Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

772

Bundschuh und Escarpins

Ist der Arme Konrad zum dritten Mal auferstanden? In kleinen Landstädten fliegen Steine in die Finanzämter. Um schwarze Fahnen, von Männern in schwarzen Hemden getragen, versammeln sich wild gestikulierende und durcheinander redende Bauerngruppen, schreckliche Flüche ausstoßend gegen die widerrechtlich Obrigkeit mimenden Novemberusurpatoren. In Göttingen wird dunkel mit einer Weißen Armee gedroht; zu Nimptsch in Schlesien gründet ein Junker v. Schimpff den Bund der Sänger zur heitern Lerche; zu Parchim in Mecklenburg verkündet ein Agitator, es werde demnächst blutig hergehen im deutschen Vaterland.

Das sind höchst unziemliche Reden, die nach Bundschuh, Armem Konz, Florian Geyer und eifernden Prädikanten klingen und eine Vision von Bauernkrieg heraufbeschwören. Aber Bangemachen gilt nicht. Es geht nicht ums Tausendjährige Reich und um die Heilbronner Artikel, die Aufwiegler sind keine brennenden Evangelisten wie Karlstatt, Hubmeier oder Münzer, die gegen den Zehnten, den Übermut der Großen und das Jus primae noctis lamentieren, sondern brave zuverlässige Parteibeamte und Verbandssekretäre. Dieses Mal wird Jäcklein Rohrbach den Helffensteiner nicht durch die Spieße jagen, und das ist auch kein Wunder, denn er ist ja von ihm angestellt. Unsre Republik, die immer mehr zu einer Mustersammlung von Paradoxen geworden ist, erlebt jetzt einen Bauernaufruhr, der von den Junkern, den Herren, den Großgrundbesitzern selbst geleitet wird. Der Landbund, dieses Instrument der Agrarmillionäre, hat den Bundschuh aufgepflanzt. Das ist nicht viel anders als eine Arbeiterrevolution unter der Regie des Reichsverbandes der Industrie.

Dummdreiste Wahldemagogie, aber glänzend gemacht. Nachdem die Deutschnationalen jetzt lange genug regiert haben, nachdem ihr Herr Schiele das Ernährungsministerium innegehabt hat, nachdem sie reichlich Agrarsubventionen gewährt haben, selbstverständlich noch immer viel zu wenig für den unverdorbenen Appetit des Reichs-Landbundes, fürchten sie grade jetzt zu den Wahlen einen Stimmungswechsel der durch eine Kreditkrise verwirrten Bauernschaft, und leiten den Ärger sehr geschickt in eigens dazu geschaffene Kanäle ab. Der große Trick, das ist die Bildung kleiner Bauernparteien, Abkommandierung bisheriger Bauerndeputierten dorthin, damit nicht Stimmen an andre Parteien geraten oder von Splittergruppen aufgefangen werden, wo sie ungenützt verkommen. Die Fäden laufen selbstverständlich beim Landbund zusammen, dieser gewaltigen Ressource der deutschnationalen Reaktion. Ohne Rücksicht auf frühere Bindungen kann jetzt im Dorf Sturm geläutet werden, wobei auch nicht zu übersehen ist, daß – o herrlicher Segen der föderalistischen Verfassung – der Aufruhr nicht etwa das schwer faßbare Abstraktum Reichsregierung überschwemmt, sondern die verhaßte, als rot denunzierte preußische Regierung, deren Exekutivorgane den Verkehr zwischen dem in unerreichbarer Wolkenhöhe schwebenden Reich und den Bewohnern der staatsbürgerlichen Niederungen vermitteln. Von Schiele, dem Gewährer und Versager aller Subventionen, mag sich das fromme, starke Landvolk nur sehr unklare Vorstellungen machen, desto packendere aber von dem sozialistischen Landrat, dem Gebieter der Landjäger, der sonst nicht weiter beachtet, doch sofort zum Büttel tyrannischer Mächte wird, wenn er eine autoritätswahrende Geste zeigt. Das ist vielleicht das Gefährlichste an diesem Popanz von Agrarrevolte: die preußische Linksregierung muß büßen für das, was die Rechtsregierung im Reiche getan oder nicht getan hat.

Das ist gewiß beklagenswert. Und dennoch – Tu l'as voulu, Georges Dandin; tu l'as voulu! Zwei Unterlassungssünden hat die Revolution von 1918 begangen, die zu Todsünden gegen die junge Republik geworden sind: sie hat versäumt, in einer Zeit, wo alle alte Bindungen gelockert waren und alles ungeheuer aufnahmebereit war, den Einheitsstaat zu proklamieren, und sie hat die Zerschlagung der Latifundien, die Aufteilung des Großgrundbesitzes versäumt. Sie hat alle Chancen versäumt, das ganze weite Land mit einem ihr zu Dank verpflichteten Kleinbauerntum zu überziehen, sie hat darauf verzichtet, die auch unter der dicken reaktionären Verkrustung schlummernden revolutionären Instinkte des Bauern zu entfesseln und zu befriedigen, und ihre eigne Schuld ist es, wenn heute der Landmann sich vom Junker gängeln läßt wie früher, statt nach seinem Boden zu verlangen. Auch in dieser Frage hat die Sozialdemokratie den historischen Moment verpaßt. Teils weil sie überhaupt nichts Fundamentales wollte, teils weil ihr auf der Bildungsschule des alten Kautsky eingeimpft war, daß das kleine bäuerliche Eigentum vor dem erhabenen marxistischen Dogma ein Ärgernis sei. Vor mehr als 25 Jahren schon haben die Leute von den Sozialistischen Monatsheften das bekämpft und sind verketzert worden dafür. Aber sie haben Recht behalten. Die Bauern, geborene Fanatiker des Eigentums, haben niemals eine Beziehung zum Sozialismus und zum Industrievolk finden können, sie haben die Kämpfe des Industrieproletariats stets mit abergläubischer Scheu verfolgt. Ach, wenn die Sozialdemokratie, die so viel ererbten orthodoxen Hausrat unbeschwerten Sinnes über Bord geworfen hat, auch diesen ehrwürdigen Schinken aus Kautskys Weisheitskiste hinterher geschickt hätte! Es mutet an wie eine Parodie auf diese falsch angebrachte Prinzipienfuchserei, daß die rigorosesten Marxisten, die Moskauer, ihr sozialistisches Regiment grade auf den kleinbäuerlichen Besitz gegründet haben. In Deutschland aber schwingen die Kulaken die Sturmfahne wider die demokratische Republik ... Phantasierende Studienräte haben die Phrase von dem »Volk ohne Raum« aufgeschnappt und heischen Kolonien. Wo hätte dies Volk keinen Raum? Wenige Stunden von der großen Stadt liegt unermeßlicher grüner Grund, von Stacheldraht umzäunt ...

Wird aber die Unzufriedenheit der Bauern nicht doch von einer wirklichen Not gespornt? Es wäre übertrieben, von einer allgemeinen Agrarkalamität zu sprechen, dennoch liegen ohne Zweifel gewisse Kreditschwierigkeiten vor, die bei der wirtschaftlichen Gesamtsituation nicht absurd sind und abgestellt werden können. Man darf bei dem Gejammer nicht übersehen: wer seit dreißig Jahren auch regiert hat, immer war die Landwirtschaft das verhätschelte Kind; Zölle, Subventionen, Liebesgaben vielfacher Art, immer mußte der schreiende Liebling bei Laune gehalten werden; er ist denn auch fast immer recht passabel durch den Winter gekommen. Wo wäre denn auf dem Lande jemals diese krallende, blut- und seelensaugende Not lange Zeit zu Gast gewesen, die die unsichtbare Beherrscherin der großen Städte ist? Gewiß, sie spukt in den nicht menschenwürdigen Quartieren der Landarbeiter, wo ein paar Meter hinterm vollen Rauchfang der Hungerödem grassiert, aber das Bauerntum wird von ihr kaum berührt. Was wissen die spektakelnden Landbündler von der Verelendung städtischen Proletariats? Bei Langenöls sind die Demonstrationen angeblich durch ein paar Zwangsversteigerungen ausgelöst worden. Das wäre Anlaß zum Aufruhr? Tägliches Schicksal in den Städten, Unglück, das ganz als privates empfunden wird; schweigend tauchen die Ausgepfändeten irgendwo unter. Wer fragt nach den Millionen von Arbeitslosen, wer nach den täglichen Hungertragödien in Arbeiterhäusern und in langsam versinkenden Bürgerfamilien? Die Zeitung registriert nüchtern die Selbstmorde wegen Exmittierung, nur wenn die Quantität imponiert, gibts eine fettere Überschrift. Man weiß, daß in Berlin allein heut an die zwanzigtausend Wohnungslose gezählt werden. Zwanzigtausend kampieren in Lauben, Schuppen, Giebeln und Kellern, zwischen morschen, undichten Planken, unter Dachpappe und Wellblech. Tüchtige Reporter entdecken Troglodyten am Rande der Stadt, die sich, von keinem Bauamt behelligt, in die barmherzige Erde eingewühlt haben. Kein Pesthauch solchen Elends streift auch nur den kümmerlichsten Rübenbauern. Die Leiden der Landwirtschaft sind nicht mehr als vorübergehende Depression. Dafür hat sie, weiß Gott, ihre fetten Jahre gehabt. In der Zeit der Inflation stand sie breitbeinig unter Fortunas Horn. Während die Bürger der Städte die letzten Sachwerte ins Lombardhaus schleppten, schafften die Agrarier Steinwayflügel an und dicke Polstergarnituren und garantiert echte Kunstgemälde, was ihnen nicht mißgönnt sei. Aber ebensowenig können wir heute Sentimentalität aufbringen, wo die Konjunktur mal wieder anders rum geht und die nützlichen Gebrauchsgegenstände wieder verscherft werden müssen.

Der Landbund ist keine sympathische Korporation, aber etwas von seiner speckschwammigen Unverschämtheit wäre den Demokraten und Sozialisten schon zu wünschen. Das alte Rezept des seligen Herrn v. Diest-Daber, daß man schreien muß, wenn man was haben will, haben die noch immer nicht begriffen. Ein Lamm Gottes unter den Peitschenhieben ihrer Richter, Beamten und Militärs hält die Republik geduldig still. Ein berliner Gericht hat soeben Herrn Friedrich Hussong freigesprochen, der im ›Lokalanzeiger‹ der Weimarer Verfassung ein paar Galanterien in die rosige Ohrmuschel geflüstert hat. Denn, so folgerte das Gericht, man kann zwar die Revolution verwünschen, deshalb aber der Verfassung, ihrem sichtbarsten Effekt, die aufrichtigste Devotion entgegenbringen. Bravo, Gericht! Was kümmerts die Tochter, wenn man die Mutter Metze heißt? Wir gratulieren dem glänzend begabten Pamphletisten zum Freispruch und bedauern nur, daß er nicht noch ganz anders drauflos gewalkt hat. Dafür hat die liberale Presse die große Genugtuung des Phöbus-Skandals. Skandal? Wo und wieso? Wen interessiert das eigentlich, wer spricht darüber, und wer empfindet das als Skandal? Machen wir uns nichts vor: – der Mann auf der Straße liest was von dreißig verpulverten Millionen und bleibt ganz ungerührt. Denn schließlich waren es Offiziere, die so freundlich gewesen waren, und weil Militär dabei war, wird die Sache wohl auch einen Sinn gehabt haben. Die großen Demoblätter täuschen sich über den Grad der öffentlichen Teilnahme an ihrem groß aufgemachten Fall. Und das geschieht ihnen recht. Denn sie behandeln den Casus als etatsrechtlichen anstatt als strafrechtlichen. Hier muß laut gefragt werden: wo bleibt denn der Staatsanwalt, der vor ein paar Jahren, zum Beispiel, die glorreiche Umzingelung von Schwanenwerder unternommen hat, und der jetzt gegen die Kriegsgefangenen von damals, die Barmats, einen wahnwitzig hohen Strafantrag stellt? Damals mußte der Fall Barmat eine Wahlkampagne eröffnen, und heute werden die Urteile grade rechtzeitig zu einer neuen herauskommen, und dank der größern Unbedenklichkeit der Rechten wird der Name Barmat die entscheidenden Wochen beherrschen und nicht der Name Lohmann. Im Reichstag hat sich vor ein paar Tagen der auch als Sozialist streng abstinente Herr Sollmann über den afghanischen Ordenssegen beschwert und damit Herrn v. Keudell zu seinem ersten beabsichtigten und berechtigten Heiterkeitserfolg verholfen. Denn Herr v. Keudell konnte feststellen, daß ein republikanischer Innenminister dem Präsidenten Ebert seinerzeit dringend geraten habe, den angebotenen peruanischen Orden »Die Sonne« anzunehmen, und das sei kein andrer als Herr Sollmann gewesen. Tableau.

Escarpins tragen die Herren, Escarpins! Die Andern bevorzugen derberes Schuhzeug, schrecken selbst vor dem Bundschuh nicht zurück. Wie scharf, wie unerbittlich und ellenbogenhart Interessen vertreten werden müssen, das mögen die Herren von den Agrariern lernen. Auch die Generalkommission der Gewerkschaften, allwo das sanftlebende Fleisch des Herrn Leipart thront, der es nicht ungern hört, wenn man ihn »Herr Staatsminister« tituliert. Aber die kleinen Kompromißler, die das Erbe des großen Taktikers Legien verwalten, sind schon selig, wenn man ihre Besonnenheit und die Disziplin der von ihnen Geführten rühmt. Darauf legt der Landbund nun gar keinen Wert. Es wird noch viel Zeit vergehen, ehe die Herren von Links begreifen, daß ihre Diplomatenschuhe nicht recht zum Marsch der Arbeiterbataillone taugen. Wenn man vor Kapitalismus, Militarismus und Justiz nicht gleich die Hosen voll macht, braucht man deswegen noch kein Bolschewik zu sein. Das ist es, was die zarten Seelen nicht glauben.

Die Weltbühne, 27. März 1928


 << zurück weiter >>