Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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[Antworten] Justizverwaltung

Du läßt durch deine Pressestelle eine Erklärung verbreiten: »In dem Bericht über die Gerichtsverhandlung gegen die Redakteure der ›Weltbühne‹, Salomon und v. Ossietzky, war in einem Teil der Presse dem Landgerichtsdirektor Crohne der Vorwurf gemacht worden, daß er einen ›Kriegsblinden‹, der einen Zwischenruf gemacht hatte, in einer rücksichtslosen Form aus dem Gerichtssaal verwiesen habe. Die Ermittelungen der Justizverwaltung haben ergeben, daß der Herausgewiesene ein junger Mann ist, der bei Beendigung des Krieges neun Jahre alt war. Sein Augenleiden rührt aus einer in frühester Kindheit erlittenen Scharlacherkrankung her, beschränkt seine Erwerbsfähigkeit nur um 10 v.H. und gestattet ihm, tagsüber sich ohne Begleitung und ohne Stock auf der Straße zu bewegen. Seine Nachbarn im Zuhörerraum hatten sich bereits durch seine früheren Zwischenbemerkungen belästigt gefühlt. Der Herausgewiesene selbst erklärt, daß er die von Landgerichtsdirektor Crohne gewählte Lösung als milde gegenüber der an sich verwirkten Ungebührstrafe empfunden habe.« Die Ermittlungen haben ergeben ... Was war denn zu ermitteln? Der Tatbestand war doch ganz klar: auf die wiederholte Aufforderung des Herrn Vorsitzenden, der Zwischenrufer möge sich melden, erhob sich endlich der Blinde und wurde mit dem schnell Büchmann-reifgewordenen »Raus damit!« dem Wachtmeister überantwortet. Dieser Hinauswurf hat die wirkliche oder vermeintliche Ungebühr gesühnt. Die Ermittlungen der Justizverwaltung verschieben das Thema. Nicht der Blinde steht zur Debatte, sondern Herr Crohne, dessen Form sein von niemandem bestrittenes Hausrecht wahrzunehmen, unerhört war, auch wenn der Missetäter auf beiden Augen gesehen hätte. Was die Öffentlichkeit von der Justizverwaltung erwartet hatte, war nicht Untersuchung, ob der Mann kriegsblind ist oder nicht, war nicht seine Krankengeschichte, sondern ein kleiner Wink an Herrn Crohne, seine Macht künftighin in Formen auszuüben, wie sie unter gesitteten Menschen üblich sind. Dabei entbehrt es nicht der Komik, daß zur Entlastung des Herrn Crohne jetzt die Meinung des Blinden selbst angeführt wird, er hätte die Hinausweisung gegenüber der verwirkten Ungebührstrafe selbst als »milde« empfunden. Hat er übrigens die Justizverwaltung autorisiert, von dieser doch wohl ganz privaten Äußerung öffentlich Gebrauch zu machen? Das wäre zu ermitteln. Ebenso, wer denn eigentlich die Nachbarn sind, die sich schon durch frühere Zwischenrufe von ihm belästigt gefühlt haben sollen. Ich könnte mit einwandfreien Zeugen aufwarten, die in der unmittelbaren Nähe des Blinden gesessen haben, daß er sich nicht nur mucksmäuschenstill verhalten hat, sondern die auch die Meinung vertreten, er habe auch den fraglichen Zwischenruf gar nicht getan, sondern sich nur dazu bekannt, um ein gespanntes Intermezzo zu beenden, das bei der kraftvollen Haltung des Richters Crohne höchst wahrscheinlich mit der Räumung der Zuhörerbänke geendet hätte. Das wäre zu ermitteln, wenn man schon ermitteln will. Aber es ist ja überflüssig. Denn der Tatbestand steht fest. Und auch Herr Crohne steht mit schmerzlicher Deutlichkeit im Lichte der Zeitgeschichte.

Die Weltbühne, 10. Januar 1928


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