Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Die Ursache

Am 4. Dezember 1926 standen wir, ein paar eilig benachrichtigte Freunde, am späten Nachmittag in dem schmalen Gehäuse am Königsweg, das mit all seinen Büchern und Papierstößen plötzlich leer geworden war. Wir waren äußerlich ruhig und nüchtern, aber es war eine Stimmung unterdrückter Tränen, und wir vermieden, nach der kleinen, so bekannten Samtjacke zu blicken, die am Kleiderhaken hing. Es war so unwahrscheinlich, was geschehen war. Unwahrscheinlich war diese Gruppe von Menschen, die hier im Zwielicht um den Schreibtisch stand, über die nächste Fortführung der ›Weltbühne‹ beratend, scheu das betastend, was S.J. gehörte, was sein Erarbeitetes, sein Geschaffenes war. Hier hatte das Fatum einen schrecklich ungerechten Spruch vollstreckt, ein Leben voller Struktur zerstört, etwas sinnvoll Geordnetes, bis in die letzten Winkel Gegliedertes. Vielleicht ist nicht oft Einer aus der schnell vergessenen Gilde der Publizisten so betrauert und so gehaßt worden. Trauer und Haß halten das Bild eines Menschen lebendig, lebendiger als der Versuch, es literarisch einzufangen. Man sucht das Geheimnis der Wirkung dieses einen Mannes. Auch für die, die ihn haßten, ist er heute noch nicht gestorben. Tagtäglich belegen Zeitungsausschnitte, daß noch immer papierne Teutonenkeulen auf »Jacobsohns Weltbühne« dreschen, als sollte bewiesen werden, daß eines Redlichen Wort genügt, um die martialischen Pfahlbauten der guten Patrioten ins Wackeln zu bringen. Dabei war er als Schreibender immer seltener geworden; Administration und Redaktion hatten ihn verschluckt. Befragte man ihn deswegen, pflegte er das einfach zu konstatieren, und er tat das ganz selbstverständlich und ohne eine Geste, die Resignation angedeutet hätte. War es dennoch ein Verzicht? Ist es ihm schwer gefallen? Niemand kann das beantworten. Aber er war ein Schriftsteller von seltenen Gaben; er beherrschte die Sprache, verstand wie wenige, einen Satz zu modellieren, voll Biegsamkeit und Kraft und beseelendem Klang. Nur ein ungewöhnlicher Schriftsteller konnte so auf andre Schriftsteller von Rang wirken, so befeuernd, beflügelnd und steigernd. Gebildet hatte er sich in den zwei Jahrzehnten vor dem Krieg, in der Zeit der höchsten artistischen Exklusivität, des üppigsten Ästhetizismus, der vom Volk abgewandten Kunst. Und dann ging er plötzlich mitten in die Politik, die ganz andre Waffen braucht, die viel sinnfälliger, rauher, gröber arbeiten muß. Es war eine Abkehr von seinen ureignen Mitteln. Man sage, was man will: kein Schriftsteller verläßt leichten Herzens das Land, in dem er sich in jungen Jahren die Meisterschaft geholt hat. Nicht Ehrgeiz, Knopf auf dem Kirchturm zu werden, trieb ihn in die neuen Bezirke. Er hatte tief eingewurzelt einen Instinkt für das Rechte. Um politisch zu werden, brauchte er nicht die Kabbala der Ismen. Die Entbehrung war seine frühe Begleiterin gewesen. Ein Blick zurück in der wirbelnden Welt der Kriegsjahre: die dünne Schicht Ästhetizismus war abgefallen, der Revolutionär, der immer in ihm gelebt hatte, war wieder freigeworden. Als blutjunger Mensch hatte er nach rapidem Aufstieg grausamen Absturz erfahren; zwanzig Jahre, bevor er die militärische Feme aufdeckte, war er das Opfer der sozialen Feme geworden. Es muß wohl jemand dies Inferno durchlitten haben, um den Mut zu finden, zum Mundstück des Gebüttelten und Niedergedrückten zu werden in dieser freiesten Republik unter der Sonne, die den, der die Wahrheit sagt, in einen Hohlweg drängt, wo rechts der Totschläger, links der Paragraph lauert. In der kleinen Schrift über seinen »Fall«, die die persönlichsten Bekenntnisse eines Herzens enthält, das sonst nicht zu Konfidenzen neigte, stehen ein paar unvergeßliche Zeilen: »Als Kind mußte ich immer eingesungen werden. Eins meiner Lieblingslieder hieß: Freiheit, die ich meine, die mein Herz erfüllt ... Es ist gar kein Wiegenlied, sondern ein Turnerlied; aber mein inneres Tempo war immer so vehement, daß ich selbst für den Schlaf einen Marschrhythmus brauchte.« Diesem innern Tempo vertraute er sich lebelang an, es führte ihn sicher, vom Versuch zur bewußten Formung, vom einmaligen Vorstoß zum dauernden Einfluß, vom Instinkt zum Wollen. Weil er wollte, konnte er bewegen und bewirken. Weil er den Marschrhythmus in sich nicht erstickte, konnte er, der Außenseiter, Dinge in Fluß bringen, wo die abgeklärten Kapazitäten der Politik die Achseln zuckten. Etwa eine Woche vor seinem Tode antwortete er im vertrauten Kreis auf die Frage, ob er nicht bedaure, als Theaterkritiker so sehr in den Hintergrund getreten zu sein: »Und wenn ich nichts getan hätte als die Aufdeckung der Fememorde, so wäre mir das genug ...« Wer so dachte, konnte etwas bewegen. Der konnte dem schreienden Karneval der Erfolglosigkeiten fernbleiben, den man bei uns öffentliche Meinung nennt, der brauchte nicht hinein in die buntscheckige Parade der Prominenzen. Er hat immer lachend abgewehrt, prominent genannt zu werden. Er hatte es nicht nötig, weil er ein bedeutender Mann war.

 

Der innere Marschrhythmus hat der deutschen Demokratie gefehlt vom ersten Tag an, und wo sie ihn hämmern fühlte, hat sie ihn unbarmherzig erstickt. Deshalb können die Republikaner noch heute nichts mit der Revolution anfangen, deshalb sprechen sie lieber von Max von Baden als von den Kieler Matrosen, und ihre Helden stammen aus einer Kategorie von halben Liberalen, die, durch die Ereignisse emporgehoben, ihre Stellung benutzten, um die alten Mächte zu konservieren. So befindet sich der deutsche Liberalismus auf einer ewigen Heldensuche, und er kann nicht wählerisch sein, weil die Auswahl nicht sehr groß ist. So schreiben jetzt die Demoblätter, daß Deutschland elend in Scherben gegangen wäre ohne den General Wilhelm Gröner. Anlaß zu dieser beachtlichen Feststellung gab Herrn Gröners sechzigster Geburtstag. Die liberale Presse mit ihren guten Manieren und ihrer ausgesprochenen Einflußlosigkeit ist die geborene Gratulantin, so ceremoniöse Akte gelingen ihr ganz ausgezeichnet. Aber es fragt sich doch, ob sie nicht des Guten zu viel getan und zur Ergötzung des Volkes einen Monumentalgröner aus Zeitungspapier aufgebaut hat, der sich als Ganzes recht stattlich macht, aber bei einer Besichtigung, die weniger auf Figur gibt als auf akkurate Einzelheiten, qualitativ verliert. Herr Gröner ist übrigens an dieser Berühmtheit nicht ganz unschuldig. Im münchner Dolchstoßprozeß hat er zuerst den Novemberpakt zwischen dem Volksbeauftragten Ebert und der O.H.L. als schallenden Trumpf ausgespielt, und in einem Nachruf auf Friedrich Ebert dessen unerschrockenen Patriotismus gelobt: »Er war jederzeit und vorbehaltlos bereit, seine persönlichen und politischen Anschauungen und Wünsche zurückzustellen, wenn es galt, der Not des Vaterlandes gerecht zu werden. Auf diesem gemeinsamen Boden haben sich die damalige Oberste Heeresleitung und Friedrich Ebert zum festen Bunde die Hände gereicht, um der Revolution Herr zu werden und dem deutschen Volke Recht und Gesetz wiederzugeben.« Wäre Herr Gröner der große Politiker, so hätte er diese Konfessionen hübsch bei den Akten liegen lassen als historisches Material für eine spätere Generation, die bei der Enthüllung eines Geheimvertrages keinen Stachel mehr fühlt, weil die Mächte nicht mehr da sind, die ihn abgeschlossen haben. Herr Gröner ist kein großer Staatsmann, aber er hat Geruch für effektvolle Demagogie. Glaubt er wirklich, mit dem patriotischen Führungsattest für Ebert auch nur einen einzigen Konservativen zu überzeugen? Die Leute wollen alle Gewalt, und sie pfeifen darauf, ob Ebert ein guter oder schlechter Patriot gewesen ist. Wohl aber muß solche Eröffnung erschütternd auf die Arbeiterschaft wirken. Und es war wohl auch mehr Herrn Gröners Absicht, der Sozialdemokratie einen Dämpfer zu geben, als den toten Ebert zu entlasten. Denn was hätte es auch für einen Sinn, einen Mann in den Augen von hundert Konservativen zu rehabilitieren, der durch die gleiche Aussage für eine Million Sozialisten zum Verräter gestempelt wird? Für Herrn Gröners politischen Scharfsinn wird gern ins Feld geführt, daß er als Vertrauter Erzbergers den Herren Offizieren die Annahme des Versailler Vertrags mundgerecht gemacht habe. Aber noch im Dezember 1918 wollte der gleiche Gröner, der doch einen Monat vorher in Spaa ohne Zweifel begriffen hatte, daß der Krieg verloren war, die Volksbeauftragten zu einer Expedition nach Ostland überreden, um Posen zurückzuholen. Im Dezember 1918, im allgemeinen Debakel, wo nichts mehr kompakt war als der Bankrott! Die Volksbeauftragten wollten übrigens nichts davon wissen; nur des Genossen Otto Landsberg roter Shylockbart nickte Zustimmung. Wie die tägliche Beeinflussung Eberts durch Gröner war und empfunden wurde, darüber besitzen wir einwandfreies Zeugnis in der Aussage des Abgeordneten Dittmann im Ledebourprozeß. Herr Dittmann führte nach dem stenographischen Protokoll aus: »Nun stellte sich aber sehr bald beim Zusammenarbeiten im Rat der Volksbeauftragten heraus, daß die drei Mitglieder der mehrheitssozialistischen Partei – Ebert, Scheidemann und Landsberg – fortgesetzt geneigt und willens waren, Konzessionen zu machen an die alte Bureaukratie, an die Vertreter der kapitalistischen Parteien und an die Vertreter des alten Militärregimes ... Es war für uns sehr bezeichnend, daß besonders die Einwirkung des Generals Gröner, des Leiters des Großen Hauptquartiers, auf Ebert an jedem Morgen bemerkbar war: abends um 11 Uhr pflegte er sich mit dem Großen Hauptquartier telephonisch zu verständigen über die Dinge, die sich am Tage vorher ereignet hatten und am nächsten Tage vielleicht brennend wurden; dann war am andern Morgen stets der Einfluß Gröners bei ihm bemerkbar. Wir unabhängigen Sozialdemokraten hatten dann fortgesetzt dagegen anzukämpfen, daß wieder die alten militärischen Anschauungen bei den Regierungsmaßnahmen zur Geltung gebracht wurden. Das setzte sich unausgesetzt bei jeder einzelnen Regierungshandlung fort, so daß sich im Rat der Volksbeauftragten ein stiller Kampf abspielte ...« Das Reichsbanner hat neulich ein Dreimännerdenkmal Ebert, Erzberger, Rathenau vorgeschlagen. Die Zusammenstellung ist nicht ganz glücklich. Man sollte sich auf ein Ebert-Gröner-Denkmal beschränken, das die Beiden darstellt, so wie sie sich im Novemberpakt die Hände reichen. Das Schicksal der Republik von Gestern und Heut und für das ungewisse Morgen liegt in diesem Händedruck.

Die Weltbühne, 29. November 1927


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