Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Der Femeprozeß

Mein Freund und Kollege Berthold Jacob und ich sind von dem erweiterten Schöffengericht Charlottenburg zu einer Gefängnisstrafe von 2 Monaten respektive 1 Monat verurteilt worden. Das Delikt wird erblickt in einem Artikel Jacobs »Plaidoyer für Schulz«, hier erschienen am 22. März dieses Jahres und von mir verantwortet. Strafantrag hatte gestellt der Herr Reichswehrminister für die Herren Oberst von Schleicher, Oberst von Bock und Hauptmann Keiner. Der Staatsanwalt, ein höflicher und zurückhaltender Herr, hatte nur die Verhängung finanzieller Sanktionen beantragt, jedoch die Charlottenburger Emmingerkammer, aus einem Landgerichtsdirektor, einem gelehrten Richter und zwei ungelehrten Volksrichtern bestehend, entschied sich für Prison. Also Prison. Wir sind nicht pathetisch genug veranlagt, das zum Anlaß zu nehmen, die Hände zum Himmel zu recken, wo unveräußerlich die ewigen Rechte wohnen; wir haben Freunde und Sekundanten, wir sind nicht wehrlos, und, vor allem, wir sind illusionslos. Dennoch mußten wir einen kleinen Ärger überwinden, als wir das Urteil vernahmen, das uns für ein paar Wochen aus dem geselligen Treiben der Reichshauptstadt verbannt, wenn die Berufungsinstanz es bestätigen sollte. In der Urteilsbegründung wird nämlich als straferschwerend betrachtet, daß wir beide erst in diesem Jahre wegen Beleidigung durch die Presse zu Geldstrafen verdonnert worden wären. Was Jacob ausgefressen hat, weiß ich nicht, aber mein eigner Fall steigt noch leuchtend in der Erinnerung auf. Von meiner frühern Tätigkeit her, als verantwortlicher Redakteur des ›Montag Morgen‹, schwebte gegen mich (und Erich Weinert) noch ein vom Reichsmarineamt beantragtes Verfahren; wir waren zu 500 Mark Geldstrafe verurteilt worden, und vor der Berufungskammer kam es zu einem erregten Auftritt zwischen dem Vorsitzenden und dem Verteidiger. Daraufhin zog Paul Levi die Berufung demonstrativ zurück, und so bin ich vorbestraft. Man soll, wenn man mit der Justiz zu tun hat, ein für allemal großartige Gesten vermeiden.

Dennoch war auch dieser Gang nach Moabit lohnend, weil er uns die Bekanntschaft mit der Richterpersönlichkeit des Herrn Doktor Crohne vermittelte. Es ist hier und anderswo im Lauf der Jahre manches Bittere über die Richter geschrieben worden, manches was von Galle durchtränkt war und bei einem spätern Nachlesen oft karikaturistisch verbogen schien. Es bleibt das Verdienst des Herrn Doktor Crohne, unsre gelegentlichen innern Zweifel an dem Richterbild der deutschen Linkspresse behoben zu haben. Sein Auftreten wirkt wie eine ungewollte und deshalb umso stichhaltigere Bestätigung für alles, was von Bewersdorff bis Niedner über die Richter geschrieben worden ist. Dieser Richter, dessen Tatendrang nicht Objektivität, geschweige denn Konzilianz hemmt, verfügt über eine unermüdliche Eloquenz; er redet, redet, redet. Bald autoritativ und herunterputzend, bald mit der striemenden Ironie eines durch sein Amt vor ähnlichen Waffen Gesicherten; sofort nach Eröffnung pfeift er uns, die Angeklagten, an, wie es ein Richter von Herz und Takt nicht bei ein paar verstockt leugnenden Langfingern tun würde; er macht durch sein Dazwischenreden unsre Vernehmung unmöglich, er handhabt die richterliche Superiorität wie einen Gummiknüppel, der ständig dem, der außer ihm noch zu reden wagt, übern Mund fährt. Wir sind unsern Verteidigern Alfred Apfel und Georg Löwenthal, die eigentlich immer mit der Hand an der Mappe, zum Exodus bereit, dastehen, zu höchstem Dank verpflichtet, daß sie ungeachtet dieser hyperboreischen Verhandlungsformen bis zum überraschungslosen Ende ausharren. Dieser Vorsitzende herrscht den Zeugen Schulz an, der erregt am Zeugentisch steht und als zum Tode Verurteilter einiges Recht zur Erregung hat, und ein Mal nervös mit zwei Fingern untern Cut fährt: »Nehmen Sie die Hand aus der Tasche!« Ein Mann auf der Zuhörerbank, ein Mann mit der gelben, schwarzpunktierten Binde um den Arm, ein Kriegsblinder, der sich zu einem Zwischenruf bekennt, wird mit einem kurzen »Raus damit!« aus dem Saal verwiesen. Die Aphoristik dieser zwei abgehackten Worte aus einem sonst so zur Ausdrucksfülle neigenden Munde, der für die Herren vom R.W.M. sogar die umständliche Anrede in der dritten Person findet, ist unüberbietbar.

Apotheose zweier langer Verhandlungstage bleibt die Begründung des Urteils. Sie soll hier nicht in ihren Einzelstücken gewogen werden. Denn sie ist improvisiert, auf Grund von Skizzen zum Teil frei vorgetragen, und es bleibt abzuwarten, ob die Schlußfassung gewisse Ausdrücke und Partien enthalten wird, die schon bei der Verlesung ungläubiges Staunen und nachher in der Presse scharfe kritische Glossierung gefunden haben. Es bleibt abzuwarten, ob die Schlußfassung für die Würdigung der wichtigsten Zeugenaussagen die legere Wendung »Olle Kamellen« beibehalten wird, ob die auffallenden persönlichen Ausfälle gegen die Verteidiger nicht doch noch umgemodelt werden. Aber außer Frage steht, daß ein paar Ungeheuerlichkeiten bleiben werden, die weder entfernt noch umgeformt werden können, weil sie die Tragbalken des ingeniösen Spruches darstellen. Sogar unsre Beweisanträge werden als straferschwerend angesehen; ein juristisches Novum. Ein politischer Epilog führt in die hohe Politik. Der Richter hat den politischen Charakter des Prozesses bestritten, doch er selbst breitet in seinem Schlußwort eine Übersichtskarte seiner politischen Meinungen aus. Da wird zur Rechtfertigung der Gründer schwarzer Kaders unter anderm gesagt, daß diese unsre Ostgrenze gegen einen polnischen Einfall zu schützen hatten, da es, wie Oberschlesien, Posen und Wilna gezeigt hätten, die polnische Methode sei, durch vorgeschickte Horden ein fait accompli zu schaffen. Das mag als Meinung eines Politikers oder einer politischen Korporation gelten, aber es ist nicht Sache eines Gerichtes, einen Staat, mit dem grade wichtige Handelsvertragsverhandlungen gepflogen werden, also zu regalieren. Die Begründung wirft uns »gemeine Angriffe« gegen die drei Offiziere vor, sie hält eine Geldstrafe für ungenügend, da diese keine Gewähr bieten, uns von weitern Angriffen auf die Ehre andrer abzuhalten. Hier hört das Humoristikum auf und das Interesse der ganzen deutschen Pressegilde beginnt. Denn damit werden zwei Publizisten, die sich seit Jahren in einem politischen Kampf befinden, rund und nett als Ehrabschneider gebrandmarkt und gleich für die Zukunft verwarnt. Herr Crohne mag den inkriminierten Artikel beurteilen, wie er will, dagegen gibt es Rechtsmittel und im äußersten Fall sitzt man die Strafe ab in dem Bewußtsein, daß eine in solcher Form auferlegte und mit solcher Argumentation servierte Pönitenz nicht die Haut ritzt. Jeder Publizist, der mit ganzem Herzen für eine Sache eintritt, wird mit Empörung eine Drohung auf die Zukunft ablehnen. Man mag uns verurteilen heute, morgen, übermorgen, wir werden es hinnehmen, aber unser Stolz wird sein, nicht »gebessert«, sondern nur energischer, schärfer, dichter und zäher zu werden. Dafür sind wir Publizisten und stehen wir im Dienst der Öffentlichkeit. Unser Beruf hat in diesem Land der schneckentempofahrenden Instanzenzüge und der wabbeligen Parlamente ein unsichtbares Volkstribunat inne, wir verwalten ein unsichtbares Anklägertum, Richtertum und Verteidigertum. Es ist ein Unterschied zwischen Beleidigung und Beleidigung. Es ist ein Unterschied zwischen einem feilen Sudler, der mit Behagen in der Geschlechtssphäre wühlt und grinsend den Phallus des Gegners dem verehrten Publikum präsentiert, und Schriftstellern, die für Ideen kämpfen, selbst wenn sie fanatisiert etwa die Gebote der Höflichkeit verletzen. Das Gericht hat sich keinen Augenblick bei der Tatsache aufgehalten, daß der beanstandete Artikel ein Plaidoyer für jenen Oberleutnant Schulz darstellte, den die ›Weltbühne‹ zuerst aufgestöbert hat, zu dessen Überführung der Verfasser des beanstandeten Artikels nicht wenig Material beigetragen hat. Ist das ein »gemeiner Angriff«, für den Mann einzutreten, den man selbst hat stellen helfen? Ist das ein gemeiner Angriff, laut zu erklären, auch Dieser war nur ein Opfer, ein Getriebener, nicht Letztverantwortlicher, sondern nur Teilchen jenes mörderischen Mechanismus? So soll Verleumdung und Ehrabschneiderei aussehen?

Inkriminiert war in dem Artikel folgendes: »Schulz hat Anspruch auf den ordentlichen Richter. Aber Der soll nicht außer Acht lassen, daß der Oberleutnant nur erteilte Befehle ausgeführt hat und daß man neben ihn auf die Anklagebank mindestens den Hauptmann Keiner und den Oberst Bock, wahrscheinlich aber auch den Oberst von Schleicher und den General von Seeckt setzen müßte.« Unbeanstandet gelassen war dagegen der Passus von dem »unwahrscheinlichen Eid« des Herrn Oberstleutnants Held, jenes Offiziers, der Major Buchrucker in Küstrin von seiner bevorstehenden Verhaftung telephonisch unterrichtet haben soll. Die Verhandlungsführung legte uns die wörtliche Interpretation des beanstandeten Satzes und damit auch einen unmöglichen Beweis auf. Nach dieser Auffassung müßte sich ein Fememord also abgespielt haben: Herr Geßler, nachdem er einen Bericht aus Küstrin geschluckt hat, mit herodischer Gebärde zu seinem Adjutanten: Man töte diesen Wilms! Der mit dem Befehl weiter zu Herrn von Schleicher und dann über alle Zuständigen weiter bis zu den Klapproths. So primitive Vorstellungen hat kein verständiger Mensch von dem Hergang gehabt, und so etwas war weder hier noch anderswo behauptet worden. So etwas aber sollten wir beweisen, und unsre klar zutage tretende Unfähigkeit, das zu beweisen, verschaffte Herrn Crohne seine dialektischen Triumphe. Was dieser Prozeß trotzdem zur Evidenz gezeigt hat, das war die namenlose Gemütlichkeit, mit der das R.W.M. den schwarzen Komplex behandelt hat. Alle Herren verschanzten sich hinter ihrer Unzuständigkeit. Niemanden ging die schwarze Geschichte etwas an. Dabei war diese sekrete Wehrmacht rund um Berlin stationiert. Wilde Formationen, die in Oberschlesien im Morden und Stehlen geübt waren, lagen rund um Berlin, geführt von republikfeindlichen Offizieren mit privaten Putschabsichten. Das Urteil meint überschlau, was wir wohl für Gesichter gemacht hätten, wenn die Polen wirklich gekommen wären und Herr Geßler nur das schwache legale Heer zur Verfügung gehabt hätte. O die Polen! Aber was geschehen wäre, wenn diese Landsknechtsbanden schließlich aus den Forts und Zitadellen geschwärmt wären auf Berlin zu, darüber schweigt das Urteil. Nicht die Fememorde, die der Zeuge Buchrucker mit mysteriösem Lächeln als »sachlichen Fehler« bezeichnet, sind die Grundsuppe des Übels, sie sind in aller ihrer Scheußlichkeit trotzdem nur Symptom. Der politische Aberwitz, dem diese Bluttaten entsprangen, war das Bestehen einer illegalen und durch und durch unzuverlässigen Truppe, für die niemand zuständig war, die im Dunkeln vegetierte, von der niemand amtlich Kenntnis haben durfte, die dank mangelnder Kontrolle den »sachlichen Fehler« beging, Leute, die sie für Verräter und Spitzel hielt, durch Selbstjustiz auszusortieren. Die bizarre Symbolik des Zufalls will, daß jener Offizier, dessen dienstliche Berührung mit den »Arbeitskommandos«, diesen Niemandsländern, diesen Bankerten der mit unbedingter Vertragstreue gesalbten Seecktschen Militärpolitik, am wenigsten geleugnet werden kann, den Namen Keiner führt.

Die Femekampagne war für uns niemals eine Hetzjagd hinter irgendwelchen armen Teufeln, die heute vielleicht in einem friedlichen bürgerlichen Beruf stecken und an ihre küstriner Zeit wie an einen wirren Traum zurückdenken. Unser Ziel war nicht die juristische Sühne für jedes einzelne heute schwer erkundbare Verbrechen, sondern die Feststellung der letzten politischen Verantwortlichkeit dafür. Der Reichswehrminister hat mit dieser schwarzen Schöpfung eine grauenvolle Gefahr über das Land gebracht. Dafür müßte er Rechenschaft ablegen, selbst wenn er nicht Geßler hieße.

Die Siegertkammer, vor der der Wilmsprozeß geführt wurde und die Schulz zum Tode verurteilt hat, ist gefährlich nah an die Frage jener tiefern Verantwortung herangekommen: »Wenn man die Geheimhaltung erzwingen wollte, so mußte mit der brutalsten Gewalt gekämpft werden ... Die Feme, das war die Einrichtung, die sich notwendig ergeben mußte, wenn die Geheimhaltung über alles ging.« Kein Wunder, daß Herr Geßler das nicht als letzten Spruch gelten lassen wollte, und eine günstigere Lesart suchte. Sein Vertrauen, daß kein zweites Tribunal das Verdikt der Siegertkammer übernehmen würde, hat ihn nicht getäuscht. Künftig kann er auf den neuen Schein pochen: »Die moralische Mitschuld der Reichswehr, die Schulz mit angeführt hat, fällt damit ins Wasser. Von allem ist nichts übrig geblieben als lediglich schon die in frühern Schwurgerichtsurteilen ausgesprochene sogenannte moralische Verantwortlichkeit des Reichswehrministeriums. Das Gericht läßt es dahingestellt sein, ob überhaupt eine moralische Verantwortlichkeit des Reichswehrministers angenommen werden kann.« Du hast gesiegt, Galiläer. Der böse Geist ist erfolgreich abgeschlagen. Otto Geßler hat sich ums Vaterland verdient gemacht, und seine Offiziere stehen hier, in der dritten Person angeredet, vom mindern Volk unterschieden, und zucken mit einer in mehreren Prozessen erworbenen Routine die Achseln.

Es sind noch zwei Außenseiter da, zwei Ausgefallene, zwei in Zivil: – Buchrucker und Schulz. Der Putschführer von Küstrin spricht mit der leisen Stimme und dem feinen ironischen Lächeln des Erfahrenen. Der hat genug bis an sein Lebensende. Unendlich überlegt und behutsam spricht er, meisterlich besteht er die schwere Situation, alte Beziehungen, die er nicht mehr liebt, weder preiszugeben noch reinzuwaschen. Hier, wo so viele beamtete Personen Verantwortlichkeit abstreiten und zuständig für die Schwarze Reichswehr am Ende nur noch unser Vater im Himmel bleibt, der sich auch um die Lilien auf dem Felde kümmert, leuchtet der abgeurteilte Rebell als Intellekt und Charakter. Paul Schulz hat jetzt die graue Gefängnisfarbe, er gestikuliert nervös und fahrig, aber seine Aussage ist zusammenhängend und konzentriert. Er weiß jetzt seine Vereinsamung, weiß, daß es um den Kopf, und, wenn der gerettet, um die Freiheit geht. Auch er gibt niemanden preis, aber betont immer wieder den »Druck der Verhältnisse« damals, ohne sich über den Druck und die Verhältnisse näher auszulassen. Zögernd gesteht er zu, daß anno diaboli 1923 auch die Behörden ungesetzliche Maßnahmen getroffen hätten. Und warum haben die Behörden die geheimen Morde nicht verfolgt, warum ließen sie die Akten liegen? Schulz fragt das immer wieder. Die Urteilsbegründung attestiert Schulz, Großes für den Staat geleistet zu haben. Nein, er hat nichts Großes geleistet, aber er hat ohne Zweifel beträchtliche Gaben, und sein krankhafter Ehrgeiz hat ihn in eine höllisch faule Sache verwickelt. Jetzt ist der Firnis der Wichtigtuerei abgeblättert. Jetzt steht da ein Abgehärmter und Verlassener, der am Ende des ersten Verhandlungstages mit verlorenen Augen in das Gewimmel von Leuten sieht, die nach Hause gehen. Jetzt steht nur ein großer Schuljunge da, der nachsitzen muß. Mit verschwimmenden Blicken sieht er die wehenden Schals und wie die Mäntel angezogen werden. Die Offiziere entfernen sich sporenklirrend. Alle gehen nach Haus. Auch der mürrische Schließer hinter ihm geht einmal nach Haus. Einer bleibt. Der Letzte, bei dem die Kette der Verantwortung für die grausig-tragische Kategorie der Fememorde endet. Der Letzte, den nach dem braven alten Wort die Hunde beißen.

Die Weltbühne, 27. Dezember 1927


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