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43.

Ein Gottesgericht.

Ein weitausgreifender Mustang jagte über den noch weichen Boden der Prärie, und der Reiter auf seinem Rücken war ein Cow-boy, ein alter Bekannter von uns, Fred. Er schonte weder Peitsche noch Sporen, das Pferd in raschester Gangart zu halten; sein Weg führte nach Miß Petersens Plantage.

Nach einiger Zeit verließ er die begrasten Ebenen er kam in kultivierte Gegenden, zu Ellens Besitzungen, gehörend, aber man sah nur noch an dürftigen Spuren, daß hier einst Felder bebaut worden waren.

Die Flut hatte dem gelockerten Boden die Halme samt den Wurzeln entrissen, die Tabaksernte war für dieses Jahr völlig vernichtet, alle Felder glichen frischgepflügten Aeckern.

Fred gab sich keinen trüben Gedanken hin, nicht, weil er persönlich von dem Unheil verschont geblieben war, sondern weil er die Sachlage richtig verstand.

»Ein Glück,« schmunzelte er vergnügt, »daß die Baumwolle und das Getreide schon hereingebracht worden sind; wäre die Ueberschwemmung zwei Wochen eher gekommen, dann hätte sie entsetzlichen Schaden angerichtet; mancher kleine Farmer hätte den Schlag nicht überstehen können. Der Tabak ist freilich hin, na, macht nichts, gut, daß es noch so abgegangen ist. Ach so, die geerntete Baumwolle ist ja auch fortgespült worden, aber die war schon verkauft. Hahaha, möchte das Gesicht des Juden sehen, wenn er seine Baumwolle abholen will – der wird spucken. Hoffentlich gibt Miß Petersen nicht nach, verkauft ist eben verkauft. Die Hauptsache ist doch, daß wir Cow-boys – halloh,« unterbrach sich Fred und richtete sich, das Pferd zügelnd, in den Steigbügeln empor, »sind das Reisende oder Indianer? Doch nein, es werden Einheimische sein, die vor dem Wasser geflohen sind und nun zurückkehren.«

Eine in der Ferne auftauchende Reitertruppe hatte die Aufmerksamkeit des Cow-boy erregt. Er änderte seine Richtung so, daß er sich ihr näherte, ohne zu sehr von seinem Ziele abzuweichen, und nicht lange dauerte es, so stieß er einen freudigen Jubelruf aus.

»Wahrhaftig, das sind ja die Herren und Damen, die Gäste von Miß Petersen. Hoffentlich ist diese selbst dabei. Wird die sich aber freuen, wenn ich ihr die freudige Nachricht bringe.«

Er hielt jetzt direkt auf die Reiter zu, und nach einer Viertelstunde passierte er den Saum eines Waldes, wodurch er zwar die Reiter aus den Augen verlor, dafür aber bald auf sie stoßen mußte.

Diejenigen, welche er gesehen, waren wirklich die Herren vom ›Amor‹ und ihre Damen, nebst Hoffmann und den geflüchteten Beamten. Sie befanden sich auf dem Wege nach der Hazienda. Hoffmanns scharfe Augen entdeckten zuerst den einsamen Präriereiter, und gleich darauf versicherte Ralph, das sei kein anderer als Fred.

»Er will mir Kunde wegen der Rinder bringen, ob sie gerettet oder verloren gegangen sind,« rief Ellen.

Auch sie verließen ihre Richtung und ritten dem Cow-boy entgegen. Sie sahen, wie derselbe den Wald erreichte, vorher die Hand zum Gruße schwenkte und dann zwischen den Bäumen verschwand, um so einen bedeutenden Teil des Weges abzuschneiden.

Die Gesellschaft schonte die Pferde, sie ritt langsam. Minute nach Minute verging, Fred ließ sich nicht am anderen Saume der Waldecke erblicken.

»Das ist ja sonderbar.« meinte Ellen. »Er müßte schon längst bei uns oder wenigstens zu sehen sein.«

»Er wartet wahrscheinlich, bis wir zu ihm kommen,« lachte Williams.

Der Wald war noch weit entfernt, aber als sie ihn erreichten, war Fred noch immer nicht zu sehen.

»Es war gar keiner von meinen Cow-boys,« sagte Ellen, »er wollte auch nicht zu uns.«

»Es war Fred und kein anderer,« behauptete Ralph energisch. »Saht Ihr übrigens nicht, wie er uns winkte?«

Die übrigen mußten das zugeben.

»Ja, was soll das aber bedeuten? Sollte Fred in der letzten Minute noch ein Unglück zugestoßen sein?«

»Das wäre nicht so unmöglich,« nahm Hoffmann das Wort. »Die Prärie ist zwar trocken, weil sie den Strahlen der Sonne direkt ausgesetzt ist, aber vielleicht ist der Boden des Waldes noch sumpfig, und leicht könnte dann ein Reiter so tief einsinken, daß es ihm nicht möglich ist, sich selbst zu befreien.«

Diese Meinung fand Beachtung, man beschloß, den Wald zu untersuchen und nach dem Cow-boy zu forschen. Vielleicht stak er in einem Sumpfe.

Aber warum rief er nicht?

Doch bald zeigte sich, daß sich Hoffmann geirrt hatte. Wohl war der Boden morastig, viel weicher als draußen in der Prärie, aber kein Pferd sank ein, und Löcher gab es im Walde nicht.

Ralph kannte diese Gegend wie seine lederne Hosentasche, versicherte er.

Dennoch sah man den Vermißten nicht, er schien wie verschwunden.

Die Gesellschaft zerstreute sich, um ihn zu suchen.

Da ertönte der Ruf eines Beamten; schnell eilte man auf ihn zu und sah ihn vor einer Leiche halten. Schon wurde allgemein geglaubt, man hätte rätselhafterweise die Leiche des Cow-boy entdeckt, als der zuerst ankommende Hoffmann vom Pferde sprang.

»Snatcher!« rief er in schmerzlichem Tone.

Die Leiche wurde umringt, alle, mit Ausnahme Ralphs und der Beamten, erkannten den Unglücklichen. Er war das erste Opfer der Überschwemmung, welches sie auf ihrem Ritte trafen.

»Er ist ertrunken, nachdem er von meinem Wagen fortgespült worden war. Ich dachte es mir, es konnte nicht anders sein. Krank, wie er war, hatte er nicht mehr die Kraft, sich auf einen Baum zu retten, konnte sich vielleicht nicht einmal mehr über Wasser halten, und gelang es ihm doch, einen Baum zu erreichen, so hat der vom Fieber Geplagte bald seinen Halt verloren, ist ins Wasser gestürzt und ertrunken.«

Hoffmann hatte schon erzählt, wie er Snatcher verloren – jetzt standen sie vor seiner Leiche.

»Wollen wir ihn mitnehmen?« wurde die Frage laut.

Man beriet, was zu tun sei. Ein Grab hier auszuheben, war nicht möglich, das von dem Messer ausgeworfene Erdloch füllte sich sofort mit Wasser, und keiner wollte den Leichnam vor sich aufs Pferd nehmen, ohne Decke. Keiner der Herren bot sich freiwillig dazu an, jeder hatte einen anderen Rat, und Ralph konnte man den Transport nicht zumuten.

Dieser erklärte, er wolle bei dem Leichnam zurückbleiben, die Herren sollten dann Leute mit einer Bahre senden, oder aber er wolle den weitern Weg zu Fuß zurücklegen, er stelle sein Pferd zum Transport des Ertrunkenen zur Verfügung.

Dieser Vorschlag wurde angenommen; Ralph sprang ab und legte hilfsbereit mit Hand an, den Leichnam auf sein Pferd zu heben, wo er mit Lassos festgeschnallt werden sollte.

Der Körper war von Raubtieren noch unberührt gelassen, nicht einmal die Raubvögel, welche nicht nötig gehabt, vor der Ueberschwemmung zu fliehen, hatten ihn gefunden, wahrscheinlich weil auf der freien Prärie genug Aas für sie vorhanden war. Dagegen zeigte die rechte Hand Snatchers Spuren, als wäre sie von einem harten Instrument empfindlich getroffen worden. Hoffmann erklärte nach kurzer Untersuchung, der Mittelfinger sei sogar zerschmettert.

Wie dies geschehen, war ein Rätsel, alles Nachsinnen führte zu keinem Resultat.

Schon sollte der Tote auf den Rücken des Pferdes gehoben werden, als sich ein Reiter durch die Umstehenden drängte. Es war Fred, aber sein Aussehen war derart, daß der Leichnam sofort fallen gelassen wurde.

Freds Gesicht war aschfahl, die Augen spähten scheu umher, und die die Zügel haltenden Hände zitterten. Beim Anblick des Toten erschrak er sichtlich, seine Züge nahmen noch mehr den Ausdruck des Entsetzens an.

»Fred, was ist los?« redete Ellen ihn an.

»Miß Petersen,« wandte er sich sofort an seine Herrin, seine Stimme bebte merklich, »mir ist etwas passiert, Herrgott, mir zittern alle Glieder – so etwas Entsetzliches ...«

Sein erschrockenes Aussehen steckte fast die Gesellschaft an, es mußte dem Manne wirklich etwas Furchtbares begegnet sein, und die Leiche hatte sowieso ein grausiges Gefühl erweckt, besonders bei den Damen.

»Was ist es denn? Sprich doch, Fred!«

»Furchtbar – Miß, die Rinder sind gerettet, fehlen bloß ein paar hundert Stück, alle übrigen sind auf Delrocks – oder die Cow-boys sind mit ihnen schon unterwegs.«

»Gott sei Dank – aber hat denn das deine Furchtsamkeit so erregt? Das ist doch eine fröhliche Nachricht.«

Bei einigen wurde die Lachlust rege, doch es schien, als sei Fred seiner Geisteskräfte nicht mehr ganz mächtig, er brachte alles durcheinander hervor.

»Ja, ja, ein Gespenst – schrecklich anzusehen – mußte Euch erst melden – wegen der Rinder – denn das Gespenst – habe nie zuvor so eins gesehen –«

Ellen wußte, daß die Cow-boys, wie alle verwilderten Menschen, sehr abergläubisch sind; etwas, was über ihre Fassungskraft geht, jagt ihnen oft das namenloseste Entsetzen ein.

»Ein Gespenst? Wo?« fragte Ellen weiter.

»Auf dem Baume – habe die Rinder...«

»Laß die Rinder jetzt aus dem Spiele, sie sind gerettet, ich weiß es nun. Auf welchem Baume?«

»Wo das Gespenst saß.«

»In diesem Walde?«

»Ja, ja.«

»Es wird ein angeschwemmter Leichnam sein,« meinte Williams.

»Kein Leichnam, ein Gespenst,« behauptete Fred, dessen Züge sich wieder zu glätten begannen.

»Es lebte?«

»So wie ich. Es kletterte von Baum zu Baum, glotzte mich an und drohte mir mit der Faust.«

»Du hast geträumt, Fred.«

»Träume ich denn jetzt etwa? Vor kaum fünf Minuten habe ich es gesehen.«

»Und wo hast du bis jetzt gesteckt?«

»Mit aufgerissenem Munde habe ich dagestanden, unfähig, mich zu bewegen.«

»Hat das Gespenst gesprochen?«

»Ja, habe aber nichts verstehen können. Es machte eine Faust und drohte mir, während es immer wie ein Eichhörnchen von Ast zu Ast sprang.

Die Zuhörer sahen sich an.

»Aber so lassen Sie uns das Wunder doch selbst ansehen,« sagte jetzt Hoffmann. »Fred, wo steht der Baum?«

»Ich werde Euch führen.«

Man folgte dem Cow-boy, welcher sich ängstlich zurückhielt, und auch unseren Freunden war es unheimlich zumute.

»Nicht so viele, nicht so viele,« gellte plötzlich eine Stimme durch den Wald. »Ich weiß es jetzt ganz genau, nur sieben habe ich ermordet. Ihr seid zu viele, ich kenne euch nicht. Verflucht, willst du fort!«

»Da ist es,« flüsterte Fred, nach einem alleinstehenden Baume deutend.

Wahrhaftig, er hatte recht gehabt. Dort oben kletterte ein Mann von Ast zu Ast, bald nach oben, bald nach unten, hin- und herspringend oder rutschend. Er sah sich beständig um, als würde er verfolgt, das verzerrte Gesicht blickte angsterfüllt nach unten, dann begann das Springen wieder. Dabei schwatzte er unaufhörlich, bald leise, bald laut, bald schreiend.

»Ja, ich habe Nikkerson ermordet,« rief er wieder, »ich gestehe es, aber verfolge mich nicht mehr, ich kann nicht mehr, ich falle ins Wasser. Sieben – sieben sind es nur – nicht so viele – was wollt ihr von mir, heh – verfluchter Snatcher, laß mich los, du erwürgst mich!«

Eilends kletterte die Gestalt einen Ast höher. Schrecklich sah sie aus; die Kleider hingen in Fetzen um den skelettartigen Körper, es mußte ein mexikanischer Anzug gewesen sein – zu erkennen war er nicht mehr – das Haar hing wirr um das eingefallene Gesicht, die Augen traten fast aus den Höhlen, der Bart, weiß wie das Kopfhaar, war gleichfalls zerzaust.

Wer mochte es sein? Wie lange kletterte er schon auf dem Baume? Niemand kannte ihn.

Da fiel Ellens Auge auf die linke Hand, welche einen Ast umklammert hielt, der kleine Finger fehlte, am Zeigefinger glänzte ein Diamantring.

»Mein Gott,« schrie sie plötzlich auf, den Mann erkennend, »es ist James Flexan!«

»Das ist nicht wahr,« kreischte der Unglückliche ihr zu, »ich heiße nicht James Flexan, ich heiße Jonathan Hemmings. Ja, ja, lacht nur da unten im Wasser, ich bin Jonathan Hemmings, den sie so sehr gesucht haben. Hahaha, sie konnten mich nicht finden. Ich habe Nikkerson ermordet, nicht Snatcher, ich habe ihm das Messer aus der Schublade gestohlen, dort unten liegt es noch. Seht ihr, wie es im Wasser glitzert? Verflucht, willst du mich noch immer verfolgen?«

»Ich heiße nicht James Flexan,« kreischte der Unglückliche, »ich heiße Jonathan Hemmings!«

Er sprang auf einen anderen Ast, blickte, sich wild um und glotzte dann wieder auf Ellen herunter, welche erschüttert Harrlington umschlungen hielt.

»James Flexan – mein Stiefvater,« wiederholte sie.

»Ein Wahnsinniger,« fügte Harrlington hinzu, »gestern sahen wir ihn noch als kräftigen Mann, heute ein wahnsinniges Skelett – das ist Gottes Gericht.«

»Ellen, Ellen, ich hasse dich,« gellte es vom Baum herunter, »wärest du nicht im Wasser, ich würde dich erwürgen, wie ich Nikkerson und noch sechs andere getötet habe. Hah, bist du schon wieder da, verdammter Snatcher!«

Wieder ein Satz nach einem anderen Ast.

»Er glaubt sich verfolgt.«

»Ja, von Snatcher.«

»Wie lange mag er schon auf dem Baume sein?« flüsterte Ellen geistesabwesend.

»Etwa vierundzwanzig Stunden.«

»Nicht möglich.«

»Doch, wir sahen ihn noch gestern.«

»Er ist ja aber zum Skelett abgemagert.«

»Die Todesangst, der Wahnsinn haben diese schnelle Veränderung bewirkt.«

Sie umstanden den Baum, hielten sich aber noch in gehöriger Entfernung. Grausen schreckte sie zurück; leicht hätte sich der Wahnsinnige auch auf einen unter ihnen werfen und ihn erwürgen können.

Er schwatzte unaufhörlich weiter, dabei seine Sprünge fortsetzend. Aus seinen Reden vernahm man bald, daß er die Prärie noch unter Wasser, sich selbst von Snatcher verfolgt glaubte. Man vernahm sein Schicksal, wie er Snatcher auf dem Baume getroffen, wie er ihn ins Wasser geschleudert, wie er ihm die Hand mit dem Revolverkolben zerschmettert habe, und wie er nun das Gespenst Snatchers hinter sich zu haben wähnte.

Daß er Nikkersons Mörder war, wußte man schon aus Snatchers früheren Aussagen, Flexan sollte dies selbst gestehen, so war es die Absicht Ellens gewesen. Es war nicht mehr möglich, ihn dazu zu zwingen, auch gar nicht mehr nötig, denn er selbst gab sich als Mörder Nikkersons und noch sechs anderer Personen an.

Dieses Schwatzen und Springen war entsetzlich.

»Wir müssen dem Spiele ein Ende machen,« sagte Ellen, »er muß vom Baum herunter.«

Hoffmann näherte sich dem Stamme.

»Es wird vergeblich sein,« sagte er dabei, bückte sich dann und hob ein Messer auf. »Er hat es verloren, Snatcher besaß kein solches.«

»Es ist Snatchers Messer,« rief der Wahnsinnige sofort, »ich habe es ihm gestohlen und damit Nikkerson ermordet. Hahaha, war das nicht schlau von mir ausgesonnen?«

»Bemüht Euch nicht, Senor,« rief Ralph dem Weitergehenden zu. »So ist die Sache einfacher.«

Gleichzeitig sauste ein Lasso durch die Luft, die Schlinge legte sich um den Wahnsinnigen und schnürte dessen Arme an dem Körper fest.

»Nicht ziehen,« befahl Ellen, von Mitleid erfaßt.

Der Anblick, der sich ihnen jetzt bot, war noch entsetzlicher, als alle früheren.

Flexan glaubte sich wahrscheinlich von dem erwähnten Gespenst gefaßt, wild kreischte er auf. »Laß mich los!« heulte er. »Ich gestehe, ich gestehe, ich gebe dir Gold, Gold, Gold – laß mich los!«

Er verlor den Halt, stürzte vom Ast und wurde von Hoffmann aufgefangen. Dieser legte einen Bewußtlosen zu Boden.

»Es ist vorbei mit ihm, er stirbt.«

Es war so. Die Nacht auf dem Baume, der Wahnsinn hatte die Lebensgeister Flexans auf einmal völlig aufgelöst, er machte noch einige krampfhafte Bewegungen, öffnete den Mund, schloß die Augen und tat den letzten Seufzer.

»Besser so für ihn,« murmelte Hoffmann erschüttert.

Der Leichnam wurde neben den Snatchers gelegt.

Da lagen die beiden. Der eine unschuldig, der andere ein Mörder, und doch hatte der Unschuldige viele, viele lange Jahre für den Schuldigen gebüßt, und schließlich war er auch noch von ihm ermordet worden.

Niemand konnte sich eines Schauers erwehren, niemand für den eben Gestorbenen beten, Gott war mit ihm ins Gericht gegangen, er hatte den Elenden in seinen letzten Stunden furchtbar büßen lassen. Was mochte Flexan zuletzt im Wahne durchgemacht, wie mochten ihn die Geister seiner Opfer noch gefoltert haben!

Ralph erklärte sich bereit, bei den beiden Leichen zu bleiben, bis man sie abholen würde, das heißt, fügte er hinzu, wenn man ihn nicht gar zu lange warten ließe, und im Falle, daß das Haus weggespült worden wäre und alle Diener den Tod in den Fluten gefunden hätten, stände dies zur erwarten.

Ellen versicherte, daß sie ihn in keinem Falle vergeblich hier harren lassen, sondern ihm baldigst Nachricht schicken würde.

Ralph erbat sich einen Beutel mit Tabak, stopfte seine Pfeife und schaute rauchend, an einen Baum gelehnt, den Davonreitenden nach.

Denjenigen, welche zur Zeit der Ueberschwemmung nicht auf der Hazienda gewesen waren, also Ellen, Harrlington und Hoffmann, war schon mitgeteilt worden, wie schwer den übrigen die Flucht geworden wäre, weil die Diener und Neger sich ebenfalls der Pferde bemächtigen wollten.

Ellen meinte, das hätte nichts zu bedeuten. Angesichts des Todes müßte jeder zuerst an sich oder an den denken, den er liebe, das sehe jeder ein, also auch die Diener. Wären sie noch am Leben, so würden sie ihnen sicherlich keinen unfreundlichen Empfang bereiten. Man beklagte die Toten und freute sich, daß man selbst noch lebe.

»Miß Petersen, Mister Hoffmann, ich bitte um ein Wort,« sagte Williams zu den beiden eben Genannten und galoppierte eine Strecke voraus, damit andeutend, daß er die beiden Gerufenen allein sprechen wollte.

Williams' sonst so fröhliches Gesicht sah sehr ernst aus, als er zwischen den beiden ritt.

»Nun, Sir Williams, was veranlaßt Sie, uns heimlich sprechen zu wollen, da wir doch keine Heimlichkeiten voreinander zu haben brauchen?« fragte Ellen lächelnd. »Oder handelt es sich vielleicht wieder ...«

»Sie irren, wenn Sie glauben, ich brütete über einen Streich,« fiel ihr Williams ernst ins Wort. »Es ist jetzt wahrlich keine Zeit dazu, Streiche anzuführen. Etwas anderes veranlaßt mich, Sie und Mister Hoffmann zu sprechen.«

Williams Gesicht wurde ernst, ja fast finster.

»Sie erschrecken mich, was ist es?«

»Ihnen ist die Flucht aus der Hazienda bereits ausführlich erzählt worden, der Kampf, welcher um die Pferde stattfand, und so weiter.«

»Es ist mir alles bekannt, und ich habe schon erklärt, daß die Sache nichts auf sich hat.«

»Alles ist Ihnen doch nicht bekannt.«

»Was ist das?«

»Miß Thomson, Miß Lind und ich waren die letzten, welche die Hazienda verließen, und wozu wir oder vielmehr ich getrieben wurde, um uns die Passage freizumachen, ist den Vorausreitenden unbekannt geblieben, wir drei haben bis jetzt darüber geschwiegen.«

»Sie irren, Sir Williams,« wandte sich Hoffmann freundlich an diesen, »meine Braut hat mir erzählt, was Sie zu tun gezwungen waren, ich betone: gezwungen, und dieser Ihrer Tat verdanke ich einzig und allein, daß ich Johanna noch meine Braut nennen darf.«

»Aber was für eine Tat ist denn das nur? Sie machen mich ganz neugierig,« rief Ellen.

»Ich habe einen Diener niedergeschossen, welcher sich in die Zügel des Pferdes der zögernden Miß Lind gehängt hatte,« entgegnete Charles düster.

Diese Nachricht schien Ellen unangenehm zu sein, eine kleine Pause trat ein.

»Tot?« fragte sie dann.

»Durch den Kopf.«

»Konnten Sie ihn nicht niederschlagen?«

»Nein,« entgegnete Charles fest, »es war ein großer, starker Kerl. Nicht jeder hat eine Riesenkraft wie Lord Hastings, und dann, Miß Petersen, bedenken Sie unsere Situation, das Leben hing von einer Sekunde ab.«

»Ich mache Ihnen auch gar keine Vorwürfe, durchaus nicht. Ich selbst hätte nicht anders handeln können. War es ein Weißer oder ein Neger?«

»Ein Neger.«

»Es ist schlimm, aber nicht zu ändern. Bei dem Versuche, sein Leben zu retten, hat der Mann eben sein Leben lassen müssen. Sir Williams, machen Sie sich keine Vorwürfe.«

»Ich bin derselben Ansicht,« erklärte Hoffmann, »und außerdem, Sir Williams, ich danke Ihnen, zugleich im Namen Miß Linds, für Ihre energische Hilfe. Tod und Leben hing von Ihrer Handlungsweise ab. Ich bin der Ihre, zählen Sie auf meinen Gegendienst.«

»Hoffentlich habe ich nicht nötig, ihn in Anspruch zu nehmen,« seufzte Williams. »Uebrigens mache ich Ihnen nicht das Geständnis, um mein Gewissen zu erleichtern, sondern nur, um zu fragen, ob meine Gewalttat wohl böses Blut gestiftet hat. Sie beide wissen die hiesige Bevölkerung am besten zu beurteilen.«

Ellen zuckte leicht die Achseln.

»Wie gesagt, die Sache kann nicht mehr geändert werden. Fürchten Sie eine Rache?«

Williams richtete sich höher im Sattel empor.

»Fürchten, nein! Ich kann meine Tat verantworten. Aber Miß Thomsons, meiner Braut wegen, wünsche ich jede neue Zwistigkeit zu vermeiden. Mein Leben gehört nicht mehr mir, auch sie hat Anspruch auf mich.«

»Was würden Sie tun, wenn zu befürchten stände, die Verwandten des von Ihnen erschossenen Negers könnten Blutrache ausüben?«

»Ich würde mich noch außer Gesichtsweite der Plantage verabschieden, die Gesellschaft verlassen, natürlich meine Braut mit mir nehmen und mich nach der nächsten Stadt begeben.«

»Und wohin von dort aus?«

»Nach dem nächsten Hafen.«

»Und dann?«

»Direkt nach England.«

»Und dann?«

»Miß Thomson meinem Vater vorstellen, ihn um seinen Segen bitten, den ich vorläufig erst schriftlich habe.«

Williams hatte fröhlich gesprochen, er war wieder der Alte geworden.

»Sie werden begreifen,« fuhr er fort, »daß ich nicht erst nach Ihrer Plantage zurückkehrte, wenn ich wüßte, meine Pläne würden durch einen neuen Unfall zerstört. Sie sprachen vorhin von Blutrache, dieser möchte ich natürlich aus dem Wege gehen.«

»Ich setzte vorhin nur den Fall,« entgegnete Ellen. »Nein, nein, seien Sie unbesorgt, Sir, so tragisch nehmen die Neger den Tod ihres Kameraden nicht. Die hiesigen Schwarzen sind ein stumpfsinniges Volk.«

Hoffmann stimmte dem bei, auch er glaubte an keine nachteiligen Folgen von Williams' Tat.

»Doch wollen wir vorsichtig sein,« sagte Ellen wieder. »Ich werde mich im geheimen erkundigen, wer der Getötete gewesen ist und seine Freunde und Verwandte durch treue Diener beobachten lassen, überhaupt die Neger im Auge behalten. Lassen Sie nur erst die Rinder angekommen sein. Dann werden einige geschlachtet, es gibt ein Fest, und alles ist vergessen.«

»So nehme ich Ihre Einladung an, Miß Petersen, und bleibe auf Ihrer Hazienda, aber höchstens noch einige Tage.«

»Länger bleiben wir alle nicht. Ich muß noch Geschäfte ordnen und einen Verwalter ernennen, dann kehren wir alle nach Mister Hoffmanns Besitzungen zurück, auf welcher die kranken Freunde und Freundinnen unserer warten. Wäre die Ueberschwemmung nicht dazwischengekommen, welche die Telegraphenverbindung zerstört hat, so hätten wir sicher schon wieder eine Depesche von ihnen erhalten. Wolle Gott, wir könnten ein fröhliches Wiedersehen feiern.«

»Und was ist dann die Absicht der Damen und Herren?« fragte Hoffmann.

»Das ist noch unbestimmt. Ich weiß, daß viele der Damen den Wunsch hegen, den Rückweg nach New-York auf der ›Vesta‹ anzutreten.

»Ich habe davon sprechen hören. Ist es möglich, daß sie nach den trüben Erfahrungen ihre Reise noch immer fortsetzen wollen?« rief Charles unwillig.

»Von New-York sind wir abgefahren; bedenken Sie den Triumph, wenn wir nach dreijähriger Abwesenheit das stolze Schiff wieder in den Heimatshafen steuern.«

War Charles Williams auch der Vernünftigste unter allen Herren, er war doch ein Engländer, und als solcher ein Sportsman, und begriff daher den Wunsch der Mädchen.

»Was wird aber Lord Harrlington dazu sagen?« fragte er dann zögernd.

»Er wird meinen Bitten nachgeben. Ich kenne ihn; er liebt mich, ist aber auch stolz, wenn seine Braut die ›Vesta‹ wieder in den Heimatshafen steuert. Und Sie vertrauen uns Johanna an, Mister Hoffmann?«

»Auf keinen Fall,« rief dieser fest. »Johanna hat das Seemannsleben hinter sich. Bald werden Sie Abschied von ihr nehmen müssen, wenn Sie Ihren Vorsatz wirklich ausführen wollen.«

»Sie mißbilligen ihn?«

»Ja,« entgegnete Hoffmann offen und deutete dann nach vorn, »dort taucht ein Haus auf. Ihre Besitzung!«

»Es ist ein vorgeschobenes Gebäude,« rief Ellen; »hat dieses den Fluten standgehalten, so wird auch das Herrenhaus noch stehen. Lassen Sie uns eilen.«

In Galopp sprengte man weiter, die Gebäude mehrten sich, nur wenige hatten Schaden erlitten, und diesen auszubessern waren schon Weiße und Neger beschäftigt.

Wer seine Zuflucht im Herrenhause gesucht, war dem Tode entgangen–unversehrt erhob sich das große, schöne Gebäude, und die Neger waren schon dabei, die Fenz wiederherzustellen und die Zeichen der Zerstörung wegzuräumen.

Die Gesellschaft wurde mit Jubelrufen begrüßt, kein böses oder unwilliges Gesicht war zu sehen, die Neger drückten in kindlichem Frohsinn ihre Freude, die Herren und Damen wiederzusehen, so natürlich und herzlich aus, daß man als sicher annehmen konnte, Williams' Befürchtungen seien unnötig gewesen.


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