Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Der Denunziant Coßmann

Thomas Mann, in schlechter Laune über den in München um die Amerikaflieger entfesselten Betrieb, hat dieser in einem privaten Brief einen Ausdruck über die Gefeierten verliehen, den er bei größerer Publizität vermieden hätte. Zwischen einer privaten Verstimmung und einer möglichen öffentlichen Äußerung über den gleichen Gegenstand entsteht ein Hohlraum, der fatal wirkt, wenn er aufgezeigt wird. Macht sich jemand die Mühe, in diesen Hohlraum hineinzukriechen, so ist aus der Kleinigkeit eine Affäre geworden, und Herr Thomas Mann mag heute noch so gescheit und witzig argumentieren – die Differenz ist unleugbar und nicht schön. Aha, so spricht der feine, wohlerzogene Herr Thomas Mann, wenn er sich nicht gehört glaubt, sagen die Einen. Das haben wir erwartet, sagen die Andern, jetzt will er sich mit einem Kompliment für die Herren Flieger salvieren! Warum wiederholt er nicht öffentlich, was er einem Brief anvertraute? Mangel an nationaler Gesinnung, heult man rechts, Mangel an Bürgerstolz, knurrt man links. Beides braucht nicht zu stimmen, aber von beidem bleibt etwas.

Es ist ein infames Kunststück, einen Arglosen in solche Lage hineinzumanövrieren. Es ist ein selten perfides Sykophantenstück, jemanden erst sorglich zu umwerben, um ihn nach der Ablehnung wegen einer privaten Äußerung zu diskreditieren, die ganz gewiß keine Rolle gespielt haben würde, wenn die Werbung zum guten Ende geführt hätte. Der heute schon fast klassische Spezialist für die oft sehr engen Hohlräume zwischen privat und öffentlich ist Herr P.N. Coßmann, der Gebieter der ›Süddeutschen Monatshefte‹, ein hocherfreuliches Exemplar jener Gattung deutscher Juden, die mit dem Fenriswolf gut stehen wollen und deren ewige innere Unsicherheit sie zu immer höhern Leistungen antreibt. Sein Weg ist gezeichnet durch die Denunziationen Veit Valentins und Fechenbachs, durch den münchner Dolchstoßprozeß und die Veröffentlichung des unfreundlichen Briefwechsels zwischen Bethmann-Hollweg und Tirpitz im Jahre 1916, der die ganze Kluft zwischen Diplomatie und Kriegführung aufdeckte und in seiner ruinösen Wirkung alles übertraf, was fanatische Defaitisten an bewußter Siegessabotage hätten vollbringen können.

Aber es muß schließlich auch Mittel geben gegen solche Existenzen, die sich klugerweise in der Nachbarschaft politischer Tendenzen angesiedelt haben, die am günstigsten zur Befriedigung gewisser charakterlicher Eigenheiten zu gebrauchen sind. Ich glaube, es gibt nur eine Waffe: den strikten Boykott. Dieser Herr P.N. Coßmann muß so gezeichnet werden, wie die Generation von 1830 ihren Wolfgang Menzel gezeichnet hat, der für sein langes Leben immer nur »der Denunziant« geblieben ist. Vielleicht ist das im Falle Coßmann nicht immer so einfach, denn er ist das Haupt einer Zeitschrift, die nicht nur politische Interessen pflegt; er kann, politisch geschlagen, ganz unvermutet in der litterarischen Sparte wieder auftauchen. Als litterarischer Mittler näherte er sich auch Thomas Mann, um ihn für ein Zweigblatt der ›Münchner Neuesten Nachrichten‹ zu gewinnen, und so erschien er ihm auch in der Unterhaltung »in einer Art nachdenklicher Toleranz«. Also nicht der teutsche Allerweltszensor Herr Coßmann, sondern plötzlich ein Intellektueller, von konservativer Grundhaltung zwar, aber doch einsichtsvoll und gern geneigt, kritische Einwände zu verwerten. Es war ein bitterer Fehler von Herrn Thomas Mann, sich zu einer Aussprache mit Herrn Coßmann bewegen zu lassen, dessen Vorgeschichte ihm doch auch damals bekannt war. Daß dieser Coßmann ein gelesenes Blatt ediert, die Ausdrucksformen eines gebildeten Menschen hat, über moderne Litteratur plaudern kann und sich nicht mit dem Obstmesser die Nase popelt, das macht ihn noch nicht als Gesprächspartner möglich. Es ist jammerschade, daß der Schriftsteller, der in seiner Art wie kein zweiter Distanzgefühl verkörpert, wenn er es auch manchmal lächelnd überbrückt, dafür nicht die Witterung gehabt hat. Er ist der Leidtragende. Denn Herr Coßmann hat zwar nicht für seine Blätter den ersehnten Mitarbeiter gewonnen, aber doch das erreicht, was er für die Prolongation seines Kontraktes mit der germanischen Mythologie so dringend braucht: einen neuen Fall.

Die Weltbühne, 21. August 1928


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