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Man kann relative und absolute Snobs unterscheiden. Unter absoluten Snobs verstehe ich solche Personen, die sich überall in allen Lebenslagen, Tag und Nacht, von der Wiege bis zum Grabe, als Snobs betragen, weil eben der Snobismus ihre wahre Natur ist! Die andere Klasse sind Gelegenheits-Snobs, je nach Lage der Umstände und Verhältnisse im Leben.
Zum Beispiel: Ich kannte jemanden, der vor meinen Augen ein ähnlich abschreckendes Gebaren zur Schau trug wie ich, als ich Oberst Snobley herausgraulen wollte: ich meine den Gebrauch der Gabel als Zahnstocher. Also ich kannte jemanden, der mit mir zusammen im »Café Europa« (gegenüber der Großen Oper – wie jedermann weiß, das einzig anständige Speisehaus in Neapel) das Mittagessen einzunehmen pflegte und Erbsen mit dem Messer aß. Er war ein Mensch, dessen Umgang mir anfangs das größte Vergnügen machte – wir hatten uns am Kraterrand des Vesuv kennengelernt, waren dann in Kalabrien von Briganten ausgeraubt, gefangen und erst gegen Lösegeld wieder freigegeben worden, was eigentlich nicht zur Sache gehört –, er war also ein geistvoller Mann von bedeutenden Gaben und vielseitiger Bildung; aber ich hatte ihn noch nie Erbsen essen gesehen, und sein Benehmen dabei verursachte mir größtes Unbehagen.
Wenn jemand sich vor aller Welt so benehmen konnte, so blieb mir nur eins zu tun übrig – den Verkehr mit ihm abzubrechen. Ich beauftragte daher einen gemeinsamen Freund (den Ehrenwerten Poly Anthus), dem Herrn die Sache so schonend wie möglich beizubringen und ihm zu sagen, daß unliebsame Vorkommnisse, die in keiner Weise die Ehre des Herrn Marrowfat berührten oder meiner Achtung für ihn Abbruch täten, mich zwängen, den vertrauten Verkehr mit ihm aufzugeben; denselben Abend trafen wir uns auf einem Ball der Herzogin von Monte Fiasco und schnitten uns bereits vollkommen.
Alle Welt in Neapel wunderte sich über die Trennung von Damon und Pythias – hatte doch Marrowfat mir mehr als einmal das Leben gerettet –, aber konnte ich als Gentleman anders handeln?
In diesem Fall war mein Freund ein relativer Snob. Leute von Rang in anderen Ländern dürfen ruhig ihr Messer in der geschilderten Art gebrauchen, ohne als Snobs angesehen zu werden. Sah ich doch selbst, wie Monte Fiasco die Platte mit dem Messer abputzte und wie jeder Principe in der Gesellschaft das gleiche tat. Sah ich doch an der Tafel Ihrer Kaiserlichen Hoheit der Großherzogin von Baden (die, wenn diese ehrfurchtsvollen Zeilen je vor Ihre Kaiserlichen Augen kommen sollten, sich ihres untertänigsten Dieners gnädig erinnern möge), sah ich doch, sage ich, die Erbprinzessin von Potztausend Donnerwetter (diese klassisch schöne Dame) ihr Messer als Gabel oder Löffel verwenden; ich habe sie es, bei Gott, beinahe mit verschlucken sehen, wie es Ramo Samce, der indische Gaukler, nicht besser machen konnte. Wurde ich damals blaß, oder verringerte sich deshalb meine Ehrfurcht für die Prinzessin? Nein, süße Amalie! Wohl die tiefste Leidenschaft, die ich je für eine Frau hegte, hat diese Dame in meiner Brust entfacht. O schönstes Wesen! Mögest du bis in die fernsten Zeiten mit dem Messer das Essen zu deinen Lippen, den rosigsten und lieblichsten der Welt, führen!
Vier Jahre lang habe ich den wahren Grund meines Zwistes mit Marrowfat keiner sterblichen Seele auch nur angedeutet. Wir trafen uns bei den Empfängen der Aristokratie – unseren Freunden und Verwandten – weiter. Wir stießen uns fast beim Tanz und bei der Tafel, aber die Entfremdung hielt an und schien unwiderruflich, bis der 4. Juni vorigen Jahres kam.
Wir trafen uns bei Sir George Golloper. Bei Tische saß er rechts, ich links von der entzückenden Lady G. – Erbsen bildeten einen Teil der Speisenfolge – Enten mit grünen Erbsen. Ich zitterte, als Marrowfat davon angeboten wurde, und wendete mich voller Unbehagen ab, fürchtete ich doch, wieder den Degen in seinen schrecklichen Kinnbacken verschwinden zu sehen. Wie groß war mein Erstaunen und Entzücken, als ich ihn die Gabel wie jeder andere Christenmensch gebrauchen sah. Er nahm auch nicht ein einziges Mal den kalten Stahl zu Hilfe. Die Erinnerung alter Zeiten überkam mich, an seine uneigennützigen Dienste, als er mich aus der Gewalt der Briganten befreite, an sein ritterliches Verhalten bei der Geschichte mit der Gräfin Dei Spinachi, als er mir mit 1700 Lire aus der Verlegenheit half. Ich vergoß beinahe Freudentränen, meine Stimme zitterte vor Rührung. »George, mein alter Junge«, rief ich, »George Marrowfat, alter Kerl, ein Glas Wein!«
Jäh errötend in tiefer Bewegung, fast ebenso zitternd wie ich, erwiderte George: »Frank, soll es Rheinwein oder Madeira sein?« Wenig fehlte, und ich hätte ihn vor der ganzen Gesellschaft ans Herz gedrückt. Lady Golloper ahnte schwerlich, was mich so erregte, daß ich den Entenbraten, den ich gerade zerlegte, auf ihren gräflichen rosaseidenen Schoß fallen ließ. Die gütigste aller Frauen verzieh mir meine Ungeschicklichkeit, und der Lakai entfernte den Vogel.
Seitdem waren wir die dicksten Freunde, und natürlich verfiel George nie wieder in diese abscheuliche Angewohnheit. Er hatte sie sich auf der Schule eines Dorfes angeeignet, wo Erbsen gezogen und nur zweizinkige Gabeln gebraucht wurden. Erst auf dem Kontinent, wo allgemein vierzinkige Gabeln Mode sind, legte er diese schreckliche Unsitte ab.
In dieser Hinsicht, aber nur in dieser, bin ich ein Anhänger derjenigen, die für silberne Gabeln Schule machen, und wenn diese Erzählung auch nur einen Leser des »Punch« zum Nachdenken veranlassen sollte, sich feierlich zu fragen: »Esse ich Erbsen mit dem Messer oder nicht?«, dann wird er begreifen, in welchen Abgrund er geraten würde, wenn er bei dieser Übung beharrte, oder seine Familie, falls sie seinem Beispiel folgte; dann werden diese Zeilen nicht umsonst geschrieben sein. Und nun noch eins: was andere Schriftsteller sich auch dünken mögen, die über diesen Gegenstand geschrieben haben, das eine darf ich wenigstens für mich in Anspruch nehmen, daß ich die Sache als ein Mann von Moral beleuchtet habe.
Da manche meiner Leser etwas langsam begreifen, ist es vielleicht ganz gut, wenn ich hier schon selbst die Moral meiner Geschichte erzähle. Sie ist nämlich die: die Gesellschaft hat ihre ungeschriebenen Gesetze; wer zu ihr gehören will, muß ihre Sitten befolgen und ihren harmlosen Vorschriften sich anpassen.
Angenommen, ich ginge auf das »British and Foreign Institute« (und der Himmel möge mich davor bewahren, daß ich es unter irgendeinem Vorwand oder in irgendeinem Anzüge tue), oder ich ginge zu einer Teegesellschaft in Schlafrock und Pantoffeln und nicht in dem für einen Gentleman vorgeschriebenen Anzug, nämlich in Kniehosen, weißer Weste mit goldenen Litzen, Zylinderhut, Spitzenmanschetten und weißer Halsbinde, so würde ich damit die Gesellschaft beleidigen oder mit anderen Worten ... »Erbsen mit dem Messer essen«. Eine Person, die einen derartigen Verstoß gegen die allgemeine Sitte vollführt, sollte alsbald durch den Portier des Institutes an die frische Luft befördert werden. Ein solcher Missetäter ist in den Augen der Gesellschaft ein höchst widerhaariger Snob. Die Gesellschaft hat ihren Kodex und ihre Polizei so gut wie die Regierung, und wer in ihr ein behagliches Leben führen will, muß sich ihren zum allgemeinen Besten gegebenen Vorschriften fügen.
Ich bin natürlich ein Feind der Selbstsucht und hasse Eigenlob im Grunde meiner Seele; aber ich kann nicht anders und muß hier ein Begebnis erzählen, das mein Thema erläutert und bei dem ich mich, wie ich glaube, mit beträchtlicher Klugheit verhalten habe.
Vor einigen Jahren war ich in knifflicher Mission in Konstantinopel; die Russen spielten damals – ganz unter uns – ein doppeltes Spiel, und es wurde für uns nötig, eine Sondergesandtschaft hinzuschicken. Zu der Zeit gab Leckerbiß-Pascha von Rumelien, damals der Obergaleote der Pforte, ein diplomatisches Diner in seinem Sommerpalast in Bujukdere. Ich saß zur Linken des Pascha und der russische Geschäftsträger, Graf von Diddloff, auf seiner rechten Seite. Diddloff ist ein Hansnarr, der so tut, als ob er beim Duft einer Rose vor Wonne vergehen sollte. Dabei hatte er im Verlauf der Verhandlungen dreimal den Versuch gemacht, mich morden zu lassen. Vor der Welt aber waren wir natürlich die besten Freunde und begrüßten uns in der liebenswürdigsten und herzlichsten Weise.
Der Pascha ist – nein, leider war, denn die seidene Schnur hat seitdem das ihrige getan – ein rechtschaffener Anhänger der alttürkischen Diplomatenschule. Wir aßen mit den Fingern und benutzten Brotscheiben als Teller. Die einzige Neuerung, die er gestattete, war der Genuß von europäischen Schnäpsen, die er mit größter Wonne hinter die Binde goß. Dazu schlug er eine gewaltige Klinge. Unter den vielen Gerichten, die aufgetragen wurden, befand sich auch ein Lamm, das in seinem Fell gebraten und mit Pflaumen, Knoblauch, Teufelsdreck, spanischem Pfeffer und anderen Gewürzen gefüllt war. Es war jedenfalls das scheußlichste Sammelsurium, das je ein Sterblicher gerochen oder gekostet hatte. Der Pascha aß unglaubliche Mengen davon, und den Sitten des Orients gemäß legte er seinen Gastfreunden zur Rechten und Linken selbst vor. Kam aber ein besonders aromatischer Bissen ihm unter die Finger, so schob er ihn höchst eigenhändig in den Mund seiner Gäste.
Niemals werde ich das Gesicht des armen Diddloff vergessen, als Seine Exzellenz eine ziemlich große Kugel aus der Füllung formte und sie mit dem Ruf: »Buck, Buck« (das ist sehr gut) Diddloff zwischen die Lippen praktizierte. Die Augen des Russen rollten schrecklich, als er diesen Leckerbissen erhielt; er würgte ihn indessen unter Grimassen mit Todesverachtung herunter, griff dann schleunigst nach der nächsten Flasche, die er für Sauterne hielt, die aber in Wirklichkeit nichts anderes als Kognak war, und spülte ziemlich einen halben Liter davon hinterher, ehe er seinen Irrtum bemerkte. Das gab ihm den Rest, er wurde halbtot aus dem Speisesaal nach einer kühlen Laube am Bosporus getragen.
Als ich an die Reihe kam, nahm ich das Gemengsel freundlich lächelnd entgegen, sagte »Bismillah« und leckte mir die Lippen voller Behagen. Bei dem nächsten Gericht drehte ich dann meinerseits mit großem Geschick eine Kugel und stopfte sie dem alten Pascha mit so viel Grazie in den Mund, daß ich mir das Herz des alten Herrn vollständig eroberte. Rußland war damit erledigt, und der Vertrag von Kabobanopel wurde unterzeichnet. Mit Diddloff war es aus, er wurde nach Petersburg zurückberufen, und Sir Roderich Murchison sah ihn später als Nr. 3967 in den Bergwerken des Ural arbeiten.
Die Moral von dieser Geschichte habe ich kaum nötig zu erklären; sie lehrt, daß man in der Gesellschaft viel Unangenehmes mit lächelnder Miene hinunterschlucken muß.