Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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Opposition?

Hier stehe ich. Ich möchte fast sagen:
ich kann nicht anders.
Hergt

In der gesamten europäischen Politik herrscht zur Zeit ein offenkundiger Talentmangel. Auch in England, dem mit politischen Begabungen ehemals oft überreich gesegneten England, wachsen die Führergestalten heute nicht mehr wild. Aber in Deutschland steht es ganz besonders schlimm: hier wird nicht einmal mehr mäßiger Durchschnitt produziert. Der babylonische Wirrwarr um die Regierungsbildung läßt sich viel eher auf eine ziemlich gleich verteilte überfraktionelle Unzulänglichkeit zurückführen als auf besonders ränkevolle Manipulationen der Deutschnationalen und ihrer Helfer. Auch die Rechte, die noch leidlich geschickt begonnen hat, kompromittiert sich jetzt, indem sie ihre Differenzen zwischen Appetit nach Ämtern und eingefrorener royalistischer Überzeugung öffentlich austrägt. Trotzdem wirken Westarps naive Jonglierversuche fast hoheitsvoll neben den desperaten Anstrengungen republikanischer Zentrumsmänner, wenigstens halbwegs Figur zu machen. Wir nehmen Herrn Marx aus. Denn Herr Marx ist ein zuverlässiger richterlicher Beamter, der in jedem Geschirr seine Pflicht getan und jede Fuhre gezogen hat, wenn er nur ein energisches Hott hörte: eine Strafkammer, einen Volksblock, ein Ermächtigungsgesetz und eine Reihe verschieden gefärbter Partei-Konstellationen. Er wird auch zwischen deutschnationalen Deichseln so geduldig traben wie früher zwischen schwarz-rot-goldnen. Aber Herr Wirth, den die Rechtspresse noch immer fälschlich als eine Art von badischem Robespierre verschreit? Hier hätte er endlich einmal die zu seinem geistigen Wohlbefinden erforderliche Aufregung mit einigem Nutzen loswerden können, und grade hier »wahrt er Disziplin« und beteiligt sich zum Überfluß noch an der Verfertigung der sogenannten Richtlinien, die nicht einmal Herr Marx in den Vorverhandlungen mit den Deutschnationalen beachtet hat.

Die Sozialisten und Demokraten aber stehen nicht besser da als die Überläufer der republikanischen Mitte: Sie haben der andern Seite die Initiative überlassen und mit erstaunten Äuglein den Abmarsch verfolgt. Sie übersehn, daß es in der innern Politik gar keine zündendere Parole gibt als die gegen einen Bürgerblock. Das ist doch für jede linke Partei, die sich auf Propaganda versteht und nach populären Wirkungen lechzt, ein Gottesgeschenk! Als das Reichsoberhaupt mit einem verfassungswidrigen Eingriff die blauschwarze Allianz einfach dekretierte, da war für die beiden republikanischen Gruppen der Augenblick gekommen, Alarm zu schlagen, auf die Straße zu gehn – jawohl, auf die Straße zu gehn! – und dem unbedingten Kampfeswillen tönend Ausdruck zu geben. Und als Herr Marx ernstlich daran ging, den verfassungswidrigen Auftrag anzunehmen, da wäre es Aufgabe selbstbewußter republikanischer Gruppen gewesen, ihn, ihren einstigen Präsidentschaftskandidaten, öffentlich als Renegaten zu defamieren. So und nicht anders leitet man Opposition ein. Man muß wissen, was man will, und es in guter Laune sagen. Man kann sich in so glücklicher Situation Alles erlauben, was sonst nicht geht – sogar Geist.

Auch die Demoblätter schreiben jetzt in großen Buchstaben: Opposition! Und der ›Vorwärts‹ hebt drohend die schwielige Proletarierfaust, die schon so viele Kapitalistenhände geschüttelt hat. Doch zur Beruhigung etwa aufgescheuchter Gemüter versichert die Linkspresse gleich, die Republikaner würden nicht Opposition treiben wie die Andern: sie würden nicht hetzen, nicht verleumden, nicht schießen, sondern stets verantwortungsbewußt und von staatspolitischer Einsicht erfüllt bleiben. Danach weiß man, was kommen wird. Der Deputierte Ludwig Haas, zum Beispiel, einer der glücklichen Teilhaber der augenblicklich zur Disposition gestellten Republikanischen Union, erzählte erst vor ein paar Tagen den thüringischen Wählern: wenn die Sozialdemokraten nicht das Kabinett Marx gestürzt hätten, dann wäre das Alles nicht so dick gekommen und mit der Großen Koalition würde das ja künftig etwas schwierig werden, etcetera. Daß die guten Leute schon aus Eignem kein Temperament aufbringen können, wissen wir. Daß sie aber nicht einmal zu federn beginnen, wenn sie ein paar Stiefelspitzen im Sitzfleisch spüren, geht gegen alle physikalischen Erfahrungen und erklärt sich nur durch die hoffnungslose Abstumpfung dieser Körperpartie bei den Demo-Haasen. Noch jetzt wissen sie nichts Bessres als die erneute Empfehlung der Großen Koalition. Wir möchten nicht der Donquichotterie schuldig werden, dies Gespenst nochmals zu erschlagen. Doch das sei hier dennoch wiederholt: niemals ist eine jahrelang mit dem Hirnfett der besten republikanischen Leitartikler geschmierte Illusion kläglicher zerplatzt. Daß sich die Herren bei der Einschätzung der Deutschen Volkspartei gründlich verkalkuliert haben, ist hier oft und bis zur eignen Ermüdung vorgerechnet worden, daß sie aber nicht einmal bemerkt haben, was im vielfach befreundeten Zentrum vor sich ging, macht ihre Niederlage zur Katastrophe. Sie haben bewiesen, daß es ihnen nicht nur an der selbst zuerkannten Divinationsgabe gefehlt hat, sondern auch an ganz normaler Fähigkeit zu hören und zu sehen. Was sind das für Wettermacher, die von blauem Himmel faseln, während ihnen die Schlossen breit auf die Nase klatschen! Sie glaubten im Besitz aller realpolitischen Erkenntnisse gewesen zu sein, weil sie die Reichweite ihrer Tintenspritzer irrtümlicher Weise für die Grenzen der realen Welt gehalten haben; heute müssen sie ihre Artikel überschreiben: Abschied vom Zentrum – Abschied von der Weimarer Koalition! Es ist bitter.

Jetzt wollen die Gepantschten in die Opposition steigen. Gegen was und für welche Ideen? Sie haben nur die alten Walzen zum Aufdrehen, und was sie als Ziel hinstellen, ist das Selbe, was die Entwicklung soeben auf die Kehrichthaufen geworfen hat. Wer Opposition machen will, die das Volk aufrüttelt und die Gemüter packt, muß andres wollen und anders sein als Die, gegen die der Kampf sich richtet. Hier aber sehen sich die Gegner so verzweifelt ähnlich. Die Demokraten waren bis vor ein paar Tagen zu jedem ersinnbaren Bündnis bereit, und die Sozialdemokraten haben noch am 18. Dezember ihre Geneigtheit erklärt, mit Hinz und Kunz zusammenzugehn. Opposition? Nein, diese kuriosen Frondeure treibt nicht Grundsatz und Charakter. Die sitzen jetzt lamentierend draußen, weil man sie nicht mehr nötig hat, weil man ihnen einfach die Tür vor der Nase zugeschlagen hat. Sie haben Alles getan, was man von ihnen verlangt hat und hätten das auch in Zukunft so gehalten. Jetzt flennen sie über Undank wie fristlos entlassene Domestiken, starren zur verschlossnen Beletage hinauf und träumen von den Latrinen, die sie nicht mehr fegen dürfen. Die armen Schlucker können einen Hund jammern. Warum gehn sie nicht zum Gewerbegericht?

 

Die Veröffentlichungen des ›Manchester Guardian‹ über das deutsch-russische Granatengeschäft haben nicht nur unser Außenamt erregt, dessen bevorzugtes Organ, die ›Deutsche Allgemeine Zeitung‹, soeben die Ausweisung des mißliebig gewordenen Herrn Voigt gefordert hat, sondern auch in Moskau ein paar Unerbittliche auf die Zinne gerufen. Da jedoch die russischen Außenpolitiker und ihr journalistischer Anhang ein außerordentlich entwickeltes Gefühl für Blamagen haben, hielten sie sich zurück und überließen den erprobten Kapitolgänsen des Exekutivkomitees, den nötigen Alarm zu schlagen. Das geschieht in der Wochenschrift dieses notablen Gremiums, wo zu lesen ist: »Die von der deutschen Sozialdemokratie auf offne Bestellung der internationalen Bourgeoisie veranstaltete Hauptprobe einer Kriegsprovokation ist ins Wasser gefallen. Die Massen hegen ein derartiges Vertrauen und eine derartige Sympathie für die Sowjetmacht, daß den Lockspitzeln die Hauptsache mißglückte: die Massen durch die Plötzlichkeit ihrer Erfindungen zu betäuben, sie durch die ›Sensation‹ ihrer ›Enthüllungen‹ stutzig zu machen; es mißlang ihnen, sich die Bestürzung der überraschten Massen zunutze zu machen, um sie vor die vollendete Tatsache aggressiver Handlungen zu stellen, die in ihrer weitern Entwicklung zu einer Kriegskatastrophe führen.« Dazu wäre in aller Ruhe zu bemerken, daß diese Art von Argumentation peinlich überrascht. Dies entspricht nicht dem hohen intellektuellen Niveau moskauer Polemiken, die grade der Gegner achten gelernt hat. Der unbekannte Verfasser schwadroniert spottschlecht an der Sache vorbei, und völliges Schweigen wäre besser als diese Expektoration, aus deren klotziger Gesinnungstüchtigkeit auf einige Meilen das schlechte Gewissen duftet. Immerhin wird auch das hemmungslose Geschimpfe des Exekutivmannes aus der Sorge vor der prekären außenpolitischen Situation Rußlands erklärlich. Schließlich kann auch das durch Locarno und Genf festgelegte Deutsche Reich zu einem willenlosen Instrument der Westmächte werden. In Deutschland selbst ergibt sich kaum ein Grund zu solchen Befürchtungen; das müßten auch die russischen Beobachter wahrnehmen. Wo finden sich denn aggressive Tendenzen gegen Rußland? Ohne Übertreibung läßt sich sagen: der deutschen Arbeiterschaft ohne Unterschied der Richtung ist die Unantastbarkeit Rußlands heilige Sache; jede Regierung, die sich durch irgend eine londoner oder pariser Zumutung von ihrer neutralen Haltung abbringen ließe, würde über Nacht einem in Deutschland unerhörten spontan ausbrechenden Anti-Militarismus gegenüberstehen, wie ihn niemals eine Kriegsgefahr am Rhein zeitigen könnte. Moskau ist schlecht unterrichtet, wenn es die deutsche Sozialdemokratie zu einem Werkzeug westlicher Kriegsprovokateure stempeln möchte. Die Sozialdemokratie denkt gar nicht an Krieg, sondern ist ehern entschlossen, Das fortzusetzen, was sie seit sieben Jahren tut, nämlich: zu schlafen. Sonst würde sie längst geahnt haben, daß alle politische und militärische Vorbereitung in diesen Jahren nur den einen Sinn gehabt hat: den Krieg an der Weichsel, und zwar einen Krieg, der sich nicht gegen Rußland richtet. Auch das deutsche Bürgertum hegt lange keine feindlichen Gefühle mehr gegen Moskau, mindestens, seit dieses aufgehört hat, in Deutschland Weltrevolution zu machen. Im Gegenteil, die deutschen Nationalisten sympathisieren lebhaft mit dem völkerbundfeindlichen Kurs Tschitscherins, und die Rote Armee hat in gewissen rechten Bezirken wärmere Freunde als in den Reihen der Kommunistischen Partei.

Jetzt aber, wo die Partei der militaristischen Reaktion offen von der Regierung Besitz ergreift, schwindet für Rußland auch der letzte Anlaß zur Beklemmung. Gewiß werden die Deutschnationalen nicht gleich mit Schwertgeklirr und Wogenprall beginnen; sie werden sich zunächst keine Verstöße gegen die Locarno-Politik erlauben, im Gegenteil, um eine gute Presse in Frankreich äußerst besorgt sein und erst, wenn ihnen das nicht gelingt, die alten Künste wieder spielen lassen. Da durch den Umschwung auch die bescheidensten Möglichkeiten einer Reichswehrreform an den Schornstein zu schreiben sind, so steht nichts im Wege, daß auch die Wehrmacht wieder ihre eigne standesgemäße Politik eröffnet. Herr Otto Geßler selbst, das hat vor einer Woche der Parteifreund Bergsträßer in einem Zeitungsartikel ganz harmlos ausgeplaudert, ist Anhänger der Ost-Orientierung. Was man darunter zu verstehn hat, ist bekannt. Geßler ist nach seiner sozialen Überzeugung kein Leninist, seine östliche Orientierung bezieht sich mehr auf militärtechnische Angelegenheiten, und da dieser erstaunliche Russophile dies Mal in Begleitung deutschnationaler Kollegen erscheint, so bedeutet das für die gestrengen Herren in Moskau fast so viel wie eine Lebensversicherung. Damit wäre Alles wieder in Ordnung. Soweit die Kommunikation in letzter Zeit bedauerlicher Weise unterbrochen war, wird der Schaden bald repariert sein. In verklungenen imperialen Zeiten hat es bekanntlich vor einem deutschen Gericht einen Prozeß wegen Hochverrats gegen das russische Reich gegeben. Darüber lachte damals die ganze Welt. Heute sieht das nicht mehr so heiter aus. Vielleicht werden die Landesverratsanzeigen aus der Bendler-Straße künftig in Moskau gegengezeichnet werden.

Die Weltbühne, 1. Februar 1927


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