Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Keudells Niederlage

Der Herr Reichsminister des Innern läßt durch gefällige Zungen verbreiten, die Ablehnung der durch Konzessionen an Preußen leicht veränderten Schulvorlage im Reichsrat sei von ihm gewünscht gewesen und mit Bewußtsein herbeigeführt worden, um dem Reichstag nunmehr unwiderruflich den ursprünglichen, den unverwässerten Text vorlegen zu können. So durchtrieben ist Herr v. Keudell.

Bis jetzt hat sich der Herr Minister allerdings noch nicht ein einziges Mal als glückhafter Schüler Machiavellis gezeigt. Sein parlamentarisches Auftreten war selbst für deutsche Verhältnisse erstaunlich hölzern, sein Reden und Schweigen über den Fall Treskow kompromittierend und ganz ohne die Keckheit seiner Standesgenossen. Was für ein Kerl war da der Januschauer! Nur innerhalb seines Ressorts, innerhalb eines intimen Kreises von Borussengesichtern ist Herr v. Keudell ein starker Mann. Dort rottet er rücksichtslos die bescheidenen Residuen republikanischer Kabinette aus; das Reichsministerium des Innern ist heute schon erfolgreich feudalisiert und eine Bastion der alten wilhelminischen Bureaukratie.

Aber überall, wo mehr erforderlich ist als die durchschnittliche professionelle Gerissenheit eines konservativen Landrats, erweist sich der Herr Minister als blutiger Dilettant. Herr v. Keudell, der ein guter Kammermusiker sein soll, gehört nicht zu denen, die die Klaviatur der öffentlichen Meinung beherrschen. Als Politiker lebt er in einem Aroma von Zweideutigkeit. Er spricht wenig, was er wohl für sehr klug hält – aber man glaubt ihm auch dies Wenige nicht. Dem Trockenen, dem Ungelenken nimmt man Unaufrichtigkeit doppelt übel. Selbst dieser Reichstag ohne artistische Ansprüche will mit etwas Charme betrogen werden.

Herr v. Keudell, der emeritierte Gouverneur der neumärkischen Kappkolonie, wäre wohl leidlich geeignet für ein Direktorium, das die Beantwortung von Fragen Standgerichten überläßt, aber die gegenwärtige blau-schwarze Koalition erfordert ganz andre Gaben. Aus widerstrebenden Elementen zusammengesetzt, darf sie nirgends anecken; ihre vornehmste Aufgabe ist, sich so harmlos wie möglich zu zeigen. Den Deutschnationalen ist es um die Herrschaft in Preußen zu tun, dem Zentrum um die Schule. Dazu häufen sich jetzt die Schwierigkeiten. Immer hörbarer knistert es im Gebälk. Jetzt rührt sich wegen finanzieller Unstimmigkeiten sogar die Bayrische Volkspartei, die sich doch so sehr um den Bürgerblock bemüht hat, und zum ersten Mal widerfährt auch einer Rechtsregierung das holde Erlebnis eines Konfliktes mit dem bayrischen Naturschutzpark. Alles ist wieder sehr unsicher geworden – auch weiß niemand recht, was Herr Stresemann vorhat und ob er nicht etwa den allgemeinen Wirrwarr benutzen wird, um sich und seinen gefährdeten außenpolitischen Fundus bald an die rettenden Gestade einer mehr linksbetonten Koalition zu bringen.

Es gehört sehr viel Gutherzigkeit dazu, glauben zu wollen, Herr v. Keudell habe aus taktischem Raffinement im Reichsrat seine Avantgarden geopfert, um nachher im Reichstag desto wirksamer die Haupttruppen ins Treffen zu führen. Selbstverständlich ist die Schlappe der Schulgesetze im Reichsrat nicht durch einheitlich gerichtete Kräfte bewirkt worden. Die Motive waren bis zur Unübersichtlichkeit nuanciert, aber gemeinsam war doch die Abneigung. Es ist außer Frage, daß dem Zentrum das unverdünnte Weihwasser des Originaltextes am liebsten ist, aber die Wahrheit ist, daß an dieser Vorlage außer den Schwarzröcken auch niemand Spaß hat. Bei der Deutschen Volkspartei rumort es plötzlich wieder liberal und protestantisch, und selbst den Deutschnationalen ist wenig behaglich bei dem Gedanken, den Klerikalismus allzu mächtig werden zu lassen.

So ist alles wieder sehr ungewiß geworden, und die Rechtskoalition, die eben noch für die Ewigkeit gebaut schien, trägt sichtbarlich hippokratische Züge. Es ist möglich, daß die Geschicklichkeit der Zentrumsführer nochmals die Frist verlängert. Aber sehr wahrscheinlich ist es nicht. Wir stehen also vor schweren, innenpolitischen Kämpfen mit Parlamentsauflösung und Neuwahlen im Hintergrunde. Aber mag es um Westarp, Guérard und Stresemann schon reichlich verworren aussehen, auch um Hermann Müller und Wels ist das Terrain nicht einfacher. Es fehlt noch immer ein der veränderten Situation angemessenes Programm, und keine der dringendsten Fragen ist bis jetzt zur Diskussion gestellt. Früher war alles viel bequemer, früher konnte man mit großer Haltung sagen: Der Feind steht rechts!, ohne sich mit der Definition dessen aufzuhalten, was unter »rechts« zu verstehen sei. Man konnte Herrn Cuno stürzen, um sich gleich darauf mit Herrn Scholz und Herrn Geßler zu verbinden. Man konnte abwechselnd bald weimarer, bald große Koalition spielen. Die Sozialdemokratie sollte sich darüber klar werden, daß diese beiden Möglichkeiten nicht mehr bestehen. Mit Herrn Stresemanns schwarz-weiß-roter und schwerindustrieller Partei ist eine Allianz ebenso undenkbar wie mit dem Zentrum, das seiner konfessionellen Geschäfte wegen diesen Bürgerblock arrangiert hat. Der Feind steht eben nicht mehr »rechts«, sondern ist inzwischen ganz bedenklich in die Mitte gerückt und streift die Linke hart. Leider hören wir aus dem sozialistischen Lager nichts andres als Reichsbannerparolen, die zur republikanischen Einung auffordern, Parolen, die in andern Zeitläuften durchaus legitimiert waren, aber heute, bei gründlich veränderten Verhältnissen lange Makulatur geworden sind. Was die kommenden Wahlen auch bringen werden, es werden keine Kartellwahlen sein, keine Linksblockwahlen, keine Maiwahlen, keine Wahlen des fröhlichen Aufräumens, wo die Pointen von selber zufliegen. Die Sozialdemokratie wird ganz isoliert sein; wenn ihr die Demokraten auch in manchem sekundieren, deren Ziel ist doch immer eine große oder kleine Koalition, und das würde die Partei von neuem ins Dickicht führen. Sie hat bisher sehr viel Glück gehabt; die Wähler tragen ihr nicht nach, was sie getan hat und daß sie den gegenwärtigen Zustand hat bereiten helfen; die hamburger Wahlen haben eben wieder die glänzend disziplinierte Geduld ihrer Arbeiterwähler gezeigt. Aber diese Geduld darf nicht immer wieder gefährlichen Belastungsproben ausgesetzt werden, und das wäre es, wenn die Partei etwa wieder mit Marx in eine Regierung ginge, um dem Zentrum die Gefälligkeiten zu erweisen, die es von Westarp nicht erreichen konnte.

Draußen im Lande hat die unerträglich gewordene soziale Spannung jetzt endlich wieder zu Auslösungen geführt. Die Arbeiterschaft bäumt sich wieder gegen die niederdrückende kapitalistische Omnipotenz. Es gibt wieder Massenbewegungen, wieder Streiks. Die stumpfe Ergebung in ein scheinbar unabwendbares wirtschaftliches Fatum ist zu Ende. Hier, nicht in republikanischer Einigung, nicht bei Fahnenweihen, liegt das Zukunftsland der Sozialdemokratie. Hier liegen alle Möglichkeiten künftiger Arbeiterpolitik.

Die Schlappe des Herrn v. Keudell ist gewiß kein historisches Ereignis. Aber man hat doch das Gefühl, daß hier zum ersten Mal wieder ein Fenster aufgestoßen wurde. Es war der Rechten in letzter Zeit etwas zu viel gelungen; nun künden sich die Rückschläge an.

Aber die Hauptsache bleibt doch: wie steht es links? Habt ihr, verehrte Freunde, nichts Wertvolleres zu tun vor als die Wiederholung der alten Sünden, so ist es besser, ihr laßt den Keudell weiter machen.

Die Weltbühne, 18. Oktober 1927


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