Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Zehn Jahre rote Armee

Moskau feiert den zehnten Geburtstag seiner Armee. Dröhnende Manifeste. Rauschende Paraden. Je unsicherer die innere Haltung eines Landes wird, desto imposanter werden die militärischen Schaustellungen.

Die Rote Armee ist des Pazifisten Schrecken. Wenn er mit dem guten militärgläubigen Bürger in die Wolle gerät, bleckt der ihn triumphierend an: Na, und die Rote Armee?

Ein Argument, horndumm, aber von populärer Schlagkraft. Denn kein Pazifist nennt Rußland die ideale Heimstätte des Friedens, und die Machthaber im Kreml würden dem, der sie Pazifisten zu heißen wagt, die Tscheka auf den Hals schicken. Das Argument der Militaristen ist dumm. Aber viele Pazifisten handeln nicht intelligenter, wenn sie Rußland verdammen, weil ein sozialistischer Staat keine Armee halten dürfe. Denn die Existenz von Militär allein braucht noch nicht Militarismus zu bedeuten. Der beginnt erst, wenn die Militärs den ausschlaggebenden Einfluß im Staat beanspruchen.

Das heutige Rußland mag eine Despotie sein, militaristisch ist es nicht. Das Heer ist ganz der zivilen Leitung unterworfen. Kein Heer dient mehr als das russische dem Zweck, der von allen Monarchien und Republiken der Welt vorgeschützt wird: – der Verteidigung. Denn Sowjet-Rußland ist die bedrohteste Macht der Welt. Zugegeben, daß die Nachbarn des fascistischen Italien es nicht leicht haben – das beweist jetzt wieder Mussolinis löwenmutige Attacke auf das arme Österreich, dessen schwarzer Seipel mit ihm ach, wie gern, Arm in Arm ginge. Zugegeben, daß Polen zwischen zwei Großmächten eingeklemmt schwer atmet, und dabei gelegentlich Zustände bekommt. Alles schwere Fragen, und doch nicht unlösbare; Fragen, die selbst die Genfer mit einigem guten Willen friedlich erledigen können. Nur Rußland steht ganz isoliert. Und der Völkerbund steht gegen Rußland.

Die Moskauer haben oft gedroht. Doch keiner der Großen dort hat je solche Bravaden geschmettert wie Mussolini, Churchill, Poincaré oder unser Hergt. Wären die deutschen Außenminister seit 1918 stets so vorsorglich behutsam gewesen wie Herr Tschitscherin, wir wären in keinen Ruhrkampf geschlittert und die Reparationen ein paar Jahre vor Dawes und milder geregelt worden. Rußland mag, neben Italien, der perfekteste Polizeistaat sein – ein Militärstaat ist es nicht.

Das sei um der Wahrheit willen gesagt. Aber aus gleichem Grunde sei nicht verschwiegen, daß der Verruf der Roten Armee weniger von den Russen selbst verschuldet ist, als vielmehr von ihren täppischen Satelliten in den einzelnen kommunistischen Parteien. Diese Braven lassen außer acht, daß die Rote Armee nicht der Revolver in der Faust des internationalen Proletariats ist, sondern in erster, zweiter und dritter Linie das Instrument des russischen Staates, der, wie bekannt, auch eine so absonderliche Schlafkameradin wie die deutsche Reichswehr nicht verschmäht hat. Es ist illusionär und bestem sozialistischem Fühlen widersprechend, den Glauben zu nähren, die Befreiung der Arbeiterklasse sei allein mit dem Maschinengewehr zu erkämpfen und zu vollenden. Wer sie leidenschaftlich bejaht, wird die Verrohung und Entgeistigung des Klassenkampfes beklagen, die hier von persönlich höchst harmlosen Funktionären betrieben wird, denen nichts besseres einfällt als der Propagandastil der selig entschlummerten Kriegspressequartiere. Man möchte ein für allemal an der Belehrbarkeit der Menschheit verzweifeln, wenn man die Bilder betrachtet, die selbst ein vielfach verdientes und gut geleitetes Blatt wie die ›Arbeiter-Illustrierte‹ ihren Lesern zu diesem Jubiläum vorsetzt. Rote Truppen aller Gattung, reklamehaft posiert; Infanterie im Rauchschleier, eine ziemlich lebensgroße Gasmaske, sogar ein Tank ... kurzum, Herr Kriegstod mit allem technischen Komfort. Das ist gar nicht revolutionär, sondern überaus deutsch, und das kundige Ohr hört hier weniger den Marschtritt von Arbeiterbataillonen als vielmehr das Hackenknallen treuer Militäranwärter.

Vor zehn Jahren waren die roten Krieger noch zerlumpte Sansculotten. Mit Zähnen und Klauen haben sie die weißen Heere vernichtet. An der Spitze junge Führer wie Budjonny und alte Zarengenerale, wie Brussilow und Kuropatkin, so flutete eine wilde, regellose und dürftig equipierte Masse bis vor die Tore Warschaus, und so ein heroischer Taumel war nicht mehr gewesen seit Valmy und Jemappes. Heute marschiert eine gut gebimste Truppe, vorzüglich uniformiert, im Gleichschritt. Die Bauernburschen werden aus der Dumpfheit und dem Schmutz des Dorfes gerissen, lernen lesen und schreiben ... Auf dem Umweg übers Militär zieht Europa ins Rußland ein.

Und zu welchem Ende das geschieht, weiß niemand. Doch eines möchte man den roten Kriegern zu ihrem Freudentag wünschen: Mög ihnen nie ein Bonaparte beschieden sein ...

Die Weltbühne, 28. Februar 1928


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