Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Gasangriff auf Hamburg

In der ›Weltbühne‹ vom 6. September 1927 (Nummer 36) nannte Oliver unter den Herren, die 1923 an den rechtsradikalen Umtrieben der Marinestation Ostsee teilhatten, auch einen ehemaligen Leutnant v. Borries. Dieser Herr v. Borries betrieb mit seinem Bruder in Holstein eine Milchkonservenfabrik, die eines üblen Tages in Konkurs geriet. Mit Hilfe der jungen Männer einer bekannten republikanischen Organisation rettete der eine der Brüder nächtlich seine Möbel über die dänische Grenze, indessen der zweite im Lande verblieb und die Milchkonserven mit einem andern Volksernährungsmittel vertauschte. Er wurde auf dem Wege über den Landbund Handelsbevollmächtigter jener »Gefu«, die sich dann »Wiko« nannte und in Berlin W. 62, Kleiststraße 11 das historische Waffengeschäft mit Rotrußland betrieb, während im gleichen Hause die »Mologa« der Herren Joseph Wirth und Ludwig Haas sich vergebens abmühte, mit etwas zivilern Waren auf den grünen Zweig zu kommen. Das war damals die große Zeit der östlichen Orientierung. Heute taucht der ehemalige Büchsenmilchfabrikant wieder als Vertreter einer »Müggenburg G.m.b.H.« auf, die im hamburger Hafen eine Quantität Phosgen zu stehen hat, die nach Meinung Sachverständiger hinreicht, um ganz Norddeutschland auszuräuchern. Zwar liegt ihm jetzt nicht viel an seinem Besitzerrecht – da spielt noch ein Kriegschemiker Doktor Stoltzenberg mit, der unter Geschäftsaufsicht steht –, aber die Besitzverhältnisse sind überhaupt noch dunkel, und ziemlich klar ist nur, daß von dieser neuen Gesellschaft des Herrn v. Borries die Spuren zurück zur »Gefu« führen, jener berüchtigten Reichswehrzentrale. Leider bleibt die große Presse wieder die Zusammenhänge schuldig. Man liest lamentable Erzählungen des Herrn Doktor Stoltzenberg, der bejammert, daß man ihn um sein kostbares Gut betrogen habe. Man vergißt darüber, daß das in der Nachbarschaft menschlicher Wohnungen lagernde Teufelszeug seit Jahr und Tag ständige Todesgefahr über die zweitgrößte deutsche Stadt brachte – was die Zeitungen präsentieren, ist »Ein deutsches Erfinderschicksal«, Ballade mit Leiermusik.

Wieder müssen die außenpolitischen Rücksichten herhalten, um eine radikale innere Entseuchung zu verhindern. Gewiß ist die Erregung draußen nicht gering. Besonders in Amerika schlägt man harte Register an. Verklungen ist Herrn Schurmanns »Old Heidelberg, dear city«, vergessen das Verbrüderungskarmen beim Fliegerempfang – wären sie am vergangenen Montag angekommen, es hätte eine selbst Hünefelds Monokel erschütternde Szene gegeben –, und in den new yorker Blättern findet man bedenkliche Reminiszenzen an die Zeit des »Lafayette, wir kommen!« Eine eindringliche Demonstration gegen die neuerdings beliebte Überbewertung von gesellschaftlichen Ereignissen internationalen Charakters. Die neue Internationale der Festessen wird auch nicht schaffen, was die der Darbenden versäumte.

Wenn aber jetzt drüben gleich nach Völkerbundskontrolle verlangt wird – mit Verlaub, meine Herren, [woher] bezöge der Völkerbund die moralische Legitimation, dies Richteramt auszuüben? Und sind nicht auch amerikanische Firmen als Abnehmer dieser Handelsware benannt worden? Es bleibt nur der Appell an den Völkerbund, das allgemeine Verbot zur Herstellung von Kampfgasen endlich auszusprechen. Deutschland aber hat die Pflicht, unabhängig von dem, was die Andern tun und sagen, den letzten Ursachen der hamburger Katastrophe nachzugehen. Kein Zufall, daß die grade in diesem Hafen eintrat, denn hier ist seit geraumer Zeit ein Hauptstapelplatz des internationalen Waffenschmuggels. Und auch die glücklichen Inhaber dieser Gastanks wußten wohl, warum sie sich nach Hamburg wandten, wo ihnen die hanseatische Munificenz nicht nur einen Lagerplatz zur Verfügung stellte, sondern auch weitherzige Aufsicht zukommen ließ. Wenn man bestimmten Gerüchten Glauben schenken darf, hat das Gas wiederholt den Besitzer gewechselt, und einer davon soll ein bekannter Inflationsmagnat gewesen sein, dessen politischer Ehrgeiz ihn in sehr hohe Regionen brachte. Dieser Gute soll einmal in Freundeskreisen das Rätselwort fallen gelassen haben: »Gestern habe ich 40 Kühe bezahlen müssen ...«, und erst viel später dämmerte den Hörern der Sinn auf, als sie erfuhren, daß er ein jüngst aufgekauftes militärisches Lager wieder abgestoßen habe.

Von kompetenter Seite sind Zweifel ausgesprochen worden, ob man es hier überhaupt mit Phosgen zu tun, das eine gelbliche Färbung aufweise, während das ausgeströmte Gas ganz farblos gewesen sei, es sich hier also um einen noch unbekannt gebliebenen wissenschaftlichen Fortschritt handle. Man wird richtig tun, sich nicht von amtlichen Beschwichtigungen einnebeln zu lassen. Stellen doch zurzeit auch militärisch geschulte Köpfe Erwägungen an, ob nicht zum Beispiel auch das Raketenauto sich etwa für Kampfzwecke verwenden lasse. Zur Ehre des Herrn Fritz von Opel sei gesagt, daß er sich mit den Leuten nicht eingelassen hat. Jedenfalls hat diese Giftgasattacke auf die große Stadt Hamburg, herbeigeführt durch die unverantwortliche Dummheit von Behörden und die verbrecherische Geschäftemacherei kommerzbegabter Exmilitärs eine Note schrecklich einleuchtender Pädagogik: – So wird der nächste Krieg sein! So wird es sein! Was sich da an der Grenze trister Arbeitervororte abspielte, das war gewiß viel weniger als eine Generalprobe, aber wer nicht von Gott geschlagen ist, wird den Sinn verstehen. Friedliche Menschen werden plötzlich mit verzerrten Gesichtern hinsinken, andre, die sich durch Flucht zu retten suchen, sich durch die eilende Bewegung nur schneller erschöpfen und mit giftgedunsenen Lungen fallen. Die freiheitlichen Jugendverbände Hamburgs rüsten zu einer großen Agitation. Möchten sie gehört werden! Die Kommunisten sind nicht dabei. Für sie hat ihr Redner in der hamburger Bürgerschaft diese markante Erklärung abgegeben: »Wir geben ohne weiteres zu, daß die Erzeugung der Giftgase notwendig ist zur Verteidigung Sowjet-Rußlands gegen die imperialistischen Mächte. Es ist außerdem selbstverständlich, daß die Sowjetregierung mit den kapitalistischen Staaten Wirtschaftsbeziehungen anknüpfen muß, um Phosgen für medizinische und industrielle Zwecke zu erhalten.« Man sollte nicht zu hart sein mit diesem armen Schlucker, den mißverstandene Treue zu Moskau im Schlingkraut so jämmerlicher Rabulistik verstrickt. Nur darf man nicht fragen, was der Mann dazu sagen würde, der der Gründer seiner Partei war und als Erster in Europa mitten in einem siegesrasenden Land die Faust erhoben hat gegen den Krieg, gegen den Krieg.

Die Weltbühne, 29. Mai 1928


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