Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Demaskierungen

Immer mehr wird der tägliche parlamentarische Situationsbericht für den politisch interessierten Staatsbürger zu einem äußerst komplizierten Lustwäldchen mit vielen fremdartig gekrümmten Wegen, zu abgelegnen Winkeln führend, die keines Fremden Auge je erspäht. Leider beschränken sich die Ortskundigen, die Diplomaticusse der großen Presse, darauf, nur die an der Peripherie produzierten dürren Partei-Bulletins zu übermitteln, anstatt Freund Zeitungsleser einmal wirklich durch das pikante Labyrinth zu leiten. Was in den Couloirs getuschelt wird, ist gewiß nicht die volle Wahrheit, aber verleiht mehr Ahnung von Tatsachen, als die stets calmierende Taktik fraktioneller Erklärungen. Es ist schon beachtlich, wie die Herren Abgeordneten unter sich Geheimnisse aus der Mission des Herrn Curtius erzählen. So soll die bekannte Anfrage der ›Germania‹ an Herrn Stresemann, ob er denn von einem Rechtsblock eine so hervorragende Förderung seiner Außenpolitik erwarte, auf eine Unterhaltung des Ministers mit Müller-Franken zurückzuführen sein, in der er sich über eine solche Möglichkeit äußerst skeptisch aussprach. Das Zentrumsblatt wollte nun Herrn Stresemann aufreizen, das auch öffentlich zu wiederholen. Aber der Effekt war ganz anders. Denn Stresemann verweigerte kategorisch jede öffentliche Äußerung, unter Zusicherung seiner Bereitwilligkeit, sich in einer Konferenz mit Zentrumsführern eingehend auszulassen. In dieser Unterredung mit den Herren von Guérard und Stegerwald aber sagte er das völlige Gegenteil dessen, was er dem sozialdemokratischen Vertreter auf den Weg gegeben hatte; er drückte vielmehr die feste Zuversicht aus, daß sich mit den Deutschnationalen ganz ausgezeichnet regieren ließe. Dies aber, versichern die Eingeweihten weiter, sei nur ein ganz besondrer Schachzug gewesen: Herr Stresemann sei unbedingt gegen eine Bindung nach rechts, aber das habe er nicht sagen dürfen mit Rücksicht auf den anwesenden Parteifreund Curtius, der ihn sofort bei den Deutschnationalen verpetzt hätte.

So tuschelt die vielzüngige Fama. Und mag es wahr sein oder nicht, es offenbart mehr als die steifleinenen Erläuterungen, die die Herren Fraktionsführer der Presse zu geben geruhen. Äußerlich scheint es in diesen Tagen, als gäbe es im Reichstag ein erbittertes Ringen der Überzeugungen. Näher gesehen, erscheint der Furor aufgeschminkt, das Auftrumpfen des Einen, das Zögern des Andern einstudierte Komödianterie. »Wir spielen Alle; wer es weiß, ist klug«, sagt Arthur Schnitzlers Paracelsus. Freund Zeitungsleser ist nicht klug.

 

Herr Geßler hat die Demopartei versetzt, und dessen Blätter sagen ihm jetzt alle Schlechtigkeiten nach. Von wannen kommt den Köchen diese fröhliche Wissenschaft? Geßler in neuer Beleuchtung? In den Jahrgängen der ›Weltbühne‹ steht die Geschichte seiner republikanischen Sendung aufgezeichnet. In sozialistischen und demokratischen Blättern ist ungeheures Material gehäuft, und ergibt, leicht zusammensetzbar, Steinchen auf Steinchen, ein Mosaikbild von absurder moralischer Koloristik. Die Demoblätter zetern über Undank und Untreue. Es scheint uns, daß, an seinen sonstigen Leistungen gemessen, sein Verhalten gegen die Partei fast honorig zu nennen ist. Wenn die alten Mitkombattanten heute schreiben, Geßler habe den Artikel General Reinhardts nicht nur geduldet, sondern sogar veranlaßt, so möchten wir dem nicht widersprechen. Sie müssen ihn kennen, denn sie waren ja mit ihm verheiratet. Komisch, wie sie ihn jetzt als nachtschwarzen Intriganten schildern. Wer nicht durch die demokratischen Augengläser sah, wußte es seit Jahren: grade so darf der Reichswehrminister nicht aussehen! Aber die Demokraten haben ihn sich nicht nur gefallen lassen, sie sind mit ihm durch Dick und Dünn gegangen. Sie haben auf den Parteitagen Debatten über ihn verhindert und die paar ungläubigen Parteigenossen terrorisiert und hinausgedrängt. Ist es denn nicht mehr als ein Jahr her, daß ein gewisser Roenneburg im Reichstag den Minister mit den Resten seiner Reputation deckte und nachher stolz in der Wandelhalle promenierte, ein glückhaftes Lächeln um den wohlgebildeten Mund, daß grade ihm, dem schlichten Bürger Roenneburg aus Braunschweig, die Ehre zugefallen war, zur Glorifizierung des großen Mannes das nötige Blau vom Himmel herunterzuholen?

Vergeblich versichern die Haas und Koch heute, daß sie genau so militaristisch seien wie er. Nicht einmal jetzt können sie sich zu der verspäteten Geste des Hinauswurfs entschließen, sondern blamieren sich mit dummen nationalistischen Zitaten. Mit Hohnlachen wirft jener die Demokratenkappe fort. Die Partei hat für ihn weder Reiz noch Zweck mehr. Sie hat ihm Charakter und Prinzipien geopfert, sie ist, mit dieser Prominenz auf dem Aushängeschild, zu einer bloßen Fiktion geschwunden. Weil ein paar der gelesensten deutschen Blätter sich demokratisch nennen, deshalb glaubt man noch an die Existenz einer Demokratischen Partei. An ihrem Geßler ist die Partei verdorben. Es gibt eine Gerechtigkeit.

 

Wenn der deutsche Parlamentarismus etwas mehr Haltung hätte, so müßte diese Regierungskrise seit dem Eingreifen Hindenburgs eigentlich eine Präsidentenkrise sein. Wegen geringrer Dinge schickte das siegreiche Kartell im Mai 1924 Herrn Millerand in die Pension.

Es war alles leidlich geschickt vorbereitet. Zuerst das Geplänkel des Herrn Curtius an der rechten Zentrumsflanke. Die Partei, deren Führer innerlich längst zum Abmarsch zu Westarp vorbereitet waren, wird nervös. Immer wieder heißt es: Kommt die Sache nicht zustande, tragt ihr die Schuld! Und anstatt diese in den Augen jedes Republikaners höchst ehrenwerte Schuld auf sich zu nehmen, verzettelt man sich in langen Palavers, bei denen auch der geölte Pfaffe Brauns seinen unheilvollen Einfluß spielen läßt. Dabei besteht gar kein Zweifel, daß die Masse der Zentrumswählerschaft republikanisch ist, daß sie aber weder imstande ist, ihre Führer zu kontrollieren, noch sie durch andre zu ersetzen. Es besteht aber auch leider kein Zweifel, daß die Aufforderung des Herrn von Hindenburg, nun doch endlich in den Bürgerblock zu gehen, nicht den gleichen Eindruck gemacht hätte, wenn sie etwa von einem Präsidenten mit geringrer militärischer Vergangenheit ausgegangen wäre. Einem schlichten Zivilisten hätte man wahrscheinlich ganz prosaisch geantwortet: Sagen Sie mal, was geht Sie das eigentlich an! Und am gleichen Tage wäre die Affäre erledigt gewesen. Obgleich Hindenburgs Brief sorgfältig alle Schnarrtöne meidet und eine nicht ungeschickte onkelhafte Betulichkeit darüber hinwegtäuschen soll, daß es sich hier um einen höchst willkürlichen Eingriff handelt, so unterstreicht doch der hohe militärische Rang des Briefschreibers jedes einzelne Wort, und in den Ohren braver Zentrumsmänner echot der Anschnauzer des Herrn Generals Groener: »Wer wagt es zu streiken, wenn Hindenburg befiehlt!«

Und trotz dieser guten Vorbereitung, trotz der zunehmenden Ohnmachtsanfälle im Zentrum, hat man diesmal nicht das Gefühl, daß auf der Rechten eine kräftige und agile Hand dirigiert. Bei den Deutschnationalen scheint die Konfusion nicht geringer zu sein als in der Mitte. Wenn der Führer Westarp willens gewesen wäre, sich an der neuen Koalition zu beteiligen, hätte er nicht unmittelbar vor der Verbrüderungsaktion eine ultra-royalistische Rede gehalten, die gradezu imprägniert war mit allen Stoffen, die auf Stresemanns Partei abschreckend wirken. Aber diese Partei, von einer madigen Angst vor den Wahlen geschüttelt, will sich nicht abschrecken lassen. Sie ist eher bereit, die Axiome des Verfassungslebens Stück für Stück preiszugeben, als sich jetzt den Wählern zu stellen. Deshalb klammert sie sich an die Rechte, deren jüngre Elemente langsam anfangen, sich von der starren Doktrin der Parteimarschälle zu emanzipieren.

Es mag auffallen, daß man in diesen Zusammenhängen überhaupt nicht mehr von der Sozialdemokratie spricht. Welche strategischen Erwägungen die Partei veranlassen, sich so bescheiden im Hintergrund zu halten, vermögen wir nicht zu ergründen. Tatsächlich ist ihr wieder einmal ein unerhörtes Glück recht unverdient zugefallen; sie rückt in die Opposition und damit bei den augenblicklichen Verhältnissen auf den besten und zukunftsreichsten Platz. Sie hat nichts dazu getan, die Andern haben sie nur nicht gewollt. Sie braucht es nicht plakatieren zu lassen, daß sie im Dezember noch die Große Koalition angeboten hat – das an der Bettkante refüsierte Mädchen kann draußen noch immer erzählen, daß die Tugend gesiegt habe. Die Sozialdemokratie kann, was auch geschehen möge, bei halbwegs richtiger Erkenntnis der Chancen zur Oppositionspartei par excellence werden und damit zum Sammelplatz aller Unzufriedenen. Hat man die Grundsatzlosigkeit der Partei in den vergangnen Monaten nicht vergessen, so kann man doch nicht umhin, ein wenig an jener Gerechtigkeit zu zweifeln, die die Demokraten mit ihrem Geßler so hart getroffen hat.

Die Weltbühne, 25. Januar 1927


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