Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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König Hugenberg

Jockey of Norfolk, be not too bold,
for Dickon thy master is bought and sold

Richard III.

Wir sollen wieder mal gerettet werden. Es ist sehr merkwürdig, wie viel Trara jemand daraus macht, daß er Parteivorsitzender geworden ist. Gewiß, es geht den Deutschnationalen nicht sehr gut heuer, und es läßt sich begreifen, daß die Erneuerung der Spitze besonders wirkungsvoll beleuchtet werden soll. Mit welcher Ruhe wird in England die Umetikettierung einer Partei vorgenommen! Auch dort kommen Parteien untern Schlitten, und müssen hervorgeholt und wieder aufgebessert werden. So hat vor sechs Jahren Bonar Law die Unionisten reorganisiert, so arbeiten jetzt die Liberalen unter Lloyd George und Herbert Samuel in aller Stille, und wie solide sie arbeiten, zeigt ihr großes Wirtschaftsprogramm, das in seiner Art turmhoch über allen irgendwo von Parteizentralen ausgebrüteten Willenskundgebungen rangiert. Aber keinem dieser Männer würde es einfallen, sich deswegen als Retter zu präsentieren, gleichsam als Athlet der guten Sache, von höhern Mächten erkoren und gespornt, und aus innerer Not und Gewissenspflicht getrieben. Diese Pose ist sehr deutsch und vor allem möglich durch den gründlichen Mangel an Humor in politischen Dingen. Ein einziger ausgelachter Retter, und die ganze Konjunktur ist verpatzt.

Übrigens wird Herrn Hugenbergs deutsche Sendung mindestens von der Hälfte der eignen Parteigenossen angefochten, und die Schilderhebung ist schließlich nur durch eine Art von Putsch gelungen, eine Spezialität, die dem Häuptling und den Intimen seines Kreises ohnehin eng vertraut ist. So kommt es, daß nur Hugenberg selbst für die Hochstimmung der Situation die passenden Worte findet, während in den nicht seinem Konzern eignen deutschnationalen Blättern das Jubelgeschrei nicht über ein gedämpftes »Rhabarber, Rhabarber« hinauskommt. Nur in der ›Deutschen Zeitung‹, dem schon klassischen Podium für teutonische Bouffonerien, schlägt Herr Bang, des Königs Hofnarr, seine allersächsischsten Kapriolen, während selbst im ›Lokalanzeiger‹ des Königs Herold, Herr Hussong, der sonst, um eine kleine republikanische Bonzendummheit zu verspotten, mehr Worte gebraucht als Juvenal, um alle Perversitäten des imperialen Rom zu perhorreszieren, mit einem ungewohnten stockernsten Gratulantengesicht antritt, den neuen Alexander zu feiern. Man kann dem vorzüglichen Publizisten den schweren Ernst der Verpflichtung durchaus nachfühlen, das richtige Ceremoniell zu finden, wenn der Chef vons Janze, die halbe Anonymität seines bisherigen Seins aufgibt und plötzlich öffentlich in Geist exzediert. In der Partei aber weiß man, daß Herr Hugenberg bei der letzten Wahl nicht gut abgeschnitten hat, daß, wo er öffentlich hervortrat, sein nervöser Patriotismus chokierte, und daß die Deutschnationalen, auf seine gewiß große Geldmacht gestützt, nun vornehmlich eine Zeitungspartei werden. Wie wenig das ein Unterpfand des Sieges und eine reale Machtstellung bedeutet, das hat grade die Rechte als Erklärung des unaufhaltsamen Niedergangs der Demopartei oft gesagt. Jene Deutschnationalen, die keine industriellen Interessenvertreter sind, wissen das und glauben deshalb nicht an die suggestive Gewalt des Hauses Hugenberg. Und das ist richtig, denn der Einfluß der deutschen Presse ist vornehmlich negativ. Es läßt sich mit Hilfe bedruckten Papiers viel eher ein ehrlicher Mann in die Grube hetzen als ein einziges Reichstagsmandat erobern.

So bedeutet das Regime Hugenberg zunächst Zunahme äußerster Radikalisierung auf der Rechten, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß sich viele der bisherigen kompromißfreudigen Wortführer in der Hoffnung auf bessere Zeiten und baldiges Lahmlaufen der Intransigenz neutral halten werden. Allerdings kann es noch ärger werden, wenn Hugenberg wirklich Ernst machen sollte, in der Partei selbst als Tempelreiniger zu wirken. Das würde Krach und Spaltung mit sich bringen. Da der große Mann bisher mit seinen literarischen und rhetorischen Emanationen ziemlich sparsam umgegangen ist, so muß man sich, um seine Absichten zu ergründen, schon an seine Blätter halten. Und dann ergibt sich, daß sein Programm nicht nur Revision der Friedensverträge, Zerreißung des Dawespaktes und Austritt aus dem Völkerbund enthält, sondern auch Wiederaufrichtung der Monarchie, Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, Erziehung des Volkes zu Arbeitsamkeit und Anspruchslosigkeit; soziale Reaktion also nach der politischen. Das ist ein überreicher Plan für einen Mann, und besonders beachtenswert ist daran, daß die Führung der großen Rechtspartei nach ein paar Jahren unter alten Konservativen wie Hergt und Westarp, die schlecht und recht Anschluß an die veränderte Zeit gesucht haben, nunmehr zum ersten Mal seit Helfferichs Tod wieder an ein ausschließlich schwerkapitalistisch orientiertes Demagogentum zurückfällt. Der Industriekapitalismus löst die Landjunker ab. Seine Mittel und Methoden sind in keiner Weise zu unterschätzen, und seine Parolen wären bei aller ihrer fast sich selbst travestierenden Überlautheit gar nicht so ungefährlich, wenn nicht das beruhigende Moment Herr Hugenberg selbst wäre.

Gewiß ist dieser Mann eine Industriemacht, eine Zeitungsmacht, eine Filmmacht. Über alles, was zur Massenagitation nötig, verfügt er im Überfluß. Aber der Mensch entspricht hier weder dem Geld noch dem Apparat. Zeitungskönige gibt es überall, rücksichtslose Arrivisten, die Geschäfte oder Ämter raffen, ihre Blätter dazu verwenden, um Minister zu machen oder zu kippen. Rothermere oder Bunau-Varilla – auf die Herrschaft kommt es ihnen an, und auf ihrer Macht thronend, blicken sie immer über Menschen und Dinge. Aber Hugenberg ist damit nicht zu vergleichen, denn er ist um keinen Deut klüger als die Leser seiner Blätter, für die doch die ungeheure Benebelungsmaschine in Betrieb gesetzt wird. Wo Herr Hugenberg selbst als Redner oder Publizist das Wort nimmt, überrascht er durch die Primitivität, um nicht zu sagen: Einfältigkeit seiner Gedankengänge. Dieser Industriedespot entwickelt außerhalb seiner erlernten Branche eine dünnflüssige nationale Sechserideologie, politische Belehrungen eines provinziellen Margarinefabrikanten für den Filius, ohne Niveau und Horizont, letzter Aufguß alter alldeutscher Phrasen, von so ausgefallenen Figuren wie Bang und Claß besorgt. Hugenberg als führender Geist, das ist die letzte Entlarvung des deutschen Industriekapitalismus, der so großspurig auftritt, so pompöse moderne Fassaden errichtet, der immer den Taktstock der Zeit führt und mit ihrem Intellekt auf Du steht. Hugenberg, das ist nach allen großen Worten der losgelassene Genius des Geldschranks selbst, spärlich und philiströs. Auch dieser große Herr Hugenberg ist nur ein erprobter Spezialist und Fachmann, und in andern Bereichen ein Banause.

Die republikanischen Blätter haben diese trotz allen Vorspielen doch ziemlich unverhoffte Inthronisation sehr verschieden aufgenommen. Die Einen schlugen Alarm, die Andern meinten ruhig, es wäre ganz nützlich, daß der unsichtbare Mann, der bisher nur den Geldgeber gespielt, einmal persönlich ein Amt und damit auch dessen Verantwortung übernehme. Ausgezeichnet. Nur daß für die Herrschaften von der andern Seite der Barrikade das Wörtchen Verantwortung nicht die gleiche mystische Bedeutung hat. Auf der Linken geht man »nur aus Verantwortungsgefühl« in die Regierung, nicht der Macht und des Genusses der Macht wegen, o nein – geht man aus dem gleichen edlen Impuls in widernatürliche Allianzen, verzichtet man aus der gleichen noblen Wallung, den andern einmal seinen Willen aufzunötigen, gewährt man Panzerkreuzer etcetera. Gewiß verschmäht auch Herr Hugenberg die populäre Rettergeste nicht, und man kann auch ohne weiteres annehmen, daß er felsenfest von sich überzeugt ist und ganz durchdrungen davon, daß unter allen nationalen Matadoren er allein imstande ist, den Laden zu schmeißen. Aber von einer Sorge ist er frei, und das unterscheidet ihn von den taubenherzigen Ethikern der Linken: von der Sorge um die Verantwortung. Denn über etwas sehr Wichtiges ist er sich ganz im klaren: wenn auch alles schiefgehen und er nur Trümmer hinterlassen sollte, den Schaden bezahlt er nicht. Diese frohe Gewißheit ist das Geheimnis seiner Stärke.

Das republikanische Deutschland hat bisher jede von der andern Seite hinterlassene Sintflut ausgetrocknet und bezahlt, und sich dessen nachher mit Stolz gerühmt. Auch heute trifft man schon wieder Anstalten, Herrn Hugenberg und seinen Freunden einmal ein möglichst gut gefegtes Haus zu hinterlassen. Die neue Schwenkung der Rechten zu unerbittlicher Intransigenz hätte von der Linken als willkommener Anlaß genommen werden müssen, um ihrerseits den trockenen Ton aufzugeben und in ähnlicher Eindeutigkeit aufzumarschieren. Statt dessen wird eifriger noch um die Große Koalition gehandelt, das heißt: man rückt nach der Mitte, also weiter nach rechts, also näher an Hugenberg heran, statt nach einer schroffen linken Schwenkung ihm die Front zu bieten. Ob er große Energien einsetzen wird, um den verheißenen Kaisergedanken zu stabilisieren, bleibe dahingestellt, aber daß er alles aufbieten wird, um jede bessere soziale Entwicklung zu hemmen, das ist gewiß. Hier aber, nur hier ist das Feld, wo er geschlagen werden kann. Sein Monarchismus und seine stürmischen außenpolitischen Bravaden kommen aus Wolkenkuckucksheim, aber seine Geldsäcke sind von dieser Welt. Nicht mit Reichsbannerversammlungen, sondern mit bessern und stärkern sozialpolitischen Gesetzen, mit großen volksfreundlichen Steuervorlagen ist Hugenberg zu treffen. Die sogenannte wirtschaftsfriedliche Arbeiterbewegung der Rechten und der Mitte empfindet seine neue Führerrolle als Faustschlag und Herausforderung. Sie weiß, was er als Großkhan der Schwerindustrie bedeutet. Bei diesen geduldigen Trabanten der Rechten herrscht Aufruhrstimmung. Es ist eine einzigartige Gelegenheit für die Linke, für die Sozialdemokratie ...

Aber freilich, Reichskanzler ist Herr Hermann Müller, oberster Steuerwart der couragierte alte Klassenkämpfer Hilferding. Und so wird gegen Hugenberg niemand mobilisiert werden als der Genosse Severing, Minister für die schönen Künste republikanischer Rhetorik.

Die Weltbühne, 30. Oktober 1928


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