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Sechsunddreißigstes Kapitel

Nochmals Ehe und Snobs

»Wir Junggesellen in den Klubs sind Ihnen«, sagte mein alter Schul- und Universitätsfreund Essex Temple zu mir, »für die Meinung, die Sie von uns haben, sehr verbunden. Sie nennen uns selbstsüchtig, purpurgesichtig, aufgeschwemmt und geben uns noch andere schöne Namen. Sie erheben mit den denkbar einfachsten Worten die Forderung, daß wir uns zum Teufel scheren möchten. Sie sagen von uns, daß wir in der Einsamkeit verfaulen, und sprechen uns jeden Anspruch auf Ehrbarkeit, gutes Benehmen und christliche Lebensführung ab. Wie kommen Sie dazu, Mr. Snob, so über uns zu urteilen? Wie kommen Sie zu Ihrem teuflisch wohlwollenden Schmunzeln und Grinsen, mit dem Sie unsere ganze Art verlachen?

Ich will Ihnen meinen Fall erzählen«, sagte Essex Temple, »meinen und meiner Schwester Fall, und Sie können damit nach Ihrem Gutdünken schalten, können auch, wenn Sie wollen, über alte Jungfern spotten und über alte Junggesellen herziehen.

Ganz im Vertrauen will ich Ihnen sagen, daß meine Schwester sich mit dem Anwalt Shirker verlobte, einem Menschen, dessen Fähigkeiten man nicht leugnen kann, den ich aber – hol ihn der Teufel! – stets als gemein, selbstsüchtig und eingebildet kennengelernt habe. Die Weiber sehen aber nie bei Männern, in die sie verliebt sind, diese Fehler. Mr. Shirker, der über gerade soviel Wärme verfügt wie ein Aal, hatte sich schon vor Jahren an Polly herangemacht, denn damals war sie gar keine schlechte Partie für einen Anwalt ohne Praxis.

Haben Sie schon einmal die Biographie Lord Edisons gelesen? Erinnern Sie sich an die Erzählung des schmutzigen alten Snobs, wie er ausgeht, um für zwei Pence Sprotten zu kaufen, damit er sie sich mit Mrs. Scott gemeinsam braten lassen kann? Wie er seine Demut vorreitet und seine elende Armut vor aller Welt zeigt, er, der damals wohl an die tausend Pfund jährlich verdiente? Schön, Shirker war genauso stolz auf seine Klugheit – genauso eingebildet auf seine Filzigkeit und wollte natürlich nicht ohne Mitgift heiraten. Hätte er ehrenwerter handeln können? Er wurde nicht liebeskrank. Seine Leidenschaft störte nie seinen sechsstündigen Schlaf und hat auch nie seinen Ehrgeiz hintangehalten. Eher würde er einmal einen Anwalt geküßt als Polly umarmt haben, obwohl sie eins der denkbar hübschesten Geschöpfe war. Und während sie einsam sich in ihrem Stübchen nach ihm sehnte und ein halbes Dutzend frostiger Briefe wieder überlas, die der verwünschte Laffe gnädigst zu schreiben sich herbeiließ, hatte er sicherlich nichts anderes im Kopf als seine Gerichtsakten, stets kühl, streng, selbstzufrieden und pflichtbewußt, wie er war. Die Heirat wurde von Jahr zu Jahr verschoben, und unterdessen wurde aus Shirker der berühmte Advokat.

Ungefähr gleichzeitig mußte mein jüngerer Bruder Pump Temple von den hundertzwanzigsten Husaren, der dasselbe kleine Erbteil besaß, welches mir und Polly ebenfalls zugefallen war, sich in unsere Kusine Fanny Figtree verlieben und sie auf der Stelle heiraten. Die Hochzeit hätten Sie sehen sollen! Sechs Brautjungfern in Rosa hielten den Fächer, das Bukett, die Handschuhe, das Riechfläschchen und das Taschentuch der Braut. Ganze Körbe voll weißer Schleifen, welche den Dienern und den Pferden angeheftet werden sollten, standen in der Sakristei; eine glänzende Versammlung neugieriger Bekannter saß in den Kirchenstühlen, und eine Menge dürftiger Bettler scharte sich auf den Stufen. Sämtliche Equipagen unserer Bekannten hatte Tante Figtree für diesen Zweck sich zusammengeborgt, und der Hochzeitswagen Mr. Pumps war natürlich vierspännig.

Dann das Frühstück oder Déjeuner, wie man ja wohl besser sagt, mit einer Musikkapelle auf der Straße und mit Polizisten, die auf Ordnung hielten. Der glückliche Bräutigam hat wohl ein Jahresgehalt in Kleidern und Geschenken für die Brautjungfern angelegt. Und die Braut mußte in ihrem Trousseau Spitzen, Seidenkleider, Schmuckkästchen und alle möglichen Kinkerlitzchen haben, um als Leutnantsfrau würdig auftreten zu können. Er warf mit Geld um sich, als ob es Dreck gewesen wäre; und Mrs. P. Temple war auf ihrem Pferde Tiddler, das ihr Gatte ihr geschenkt hatte, die flotteste Offiziersfrau in Brighton oder in Dublin. Was hat nicht die alte Mrs. Figtree mich und Polly mit Geschichten über den vornehmen Haushalt und den vornehmen Verkehr Pumps angeödet! Polly wohnte bei den Figtrees, da ich nicht reich genug bin, um ihr eine eigene Häuslichkeit einzurichten.

Pump und ich standen uns nie näher. Da ich nicht den geringsten Pferdeverstand habe, hatte er eine natürliche Abneigung gegen mich. Und da bei Lebzeiten unserer Mutter die gute alte Dame stets seine Schulden zu bezahlen pflegte und ihn verhätschelte, so bin ich mir nicht sicher, ob ich nicht etwa eifersüchtig auf ihn war. Da war es denn in der Regel Polly, die das Einvernehmen zwischen uns herstellte.

Sie besuchte Pump in Dublin und kam voller Neuigkeiten über seine große Position wieder heim. – Er wäre der fidelste Mensch in der Stadt – Adjutant des Lordleutnants – Fanny überall bewundert ... Ihre Exzellenz Patin des zweiten Jungen, der älteste hatte einen Schwanz aristokratischer Vornamen, welche seine Großmutter außer sich vor Entzücken brachten. Dann kamen Fanny und Pump notgedrungen nach London, wo ihnen der dritte Sohn geboren wurde.

Polly wurde seine Patin, und wer konnte nun mehr ein Herz und eine Seele sein als sie und Pump. ›O Essex‹, sagte sie zu mir, ›er ist so gut, so edel, so lieb zu seiner Familie, so hübsch. Man kann gar nicht anders als ihm gut sein und ihm seine kleinen Fehler verzeihen.‹ Eines Tages, als Mrs. Pump noch im Wochenbett lag und der Wagen vom Doktor Fingerfee täglich vor ihrem Hause hielt, wen anders hätte ich, da ich in der Guildhall zu tun hatte, wohl auf der Cheapside treffen sollen als Pump und Polly? Das arme Mädchen sah glücklicher und rosiger als je seit zwölf Jahren aus. Pump im Gegenteil errötete und schien verlegen.

Ihr Gesicht konnte mich nicht täuschen, ebensowenig sein aus Befangenheit und Triumph gemischter Ausdruck. Offenbar hatte sie ihm irgendein Opfer gebracht. Ich ging also zum Bankier unserer Familie. Sie hatte am Morgen zweitausend Pfund Rentenpapiere flüssig gemacht und Pump den Erlös gegeben. Sie deswegen auszuzanken, wäre überflüssig gewesen – Pump hatte schon das Geld und hatte sich zu derselben Zeit, als ich ihn bei seiner Schwiegermutter zu treffen versuchte, bereits auf den Weg nach Dublin gemacht, während Polly noch immer strahlte. Er wollte sein Glück machen, er wollte das Geld im Moor von Allen anlegen – und was weiß ich sonst noch alles. Tatsächlich wollte er seine Wettverluste von dem letzten Hindernisrennen zu Manchester her bezahlen, und ich überlasse es Ihnen zu raten, wieviel an Kapital und Zinsen die arme Polly jemals wiedergesehen hat.

Es machte mehr als ihr halbes Vermögen aus, und seitdem hat er noch weitere tausend Pfund von ihr erhalten. Dann kamen die Anstrengungen, seinen Ruin aufzuhalten und seine Schande zu verhindern. Kämpfe und Opfer von uns allen, von (hier zögerte Essex etwas) denen es sich nicht zu sprechen lohnt, aber sie hatten keinen anderen Erfolg, als solche Opfer in der Regel zu haben pflegen. Pump lebt mit seiner Frau im Auslande – ich wage nicht zu fragen wo. Polly hat die drei Kinder, und Herr Justizrat Shirker hat ihr förmlich abgeschrieben; er betrachtet das Verlöbnis als aufgehoben, auf dessen Beendigung Miß Temple es selbst abgesehen haben müsse, da sie ja den größten Teil ihres Vermögens fortgegeben habe.

So verhält es sich also mit Ihrer berühmten Theorie von den armen Heiraten!« rief Essex Temple zum Schluß seiner Geschichte aus. »Wie können Sie wissen, ob ich nicht auch gern heiraten würde? Wie können Sie es wagen, meine arme Schwester zu verspotten? Sind wir denn etwa etwas anderes als Märtyrer des rücksichtslosen Heiratssystems, welches Sie, Mr. Snob, tatsächlich zu verteidigen suchen?« Und damit glaubte er im Vergleich zu mir einen besseren Beweisgrund ins Feld geführt zu haben, was indessen, so seltsam es klingen mag, durchaus nicht meine Meinung ist.

Denn wäre diese teuflische Snob-Anbetung nicht auf der Welt, hätte da nicht jeder einzige dieser Menschen glücklich werden können? Wenn die arme Polly wirklich ihr Glück darin gesucht hätte, ihre liebevollen Arme um einen so herzlosen Fant zu schlingen, wie es der Schleicher Shirker war, der sie sitzen ließ, so hätte sie glücklich sein können, so glücklich wie Raymond Raymond in jener bekannten Ballade mit der steinernen Statue an seiner Seite. Sie ist unglücklich geworden, weil der Justizrat Shirker Geld und Ehrgeiz anbetet, demnach ein Snob und ein Feigling ist.

Wenn der unselige Pump Temple und seine leichtlebige, eitle Frau sich zugrunde gerichtet und andere mit sich ins Unglück gezogen haben, so kam dies daher, weil sie Stellung, Pferde, Silbergeschirr, Wagen, Hofkalender, Putz haben mußten und alles opferten, um sich diesen Tand anschaffen zu können.

Und wer hat sie verführt? Wenn es in der Welt einfacher zuginge, würden da diese närrischen Menschen eine solche Mode mitmachen? Gibt es in der Welt Hofkalender, Silbergeschirr, Putz und Wagen oder nicht? Herr im Himmel! Lest nur die Nachrichten aus der vornehmen Welt, lest den Hofbericht, lest die Moderomane! Beobachtet nur die Leute zwischen Pimlico und dem Red Lion Square und seht, wie der arme Snob es dem reichen Snob gleichzutun sucht, wie der niedriggeborene Snob dem hochgeborenen zu Füßen liegt und der große Snob seinem geringeren Mitbruder gegenüber sich auf den Herrn hinausspielt! Wird der Gedanke der Gleichheit je im Gehirn des Mr. Reich Eingang finden? Niemals! Wird die Herzogin von Fitzbattleaxe (ich liebe schöne Namen) je es zugeben, daß ihre nächste Nachbarin am Belgrave Square, Lady Croesus, ebensogut eine Lady ist als Ihre Gnaden? Wird Lady Croesus je davon ablassen, nach den Gesellschaften der Herzogin Sehnsucht zu haben und Mrs. Broadcloth wegwerfend zu behandeln, weil deren Gatte noch nicht die Baronetswürde erlangt hat?

Wird Mrs. Broadcloth je Mrs. Seedy herzlich die Hand schütteln und die ekelhaften Berechnungen über das Einkommen der teueren Mrs. Seedy aufgeben? Wird Mrs. Seedy, die in ihrem großen Haus zu verhungern droht, wohl lieber behaglich in einem kleinen Haus oder in einer Pension leben wollen? Wird ihre Wirtin, Mrs. Letsam, je aufhören, sich über die Vertraulichkeit der Handwerker zu wundern oder die Unverschämtheit des Dienstmädchens Suky zu tadeln, weil sie wie eine Dame Blumen auf ihrem Hute trägt?

Warum sollen wir aber auf solche Zeiten hoffen oder sie uns herbeiwünschen? Will ich etwa meine Aufzeichnungen über die Snobs beenden? Du selbstmörderischer Narr du, bist denn du nicht auch ein Bruder Snob?


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