Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Groeners beinahe legaler Putsch

Dem alten Marschall ist eine große Freude widerfahren: er hat zum ersten Mal seit Masuren wieder einen Sieg errungen. Daß es kein Sieg in offener Feldschlacht war, sondern nur ein paar hundert Parlamentarier in die Sümpfe getrieben wurden, wird die Genugtuung nicht mindern. Denn der Deputiertenrock war von jeher der Erzfeind der Militärs. »Gegen Demokraten helfen nur Soldaten«, so hieß es früher und bewährt es sich noch heute.

Wie bei Tannenberg Ludendorffs planender Kopf, entschied Wilhelm Groeners durchgreifende Forschheit die Schlacht um den Panzerkreuzer. Er ist der Stabschef dieses glorreichen Sieges über die demokratische Konstitution.

Herr Groener ist das liebste Ziehkind der republikanischen Parteien. Er war für viele Demokraten und Zentrumsmänner der republikanische Säulenheilige, der liberale General, der durch sein Bündnis mit Ebert das erste Fundament der jungen von Parteikämpfen durchschüttelten Republik geschaffen hat. Er ist auch für einen großen Teil der Sozialdemokraten der einzig denkbare Wehrminister. Diesem Glauben oder Aberglauben verdankt Herr Groener seine überragende Position, und deshalb ist ihm auch ein Pronunciamiento gegen die demokratische Republik gelungen wie noch keinem der offenen Putschisten vor ihm. Keiner hat bisher die Patentlösung gefunden: mit leidlich legalen Methoden alle zivilen Instanzen zu vergewaltigen. Die Generale Kapps sind gestorben und verdorben. Hans von Seeckt vertreibt sich seine tatenlose Emeritierung mit dem Gedanken an gehängte Pazifisten. Exeunt – – finis. Was keinem von ihnen völlig glückte: die Niederzwingung der Parlamente unter den Willen der Militärs, die rücksichtslose Zertrampelung der Verfassungsbuchstaben, und alles mit beinahe legalen Mitteln, das hat dieser Veteran der süddeutschen Gemütlichkeit erreicht.

Ein Pronunciamiento nennt man in den Ländern spanischer Zunge einen Generalsputsch. Was Herr Groener getan hat, verdient kaum einen andern Namen. Gewiß wird er, der Roland der bürgerlichen Republik, sein rundlichstes Lächeln aufsetzen, wenn man ihm vorwerfen wollte, er habe illegal gehandelt, als er sehr opulente Vorbestellungen auf eine noch gar nicht bewilligte Rate machte. Er hat sich in einer durch W.T.B. verbreiteten Verlautbarung auf die Haushaltsordnung berufen, aber dabei einen entscheidenden Satz der Verfassung außer Acht gelassen, den Artikel 56 nämlich: »Der Reichskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür gegenüber dem Reichstag die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Reichsminister den ihm anvertrauten Geschäftszweig selbständig und unter eigner Verantwortung gegenüber dem Reichstag.« Es war nicht zu besorgen, daß bei Hermann Müller diese Richtlinien allzu rigoros ausfallen würden, aber Herr Groener baute energisch vor, um selbst die Richtlinien zu bestimmen und etwaigen Widerspruch des Reichstags durch vollzogene Tatsachen irrelevant zu machen. Mindestens seit Mitte August wußte jeder, daß der Panzerkreuzer nochmals den Reichstag beschäftigen und die sozialistischen Minister ihre Stellungnahme revidieren würden. Dann lief das kommunistische Referendum. Nach dessen Niederlage kam der sozialdemokratische Antrag auf Aussetzung des Baus. Damit war der Panzerkreuzer keine interne Ressortsache mehr, sondern ein Gegenstand der allgemeinen Politik. Doch was auch geschah, Herr Groener ließ sich nicht stören und baute an seinem Kreuzer weiter wie Aristides an den Mauern von Athen. Es war ein Wettkampf zwischen Gesetz und Gesetzesverachtung. Das Gesetz lief langsamer.

Trotzdem konnte Herrn Groener nicht entgehen, daß der Endkampf zweifelhaft war. Die Sozialdemokraten in Wallung, die Mittelparteien überwiegend zur Ablehnung geneigt. An den militärischen Wert des Panzerkreuzers glaubten schließlich nur noch die Kommunisten, hypnotisiert von den eignen Parolen. Der Herr Minister sah seine flottbewimpelte Fregatte langsam absaufen und spielte die stärkste seiner Künste aus: er kurbelte den Reichspräsidenten an. Herr v. Hindenburg machte den Kreuzer zur eignen Sache, und es zeigte sich, daß dem greisen Marschall die Republik wie eine Badekur bekommen war. Er trumpfte mit größter Energie. Die Grundpfeiler des juste milieu wankten, nicht nur der Kriegsminister drohte mit Demission, auch das Oberhaupt des Reiches schien sich ihm anschließen zu wollen. Das hilflose Kabinett faßte keinen bindenden Entschluß: es gab für seine Mitglieder die Abstimmung frei.

So boten die beiden entscheidenden Reichstagssitzungen ein Bild jämmerlichster Anarchie, einzigartig selbst in der an Unglücksfällen so reichen Geschichte der Parlamente. Groener wollte seinen Kreuzer haben, sonst ... Das war sicher. Die Abgeordneten mußten etwas einem Kampfe Ähnliches agieren, ohne sich und andre im Gedränge zu verletzen. Peinigende Ungewißheit für Talente, die nur fürs Volksstück langen und nicht für die spitzere Komödie. So ergaben sich die Seelenqualen des Lanzelot Gobbo: »Mein Gewissen sagt: ›Nein, hüte dich, ehrlicher Lanzelot, lauf' nicht, laß das Ausreißen bleiben!‹ ›Marsch!‹ sagt der Feind, ›fort!‹ sagt der Feind, ›um des Himmels willen ermanne dich‹, sagt der Feind, ›und lauf!‹ Mein Gewissen ist gewissermaßen ein hartherziges Gewissen, daß es mir raten will, zu bleiben. Der Feind gibt mir einen freundschaftlicheren Rat: ich will laufen! ich will laufen!« Das Gewissen sprach durch den dunklen Bariton des Genossen Otto Wels, es verpaßte die Stichworte und redete sich in einen Aufwand hinein, der in Haberlands Festsälen, zwischen Lagerbier und Bockwürsten, mit Applausdonner honoriert wird, hier aber das feinere Empfinden verletzte, das sich bereits fürs Davonlaufen entschieden hatte. Herr Wels erinnerte wenig taktvoll an den neuen Ruhrkampf und die unerfüllten sozialen Aufgaben. Was, die Mittelparteien hätten kein Herz fürs Volk? Das war wider die Abrede. Das wurmte. Zentrum und Demokraten erklärten die Lage für gespannt. Die Revolver wurden entsichert. Stegerwald ging um.

Und was jetzt geschah, war ein Einfall von abgründiger Perversität, doppelt unverständlich bei der Phantasielosigkeit unsrer Fraktionspräsiden. Man ist gewohnt, daß zur Begründung eines Umfalls gewöhnlich die schon im Ausgedinge verdämmernden Invaliden hervorgeholt und abgestaubt werden, um ein paar Albernheiten zu stottern, für die eine bessere Garnitur zu schade ist. Demokraten und Zentrum entschieden sich dies Mal für das umgekehrte Verfahren: sie sandten, um der Sozialdemokratie den Text zu lesen, nicht ihre indifferentesten, sondern ihre markantesten Leute vor, ihre Revoluzzer, ihre Marathonmannschaft. Grade diejenigen, die oft und oft mit der Sozialdemokratie paktiert hatten, waren heute auserkoren, sie mit Skorpionen zu züchtigen.

Natürlich hatten die sozialdemokratischen Minister schärfsten Tadel verdient. Sie hatten entgegen allen Wahlversprechen den Panzerkreuzer im Kabinettsrat vom 10. August ruhig passieren lassen, und waren nachher von dem Sturm in der eignen Partei wieder in die ursprüngliche Opposition zurückgeweht worden. Aber zur Entrüstung nicht berechtigt waren diejenigen, die bis zu Groeners Machtwort selbst entschlossen waren, nunmehr endgültig gegen den Weiterbau zu stimmen.

Für eine der Beredsamkeit des Herrn Fischbeck angepaßte Aufgabe bestellten die Demokraten Ernst Lemmer, den Radikalsten der Radikalen, der sonst immer aus der Reihe zu tanzen pflegt. Herr Lemmer kämpfte mit Todesverachtung alle Skrupel nieder, ohne aber selbst in dieser mechanten Mission zu vergessen, daß er auf der politischen Bühne nun einmal das Rollenfach Hans Brausewetters innehat: den frischen Jungen. So brachte er es übers Herz, als bestellter Befürworter der lächerlichsten und dümmsten Kneiferei einen Protest der Jugend gegen die Mächeleien der eingefrorenen Berufspolitiker zu formen; mit echt brausewetterscher Frische sprudelte er los für Gradlinigkeit und Einfachheit in der Politik – und das als Verteidiger eines verteufelt krummen Handels. Joseph Wirth dagegen entdeckte plötzlich, daß der Feind sich links aufhält. Lockt der Vizekanzler so sehr –?

Herr Groener kann mit seinem Erfolg zufrieden sein. Er hat allen Widerstand fortgefegt. Keiner der Redner fand die richtige Zurückweisung für die Anmaßung eines Generals, der seinen Willen gegen die Ergebnisse einer Reichstagswahl, gegen die Auffassung der heutigen Mehrheit des Reichstags durchdrückt. Herr Groener hat Boulangismus gemacht, wenn er auch in seiner alemannischen Jovialität nicht viel von dem bunten Chanteclair der französischen Revanchards an sich hat; Boulanger mit Spätzle.

»Der Reichskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik ...« Der Reichskanzler hat die Richtlinien nicht bestimmt, sondern es jedem überlassen, in seiner Art vor dem Kriegsminister zu kapitulieren. Sein Ausweg, die Entscheidung dem Gutdünken der einzelnen Minister zu überlassen, ist der Tod der parlamentarischen Demokratie. Einmal war Herr Hermann Müller auf der rechten Fährte, als er in einer Anwandlung von Sarkasmus dem hohen Hause zurief, man möge ihn doch stürzen. Herr Müller weiß, wo die Wurzeln seiner Macht liegen, aber er ist zu höflich, um über einen andeutenden Scherz hinauszugehen. Die Furcht vor Neuwahlen steckt allen Parteien in den Knochen. Der Kanzler hat diskret gedroht, der Kriegsminister überdeutlich. Der Kriegsminister hat gesiegt. Die Sozialdemokratie ist kreuzbrav geblieben, und nachdem sie diese Pferdekur lebendig überstanden hat, rücken endlich die Paradieseswonnen der Großen Koalition in greifbare Nähe. Die Verschnittenen läßt man ruhig im Serail, Tag und Nacht. Gegen ein geselliges Zusammensein liegen keine Bedenken mehr vor.

Die Weltbühne, 20. November 1928


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