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Achtzehntes Kapitel

Gesellschaften-gebende Snobs

Oft hat unsere Auswahl von Snobs in den letztvergangenen Wochen einen zu ausschließlich politischen Charakter gehabt. Bei Wiederdurchsicht der betr. Manuskripte habe ich deren Inhalt so töricht, so persönlich – mit einem Wort, so snobhaft gefunden, daß ich sie aus dieser Sammlung zurückgezogen habe (Der Snob).

»Führen Sie uns Snobs in ihrem Privatleben vor«, verlangen die teuren Damen (vor mir liegt der Brief einer Schreiberin aus dem Fischerdorf Brighthelmstone in Sussex; wer vermöchte ihren Befehlen zu widerstehen?). »Berichten Sie uns mehr, geehrter Herr Snob, von Ihren Erfahrungen über das Verhalten der Snobs der Gesellschaft.« Gott bewahre mich vor diesen harmlosen Gemütern! Nun haben sie sich schon an dieses Wort gewöhnt – dieses hassenswerte, gemeine, schreckliche und unaussprechliche Wort entschlüpft bereits mit der denkbar größten Geläufigkeit dem Gehege ihrer Zähne. Es sollte mich nicht wundern, wenn es nächstens sogar bei Hofe von den Ehrendamen gebraucht wird. In der besten Gesellschaft ist es schon, wie ich weiß, im Schwunge. Warum auch nicht! Das Snobtum ist gewöhnlich, das bloße Wort mitnichten; denn wollten wir das, was wir Snobtum nennen, mit einem anderen Wort bezeichnen, so würde dieses gleichwohl snobhaft ausfallen müssen. Nun denn zur Sache. Die Saison nähert sich ihrem Ende. Hunderte edler Seelen, die snobhaft oder anders fühlen, haben bereits London verlassen, viele gastliche Teppiche liegen bereits zusammengerollt, und die Fensterscheiben sind erbarmungslos mit dem »Morning Herald« verklebt. Die Herrschaftshäuser, sonst von liebenswürdigen Wirten bewohnt, sind nun der Sorge des traurigen Hausmeisterstellvertreters, irgendeines schnuddligen, alten Weibes, überantwortet, welches als Antwort auf dein hoffnungsloses Klingeln für einen Augenblick aus des Hauses Tiefen erscheint und dir durch einen Spalt der Entreetür eröffnet, daß die gnädige Frau die Stadt verlassen hat oder daß die Familie »aufs Land« oder nach »dem Rheind« gefahren ist oder was nicht alles. Da also die Saison und die Gesellschaften vorbei sind, warum soll ich nun nicht eine Zeitlang Gesellschaften-gebende Snobs einer Betrachtung unterziehen und das Benehmen einiger dieser Leute, die der Stadt für sechs Monate den Rücken gekehrt haben, Revue passieren lassen?

Einige dieser trefflichen Snobs erwecken den Glauben, daß sie verreist sind, um dem Segelsport zu huldigen, und sie verbringen auch ihre Zeit zwischen Cherbourg und Cowes in Teerjacken, mit Fernrohren bewaffnet. Andere leben mit den Hühnern und Schweinen zusammen in dunklen, kleinen Hütten in Schottland, wo sie sich mit Suppen- und Kalbfleischkonserven verproviantiert haben und Haselhühner in den Mooren totschießen. Wieder andere suchen die Folgen der Saison in Kissingen abzuspülen und abzubaden oder beschäftigen sich damit, dem geistreichen Spiel Trente et Quarante in Homburg oder Ems zuzusehen. Nun, wo sie alle fort sind, können wir es uns leisten, sehr beißend über sie zu schreiben. Jetzt gibt es ja keine Gesellschaften mehr, nehmen wir also zuerst den Gesellschaft-gebenden, den Diner-gebenden, den Ball-gebenden, den Déjeuner-gebenden und den Jours-gebenden Snob vor: O Gott, o Gott, welche Metzelei hätten wir unter ihnen anrichten können, wenn unsere Angriffe in der Hochsaison erfolgt wären. Ich hätte einen Schutzmann nötig gehabt, um mich gegen Musiker und Pastetenbäcker zu wehren, die es nicht gelitten haben würden, daß man ihren Gönnern ein Haar krümmt. Es wird mir bereits erzählt, daß infolge einiger geschwätziger und unvorsichtiger Bemerkungen, die als nachteilig für die Baker- und Harley Street angesehen werden können, die Mieten in diesen vornehmen Vierteln gefallen sein sollen. Und Komplotte sind geschmiedet, daß zum mindesten Mr. Snob zu Gesellschaften dorthin nicht mehr eingeladen werden darf. Schön – jetzt aber, wo alle fort sind, wollen wir nach Wohlgefallen springen und auf alles losgehen, wie der Ochse im Porzellanladen. Möglicherweise hören sie nichts von dem, was in ihrer Abwesenheit vorgeht, ist es aber doch der Fall, dann werden sie die Bosheit sechs Monate lang nicht mit sich herumtragen können. Im nächsten Februar werden wir die Sache beizulegen suchen, verschieben wir also unsere Sorgen bis zum neuen Jahr.

Wir werden keine Einladungen zu Diners mehr von den Diners-gebenden Snobs erhalten, keine zu Bällen von den Ballgebern, keine zu Jours mehr (danke schön, Musje, wie James sagt) von dem Jours-gebenden Snob: Was kann uns also abhalten, die Wahrheit zu sagen?

Das Snobtum der Jour-Snobs ist sehr rasch abgetan, so rasch wie die Schale Spülicht, die dir im Teezimmer angeboten wird, oder wie der matschige Eisrest, den du im erstickenden Gedränge in den oberen Gesellschaftsräumen erwischst.

Gott im Himmel, was denken sich bloß die Leute, die dorthin gehen? Was geht dort vor, daß jedermann in jene drei kleinen Zimmer sich hineindrängelt? Wird denn die Black-Hole als ein so angenehmer Versammlungsort betrachtet, daß die Engländer sie in den Hundstagen hierher zu verpflanzen suchen? Nachdem du in der Tür zu Mus gequetscht bist (wo du bemerkst, daß deine Füße eben die Rüsche von Lady Barbara Macbeths Unterrock abgetreten haben, wofür du einen Blick von dieser hageren und angemalten alten Harpyie erhältst, der im Vergleich mit dem Ugolinos sehr liebenswürdig gewesen sein muß); nachdem du deinen Arm aus der weißen Weste des armen schnaufenden Bob Guttleton glücklich befreit hast, aus dessen Polstern es fast unmöglich war, ihn wegzubringen, obgleich du wußtest, daß du durch einen Druck den armen Bob an den Rand eines Schlagflusses brachtest – befindest du dich schließlich dennoch im Empfangszimmer und machst den Versuch, einen Blick von Mrs. Botibol, der Jour-Geberin, zu erhaschen. Sobald dein Blick den ihren trifft, erwartet sie, daß du freundlich grinst, und sie lächelt dir als Antwort wieder zu, zum vierhundertsten Male heute abend. Und da sie »sehr« erfreut ist, dich zu sehen, fuchtelt sie mit ihrer kleinen Hand vor dem Gesicht hin und her, als ob sie dir eine Kußhand, wie die Redensart heißt, zuwerfen wollte.

Wie zum Teufel kommt Mrs. Botibol dazu, mir eine Kußhand zuzuwerfen? Ich möchte sie um alles in der Welt nicht küssen. Warum grinse ich, als ob ich entzückt wäre, sie zu sehen? Bin ich es wirklich? Ich frage einen Quark nach Mrs. Botibol; ich weiß, wie sie über mich denkt; ich weiß, wie sie über meinen letzten Band Gedichte geurteilt hat (ich weiß es von einem gemeinsamen Freunde). Warum, mit einem Wort, blinken und telegraphieren wir uns in dieser blödsinnigen Weise zu? Weil wir beide die Formen beobachten, die von der großen Snob-Gesellschaft verlangt werden, deren Vorschriften wir alle befolgen.

Schön – die Begrüßungsarie ist vorüber, meine Backen haben wieder den gewöhnlichen englischen Ausdruck unterdrückten Stumpfsinnes und vollkommenster Ergebung angenommen, und die Botibol grüßt einen anderen und wirft einer Dame Kußhände zu, die sich soeben durch die Türöffnung quetscht, durch welche auch wir eingetreten sind. Es ist Lady Anne Clutterbuck, die am Freitagabend empfängt, wie die Botibol (Botty nennen wir sie) an ihrem Mittwoch. Da ist Miß Clementine Clutterbuck, jene leichenhaft aussehende junge Dame in Grün mit brandrotem Haar, welche einen Band Gedichte veröffentlicht hat (»Das Ächzen des Todes«, »Damian«, »Der Holzstoß der Jeanne d'Arc« und natürlich auch »Übersetzungen aus dem Deutschen«). Die Jour-Weiber begrüßen einander und nennen sich gegenseitig »Meine teure Lady Ann'« und »Meine teure, beste Eliza« und hassen sich doch dabei, wie sich nur Weiber hassen können, die ihre Jours mittwochs und freitags haben. Mit unaussprechlicher Qual sieht die beste Eliza, wie Ann' zu Abou Gosh, der eben von Syrien gekommen ist, tritt, mit ihm schwatzt, ihn umschmeichelt und bittet, er möge ja ihre Freitage verherrlichen.

Unterdessen, inmitten des Gedränges und Gestoßes, des fortwährenden Summens und Plauderns, des Flackerns der Wachskerzen und des unerträglichen Moschusgeruches – was die armen Snobs in ihren vornehmen Romanen »den Glanz der Edelsteine, den Duft der Parfüms, den Schimmer unzähliger Lampen« nennen – singt ein ruppig aussehender Ausländer mit gelbem Gesicht und gewaschenen Handschuhen, den ein anderer begleitet, unhörbar in einer Ecke. »Der große Cacafogo« flüstert Mrs. Botibol im Vorbeigehen, »eine große Leuchte, Thumpenstrumpff sitzt am Klavier, der Hofpianist des Hetman Platow, wie Ihnen bekannt sein wird.«

Um diesen Cacafogo und Thumpenstrumpff zu hören, haben sich an hundert Personen versammelt, eine Schar molliger und magerer Witwen, ein Rudel blasser Misses; sechs mürrisch dreinschauende Lords, die ausgesucht korrekt und feierlich sind; prachtvolle exotische Grafen mit buschigen Barten, gelben Gesichtern und großen zweifelhaften Edelsteinen; junge Gecken von unbedeutendem Wuchs mit weit ausgeschnittenen Kragen, selbstzufriedenem blödem Lächeln und mit Blumen im Knopfloch; alte steife, dicke, kahlköpfige Jour-Roués, die man überall trifft und die keinen Abend versäumen, an dem diese köstlichen Vergnügungen stattfinden; die drei glücklich eingefangenen Löwen der Saison – Higgs, der Reisende, Biggs, der Novellist und Toffey, der durch seine Tätigkeit in der Zuckerfrage berühmt wurde, Kapitän Flash, der wegen seiner hübschen Frau eingeladen ist, und Lord Ogleby, der immer

dahin gehen muß, wo sie will – Que sais-je? Wer kennt die Träger all dieser prächtigen Schals und weißen Halsbinden? Erkundigen Sie sich nur bei dem kleinen Tom Prig, der hier so recht in seinem Fahrwasser ist, jeden kennt und von jedem irgend etwas zu erzählen weiß; und wenn er nach Hause zu seiner Wohnung in der Jermyn Street mit seinem Zylinderhut und seinen glänzenden Lackschuhen trippelt, so tut er dies in dem Bewußtsein, der feinste Junggeselle in der Stadt zu sein und einen Abend köstlichen Amüsements verlebt zu haben.

Du wendest dich (mit deiner gewohnten lässigen Eleganz) an Miß Smith und plauderst mit ihr in einer Ecke.

»Oh, Mr. Snob! Ich fürchte, Sie sind ein böser Spötter.«

Das ist alles, was sie sagt. Wenn Sie ihr erzählen, daß es schönes Wetter sei, bricht sie in ein Gelächter aus, oder andeuten, es wäre sehr heiß, schwört sie, Sie wären zu komisch. Unterdessen lächelt Mrs. Botibol neuen Ankömmlingen zu, der Kerl an der Tür brüllt ihre Namen. Der arme Cacafogo trillert weiter im Musikzimmer, in der Überzeugung, daß er durch seinen unhörbaren Gesang in der Welt lanciert werden würde. Zu guter Letzt – welch eine Wonne, sich auf die Straße zu drücken, wo ein halbes Hundert Wagen warten und wo ein Bengel mit seiner ganz überflüssigen Laterne auf jeden Heraustretenden losschießt und durchaus den Wagen Seiner ehrenwerten Lordschaft bestellen will.

Und nach alledem denke man sich bloß, daß es Leute gibt, die tatsächlich am Freitag zur Clutterbuck gehen werden, trotzdem sie am Mittwoch bei der Botibol waren.


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