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Wenn ich sehe, welchen großen Eindruck diese Artikel auf ein intelligentes Lesepublikum hervorrufen, so hege ich die feste Hoffnung, daß wir in nicht zu ferner Zeit eine ständige Rubrik in den Zeitungen haben werden, die alle Nachrichten aus der Snob-Welt bringt, so wie wir jetzt schon regelmäßige Polizeiberichte und Hofnachrichten haben. Kommt irgendeine Körperverletzung oder ein Mißbrauch in der Armenverwaltung vor, wer ist da wohl beredter in der Schilderung als die »Times«? Warum sollte nun nicht der empörte Journalist, sobald sich ein besonders markanter Fall von Snobhaftigkeit ereignet, die öffentliche Meinung auch auf eine solche Missetat aufmerksam machen?
Wie ausgiebig könnte zum Beispiel jener klassische Fall des Earl von Mangelwurzel und seines Bruders in der Snob-Revue unter die Lupe genommen werden? Lassen wir selbst die Großsprecherei, das Geschimpfe, den blauen Dunst, die schlechte Orthographie, die gegenseitigen Verdächtigungen, Widerrufe, Vorwürfe des Lugs und Herausforderungen, welche in diesem brüderlichen Streit eine so große Rolle spielen, außerhalb des Rahmens unserer Betrachtungen, da sie ja als rein persönliche Angelegenheit nichts damit zu tun haben – so kommt man doch zu dem Schlusse, wie bis ins Innerste verderbt, wie gewohnheitsmäßig kriechend und niedrig, wie durch und durch snobhaft – um es mit einem Wort auszudrücken – eine ganze Grafschaft sein muß, welche keine besseren Führer und Vertreter als diese beiden Herren finden kann! »Wir brauchen«, so scheint die große Grafschaft von Mangelwurzelshire zu sagen, »als Abgeordneten keinen Mann, der orthographisch richtig zu schreiben oder sich in christlichem Sinne auszudrücken versteht, auch hat er nicht nötig, die landläufigste Lebensart an den Tag zu legen, ja nicht einmal gesunden Menschenverstand zu zeigen. Alles, was wir von unserem Vertreter verlangen, ist, daß er uns von dem Earl von Mangelwurzelshire empfohlen wird. Und alles, was wir von dem Earl von Mangelwurzelshire verlangen, ist, daß er fünfzigtausend Pfund jährlich zu verzehren hat und Jagden in seinem Wahlkreise veranstaltet.« O du Stolz von ganz Snobland! O ihr schleichenden, kriechenden Lakaienseelen und Schmarotzer!
Aber wir werden zu ausfallend, wir wollen unsere angeborene Anmut und jene scherzhafte und gefühlvolle Gesinnung, die die Ursache gegenseitigen Einvernehmens zwischen dem verehrten Leser und dem Verfasser bisher gewesen sind, nicht außer acht lassen. Zur Sache also: Das Snobtum durchzieht in gleicher Weise die kleine gesellschaftliche Posse wie das große Schauspiel, welches der Staat bietet, und dieselbe Moral verbindet beide gemeinsam.
Da wurde zum Beispiel in den Zeitungen von einer jungen Dame berichtet, die von einem Wahrsager dazu verführt worden war, eine Reise nach Indien anzutreten (sie kam aber, glaube ich, nur bis Bagnigge Wells), weil sie dort den Mann, der ihr versprochen worden war, finden würde. Soll man annehmen, daß die arme betrogene Seele nur deshalb ihren Laden verlassen hätte, um einen Mann unter ihrem Stande zu finden? Müßte es nicht zum mindesten etwas so Süßes wie ein Hauptmann mit Epauletten und in rotem Waffenrock gewesen sein? Ihre snobhafte Gesinnung aber hat sie verführt, und ihre Eitelkeit machte sie zur Beute jenes schwindelnden Wahrsagers.
Der zweite Fall ist der der Mademoiselle de Saugrenue, jener interessanten jungen Französin mit der schwarzen Lockenfülle, die umsonst in einer Pension in Gosport wohnte, von wo man sie, ebenfalls gratis, nach Fareham geleitete. Dort nahm das liebe Mädchen die Gelegenheit wahr, als sie im Bett ihrer Wirtin, einer alten Dame, lag, die Matratze aufzuschneiden und daraus eine Geldkassette zu stehlen, mit welcher sie nach London ausrückte. Wie ist dieses Übermaß von Wohlwollen für diese interessante junge Französin zu erklären? Etwa wegen ihrer schwarzen Locken oder ihres entzückenden Gesichtchens, pah! Haben sich denn Damen deshalb gegenseitig gern, weil sie nette Gesichter und schwarzes Haar haben? Nein, sie erzählte, sie wäre mit dem Lord de Saugrenue verwandt, sprach von der gnädigen Frau, ihrer Tante, und von sich selbst als einer Mademoiselle de Saugrenue. Da lagen ihr die ehrlichen Wirtsleute auf einmal zu Füßen, die guten, braven, lordanbetenden Kinder aus Snobland.
Zum Schluß führe ich noch den Fall Seiner Hochwürden des Mr. Vernon aus York an. Hochwürden war der Sohn eines Adligen und verstand es, eine alte Dame vollständig für sich einzunehmen. Er erhielt von ihr, da sie ihm unbedingtes Vertrauen schenkte, Essen, Geld, Kleidungsstücke, Löffel und eine vollständige Wäscheausstattung. Dann umgarnte er eine ganze Familie, bestehend aus Vater, Mutter und Töchtern, von denen er einer einen Heiratsantrag machte. Der Vater lieh ihm Geld, die Mutter versorgte ihn mit Marmeladen und Mixed-Pickles, die Töchter wetteiferten darin, für Hochwürden seine Leibgerichte zu kochen – und wie war das Ende? Eines Tages verduftete der Verräter mit einer Teekanne und einem Korb mit kaltem Aufschnitt. Der Titel »Hochwürden« war der Köder, auf den all diese gefräßigen dummen Snobs anbissen; würden sie aber darauf hineingefallen sein, wenn ein Bürgerlicher ihn getragen hätte? Gibt es wohl eine alte Dame, mein verehrter Herr, die an uns ebenso handeln würde, wenn wir es fertig brächten, die gleichen Schlechtigkeiten zu tun? Würde sie uns wohl pflegen, kleiden und uns ihr Geld und ihre silbernen Gabeln geben? Aber ach, welcher wahrheitsliebende Sterbliche darf hoffen, eine solche Wirtin zu finden? Und doch, alle diese Beispiele übertrieben leichtgläubiger Snobhaftigkeit sind nach der Zeitung in einer Woche vorgekommen, und wer weiß, wie viele Dutzende außerdem noch?
Gerade als ich diese Bemerkungen beendet hatte, wird mir ein hübscher kleiner, mit einem Schmetterling versiegelter Brief gebracht – nach dem Poststempel kommt er aus dem Norden –, und seinen Inhalt gebe ich hier wieder:
»den 19. November.
Mr. Punch,
Da wir an Ihren Artikeln über die Snobs großen Anteil nehmen, so sind wir sehr begierig zu erfahren, in welche Klasse dieser achtbaren Zunft Sie uns wohl aufnehmen würden.
Wir sind drei Schwestern im Alter von siebzehn bis zweiundzwanzig Jahren. Unser Vater stammt gewiß und wahrhaftig aus einer sehr guten Familie (Sie werden diese Erwähnung zwar snobhaft finden, aber ich möchte diese einfache Tatsache feststellen), unser Großvater mütterlicherseits war ein Earl. Die Erwähnung des Großpapas ist, fürchte ich, snobhaft.
Wir können es uns leisten, uns eine numerierte Ausgabe Ihrer und der Dickensschen Werke zu kaufen, sobald sie erscheinen, aber wir halten uns nicht so etwas Ähnliches wie den Pairs- oder selbst nur einen Baronets-Kalender im Hause. Bravo! Punchs Taschen-Almanach ist das Richtige, und diese verehrten jungen Damen sollen ein Freiexemplar haben.
Wir gestatten uns jeden Komfort, haben einen ausgezeichneten Keller usw. usw.; da wir uns aber nicht gut einen Kellermeister halten können, so bedient uns bei Tisch ein niedliches Zimmermädchen (und das, obwohl unser Vater Offizier war, große Reisen gemacht und in der besten Gesellschaft verkehrt hat). Wir halten uns aber einen Kutscher und einen Hilfsdiener, indessen stecken wir diesen weder in eine Knopflivree, noch lassen wir ihn bei Tisch aufwarten, wie es bei Stripes und Tummus der Fall war. Ganz, wie es Ihnen beliebt. Ich habe gegen maßvoll angebrachte Knöpfe nichts einzuwenden.
Wir bleiben uns gleich in unserem Benehmen Adligen wie Unadligen gegenüber. Wir machen die Krinolinenmode nur in gemäßigter Form mit So ist es recht! und sind am Morgen niemals schlampig angezogen. Der Himmel segne Sie dafür! Wir speisen gut und reichlich von Porzellan, obwohl wir auch silbernes Geschirr haben, und machen dabei keinen Unterschied, ob wir allein sind oder Gesellschaft haben. Snobhaft; ich zweifle, ob Sie wirklich allein so gut speisen wie in Gesellschaft. Sie würden ja sonst zu üppig leben.
Und nun, mein verehrter Herr Punch, geben Sie uns bitte in Ihrer nächsten Nummer eine kurze Antwort, wofür ich Ihnen sehr verbunden sein werde. Niemand, selbst unser Vater weiß nicht, daß wir an Sie schreiben; wir werden Sie auch ganz gewiß nie wieder belästigen, Wir lieben es, belästigt zu werden; sagen Sie es aber Ihrem Papa. wenn Sie uns nur eine Antwort – sei es auch nur im Spaß – geben wollen.
Wenn Sie bis hierher gelesen haben werden, was zweifelhaft ist, werden Sie wahrscheinlich den Brief ins Feuer werfen. Wenn Sie es tun, kann ich es natürlich nicht ändern; ich habe aber ein sanguinisches Temperament und habe deshalb eine schwache Hoffnung. Jedenfalls werde ich den nächsten Sonntag mit Ungeduld erwarten, denn da erreichen Sie uns, und ich schäme mich beinahe, es zu gestehen, daß wir der Versuchung nicht werden widerstehen können, Sie auf dem Rückweg von der Kirche in unserem Wagen zu öffnen. O Hosenbandorden und Sterne! Was wird dazu Kapitän Gordon und die Exeter Hall sagen?
Ich verbleibe usw. usw., für mich und meine Schwestern.
Entschuldigen Sie bitte das Gekritzel, ich schreibe aber immer in Eile. Liebe kleine Schwärmerin!
P.S. Letzte Woche waren Sie etwas ledern, Noch nie haben Sie sich so geirrt, kleines Fräulein! fanden Sie das nicht auch? Wir halten uns keinen Wildhüter und haben trotz der Wilddiebe doch Wild im Überfluß, wenn wir Jagdgäste haben. Wir schreiben niemals auf parfümiertem Papier – kurz, ich kann mir nicht denken, daß Sie uns für Snobs halten würden, wenn Sie uns kennenlernten.«
Hierauf erwidere ich folgendes: – »Meine verehrten jungen Damen, ich kenne Ihren Aufgabeort und werde Sie dort vor der Kirche Sonntag über acht Tage erwarten; wollen Sie nur gütigst als Erkennungszeichen eine Tulpe oder sonst eine hervorstehende Kleinigkeit an Ihren Hüten tragen. Mich und meinen Anzug werden Sie leicht erkennen können – ich bin ein friedlich aussehender junger Mann in weißem Überrock, karmoisinroter seidener Halsbinde, hellblauen Beinkleidern und Stiefeln mit Lackkappen und einer Smaragd-Busennadel. Um meinen weißen Hut werde ich ein schwarzes Kreppband tragen und in der Hand meinen gewohnten Bambusstock mit dem schwer vergoldeten Knopfe. Ich fürchte aber, die Zeit wird nicht mehr reichen, daß ich mir von heute bis zur nächsten Woche noch einen Schnurrbart stehenlasse.
Von siebzehn bis zweiundzwanzig! Ihr Götter! Was für ein Alter! Ihr lieben jungen Geschöpfe! Ich habe euch alle drei vor Augen. Siebzehn paßt zu mir, weil es meinem eigenen Alter am nächsten ist; damit sage ich aber keineswegs, daß zweiundzwanzig schon zu alt wäre. Nein. Nein. Und dann zwischen beiden dieser reizende, sittsame Schalk! Still, still, du dummes, kleines pochendes Herz!
Sie und Snobs, meine verehrten jungen Damen! Ich werde jedem die Nase eindrücken, der das zu behaupten wagt. Es ist doch kein Unrecht, aus guter Familie zu sein. Sie, meine armen Lieblinge, können doch gewiß nichts dafür! Was bedeutet überhaupt ein Name? Was bedeutet ein ›von‹ davor! Ich gestehe es ganz offen, daß ich selbst nichts dagegen einzuwenden hätte, wenn ich ein Herzog wäre; denn ganz unter uns im Vertrauen, es gibt für den Hosenbandorden noch häßlichere Beine.
Sie und Snobs, Sie lieben gutherzigen Dinger, nimmermehr! – Das bedeutet ja – ich will nicht hoffen – ich kann es mir nicht denken – dennoch, ich darf nicht zu vertrauensselig sein – das sollte überhaupt niemand sein – das hieße ja, daß wir alle keine Snobs wären. Aber solches Selbstvertrauen schmeckt doch nach Arroganz, und arrogant sein heißt ein Snob sein. Auf allen Stufen der Gesellschaft, vom Duckmäuser bis zum Tyrannen, hat die Natur eine überaus mannigfaltige und wunderbare Auswahl von Snobs hervorgebracht. Gibt es nicht aber auch gütige Charaktere, zartfühlende Herzen, demütige, einfache und wahrheitsliebende Gemüter? Denken Sie eingehend über diese Frage nach, meine lieben, süßen, jungen Damen, und wenn Sie sie mir beantworten können, woran ich nicht zweifle – dann Heil Ihnen und Heil Ihrem verehrten Herrn Papa und Heil den drei hübschen jungen Herren, die es verstanden, sich untereinander zu verschwägern!«