Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Die Autonomisten

Sie nennen sich Autonomisten. Sie haben einen Heimatbund gegründet und unterhalten ein paar kleine, aber sehr lebhafte Zeitungen. Wiederholt sind sie mit der pariser Zentralgewalt heftig karamboliert, und jetzt stehen ihre Führer vor Gericht in jenem Colmar, dessen Bürgermeister Blumenthal 1914 zu den Franzosen übergegangen ist und dessen Bürgerschaft heute den neuen Deputierten Ricklin, der in der kaiserlichen Zeit ein Wortführer der Gemäßigten war, lebhaft akklamiert, wie er auf der Armensünderbank erscheint. Die Angeklagten nennen sich gute Franzosen, wie sie sich früher gute Deutsche genannt haben. Man glaubte ihnen damals so wenig wie heute. Sie sind ganz einfach Elsässer, Kinder eines Grenzlandes, das vom Vertrag von Verdun bis zum Vertrag von Versailles Gegenstand blutigen Geraufes zweier Großstaaten war. Sie kommen in manchem den Schweizern am nächsten, und als im Kriege Karl Kautsky in einer noch heute lesenswerten Studie ihre Helvetisierung forderte, kam er wohl der Wahrheit am nächsten. In tausend Jahren stürmischer Geschichte hat sich bei ihnen ein zänkisches Selbstgefühl entwickelt, und wer über sie herrschen will, bekommt ihre Querköpfigkeit in einem listenreichen Heckenkrieg zu spüren. Vor fünfzehn Jahren erst war Zabern. Damals trieben preußische Leutnants elsässische Patrioten in den Pandurenkeller; eine Farce von Kriegsgericht wob um die Schnösel eine ranzige Gloriole. Heute ahmt ein französisches Gericht mit Glück die Formen der preußischen Justiz nach, und die Administration wetteifert in Plumpheiten und Rankünen mit den alten Gouverneuren des »Reichslandes«. Kulturen und Unkulturen zweier Nationen sind durch die Elsässer hindurchgeweht, aber sie sind unter dieser wie unter jener Fahne geblieben, was sie waren: brave süddeutsche Föderalisten und Partikularisten, unträtabel und gar nicht willens, gefügiger zu werden. In diesem Prozeß ohne substantiierte Anklage und von überhaupt etwas wilden Formen ist bisher nur ein klärendes Wort gefallen. Das war, als Herr Ricklin erzählte, wie er Autonomist geworden sei. Als deutscher Staatsbürger, führte er aus, hätten seine Sympathien durchaus Frankreich gehört. Doch dann habe er eine Studienreise nach Bayern unternommen, wo er das stärkste Unabhängigkeitsgefühl, den ausgesprochensten Partikularismus kennen gelernt habe, der auf der ganzen Welt überhaupt zu finden sei, und das habe ihn zum Anhänger der Autonomie gemacht. Jetzt begreifen wir auch, daß es zwischen der Anklagebank und dem Gerichtstisch, wo Herr Mazoyer als Vorsitzender und Herr Fachot als Prokurator streng amtieren, nicht einen Moment des Verstehens geben kann. Denn um was hier debattiert wird, ist auch für den polyglotten Franzosen Chaldäisch. Das ist nämlich eine kerndeutsche Sache, das ist unser heißgeliebter Föderalismus, der berühmte gesunde Föderalismus bayrischer Prägung, wo jeder das gegen den andern tut, was er will, jeder sein eignes auswärtiges und inwendiges Ministerium ist, jeder seine eigne Wilhelmstraße, sein eigner Quai d'Orsay. Nun hat aber Frankreich den gediegensten Zentralismus, der sich denken läßt, und hier kollidiert ein bis in den letzten Winkel mechanisierter Staat mit der »Eigenpersönlichkeit« einer Provinz, die von der Geschichte heftig genug gebeutelt worden ist und infolgedessen abgehärtet gegen alle Versuche der Großen, ihr imponieren zu wollen. Frankreich hat nur die kleinste, die sichtbarste Seite der elsäßischen Schwierigkeiten wahrgenommen: den Klerus. Von dessen Omnipotenz hat Frankreich in der deutschen Zeit profitiert, der Klerus war ja damals vorwiegend französisch gesinnt, und deshalb führte die laizistische Republik in dem wiedererlangten Lande die Trennungsgesetze nicht durch. Darin erblicken die Radikalen und Sozialisten eine reaktionäre Maßnahme, eine Konzession an den Vatikan, dem sie nicht gern auch nur den kleinen Finger reichen, und deshalb verdunkelt sich auch für sie die elsäßische Frage, weil sie hier nur die klerikale Enklave und die nur kulturkämpferisch sehen. Schon früher gab es zwischen der roten Republik in Paris und den elsäßischen Priestern, die die Erinnerung an Frankreich nicht erkalten ließen, gelegentlich Unstimmigkeiten. Vor 25 Jahren, als der Abbé Wetterlé, der Unversöhnlichste der elsäßischen Politiker, in Frankreich erschien, um eine Brandrede gegen die Trennungsgesetze zu halten, wurde er von dem radikalen Ministerium Combes brüsk über die Grenze geschoben. Heute richtet sich die Wut der Heimatbündler vornehmlich gegen Sozialisten und Demokraten, die nicht nur zentralistisch sind, sondern auch kirchenfeindlich. Und deshalb findet man auch in der französischen Linkspresse vorwiegend intolerante Kommentare, während die ultra-nationalistische ›Action Française‹ von Léon Daudet und Charles Maurras für eine freie Volksabstimmung im Elsaß eintritt. Eine Forderung, die auf der Linken nur von der ›Volonté‹ aufgenommen wird. Dieses Blatt bedauert auch, daß man in Colmar absichtlich neben ehrliche Männer dunkle Existenzen auf die Anklagebank gesetzt habe, um die ganze Bewegung zu kompromittieren. Wir enthalten uns eines Urteils darüber, so lange dieser Prozeß schwebt, möchten nur gegenüber gewissen allzu eifrigen deutschen Stimmen bemerken, daß es sich hier um eine durchaus innerfranzösische Angelegenheit handelt. Ist die Prozeßführung in Colmar schlecht und tendenziös, so wird sie der Kritik der ganzen freiheitlich denkenden Welt unterliegen, wie jede andre schlechte und tendenziöse Justiz auch, und daß es dabei um Angehörige früherer deutscher Landesteile geht, ist sekundär und soll es bleiben. Das Elsaß ist für Deutschland verloren. Nicht nur die ungleiche Machtverteilung, nicht nur die Verträge stehen im Wege, wer die Aussagen der Angeklagten unvoreingenommen liest, wird fühlen, daß hier nichts mehr zurückführen kann. Wenn man das zusammenstücken wollte, was sich in den besten und redlichsten Köpfen des Heimatbundes spiegelt, so käme nur ein ungeheurer Wirrwarr heraus, eine tragikomische Donquichotterie, der krause Idealismus einiger Traditionsgetreuer, die den Begriff einer »Heimat« konservieren wollen, die es gar nicht mehr gibt. Die Zeit steht gegen überlieferte Landschafts- und Stammesidyllik, alles arbeitet hin auf Konzentration, auf Zentralisation. Straßburg mag sich gegen die Entwicklung sträuben, die es von einer kleinen in sich selbst ruhenden kulturellen Kapitale zur Provinzstadt wie andre auch degradiert. Überall wird die schöne und unschöne Lyrik des Partikularismus zu Grabe getragen, und hoffentlich erleben wir noch den Tag, wo sich über der Gruft von Bayerns eigenstaatlicher Herrlichkeit eine Pyramide von irdenen Bierkrügen türmt. Für das Elsaß aber wäre zu wünschen, daß die schwierige Zeit der Assimilation von den pariser Politikern verständnisvoller und, vor allen Dingen, mit etwas besserm Humor betreut würde als bisher. Es war ein guter und richtiger Einfall der Verteidigung, auch René Schickele als Zeugen zu laden. Der Dichter, der das Schicksal des Vogesenlandes erkannt hat wie kein Zweiter, der mitten im Kriege in einem siegestrunkenen Deutschland mit seinem »Hans im Schnakenloch « um Verstehen für seine Landsleute geworben hat, wird jetzt vor einem französischen Gericht in gleicher Sache Zeugnis ablegen. Ein Vorgang, der überall, wo man über wiedergewonnenes Land jubelt, um entrissene Provinzen trauert, zu fruchtbarer Nachdenklichkeit Veranlassung geben könnte.

Die Weltbühne, 8. Mai 1928


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