Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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[Antworten] Frl. Hauptmann, Sekretärin bei Herrn Bert Brecht

Sie übersenden mir zum Abdruck den folgenden in Schreibmaschinenschrift mit »Brecht« gezeichneten Brief, dessen Echtheit ich indessen nicht zu bezweifeln wage, da ich durch Lesen von Brechtkommentaren beschlagen genug bin, auch in dieser bescheidenen Nebenarbeit den oft gerühmten balladesken Stil Ihres hohen Prinzipals zu erkennen. Also: »Kleiner Brief an einen Kahn. Werter Herr, ich sehe mich leider gezwungen, Ihnen zu gestehen, daß ich einen Fehler gemacht habe. Als Sie vor der 25. Aufführung der Dreigroschenoper, wo ich mich, um die schönen Scherenschnitte der Lotte Reiniger aufhängen zu helfen, im Foyer herumtrieb, auf mich zustürzten mit dem Ersuchen, Ihnen einen besseren Platz zu verschaffen, hätte ich Sie zweifellos nicht abweisen sollen. Es war reine Hybris, Sie haben vollständig recht, wahrscheinlich war mir der Erfolg zu Kopf gestiegen. Sie sagten gleich, es wäre im Interesse einer objektiven Kritik wichtig, daß ich Ihnen einen Platz weiter vorn verschaffte. Ich meinte damals, daß Ihr Platz für eine objektive Kritik nicht zu weit hinten sei, aber da habe ich mich eben getäuscht. Jetzt Ihre Kritik lesend, sehe ich ein, daß ich unrecht und Sie recht hatten: Ihr Platz war für eine objektive Kritik zu weit hinten. Brecht.« Hierzu schreibt uns Harry Kahn, obgleich ich ihn dringend bat, von einer Darstellung abzusehen: »Sechs Wochen nach meiner Besprechung der ›Dreigroschen-Oper‹, jetzt auf einmal geht Herrn Brecht auf, wo der Hase im kritischen Pfeffer liegt; jetzt auf einmal weiß er, warum ich in den Korybantenchor um das von ihm mitverfaßte Werk nicht einstimmen konnte. Was er aber anscheinend nicht weiß, das ist die Tatsache, daß ich erst darüber schrieb, nachdem ich es, und zwar von einem (durch den Dramaturgen des Hauses selbst freundlicherweise besorgten) ausgezeichneten Platz, mehr als eine Woche nach jenem Renkontre mit dem Mitverfasser, zum zweiten Mal genossen hatte. Aber trotzdem hat der selbstverständlich mit seinem Verdacht ganz recht: ich habe ja auch (in der Nummer vom 17. Januar 1928!) seiner Komödie ›Mann ist Mann‹ allerhand am Zeuge geflickt, weil ich zwar von der Volksbühne einen glänzenden Platz, aber keine Gratiswürstchen bekommen hatte; und ich habe drei Wochen darauf (in der Nummer 7) bedauert, daß ›die größte Hoffnung‹ (der jungen deutschen Dramatik) ›sich in unwegsame Dschungel verlaufen‹ habe, aus keinem andern Grund als, weil ich auf die herrliche Lederjacke dieser Hoffnung, Bert Brecht geheißen, neidisch war. Aber ›Leatherjackett or Plusfours‹ – um im anglomanen Jargon seines Kreises zu bleiben –: ich attestiere Brecht gern, daß die ›Dreigroschen-Oper‹ weit mehr Humor aufweist als sein jüngstes, mir gewidmetes Opus, und daß ich mich für ihn sehr freue, wenn er an ihm so viel verdient, daß er die Ruhe zum Ausreifenlassen des wirklichen Dramas der Zeit gewinnt, das wir alle noch von ihm erwarten.« Ich war nicht der Meinung, daß Harry Kahn Veranlassung hatte, auf eine so unqualifizierbare Verdächtigung zu antworten. Kahn hat damals sachlich geurteilt, Herr Brecht erwartet Lob und unterstellt niedrige Motive, weil unser Kritiker ihm nicht das gewünschte Quantum Lorbeer geliefert hat. Ein törichter Terrorisierungsversuch, eines Dichters wie Brecht nicht würdig.

Die Weltbühne, 20. November 1928


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