Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Die Republik der kleinen Leute

Doch behielt die Republik noch Parteigänger und Schützer. Wenn sie an die Treue ihrer Beamten nicht glauben durfte, konnte sie auf die Ergebenheit der Handarbeiter zählen, deren Elend sie nicht gelindert hatte, und die, um sie in den Tagen der Gefahr zu verteidigen, in Massen aus Steinbrüchen und Arbeitshäusern kamen und in langer Reihe, abgezehrt, schwarz, finster, vorüberzogen. Sie alle wären für die Republik gestorben; sie hatte sie hoffen lassen.

Anatole France, »Die Insel der Pinguine«

Ich las neulich im Antwortenteil einer jungen rechtsradikalen Zeitschrift: »Nein, wir sind nicht von Hugenberg gekauft; Ihre Anfrage hat uns eine heitere Viertelstunde bereitet.« Ich glaube nicht an diese heitere Viertelstunde. Die jungen Leute wollen imponieren, und führen deshalb den Namen des Herrn Hugenberg unnütz im Munde. Denn floriert das Unternehmen, so werden die braven Jungen nicht mehr lange unbeaufsichtigt ihren Gesinnungsbrei kochen, und Hugenberg kauft sie eben mit Mann und Roß auf, und sie werden eingehen in das große Reich von Film und Zeitung, über das der Gewaltige gebietet, wo Jud und Christ einträchtiglich nebeneinander arbeitet, jeder nach seiner Façon selig, unter der Bedingung, daß alle nach einer Façon schreiben.

Hugenbergs Macht ist größer als die der pariser und londoner Zeitungskönige. Denn Die haben nur ein Sensations-, ein Unterhaltungsbedürfnis zu versorgen, der deutsche Patriot aber stellt an sein Blatt metaphysische Ansprüche, ohne deshalb auf Klamauk und Kitzel verzichten zu wollen. Wenn man liest, wie Herr Hussong über der Zeiten Schande jammert und den Geist der deutschen Klassik gegen moderne Verflachung zu Hilfe ruft, glaubt man nicht, daß der Lokalanzeiger einen Filmteil haben kann oder einen Bericht über ein Sechstagerennen oder, ein paar Seiten weiter, eine sympathische Betrachtung über die ungebundene Sinnenfreude des berliner Nachtlebens. Aber es ist trotzdem so. Seit Hugenberg beginnt, seine Hausflagge auch auf den Kinos aufzupflanzen, ist man links nervös geworden. Wenn nicht alles trügt, wird der Kampf gegen Hugenberg die hauptsächliche Parole des nächsten Wahlkampfes werden. Denn da die Linke selbst nicht recht weiß, was sie will, kann sie nur gegen etwas und nicht für etwas kämpfen. Es ist möglich, daß die Deutschnationalen dabei etliche Mandate verlieren werden, aber größer als ihr Verlust wird Hugenbergs Gewinn an Abonnenten sein. Und damit hätte sich ja gar nichts verändert. Der Einfluß der Zentrale aller deutschen Reaktion bleibt.

Und dieser Einfluß reicht bis in die letzte Kätnerhütte, denn eine glänzend funktionierende Organisation beliefert die kleinste Winkelpresse mit Stoff. Von der großen Giftküche in der Zimmerstraße erhält die Pogromstimmung gegen alles Republikanische im Land ihr Kraftfutter. Die republikanischen Parteien blasen Victoria, wenn sie in Berlin Hunderttausende auf die Beine bringen oder wenn ein Industriedespot eine knappe Verbeugung vor dem Geist von Locarno macht, aber ein paar Wegstunden von der Hauptstadt beginnt unerforschtes Land, dessen Art niemand kennt. Wir sind heute besser unterrichtet über den Geist der Auslandsdeutschen in Sao Paolo oder Mexiko City als über die Ansichten der Inlandsdeutschen rund um die Warthe. Weil Hitler jetzt den beredten Mund hält, Roßbach Tanzstunden gibt, Ehrhardt mit dem ewigen »Rin in den Staat! – Raus aus dem Staat!« das nationale Lager in einige Konfusion bringt, hält man es schon für aufgehoben. Gewiß ist mancher der früher üppig wuchernden Bünde verfallen oder gar nicht mehr da, jedoch die Saat ist herrlich aufgegangen. Der Prozeß um die Ahrensdorfer Bluttaten hebt nur ein Zipfelchen von der deutschen Vendée, aber selbst das Wenige, was da zur Erscheinung kommt, reicht hin, um das Bild einer Wirklichkeit zu geben, deren Kanten nicht durch den selbstverständlichen Liberalismus großstädtischen Lebens abgeschliffen werden. Das eine durch den Ort fahrende Reichsbannerauto genügte, um ein Rudel Dorfleute in Hörnertollheit zu versetzen. Sie fallen wie böse Tiere über einen Radfahrer her, bald wälzt sich alles in allgemeiner Prügelei. Ein ältlicher Mann schreit seinem Sohn zu: »Aujust, schieß mitten mang!« Der Junge, ein geistig zurückgebliebener Bursche, hat schnell ein Jagdgewehr aus dem Schrank geholt. Und Aujust sieht rot und schießt mitten mang, und ein paar Menschen liegen blutend auf der Landstraße. Delirium, nicht einmal für den Bruchteil einer Sekunde von dem Hirnblitz erhellt, es könnte strafrechtliche Folgen haben, die Ladung Rehposten in einen Menschenhaufen wie zwischen Holzpflöcke zu senden. Vater Schmelzer fürchtet keine Obrigkeit. Denn soweit sein Horizont reicht, ist der Staat der benachbarte Herr Udo v. Alvensleben, der über Stahlhelm und Wehrwolf als Janitscharentruppe verfügt. Dieser Herr hat nun geruht, höchstdieselbst an Gerichtsstelle zu erscheinen, und wir sahen einen hagern, spitznasigen Junker, der an eine gut gelungene Maske von Ralph Arthur Roberts erinnert. Herr v. Alvensleben trat mit der ruhigen Festigkeit eines Mannes auf, dem die Grenzen weltlicher Gewalt bewußt sind; er beschränkte sich selbst in seinen Provokationen auf das zur Wahrung seiner Gottähnlichkeit unbedingt erforderliche Maß. Denn er weiß, was vielen Klügern nicht bekannt ist, daß dieser Staatsanwalt aus Berlin mit besondern Instruktionen der preußischen Regierung, daß diese rötlich schimmernde Woge von hauptstädtischen Journalisten morgen wieder fort ist. Ja, morgen ist das Gastspiel der Republik wieder beendet, morgen sitzt dieser nur im eignen Salon angeschwärmte Star wieder im Schnellzug – aber er, Udo v. Alvensleben, bleibt. Neben dem ausgezeichneten Strafverteidiger Bloch, der immer geholt wird, wenn Holland in Not ist, und der als zuverlässig gilt, weil er am väterlichen Gebetsriemen so martialisch den Ehrenrevolver der schwarzen Feme trägt – neben diesem erprobten juristischen Nothelfer sitzt ein junger Mann, der ein Stenogramm der Verhandlung anfertigt. Das wird dann Herrn v. Alvensleben überreicht werden, der daraus ersehen wird, wer von seinen Untertanen in der Stunde der Gefahr das Vaterland im Stich gelassen hat. Was ahnen die Dorfleute von solchen Teufelskünsten? Der Schmied, die Pferdeknechte und Stallschweizer bilden sich ein, man müßte vor Gericht die Wahrheit sagen. Und sie stammeln in rührender Unbeholfenheit von dem Ungeheuern Druck, unter dem sie leben, von der Leibeigenschaft, in der sie gehalten werden und was passiert, wenn Einer Herrn v. Alvensleben und seinen dienstbaren Wehrwölfen nicht pariert.

Arme Leute, tapfere Leute. Ihr Geschick hat sie zur Stummheit verurteilt. Weil die Rede nicht fließen will, vermögen sie nicht zu sagen, wie ihnen ums Herz ist. Aber wem Gott diese schöne Gabe gegeben hat, wie dem Herrn Reichskanzler Marx, der kann es. Der hat sich soeben dahin ausgelassen, daß er weder Monarchist noch Republikaner sei, sondern einfach verfassungstreu. Er ist also verfassungstreu aus Prinzip, er ist jeder zufällig bestehenden Verfassung treu. Überflüssig zu erinnern, daß bei einer Wahlschlacht für Herrn Marx ein junger Republikaner auf dem berliner Pflaster sein Blut verspritzte. Passé, passé. Der vorjährige Marx war schon eine harte Prüfung. Damals trat er mit Herrn Külz auf, und wir dachten, es ginge nicht weiter. Jahrgang 1927 brachte einen von Herrn v. Keudell akkompagnierten Marx, und wir fragen neugierig, was erst das nächste Jahr bescheren wird. Wenn der stattliche Alcalde von Zittau bei aller malmenden Talentlosigkeit doch über eine natürliche sächsische Suada verfügte, so wirkt Herr v. Keudell in seiner tristen, verknurrten Schweigsamkeit, die nur gelegentlich von ein paar nationalen Gutturallauten unterbrochen wird, seit seinem Eid auf die republikanische Verfassung vollends wie ein kupierter Fenriswolf. Aber vielleicht würde Herr v. Keudell als preußischer Innenminister viel gesprächiger werden, auch weniger kopfhängerisch scheinen.

Da Herr Marx jetzt bekannt hat, weder Monarchist noch Republikaner zu sein, hat er damit förmlich die jahrealte Stegerwaldsche These von der »Sonntagsangelegenheit« aufgenommen, über die wir alle einmal furchtbar gelacht haben. Man sollte es sich in der deutschen Politik abgewöhnen zu lachen, wenn Einer eine Dummheit dumm formuliert. Denn die abgestandensten Sottisen von gestern sind immer die Konkordienformeln von morgen. Die Bayern strömen wieder zum Zentrum. Das ist wichtiger als das bißchen Republik, das einem Marx einmal den höchsten Platz angeboten hat. Im preußischen Landtag hat der rheinische Katholik Doktor Heß plötzlich einen überraschenden Vorstoß gegen den Ministerpräsidenten gemacht, weil er für den Einheitsstaat redet, und gegen den demokratischen Finanzminister, weil er für die Katholiken zu wenig Herz hat. Merkwürdige Geschichte. Hat der Herr Heß sein persönliches Steckenpferd geritten oder hat ihm die Fraktion ein Streitroß gesattelt? Will das Zentrum auch in Preußen die alte Koalition sprengen und beginnt es jetzt, die nötigen Vorwände für den spätern Krach zu sammeln? Die republikanischen Parteien, wie gesagt, machen etwas Campagne gegen Hugenberg und spitzen sich im übrigen auf die Große Koalition. Das soll also das Ziel eines mit so lautem Tamtam eingeleiteten Wahlkampfes sein? Neue Allianz mit dem Zentrum, dessen Marx sich soeben in den Lebensfragen der Republik neutral erklärt hat, und der sich vielleicht grade den Kopf zerbricht, wie die Deutschnationalen am schnellsten auch in Preußen einzulassen sind! Die Zeugen von Ahrensdorf, der Schmied, die Pferdeknechte, die Landarbeiter, kleine Leute nur, und den profunden taktischen Erkenntnissen ihrer Parlamentsvertreter weder verwandt noch verschwägert; aber sie stehen für ihre Republik grade, und sie werden wohl noch viel dafür dulden müssen. Doch die Republik ist wieder abgereist, wie sie sich immer schnell auf die Strümpfe macht, wenn es um die kleinen Leute geht, die sich für sie schlagen. Arme Leute, ihr habt eine bessere Republik verdient!

Die Weltbühne, 20. Dezember 1927


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