Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Corriger la justice

Man mag alle Argumente des Verstandes gegen den politischen Mord auffahren, er wird wie jede andre Form von individuellem Terror in der politischen Auseinandersetzung nicht zu verhindern sein, wenn den Bürgern die gesetzlichen Wege versperrt werden, eine Änderung der staatlichen Verhältnisse herbeizuführen. Wenn der Mund verstopft wird, sprechen die Revolver. Wenn die harmlosen rhetorischen Explosionen in Presse und Meetings nicht mehr zugelassen sind, krachen die Bomben. Die despotisch regierten Länder schlagen den Rekord in Attentaten. Der amtlich regulierten Höllenmaschinerie des Zarismus arbeitete als dämpfendes Korrektiv die viel bescheidenere Höllenmaschine der verfolgten Sozialisten entgegen.

Das neue Rußland, eine Despotie zwar, wenn auch von der alten nach Ziel und Mitteln viele Gestirne weit entfernt, paralysiert die gefährlichen Wirkungen seiner Regierungsform, indem es den Regierten was zu tun gibt. Das schlampigste Land von einst ist zum klassischen Exempel konstruktiver Neuordnung geworden, in die jeglicher tätig eingespannt ist. Ein ökonomischer Furor hat sie alle ergriffen, Bauern, Arbeiter, Bürger, und selbst das parasitäre Soldatengeschöpf schwitzt über Schreibtafel und Rechenmaschine. Wo alle zu tun haben, bleibt keine Zeit zum Konspirieren.

Der italienische Versuch, die Kluft zwischen Staat und Mensch zu überbrücken und alles in den einen Ring der Nation zu pressen, ist weniger genial konzipiert, aber noch viel radikaler in der Durchführung. Da die ökonomische Ordnung sich nicht geändert hat, wird der ganze Aufwand nur vertan, um die Herrschaft eines Mannes und einer Partei zu sichern. Das ist zum Teil geglückt: wenigstens wird die Oberfläche der italienischen Erde nur noch von solchen belebt, die die Mütze schwenken, wenn der Tribun übers Forum geht. Die organisierte Unzufriedenheit ist ekrasiert – die andre hat sich in die tiefsten Kellerhöhlen der Seele verkrochen, und kein vom Denken ausgemergelter Finsterling wagt sich zwischen die zum Fascismus animierenden Rundlichkeiten um des Allerhöchsten Nähe. In solchem Klima gedeihen Attentate. Wenn der Zar von Petersburg nach Moskau reiste, wurden, die Eisenbahnlinie entlang, ein paar Divisionen mobilisiert. Entschwundene Idyllik. Die italienische Diktatur lebt im permanenten Kriegszustand.

Dies Mal galt es dem König. Dem König? Wirklich, man entsann sich plötzlich, daß Italien noch eine Monarchie ist, und daß dort wohl, wie vor einigen zwanzig Jahren, der re bambino noch immer König spielt. Vittorio Emanuele, früher ein musterhaft konstitutioneller Monarch, hat die Entmachtung durch den Fascismus so ertragen, wie es die Könige immer getan haben, wenn es nicht die Demokratie war, die sie in die Ecke drückte, sondern die Reaktion: – er hat alles geduldig hingenommen und den Rebellen mit einem freundlichen Gruß empfangen, anstatt seiner Garde Befehl zum Feuern zu geben. Ihre Richelieus, Bismarcks oder Mussolinis, ihre groben, gewalttätigen Hausmeier haben die gesalbten Herren stets viel passabler gefunden als die Möglichkeit, auch nur ein Titelchen ihrer verbrieften Rechte dem Volk zu opfern. Nicht Republikaner, sondern kapitelfeste englische Konservative haben dem König von Italien bittere Vorwürfe gemacht, daß er die beschworene Konstitution von Mussolini in den Schmutz treten ließ ... Aber das ist lange her, und seitdem ist der Fascismus das Protektionskind grade der englischen Tories geworden.

Dieser König wäre jetzt in Mailand fast das Opfer eines Komplotts geworden. Mussolini, der Zielpunkt allen Hasses, war zur Zeit des Attentats in Rom, und wohl nur, um re bambino nicht auf sein unheimliches Prae eitel werden zu lassen, berichteten seine Zeitungen auch von Mordabsichten gegen den Duce. Mit Recht ist die Frage aufgeworfen worden, wer wohl ein Interesse haben soll, diese Attrappe von einem König auffliegen zu lassen. Für die Entwicklung bedeutet er gar nichts. Zwar gilt der Thronfolger als liberal – welcher Kronprinz wäre es nicht? – aber wenn nicht ein Wunder geschieht, würde der Sturz des Fascismus zugleich das Ende der Dynastie bedeuten, die vor ihm kapituliert hat. Das ist nicht nur eine Erkenntnis von diesseits der Berge, auch wer in Italien noch heute den Dolch des Brutus im Gewande führt, weiß das. Die »Anarchisten«, von denen die Bulletins fabeln, sind nicht dumm genug, um sich ihr eignes Grab zu schaufeln, es warten viele zehntausende fleißiger Hände darauf, das auch ohne besondern Anlaß zu tun. Dies Komplott stinkt bis Ultima Thule nach bestellter Arbeit. Es wäre nicht das erste Mal, daß die Polizei Bomben gefüllt hätte. Denn das Regime Mussolinis kann nur von Gewalttaten leben. Da in dem eingeschüchterten, ausgebluteten Lande keine Neigung zur Auflehnung mehr vorhanden ist, muß der innere Feind künstlich geschaffen werden. Die Toten und Verstümmelten von Mailand sollen schrecklich gerächt werden! heult die fascistische Presse. Dies Regime muß immer was zu rächen haben. Die Rache, die Verfolgung ist sein Lebenselement. Keine Sorge, die »Schuldigen« werden schon gefunden werden.

Doch gesetzt, das spielte sich nicht in so gefährlich hohen Regionen ab, der König wäre etwa Seniorchef einer Firma, und Mussolini der viel jüngere, ellenbogenkräftigere Sozius, der Kompagnon, den alle hassen – – den Untersuchungsrichter möchte ich sehen, der nicht auch den angenehmen Sozius in den Kreis seiner Recherchen einbezöge!

 

Eine besondere Art des politischen Mordes hat Deutschland aufgezüchtet: den Mord mit Lebensversicherung für die Täter, den Mord mit tadellos stimmendem Auslandspaß und froher Hoffnung auf Anstellung im bayrischen Staatsdienst. Harmodios und Aristogiton mit Pensionsberechtigung, Tyrannenschlächter mit Beamtenaspiration, das ist der gutgebügelte deutsche Beitrag zu einem der blutigsten Kapitel der Weltgeschichte. Fanatiker, Heilige, Hooligans und Tollhäusler haben Dolche geschliffen und Bomben geschleudert – der Typ Killinger mordet auf dienstlichen Befehl, und meldet hackenknallend, daß: Befehl ausjeführt! Heute ist die flotte Konjunktur der Killinger, der Tillessen vorüber. Man kann nicht sagen, daß die Republik Terror mit Terror erstickte. Die Morde haben eben einmal aufgehört, die Republik ist in vielem den Herren Mördern so nahe gekommen, daß der Anlaß fehlte. Ihre Mission: die Ausrottung der Roten, der Novemberlinge, Defaitisten und Verräter, ist schon lange nicht mehr der wildwachsenden Zufallsaktion überlassen, sondern reglementiert und planvoll eingegliedert in die politische Judikatur oberster Gerichte.

Das ist sehr bekannt, und deshalb hat auch die Entrüstung der Rechtspresse über die gewaltsame Befreiung eines kommunistischen Untersuchungsgefangenen, der demnächst die bittere Fahrt nach Leipzig antreten sollte, nur dünne Resonanz gefunden. Hat sich der ›Lokalanzeiger‹ etwa aufgeregt, als Herr Ehrhardt seinerzeit aus Leipzig echappierte, der Marineoffizier Boldt seine schlanke Taille durch die Luftklappe zwängte? Da freute man sich bei Hugenberg und sang: – Freiheit, die ich meine ... Die Öffentlichkeit hat aus dem moabiter Zwischenfall mehr Sensation geschlürft als Empörung. Daß ein politischer Häftling von seiner jungen Freundin besucht wird, daß sich ein paar düster entschlossene Männer ins Zimmer drängen, mit erhobenen Pistolen den Beamten ein »Hände hoch!« zurufen, und das Pärchen derweilen abmarschiert, das ist eine sehr lustige Moritat, mehr Kinoromantik als harte Gewalt, mehr Köpenick als Wildwest. Die jungen Kommunisten, die den Streich ausführten, haben viel mehr Aktivität und, vor allem, vielmehr Humor bewiesen als ihre in Kasuistik, Pathos und Schwafel schier hoffnungslos versackten Agitatoren. Denn wirklich bekämpfenswert ist nicht die gar nicht so erschröckliche Radikalität der KPD., sondern ihre dumpfe Humorlosigkeit, ihr Mangel an Laune. Nichts moussiert da; die Partei der äußersten Linken, die noch für lange Zeit von den Sorgen der andern frei sein wird, ist leider auch die schwerfälligste von allen, mit verbohrter Gewissenhaftigkeit ihrem Buchstabenkram hingegeben.

Wenn die hohe Obrigkeit, der man ein Schlachtopfer gleichsam vom rauchenden Altar weggeschnappt hat, noch ein Fünkchen Besinnung bewahrt hat, wird sie die Verfolgung der Sünder nur mit Maßen betreiben. Der Herr Oberreichsanwalt sollte für jeden Anlaß dankbar sein, durch den die Zelebrierung seiner noch aufgespeicherten Prozesse verhindert wird. Die Anklage gegen den Redakteur Otto Braun liest sich allerdings schrecklich, aber wir wissen allmählich, wie diese Akkusationen schrumpfen, wenn auch der Andre zu Worte kommt. Inzwischen hat man den Angeklagten ja mehr als ein Jahr in Untersuchungshaft gehabt ... Es ist gefährlich, als Roter gestempelt vor das hohe Tribunal zu treten, wie denn das Reichsgericht in politischen Prozessen für Unschuldige überhaupt zu einem bedenklichen Risiko geworden ist. Etwas von dem angerichteten Unheil durch Amnestie gutzumachen, hat der verflossene Reichstag schmählich versäumt. Wie Gott sich zu seiner Beleidigung durch George Grosz stellen wird, bleibt abzuwarten, im Falle des Herrn Braun und seiner Freundin hat er dagegen offensichtlich zunächst gegen die ihn protegierenden Instanzen Stellung genommen. Wir haben in der Schule gelernt, daß der Gedrückte, der nirgends Recht finden kann, sich die ewigen Rechte vom Himmel holt. Voilà ... Das Reichsgericht hat keine Ursache zur Klage, wenn seine Praktiken allmählich das Verlangen nach Selbsthilfe immer brennender machen. Die jungen Leute, die die romanhafte Befreiung durchführten, haben eine fehlerhafte Justiz korrigiert, mehr nicht. Daß sie dabei ein paar Paragraphen lädierten, ist in ihrem Interesse zu bedauern, leider nicht auch in dem des Staates, dem es bis heute nicht gelungen ist, seine Autorität auch auf seine Richter auszudehnen. Mögen die Befreier, mögen der Befreite und seine Freundin den Verfolgungen glücklich entgehen. Die besten Wünsche aller anständigen Menschen sind mit ihnen.

Die Weltbühne, 17. April 1928


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