Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften – Band IV: 1927–1928
Carl von Ossietzky

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[Antworten] Chemnitzer Volksstimme

Du schreibst: »Wenn kürzlich der Leitartikler einer angesehenen linksbürgerlichen Zeitschrift sich in den härenen Mantel des Propheten warf und in längstens zwei Jahren die Spaltung der Sozialdemokratie verkündete, wenn sie in die Koalition ginge, so zeigt das nur die verblüffende Unkenntnis dieser politisierenden Literaten über den innern Zusammenhalt der Sozialdemokratie – und was noch wichtiger ist – über die Gesetzmäßigkeit, mit der eine solche Riesenpartei unter dem Druck von Klasse gegen Klasse ganz von selbst auf den richtigen Weg getrieben wird.« Du bist ein wacker oppositionelles Blatt, aber, mit Verlaub, kann man denn mit euch verehrten Herren Genossen niemals diskutieren, ohne gleich das Wort »Literat« als äußerste Mißachtung an den Kopf zu bekommen? Das ist doch etwas ärmlich, nicht wahr? Ich will dem Herrn Verfasser gern zugestehen, daß er ein ausgezeichneter Politiker ist, aber ein Literat ist er ganz gewiß nicht. Ich habe mir eine ernste Mahnung an die Sozialdemokratie erlaubt, denn ich glaube nicht an die »Gesetzmäßigkeit, mit der eine solche Riesenpartei unter dem Druck von Klasse gegen Klasse ganz von selbst auf den richtigen Weg getrieben wird.« »Ganz von selbst«, verehrter Herr Radikaler, ja, das könnte Ihnen so passen! Jedes Mal, wenn es brenzlig wird, dann verschanzt ihr euch hinter »Gesetzmäßigkeiten«, die ihr aus dem Marx herausgelesen habt. Es gibt aber noch etwas andres: die bewußte Gestaltung. Wenn ihr dazu nicht den Willen habt, wird die Riesenpartei, trotzdem sie jetzt wieder so nett kugelrund geworden ist, bei dem »Druck von Klasse gegen Klasse« schließlich doch noch an die Wand gedrückt werden.

Die Weltbühne, 26. Juni 1928


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