Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Frohe Feste, saure Wochen

Man muß die Feste feiern, wie sie fallen. Das ist ein Leitsatz seelischer Hygiene, den auch die deutsche Politikerschaft beherzigt, und das wäre auch die Erklärung für diese breite Feier einer Verfassung, die eigentlich niemals in der richtigen Verfassung war und von der man immer nur gesprochen hat, wenn sie allzu unverschämt durchbrochen wurde. Daß diese Verfassung keine schlechte Arbeit ist und Deutschland staatsrechtlich wenigstens auf dem Papier aus der Feudalzeit in dieses Jahrhundert befördert, soll gar nicht bestritten werden. Doch der Wert einer Konstitution liegt nicht im Sein, sondern in der Anwendung. Sollte es wirklich einmal zu einer lebendigen deutschen Demokratie kommen, so werden viele Palimpseste entfernt werden müssen, die Militär, Justiz und Verwaltung über das geduldige Original gekritzelt haben.

Zugegeben, daß dies Mal die Verfassungsfeier eine früher nicht geahnte Ausdehnung erreicht hat. Aber die republikanischen Blätter täuschen sich über den Sinn dieser Massenbeteiligung. Für die Arbeiterschaft handelte es sich dabei nicht um eine Bejahung des gegenwärtigen politischen und sozialen Zustandes, sondern um einen Protest gegen alle in der Luft liegenden Revisionen selbst dieses Zustandes und nicht zum wenigsten auch um eine Demonstration gegen die von Geßlers Generalen bestimmte deutsche Gegenwart. Das alles bedeutet keine Zustimmung zu dem weimarer Brimborium und zu den knochenweichen Elogen auf die angeblich demokratischste aller Demokratien, sondern eher eine ernste Warnung. Wäre Schwarz-Rot-Gold nur eine Staatsfahne, die repräsentativ dann und wann über jedem Katasteramt hängt, so wäre nicht viel Aufhebens zu machen. Doch sie ist Kampfsymbol geworden und steht heute schon gleichberechtigt neben Rot, und zwar nicht als Ausdruck großdeutscher Sehnsucht, wie die private Metaphysik der Herren Festredner wähnt, sondern weil sie auch sozialistischen Arbeitern durch den ewigen Schmutzregen von Rechts legitimiert erscheint. Die Arbeiter wollen das Vaterland nicht größer, sondern besser haben. Und sie verwünschen Schwarz-Weiß-Rot, weil es die Fahne der Kaiserei und des Kriegsbetrugs war, die Fahne, die weniger im Kampfe wehte – was soll in vergasten Gräben eine Standarte? –, als vielmehr über den Etappen und jenen Teilen der Heimat, wo am großmäuligsten von Annektionen geredet und am dreistesten verdient wurde.

Übrigens weiß man bei den Kompromißrepublikanern und nationalliberalen Mitläufern über diese Volksstimmung viel besser Bescheid als in den Quartieren der Linken. Das belegen gewisse Vorkommnisse. Irgendwo verließen Herrn Geßlers republikanische Militäroffiziere empört das Haus, als ein Festredner sich etwas Tadelndes über die frühern Dynastien zu sagen erkühnte. Und in volksparteilichen Blättern kann man Beschwerden lesen, daß sogar hier und da ein Hoch auf die Republik ausgebracht wurde, was doch sehr taktlos sei. Die neueste nationalliberale Pfiffigkeit hat eine Trennung gemacht zwischen Verfassung und Republik. Verfassung, das ist: unverrückbare Ordnung, Polizeigewalt, Klassenstaat; Republik: eine Unverbindlichkeit, über die zu gelegener Stunde noch zu reden sein wird. Schon Herr Heinrich Rippler, Stresemanns Leibjournalist, nennt in der ›Täglichen Rundschau‹ den Farbenwechsel »unglücklich und würdelos«. Das im offiziösen Blatt. Deshalb ist auch der Jubel mancher Demokraten über das bereitwillige Mitspielen der deutschnationalen Herren des Reichskabinetts so nichtig. Die republikanische Front ist nicht stärker geworden, sondern länger, grade so wie 1918 die Ostfront von Finnland bis nach Damaskus reichte, und damals wie heute sieht man in jeder Frontverlängerung einen Sieg.

Nein, an dieser triumphsichern Zufriedenheit hatte das Volk nicht teil. Die Reden hallten an seinem Ohr vorbei. Keiner der Sprecher fand ein Wort, das den Mann auf der Straße gepackt hätte, so wie in allen Demokratien oder Diktaturen führende Männer heute volkstümliche Formulierungen finden, die ein Gefühl von Gemeinschaft ausdrücken oder vortäuschen. Die Suada des Orientalisten Becker in der Funkhalle ging so spurlos vorbei, als wäre sie in einer dem gelehrten Redner hier allein geläufigen vorderasiatischen Mundart gehalten gewesen.

Der Reichstag hatte als große Attraktion den Herrn Abgeordneten v. Kardorff aufs Podium gestellt. Ein Mann, wie geschaffen, um dieses Auditorium abgebrühter Routiniers lyrisch schwingen zu lassen. Ein Mann, der bisher immer »Einsicht«, aber nur ein Mal in langen Jahren großen Stil gezeigt hat, als er nach der Erfindung der Dolchstoßgeschichte den Deutschnationalen entrüstet den Rücken kehrte. Man findet in andern Parteien analoge Schicksale: er ist der ewige kommende Mann und Führer von morgen, der ewige ungekrönte König, dem immer dann das Pferd fehlt, wenn das Königreich zu haben ist. Früher ein erleuchteter Konservativer, jetzt ein etwas finsterer Liberaler, ist er in dieser Zwitterhaftigkeit des Denkens der richtige Mann, um zu nichts verpflichtende Feiertagserkenntnisse in kleinen Dosen zu verabreichen. Er hechelt ein bißchen die Stupidität der Parteiwesen durch, ein kleiner Nasenstüber auch für den alten Staat. Abends wird die Ampel seiner Weisheit wieder verhängt sein. Nur ein Mal wird er aktueller, und hier spitzt alles die Ohren, denn der Festredner verlangt Stärkung der Stellung des Reichspräsidenten, und da setzt die Sensation ein, denn jeder der erfahrenen Thebaner im Saal weiß, daß das kaum für den alten Herrn in der Wilhelm-Straße gesagt sein kann, dem vor solcher Machtvollkommenheit sicher bange würde, sondern ... Doch das ist eine komplizierte Geschichte.

Herr v. Kardorff gehörte in den letzten Jahren in seiner Partei zu einer Gruppe Mißvergnügter, die, wie der frühere Minister v. Raumer, sich von Stresemann gekränkt und zurückgesetzt fühlten und deren Politik stets ganz exakt durch diese Gegnerschaft bestimmt wurde. War Stresemann für ein Bündnis mit Rechts, so etikettierten sie sich ultralinks, wollte Stresemann die Große Koalition, so plädierten sie für Westarp. Bei Stresemanns häufigem Wechsel war eine so konträre Haltung natürlich anstrengend und auch etwas diskreditierend, und Herr v. Kardorff ist denn auch ziemlich still geworden. Durch seine Vermählung mit dem Haupt dieser Gruppe von Malkontenten, mit Katharina v. Oheimb, die mit dieser Verehelichung auf eine Fortführung der eignen politischen Laufbahn verzichtet hat, ist Herr v. Kardorff nun endgültig in ein Spiel geraten, das aus der Muffigkeit der Fraktionsstuben in das Rosagewölk jener Coterien führt, wo Damenwünsche Karrieren ebnen und unter Ministerplätzen terrestrische Erschütterungen hervorrufen. So etwas macht die französische Politik seit Jahrhunderten so amüsant. Aber im Bereich der oheimbschen Ehrgeize wird, gut deutsch, aus Grazie Betriebsamkeit. Esprit wird durch Tüchtigkeit ersetzt; Aphorismen gleiten nicht aus dünnen mokanten Lippen, sondern werden mit dem Ellenbogen gestupst und die Intrige manifestiert sich im Lautsprecher. Das Boudoirtischchen, das liebenswürdigere Geheimnisse bergen sollte, verliert den traditionellen Reiz und wird zum Musterkoffer für Kandidaten und Karrieristen. »Ein Reichskanzler gewünscht? Haben wir massenhaft auf Lager, in jeder Ausführung. Da fühlen Sie mal an, prima prima. So, Sie wollen nicht so viel anlegen? Da haben Sie was Billigeres. Es ist nicht so eins A, aber zum Strapazieren.« Vanity fair. Und inmitten, endgültig in der Sphäre einer zielbewußten Frau kreisend, der Politiker, der nie recht gewußt hat, wo er eigentlich hingehört: Siegfried v. Oheimb, geborener v. Kardorff, sehr vornehm und etwas beklommen von den Gerüchten, die ihn zum dritten Reichspräsidenten machen wollen und an denen er nicht ganz unschuldig ist. Seine Verfassungsrede ist als Kandidatenrede ausgelegt worden; seine Äußerungen über die Stärkung der Präsidialgewalt weisen ausschließlich in die Zukunft. Aber es gibt auch noch andre Positionen zu stärken als so hochpolitische, und der präsumtive Herr Präsident hat einstweilen ja Zeit, für sein kommendes hohes Amt entsprechend zu trainieren. Wir aber wollen nicht vergessen, daß uns beinahe schon ein Mal ein Reichspräsident katharinischer Prägung beschert worden wäre, nämlich: Herr Otto Geßler, für den damals die ganze katharinische Presse das Gong schlug, bis Stresemann – man muß ihm doch viel abbitten! – scharf abwinkte. Seitdem ist man im oheimbschen Hause Stresemann noch böser als bisher, und das eröffnet angenehme Aspekte auf die Kandidatur Kardorff.

Das alles bringt so eine Verfassungsfeier mit sich. Jetzt ist das frohe Fest verrauscht. Man zankt wieder um Besatzungsfragen, und der Gedanke an die nächste genfer Tagung guckt wie ein schwarzer Kater durchs Fenster. Es wäre zum Verzweifeln ohne die Aussicht auf den 2. Oktober. Jedenfalls hat die Republik stimmungsvoll gefeiert und damit ihre Pflicht getan. Jetzt sind die Fähnchen wieder zusammengerollt, und nur in kleinen Provinzblättern findet man noch verspätete Abdrucke von hauptstädtischen Festartikeln, wie Pasteten, die beim Bankett vom Tisch gefallen, nachher vom kleinen Volk aufgelesen werden.

Die Weltbühne, 16. August 1927


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