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Viertes Kapitel

Der Hofbericht und sein Einfluß auf die Snobs

Ein Beispiel ist das beste Lehrmittel. So wollen wir denn mit einer als wahr verbürgten Geschichte beginnen, die beweist, wie junge aristokratische Snobs gezüchtet werden und wie ihr Snobtum zur Blüte gebracht wird. Eine schöne und vornehme Dame (ich bitte die gnädige Frau um Verzeihung, daß ich ihre Geschichte der Öffentlichkeit preisgebe, aber sie ist so moralisch, daß die ganze Welt sie kennenlernen muß) erzählte mir, daß sie in früher Jugend eine kleine Freundin hatte, welche jetzt ebenfalls eine schöne und vornehme Dame ist. Es handelt sich um Miß Snobky, die Tochter von Sir Snobby Snobky, deren Vorstellung bei Hof am vorigen Donnerstag so großes Aufsehen erregte; habe ich nötig, noch mehr zu sagen?

Als Miß Snobky noch so jung war, daß sie sich in Wärterinnenkreisen bewegte und frühmorgens im St. James Park unter dem Schutze einer französischen Gouvernante und gefolgt von einem großen bärtigen Lakaien in der kanariengelben Livree der Snobkys spazieren geführt wurde, pflegte sie bei diesen Gelegenheiten den jungen Lord Claude Lollipop, den jüngeren Sohn des Marquis von Sillabub, zu treffen. In der Hochsaison beschlossen plötzlich die Snobkys aus irgendeinem unaufgeklärten Grunde, die Stadt zu verlassen. Als Miß Snobky dies hörte, fragte das zartsinnige Kind ihre Freundin und Vertraute: »Was wird nur der arme kleine Lollipop sagen, wenn er meine Abreise erfährt?«

»Oh, vielleicht erfährt er es gar nicht«, antwortete die Vertraute. »Meine Liebe, er wird es in der Zeitung lesen«, erwiderte die süße kleine siebenjährige Krabbe. Sie war sich schon ihrer Wichtigkeit bewußt und wußte auch, wie alle Einwohner Englands, wie alle als vornehm geltenwollenden Leute, wie alle Anbeter von silbernen Gabeln, alle Neuigkeitskrämer, alle Ladeninhaberinnen und Schneiderinnen, Anwalts- und Kaufmannsfrauen und die Leute, die am Clapham und Brunswick Square wohnen und nicht mehr Gelegenheit haben, mit einem Snobky eingeladen zu werden als mein lieber Leser hat, mit dem Kaiser von China zu dinieren, an den Begebenheiten bei den Snobkys Anteil nehmen und glücklich sind zu erfahren, ob sie in London angekommen sind oder es verlassen haben.

Hier folgt der Bericht über die Toilette von Miß Snobky und ihrer Mutter, der Lady Snobky, aus den Zeitungen vom vorigen Freitag.

Miß Snobky

»Prinzeßhängerchen aus gelber imitierter Nankingseide über einem Unterkleid von erbsengrünem Rips, garniert mit Ranken und Buketts aus Brüsseler Spitzen. Das Mieder und die Ärmel waren reizend mit Samt und mit Girlanden benäht. Der Kopfputz bestand aus Mohrrüben und Schleifen.«

Lady Snobky

»Prinzeßkleid, gefertigt aus den schönsten Pekinger Taschentüchern und auf das eleganteste besetzt mit Füttern, Stanniol und roten Bändern. Die Corsage und das Unterkleid waren aus himmelblauem Velvet, garniert mit Perlen und Quasten von Klingelzügen. Der Umhang war ein Eierkuchen. Der Kopfputz bestand aus einem Vogelnest mit einem Paradiesvogel darin, das über einer messingnen Türklinke ›en ferronnière‹ angebracht war. Dieses prächtige Kostüm stammt aus dem Atelier von Madame Crinoline, Regent Street, und bildete den Gegenstand allgemeiner Bewunderung.«

Solch ein Zeug lest ihr! Oh, Miß Ellis! Oh, englische Mütter, Töchter, Tanten, Großmütter, so ist eure Zeitungslektüre beschaffen, die ihr nicht anders haben wollt. Wie könnt ihr etwas anderes als Mütter, Töchter usw. von Snobs sein, solange euch solch ein Quatsch vorgesetzt wird?

Man zwängt den rosigen, kleinen Fuß einer jungen Chinesin in einen Schuh, der nicht größer als ein Salzfaß ist, hält die armen, kleinen Zehen darin gefangen und umwickelt, so lange, bis die erstrebte Winzigkeit unreparierbar geworden ist. Späterhin kann der Fuß sich nicht mehr zur natürlichen Größe entwickeln, selbst wenn man ihm anstelle von Schuhen Waschkübel anziehen wollte. Sie muß eben ihr ganzes Leben hindurch ihren kleinen Fuß behalten und bleibt ein Krüppel ... Oh, meine liebe Miß Wiggins, danken Sie es Ihrem guten Stern, daß Ihre hübschen kleinen Füße, die ich für so klein erkläre, daß man sie beim Gehen kaum wahrnimmt – danken Sie es Ihrem guten Stern, daß Ihre Mitmenschen an Ihnen nicht so gehandelt haben, aber halten Sie einmal Umschau unter Ihren Freundinnen in den höchsten Kreisen, und Sie werden finden, wie vielen ihr Gehirn vorzeitig eingezwängt und verkrüppelt worden ist.

Wie darf man erwarten, daß diese armen Geschöpfe sich natürlich entwickeln, nachdem die Welt und ihre Eltern sie so grausam verstümmelt haben? Wie, zum Teufel, können, solange es noch einen Hofbericht gibt, diejenigen Leute, die ihre Namen darin lesen, sich für ebenbürtig mit jener kriechenden Menge halten, welche täglich dieses greuliche Gewäsch liest? Ich glaube, daß unser Vaterland das einzige Land der Welt ist, wo der Hofbericht noch so in voller Blüte steht, in dem man lesen kann: »Heute ist Seine Königliche Hoheit der Prinz Pattypan in seinem Kinderwagen ausgefahren.« Oder: »Die Prinzessin Pimminy machte in Begleitung ihrer Puppe und ihrer Hofdamen eine Spazierfahrt usw.« Wir lachen zwar über die Ernsthaftigkeit, mit der Saint Simon berichtet: »Sa Majesté se médicamente aujourd'hui«, aber vor unseren eigenen Augen wird die gleiche Torheit täglich begangen. Dieser herrliche und geheimnisvolle Mann, der den Hofbericht verfaßt, kommt jeden Abend mit seiner Ausbeute auf die Redaktion, und ich habe auch schon den Verleger der Zeitung gebeten, ihn mir einmal aus dem Hinterhalt ansehen zu dürfen.

Von einem Königreich, das einen deutschen Prinzgemahl hat (es muß wohl Portugal sein, denn die Königin dieses Landes heiratete einen deutschen Prinzen, der von den Bewohnern sehr verehrt und bewundert wird), habe ich mir folgendes erzählen lassen: Wenn der Prinzgemahl zu seinem Vergnügen in den Kaninchengehegen von Cintra oder in den Fasanerien von Mafra der Jagd obliegt, so läßt er sich natürlich die Flinten von seinem Büchsenspanner laden. Dieser gibt sie dem Stallmeister, einem Edelmann, und dieser erst darf sie dem Prinzen überreichen. Der Prinz wiederum gibt das abgefeuerte Gewehr dem Edelmann, der es dann wieder dem Büchsenspanner einhändigt. Und so fort. Aber niemals würde der Prinz das Gewehr direkt aus den Händen des Büchsenspanners entgegennehmen.

So lange, wie diese unnatürliche und ungeheuerliche Etikette in Kraft ist, muß es Snobs geben. Alle drei bei diesem Zeremoniell beteiligten Personen müssen während der Ausübung ihrer Tätigkeit notwendig Snobs sein.

1. Der Büchsenspanner ist der kleinste Snob von ihnen, weil er seine tägliche Pflicht erfüllt; aber er erscheint doch in diesem Falle als Snob, das heißt, in einer ihn vor seinen Mitmenschen erniedrigenden Stellung (nämlich in seinem Verhältnis dem Prinzen gegenüber, mit dem er nur durch Vermittelung eines Dritten verkehren darf). Ein freier portugiesischer Büchsenspanner, der sich für unwürdig hält, direkt mit irgendeiner Person zu verkehren, gibt damit zu, daß er ein Snob ist.

2. Der diensttuende Edelmann ist ein Snob. Wenn es den Prinzen erniedrigt, das Gewehr aus den Händen des Büchsenspanners entgegenzunehmen, so ist es erniedrigend für den Edelmann, an seiner Statt diesen Dienst zu verrichten. Er handelt als Snob an dem Büchsenspanner, den er von dem Verkehr mit dem Prinzen fernhält, und er ist in seinem Verhältnis zu dem Prinzen ein Snob, weil er ihm eine ihn herabwürdigende niedere Handreichung leistet.

3. Der Prinzgemahl von Portugal ist ein Snob, weil er seine Landsleute auf diese Weise herabwürdigt. Wenn er den Dienst direkt von dem Büchsenspanner entgegennehmen würde, so wäre nichts dabei zu finden, aber durch den indirekten Verkehr werden der Dienst sowohl wie die beiden dabei beteiligten Untertanen herabgesetzt. Und deshalb verharre ich mit allem schuldigen Respekt bei meiner Meinung, daß der Prinzgemahl ein ganz zweifelsfreier, wenn auch königlicher Snob ist.

Und nun lese man im »Diario do Goberno«: »Gestern vergnügte sich Seine Majestät der König damit, in den Wäldern von Cintra in Begleitung des Ehrenwerten Oberst Wiskerando zu jagen. Seine Majestät kehrte später nach dem Schlosse Necessidad zurück, um zu lunchen etc. etc.«

»Oh, dieser Hofbericht!« rufe ich nochmals aus. Nieder mit dem Hofbericht, diesem Erzeuger und Verbreiter des Snobtums! Ich verspreche, auf ein Jahr im voraus auf diejenige Zeitung zu abonnieren, die nicht den Hofbericht bringt, und wäre es selbst der »Morning Herald«. Lese ich den Tratsch, so komme ich in Rage, ich werde illoyal, ein Königsmörder und Mitglied des »Schafskopfklubs«. Die einzige Erzählung des Hofberichtes, die mir je gefallen hat, war die über den König von Spanien, der beinahe bei lebendigem Leibe geröstet worden wäre, weil der Premierminister keine Zeit hatte, dem Ersten Kammerherrn zu befehlen, daß dieser den Obergewandkämmerer bitten sollte, es dem Oberstpagen vom Dienst aufzugeben, den Chef der Lakaien aufzufordern, der Ehrenhausmagd zu sagen, daß sie einen Eimer Wasser holen müßte, damit Seine Majestät gelöscht werden könnte.

Ich komme mir vor wie der Pascha von drei Roßschweifen, dem der Sultan seinen Hofbericht – die seidene Schnur – sendet.

Ich ersticke. Möchte doch seine Herausgabe endlich für ewige Zeiten abgeschafft werden.


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