Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Canarisfilm und Völkerbundstheater

Vor zwei Jahren gelang es im parlamentarischen Untersuchungsausschuß einem Vertreter des Reichsmarineamts, durch Affrontierung republikanischer Abgeordneter einen beträchtlichen Radau hervorzurufen. Damals wurde der Öffentlichkeit zum ersten Mal der Herr Korvettenkapitän Canaris bekannt. Wir haben in der ›Weltbühne‹ in der letzten Zeit wiederholt auf die Laufbahn des Herrn Canaris hingewiesen, um damit den Streit um das Reichsmarineamt, der ja zunächst nur von den Film Subventionen ausging, militärpolitisch schärfer zu profilieren und damit nicht in Vergessenheit gerate, daß in dieser Behörde neben Finanzgeschäften auch noch andre getätigt würden, die an sich besser zum Ressort passen, aber zu der staatserhaltenden Aufgabe einer Wehrmacht im Widerspruch stehen. Es gehen nun seit ein paar Wochen merkwürdige Geschichten um, wonach Herr Canaris Anschluß an einige Redakteure eines großen demokratischen Tageblattes gesucht und gefunden habe. Diesen Herren, so wird erzählt, habe Herr Canaris neues Material zur Filmaffäre in Aussicht gestellt – Material, das nicht nur den ohnehin belasteten Kameraden Lohmann, sondern auch seinen Vorgesetzten, den Herrn Admiral Zenker, einbezieht. So wird sehr geheimnisvoll erzählt, und da Journalisten ebenso wenig diskret sein können wie Offiziere, so ist einiges davon weiter gedrungen, was wir hier mit aller Reserve wiedergeben. Obgleich die Angelegenheit, wenn sie stimmt, mehr charakterologisches als politisches Interesse hat, so sollte doch darüber Klarheit geschaffen werden. Bis jetzt sieht man nur einen Filmstreifen ohne Textierung – Personen, die gestikulieren, den Mund öffnen, die Hände beschwörend heben und dergleichen, aber man weiß nicht recht wozu.

Vielleicht nimmt jetzt Herr Canaris das Wort.

 

Das war wieder eine lange Rednerparade in Genf, und jedem einzelnen der Herren wird von seiner Presse attestiert, das große Ereignis gewesen zu sein. Man kann gewiß sein, daß heute in Kowno Herr Woldemaras als der Demosthenes gefeiert wird, dem ein Parkett von Staatsmännern hingerissen folgte. Ungarn hat ein venerables nationales Altertum delegiert, den Grafen Apponyi, der nach dem ›Lokalanzeiger‹ mit einem Zukunftsgemälde von Frieden und Gerechtigkeit sein Auditorium erschütterte, das gewiß noch viel erschütterter gewesen wäre, wenn Horthy einen seiner blutigen Bandenführer geschickt hätte. Italien wird durch den zähen Juristen Scialoja vertreten, der alle Verhandlungen durch Tifteleien schwierig macht, was jedoch die Meinung erwecken kann, als nähme man in Italien Rechtsfragen buchstäblich und pedantisch, anstatt sie kurzerhand à la russe zu erledigen. Was vollends Herrn Stresemanns Presse angeht, so kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, daß der Völkerbund eigens geschaffen worden sei, um dem großen Mann einen interessantem Rahmen zu geben als die heimatlichen Bezirksvereine und Unternehmerbünde. Nimmt man sich jedoch die Reden gründlich vor, so erkennt man, daß alle Herren mit viel Aufwand nichts gesagt haben. Und dies Nichtssagen ist das ungeschriebene aber faktische Programm dieser Tagung.

Auch Aristide Briand, der hellste Kopf und das wärmste Temperament, war dies Mal unsagbar trist. Vor einem Jahr noch forderte er mit grandioser Geste auf, die Mitrailleusen zu zerschlagen. Man mochte sich dabei still fragen, was wohl geschehen würde, wenn seine Landsleute in blauen Blusen damit Ernst machten. Dennoch, es war ein hallendes Wort, keine zage rückversicherte Formulierung. Und dies Mal? »Wir müssen den Frieden den Völkern so lange in die Ohren schreien, ihnen so lange immer wieder zurufen: Macht den Frieden! Macht ihn, wie Ihr wollt, in juristischen Formeln oder ohne juristische Formeln, aber beschäftigt Euch mit dem Frieden! Wir müssen den Frieden zu jener mystischen Gewalt machen, die sich in der Seele der Völker unwiderruflich festsetzt.« Verkehrte Welt! Der Vertreter eines schwer bewaffneten Staates ruft den Vertretern andrer nicht leichter bewaffneten Staaten zu, ihren Völkern das Kriegmachen auszureden. Dabei ersehnen die Völker nichts mehr als den Frieden und sehen nur in ihren Regierungen das Hindernis. Das ist die Wahrheit. Daß ein kluger Mann wie Briand in der Hitze des rednerischen Moments die Dinge einfach auf den Kopf stellt, beweist nur, daß in Genf, wo immer besser gesprochen als gehandelt wurde, jetzt selbst die Rhetorik bankrottiert hat. Was gestern noch klingende Phrase war, ist heute einfach Blague.

So hielt die repräsentative Rede ein Kandidat für den Rat der Großen, der Grieche Politis, der die Kritik der kleinen Mächte abwiegelte und einen wahren Hymnus auf das Nichtstun sang. Der hat, glatt und schlau, den Großen aus der Seele gesprochen. Es hat alles Zeit! Die genfer Devise unter dem Protektorat der Militär- und Seemächte.

Die Kleinen aber streben zu den Ideen des Protokolls von 1924 zurück. Das war der Sinn des überraschenden holländischen Vorstoßes, auch der Bemühungen Polens, zu einem Sicherungsabkommen für den Osten zu gelangen. Die kleinen Staaten sind durch die Locarnoverträge aus der Weltpolitik radikal hinausgeworfen worden. Sie sind ohne Einfluß auf den Lauf der Dinge und dürfen nur nachträglich in Genf protestieren. England hat die Abrüstung ruiniert und schafft sich überall in Europa Trabanten zur Einkesselung Rußlands. Der Locarnofriede war ihm nicht mehr als die Erledigung mitteleuropäischer Quengeleien zur Formierung einer großen reaktionären Bürgerfront gegen das Land der sozialen Revolution und gegen alle soziale Revolutionierung im eignen Haus und überall. Seitdem ist sein Interesse am Völkerbund erloschen, und weil Locarno schließlich doch nicht zum Ziel führte, auch sein Interesse an diesen Verträgen, und es fördert offen und brutal alle fascistischen und weiß-militaristischen Strebungen.

Deshalb ist es auch ziemlich belanglos, ob jetzt in Genf noch eine gemeinsame Plattform gegen den Angriffskrieg gefunden wird. In dieser bösen europäischen Luft verlieren Schiedsklauseln und Beteuerungen, niemals angreifen zu wollen, ihren Wert. Das Rüstzeug des Vorkriegspazifismus erweist sich jetzt, wo es endlich umgeschnallt werden soll, als rostig. Was 1910 Epoche gemacht hätte, ist 1927 zur Lüge geworden. Zukunft und Würde des Völkerbundes ruht nicht bei den Regierungen der großen Mächte, sondern bei ihren linken Oppositionen, und, vor allem, bei der englischen Arbeiterpartei. Das Jahr des großen Durchbruchs zum Frieden war 1924, das Jahr Herriots und MacDonalds. Neue Entlastung der Weltpolitik kommt nicht mit neuen Pakten in Ost oder West, sondern nur durch den Sturz der konfliktsüchtigen englischen Reaktion. Bis dahin festzustehen und den Widerstand so weit zu spannen, daß die halsbrecherische Außenpolitik des Torykabinetts auch zu einem innern Risiko wird, ist die historische Aufgabe der englischen Opposition.

 

Wir erhalten das folgende Schreiben:

»Der Preußische Ministerpräsident.

Berlin W. 8, den 7. September 1927.

In Nr. 35 der ›Weltbühne‹ vom 30. August wird das Gerücht erwähnt, der Herr Reichspräsident beabsichtige nach seinem 80. Geburtstage zurückzutreten, und im Zusammenhang damit wird gesagt, ›in parlamentarischen Kreisen munkle man jetzt, der Preußische Ministerpräsident habe Herrn v. Hindenburg solche Pläne ausgeredet mit dem Hinweis, daß das große Werk der Volksversöhnung noch nicht vollendet sei.‹

Dazu bemerke ich in aller Kürze, daß ich schon deshalb dem Herrn Reichspräsidenten nicht ›solche Pläne ausgeredet‹ habe, weil mir von diesen Plänen nichts bekannt ist.

gez. Braun«

Wir freuen uns sehr, daß der Herr Ministerpräsident so entschieden dementiert. Mit uns werden sich die Parteien freuen, die schon lange den Wahlkampf gefürchtet haben, und wohl auch ein wenig der Herr Ministerpräsident selbst, dem die Kandidatensorgen erspart bleiben.

Die Weltbühne, 13. September 1927


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