht auf dem Kontinent Jagd nach Aristokraten und ist eine Art von Amateurkurier. Er wird sich, noch ehe sie Ostende erreichen, die Bekanntschaft mit dem alten Carabas erdienert haben und wird Seine Lordschaft daran erinnern, daß er ihn schon einmal vor zwanzig Jahren in Wien getroffen hat und daß er den Vorzug hatte, ihm auf dem Rigi ein Glas Schnaps anzubieten. Wir haben vorhin gesagt, daß Bull nichts weiß; dennoch aber kennt er das Geschlecht, das Wappen und den ganzen Stammbaum sämtlicher Pairs. Mit seinen kleinen Augen hat er alle Equipagen an Bord untersucht – sich die Wappen gemerkt und die Helmzier studiert. Er kennt die Skandalgeschichten sämtlicher auf dem Kontinent lebenden Engländer – wie der Graf Towrowski zu Neapel mit Miß Baggs durchging – wie furchtbar intim Lady Smigsmag mit dem jungen Cornichon von der französischen Gesandtschaft in Florenz war – er kennt die genaue Summe, die Jack Deuceace dem jungen Greengoose in Baden abgewonnen hat – die genaue Höhe der Hypothekenbelastung des Besitzes der O'Goggartys usw. Wenn er keinen Lord einfangen kann, angelt er sich wenigstens einen Baron, sonst aber sucht das alte Untier einen bartlosen jungen Fant von Stand zu keilen, um ihm das »Leben« in verschiedenen vergnüglichen und schwer zugänglichen Stadtvierteln zu zeigen. Pfui über den alten Sünder! Alle Laster zügelloser Jugend kleben ihm an; zu seinem Glück kennt er aber nicht die leisesten Gewissensbisse. Er ist unglaublich dumm, dabei aber ein ganz gemütlicher Kerl. Er hält sich für ein durchaus nützliches Mitglied der Gesellschaft, vielleicht war aber die einzige gute Tat, die er je in seinem Leben vollbrachte, die, daß er durch seine Person ein unfreiwilliges Beispiel gibt, wie man nicht sein soll, und daß er dadurch der Gesellschaft zeigt, wie hassenswert das Bild eines alten Wüstlings ist, der zwar als äußerlich anständiger Faun sein Leben verbringt, eines Tages aber allein, reuelos und unbemerkt in seiner Dachkammer stirbt, bloß zum Erstaunen seiner Erben, die plötzlich erfahren, daß dieser liederliche, alte Unglücksrabe ein Vermögen hinterlassen hat. Sieh da! Jetzt steht er schon bei dem alten Carabas! Das habe ich ja gleich gesagt.

Dann ist da noch die alte Lady Mary MacScrew, und die jungen, im mittleren Alter stehenden Damen sind ihre Töchter. Sie werden sich durch Belgien und den Rhein aufwärts durchhandeln und durchfeilschen, bis sie eine Pension finden, wo sie für weniger Geld leben können, als sonst die gnädige Frau ihren Dienern Lohn zu geben pflegt. Aber sie erwartet von den Snobs, die den gleichen Badeort besuchen, den sie sich als Sommerresidenz auserkoren hat, den vollkommensten Respekt, da sie eine Tochter des Earl of Haggistoun ist. Jener breitschultrige Geck mit dem großen Schnurrbart und den gewaschenen Glacéhandschuhen ist Mr. Phelim Clancy aus Poldoodystown; er nennt sich selbst Mr. de Clancy und bemüht sich, seinen heimatlichen Dialekt durch die wunderbarste Nachahmung des Englischen zu verheimlichen; wenn du Billard oder Ecarté mit ihm spielst, so stehen die Chancen für dich so, daß du die erste Partie gewinnen wirst, er dafür aber die folgenden sieben oder acht.

Jene überlebensgroße Dame mit den vier Töchtern und dem jungen Dandy von der Universität, ihrem Sohn, ist Mrs. Kewsy, die Gattin des hervorragenden Advokaten, die lieber sterben würde, als nicht für vornehm gehalten zu werden. Sie hat den Pairskalender in ihrer Reisetasche, darauf kannst du Gift nehmen; sie wird aber von Mrs. Quod ausgestochen, der Gattin des Staatsanwaltes, deren Kutsche mit dem ganzen Drum und Dran von Dienersitzen und Verdecken an Glanz kaum der des Marquis von Carabas nachsteht. Ihr Kurier hat sogar einen größeren Schnurrbart und eine größere lederne Geldtasche als der junge Mann des Marquis. Beachte die Dame wohl, sie spricht gerade mit Mr. Spout, dem neuen Abgeordneten für Jawborough, der ins Ausland reist, um die Tätigkeit des Zollvereins zu studieren, damit er in der nächsten Session einige ernsthafte Anfragen über die Haltung Englands in Sachen des preußischen Bauholzhandels, der Neapler Seifenausfuhr und der deutschen Feuerschwamm-Industrie usw. an Lord Palmerston richten kann.

Spout wird den König Leopold mit seiner Gunst in Brüssel beehren; er wird vom Ausland aus Berichte für den »Jawborough Independent« schreiben, und in seiner Eigenschaft als »Member du Parlamang Britannique« erwartet er von jedem Herrscher, dessen Land er mit seinem Besuch beehrt, zum Familiendiner eingeladen zu werden.

Die nächste Person ist – aber horch! Die Abfahrtsglocke ertönt. Noch einen herzlichen Händedruck für Snooks, dann rasch zurück auf die Landungsbrücke; ein Tücherschwenken, wenn das edle schwarze Schiff kühn die azurblauen, sonnigen Wogen durchschneidet! Da zieht es hin mit seiner für das Ausland bestimmten Ladung von Snobs!


 << zurück weiter >>