Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Fritz Thyssen als Fundamentalist

Herr A.B. Farquhar, ein amerikanischer Industrieller, der es von bescheidenen Anfängen zu hohem Wohlstand gebracht hat, greift als Achtziger zur Feder und erzählt zur Nutzanwendung der Jugend sein Leben. Seine Maximen und Reflexionen faßt er unter dem Titel zusammen: Die erste Million – die schwerste (deutsch bei Grethlein & Co. in Leipzig). Da liest man Erkenntnisse der Art, daß Schwierigkeiten da sind, um überwunden zu werden, daß man sich selbst treu bleiben muß, daß Gott sich nicht spotten läßt, daß der wertvollste Besitz Freunde sind. – Mit so guten Grundsätzen ist der alte Farquhar zur ersten Million gekommen, der sich dann zur Belohnung viele andre angeschlossen haben.

Großpapa Farquhars zinstragende Weisheit aber wird in deutscher Edition eingeleitet von Fritz Thyssen, unserm großen nationalen Märtyrer, der sich die schlichte Theorie des Amerikaners zu eigen gemacht hat und sie in seiner temperamentvollen Weise vorträgt: »Das unbeugsame, zähe Festhalten am Willen zur wirtschaftlichen Größe des Einzelnen, die verständnisvolle Mitwirkung aller an der Erfüllung dieses Willens, zieht sich wie ein roter Faden durch dieses Werk, in der Erkenntnis, daß die Wohlfahrt aller durch die persönliche Wohlfahrt der möglichst vielen herbeigeführt und gesteigert wird.« So spricht Fritz Thyssen und vergißt nicht hinzuzufügen, daß das beste an Farquhars Grundsätzen deutschen Ursprungs sei, um dann allerdings mit einer Verdammung Wilsons und der erpreßten Friedensverträge zu schließen – kleiner Rückfall des profunden Ethikers in die kurze Epoche seines Nationalheldentums.

Bei dem alten Farquhar ist das Verhältnis zwischen Arbeitern und Unternehmern ein Vertrag vor Gott, in den sich keine irdische Instanz, sei es Staat oder Arbeitersyndikat, zu mischen hat. Mit Sparsamkeit und Selbstbescheidung werden die Leute schon durchkommen. Merkwürdig, diese Männer von der Großindustrie, die wir, von unsrer Phantasie verleitet, gewöhnt sind, als die Übermenschen, die Wikinger oder Condottieri unsrer Zeit zu sehen. Wenn sie sich zeigen und zu uns sprechen, scheinen sie eher Heilige aus dem Laienbrevier, steife, archaische Gestalten auf Goldgrund; das zur Seite geneigte Haupt bedeutet Hingabe an ein Ewiges, und der Zeigefinger richtet sich gotisch spitz nach oben, wo das göttliche Gesetz wohnt, und von wo aller Segen quillt. Nur gelegentlich dringt in dies Sanctuarium ein schriller Ton von Weltlichkeit; wenn zum Beispiel Herr von Borsig, von Rotglut übergossen, wie ein kinderfressender Herodes poltert, daß es in Deutschland zu viel Menschen gibt, seufzt die Gemeinde der Heiligen und schweigt.

Papa Farquhar ist religiös tolerant, aber in Dingen des Kapitalismus guter amerikanischer Fundamentalist, der an den übersinnlichen Ursprung der Geldmacht so fest glaubt wie die Bürger von Dayton an die naturwissenschaftliche Stichfestigkeit der Genesis. Indem Fritz Thyssen diese Weisheit aufnimmt, verwirft er jeden modernen Gedanken an eine Affenabstammung des Kapitalismus, wie sie von Marx, Sombart und andern Schmähern seiner Gottheit behauptet wird. Wenn er die Prinzipien des alten Farquhar besonders unterstreicht: daß der wertvollste Besitz im Leben Freunde sind, und daß der beste Weg, Freunde zu finden, ist, ein Freund zu sein; daß man auch nie nach etwas trachten soll, wofür man nicht bereit ist, den vollen Gegenwert zu geben, so weilen unsre Gedanken andachtsvoll bei seinem hochseligen Herrn Vater, der mit diesen schätzbaren Maximen allein den kolossalen Reichtum aufgebaut hat, auf dem heute Fritz Thyssen, der Erbe, thront, ein großer Industrieller und ein franziskanisches Gemüt.

Die Weltbühne, 28. Juni 1927


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