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Vierzehntes Kapitel

Über Universitäts-Snobs

Allen, die je das Sankt-Bonifatius-College besucht haben, werden die Gestalten von Hugby und Crump im Gedächtnis geblieben sein. Zu meiner Zeit waren sie Lehrer, und seitdem ist Crump zum Präsidenten des College aufgestiegen. Damals schon war er das vollendetste Muster für einen Universitäts-Snob, und jetzt ist er es erst recht.

Mit fünfundzwanzig Jahren entdeckte Crump drei neue Versmaße und veröffentlichte die Ausgabe eines höchst unanständigen griechischen Lustspiels mit nicht weniger als zwanzig Verbesserungen des deutschen Textes von Schnupfenius und Schnapsius. Diese der Religion geleisteten Dienste bewirkten es, daß er sofort auf die Liste der Anwärter für die höheren Kirchenstellen gesetzt wurde, und nun hat er es bis zum Präsidenten von Sankt Bonifatius gebracht und ist nur gerade eben noch der Bischofsbank entwischt. Crump hält Bonifatius für das Zentrum der Welt und seine Stellung als Präsident für die höchste in England. Er erwartet, daß die Studenten und Lehrer ihm dieselbe Art von Verehrung erweisen wie die Kardinäle dem Papst. Ich bin mir sicher, daß Crawler ohne Widerrede ihm sein Barett nachtragen und Page ihm die Schleppe seines Talars halten würde, wenn er zur Kapelle stolziert. Dort brüllt er die Responsorien, als ob es eine Ehre für den Himmel wäre, daß der Präsident von Sankt Bonifatius persönlich am Gottesdienste teilnimmt. Als seinen einzigen Vorgesetzten sehen sein Haus und sein College nur den Landesherrn an.

Als die verbündeten Monarchen hinkamen, um zu Doktoren der Universität gemacht zu werden, wurde ein Frühstück zu Sankt Bonifatius gegeben. Bei dieser Gelegenheit gestattete Crump dem Kaiser Alexander den Vortritt, während er selbst vor dem König von Preußen und dem Fürsten Blücher einherging. Er hatte die Absicht, den Kosakenhetman Platow beim Essen an einen Nebentisch zu den Hilfslehrern des College zu setzen, wurde aber bewogen, hiervon abzusehen. Er unterhielt sich nun mit dem vornehmen Kosaken ausschließlich in dessen Sprache und machte es ihm unwiderleglich klar, daß er, der Hetman, keine Ahnung von ihr hätte.

Wir Studenten wußten von Crump nicht viel mehr als vom Dalai Lama. Ein paar bevorzugte Jünglinge wurden gelegentlich zum Tee bei ihm eingeladen. Aber sie durften nicht den Mund auftun, ehe nicht der Doktor zuerst das Wort an sie richtete. Und wenn sie sich setzen wollten, so flüsterte ihnen Mr. Toady, der Famulus Crumps, zu: »Meine Herren, haben Sie die Güte aufzustehen, der Präsident kommt« oder: »Meine Herren, der Präsident liebt es nicht, daß junge Leute sitzen« oder Worte von ähnlicher Wirkung.

Um Crump gerecht zu werden, müssen wir sagen, daß er vor Hochgestellten nicht kriecht; eher behandelt er sie gönnerhaft, und in London spricht er sehr leutselig mit einem Herzog, der früher einmal sein College besucht hat, oder gibt einem Marquis zwei Finger. Er verleugnet auch nicht seine Herkunft, sondern prahlt damit, indem er sich selbst beweihräuchert: »Ich war Zögling des Armenhauses«, sagt er, »und wie weit habe ich es gebracht, zum größten griechischen Professor am größten College der größten Universität des größten Reiches der Erde.« Woraus folgt, daß diese Welt eine für Bettler vortreffliche Welt ist, da er ja selbst einmal ein Bettler war und es nun so herrlich weit gebracht hat.

Hugby verdankt seine hervorragende Stellung seinem geduldigen Verdienste und seiner ergebenen Beharrlichkeit. Er ist ein sanftes, mildes, unschuldiges Geschöpf, mit gerade so viel Gelehrsamkeit, um ihn zu Vorlesungen oder zur Stellung von Examensfragen zu befähigen. Er machte seinen Weg durch Anbiederung beim Adel. Es ist köstlich zu sehen, wie dies arme Wesen vor einem Edelmann oder vor dem Neffen eines Lords zusammenklappt oder selbst nur vor irgendeinem lauten und sonst unangesehenen Bürgerlichen, sobald er mit einem Lord befreundet ist. Er pflegt jungen Edelleuten sorgfältig zubereitete und auserlesene Frühstücke zu geben, nimmt in ihrer Gesellschaft ein munteres, liebenswürdiges Wesen an und plaudert mit ihnen (obgleich er entschieden fromm ist) über die Oper oder die letzte Hetzjagd. Sehr schön ist es auch, ihn im Kreise der jungen »Bequasteten« zu beobachten mit seiner kriechenden, widerlichen, übereifrigen und unfreien Vertraulichkeit. Er schreibt gerne vertrauliche Briefe an ihre Eltern und hält es für seine Pflicht, sie aufzusuchen, wenn er nach London kommt, ihnen sein Beileid auszusprechen oder sie zu beglückwünschen bei Todesfällen, Geburten und Hochzeiten in ihren Familien und vor allem sie zu feiern, sobald sie einmal zur Universität kommen. Ich erinnere mich, daß ich auf seinem Pult in seinem Hörsaal ein ganzes Semester lang einen Brief habe liegen sehen, der anfing: »Mein Lord und Herzog!« Damit wollte er uns zeigen, mit was für Würdenträgern er in Briefwechsel stand.

Als der jüngst verstorbene und viel beklagte Lord Glenlivat, der im jugendlichen Alter von vierundzwanzig Jahren sich bei einem Hürdenrennen das Genick brach, noch die Universität besuchte, sah dieser liebenswürdige Jüngling frühmorgens auf dem Weg zu seinen Zimmern auf demselben Flur die Stiefel Hugbys vor dessen Tür stehen. Sorgfältig kleidete er ihr Inneres mit Schusterpech aus, und als Seine Hochwürden Mr. Hugby am selben Abend, ehe er zu einem Essen bei dem Vorsteher von St. Crispin ging, die Stiefel ausziehen wollte, verursachte ihm dies die fürchterlichsten Schmerzen.

Jeder schob die Schuld an diesem erleuchteten Dummenjungen-Streich dem Freunde Lord Glenlivats, Bob Tizzy, der berühmt wegen solcher Possen war, in die Schuhe, hatte er doch schon einmal den Pumpenschwengel im College abgedreht und die Nase des heiligen Bonifatius glatt an der Basis des Gesichtes abgefeilt, auch hatte er schon einmal die Figuren von vier Negerknaben aus den Läden von Tabakhändlern entfernt und das Pferd des Universitätsoberrichters erbsengrün angestrichen usw. usw. Bob aber (der zweifellos eingeweiht war und nicht aus der Schule plaudern wollte) hatte so viel auf dem Kerbholz, daß er seine Verweisung befürchten mußte, wodurch er das Familienstipendium, das er inne hatte, verloren haben würde. Da trat edelmütig Glenlivat vor, bekannte sich selbst als Urheber dieses geistvollen Anschlages, bat den Lehrer um Verzeihung und empfing die Relegation.

Hugby weinte, als ihn Glenlivat um Verzeihung bat; hätte ihn der junge Lord mit Fußtritten um den Hof herumgejagt, so glaube ich, würde dieser Lehrer ebenso glücklich gewesen sein, wenn nur eine Entschuldigung erfolgt wäre. Die Verzeihung würde dann ebenfalls unmittelbar auf dem Fuße gefolgt sein. In unserem Falle sagte er: »Mylord, in Ihrem Verhalten bei diesem wie bei allen anderen Vorkommnissen haben Sie sich als vollendeter Gentleman benommen. Sie waren eine Zierde der Universität, wie Sie es sicherlich auch für den Pairsstand sein werden, wenn die liebenswürdige Lebhaftigkeit der Jugend sich erst gelegt haben wird und Sie erst tätigen Anteil an der Regierung der Nation nehmen werden.«

Und als Seine Lordschaft Abschied von der Universität nahm, verehrte ihm Hugby ein Exemplar seiner »Predigten für adlige Familien« (Hugby war früher Hofmeister bei den Söhnen des Earl of Muffborough gewesen). Lord Glenlivat wiederum schenkte das Werk dem Mr. William Ramm, der in Sportkreisen unter dem Namen »der Liebling von Tutbury« bekannt ist, und jetzt liegt es auf dem Ziertisch von Mrs. Ramm hinter der Bar ihres Gasthauses zum »Kampfhahn und Sporn« bei Woodstock in Oxfordshire.

Mit dem Beginn der großen Ferien geht Hugby nach London und mietet sich ein hübsches Zimmer in der Nähe von St. James' Square, reitet nachmittags im Park spazieren und freut sich unbändig, wenn er in den Morgenzeitungen seinen Namen unter denjenigen liest, die bei den Empfängen in Muffborough House oder auf den Abendgesellschaften des Marquis of Farintosh zugegen waren. Er ist auch Mitglied des Klubs, in dem Sydney Scraper verkehrt, trinkt aber im Gegensatz zu ihm einen Schoppen Rotwein.

Manchmal kann man ihn an Sonntagen sehen, zur Stunde, wenn die Kneipen aufgemacht werden, aus denen kleine Mädchen mit großen Krügen Porter herauskommen, wenn Armenhausschüler durch die Straßen gehen, die braune Schüsseln mit geschmorten Hammelkeulen und Bratkartoffeln tragen, wenn Sheeny und Moses in Seven-Dials mit ihren Pfeifen vor den herabgelassenen Rolläden ihrer Geschäfte sitzen, wenn eine Menge lächelnder Leute in sauberen Anzügen von fremdländischem Schnitt, mit wunderlichen Mützen und wehenden Kattungewändern oder in zerknitterten Tuch- und Seidenkleidern, die noch die Spuren der Falten tragen, in denen sie die ganze Woche hindurch in den Kommodenladen aufbewahrt waren, die High Street entlang auf und abgehen – manchmal, wie gesagt, kann man Hugby auf dem Rückweg von der Kirche St. Giles-in-the-Fields treffen. Am Arm führt er eine behäbige Dame, deren alte Züge einen Ausdruck größten Stolzes und höchsten Glückes erkennen lassen, wenn sie alle ihre Nachbarn und den Geistlichen selbst auf dem Wege nach Holborn mit einem Blick streift, wo sie an einem Hause, an dem ein Schild: Hugby, Schnittwarenhändler, angebracht ist, klingelt. Das ist die Mutter des Reverend F. Hugby, und sie ist so stolz auf ihren Sohn mit seiner weißen Halskrause, wie nur je es Cornelia in Rom auf ihre beiden Juwelen sein konnte. Hinter ihnen mit den Gesangbüchern geht der alte Hugby, und die alte Jungfer an seiner Seite ist Betsy Hugby – ja, das ist der alte Hugby, Schnittwarenhändler und zugleich Gemeindekirchenrat.

Im Vorderzimmer, wo auch das Mittagessen eingenommen wird, hängt eine Ansicht von Muffborough Castle und das Bild des Earl of Muffborough, Ritter unzähliger Orden und Gouverneur von Diddlesex; ferner ein Stich aus einem Almanach des St. Bonifatius College in Oxford und ein Bild in gesticktem Rahmen von Hugby in jungen Jahren, das ihn mit Barett und im Talar darstellt. Ein Exemplar seiner »Predigten für adlige Familien« steht auf dem Bücherbrett neben den »Pflichten der Menschheit«, den Berichten von Missionsgesellschaften und dem Oxforder Universitätskalender. Den letzteren kennt der alte Hugby teilweise auswendig. Er weiß den Namen jeder Pfründe von Sankt Bonifatius, weiß, wie jeder Lehrer, Ordinarius, Edelmann und Student heißt.

Ehe sein Sohn Geistlicher wurde, pflegte er selbst in Versammlungen zu predigen; kürzlich hat man aber den alten Herrn des Puseyismus verdächtigt, und seitdem kennt er kein Erbarmen mehr mit den Dissidenten.


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