Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

11.

Der Liebe Feuerprobe.

In der Bibel ist oft von einem Gotte Moloch die Rede, welchem Menschen, besonders Kinder, geopfert werden, und da Moses Götzenopfer immer und immer wieder verbietet und mit den härtesten Strafen, mit den furchtbarsten Flüchen belegt, so müssen solche damals recht verbreitet gewesen sein.

Wunderbar ist es, auf was für Gedanken die Menschen kommen, wollen sie eine erzürnte Gottheit versöhnen. Die eigenen Kinder haben sie schon verbrannt, um sich den Himmel günstig zu stimmen.

Der Moloch war ein Gott der an den Grenzen Palästinas wohnenden Heiden. Sein Standbild glich einem riesigen Ungeheuer, war aus Bronze gefertigt, inwendig hohl und konnte von unten geheizt werden.

Die liebenden Eltern legten nun ihr Kind auf die Arme dieser Gestalt, Priester machten Feuer darunter, und je mehr das langsam röstende Opfer schrie, desto gnädiger schaute Moloch auf die Eltern herab, und desto günstiger wurde er für ihre Bitten gestimmt.

»Du sollst deinen Samen nicht dem Moloch opfern,« sagt Moses wohl hundertmal, aber nicht etwa zu den Heiden, sondern zu seinen Juden, ein Zeichen, daß das von Gott auserwählte Volk auch ganz gern einmal auf solche Weise Menschenopfer brachte.

Wenn ein Gott nur auf die bloße Bitte hin alles schenkt, wie freigebig muß dann erst ein anderer Gott sein, dem zu Ehren man das liebste, was man hat, opfert?

Die Azteken brachten ihren Göttern ähnliche Opfer dar, nur daß man die Gerösteten nicht nur schreien hörte, sondern sie auch in ihren Qualen sich winden sehen konnte.

Sie benutzten keine Backöfen, sondern die Opfer wurden einfach auf Platten gelegt, Feuer unter diesen gemacht und die Unglücklichen dem langsamen Verbrennungstode überliefert.

Der Feuertod auf dem Scheiterhaufen ist gegen diese Marter noch Barmherzigkeit zu nennen, denn offenes Feuer läßt den Gemarterten oft nur wenige Minuten leben. Hitze und Rauch lassen ihn ersticken. Das Blech des Bratherdes dagegen erwärmt sich allmählich, der Gefolterte kann atmen; doch es wird immer heißer, er kann nicht mehr auf der einen Seite liegen, die Luft ist kühl, er dreht sich also herum, doch die andere Seite kommt nur auf um so heißeres Eisen zu liegen.

Dieser Röstofen war eine teuflische Erfindung der aztekischen Priester, aber sie hatten sich mit ihm die eigene Grube gegraben.

Als die goldgierigen, spanischen Soldaten in das Land der Azteken kamen und die ehemals so reichen Tempel nach Gold und Silbersachen durchsuchten, da forderten sie zuerst von den Priestern die heiligen Gefäße. Diese weigerten sich, und so wurde ihnen das Geheimnis der Verstecke auf den Röstherden ausgepreßt.

Die Priester wanden sich in Zuckungen auf denselben Marterinstrumenten, auf denen sie oft Kriegsgefangene zu Ehren Huitzilopochtlis zu Tode gesengt hatten.

Im tiefsten Keller der Ruine stand in einem kleinen Gewölbe solch ein Röstofen, und vier Indianer trafen Vorbereitungen, ihn wieder einmal in Tätigkeit zu setzen, nachdem er Jahrhunderte lang unbenutzt gestanden hatte.

In die Wand gesteckte Pechfackeln leuchteten zu der unheimlichen Arbeit, wie sie Holz unter dem Ofen aufschichteten, dasselbe mit Pech begossen, damit es heller brennen sollte, und noch mehr Holzscheite aufstapelten.

Die Fackeln beleuchteten auch noch zwei andere Gestalten, einen Mann und ein Weib.

Der Mann war Lord Harrlington; er stand oder lehnte vielmehr, an Händen und Füßen gebunden, an der Wand und ließ seine Augen bald auf den arbeitenden Indianern haften, welche anscheinend Anstalten zu seinem Foltertod trafen, bald richtete er sie entschlossen, ohne Zeichen von Angst, auf das vor ihm stehende Weib – Miß Morgan, die zu ihm sprach.

»James, hörst du?« fragte sie jetzt.

»Ich höre.«

»So sprich ein Wort der Liebe zu mir, und du bist frei.«

»Ich hasse dich.«

»Dann stirbst du!«

»Ich weiß es, mir ist schon gesagt worden, daß ich heute nacht sterben soll.«

»Du stirbst eines entsetzlichen Todes.«

»Mir wird das Herz lebendig aus der Brust geschnitten, ich weiß es. Röste mich meinethalben auch auf dem glühenden Ofen, der Schmerz kann auch nicht schlimmer sein.«

»Du meinst, diese Marter hier, welche ich vorbereiten lasse, sei für dich bestimmt?«

»Für wen sonst?«

Sarah lachte höhnisch auf.

»Ellen soll hier vor deinen Augen sterben.«

»Teufelin!« knirschte Harrlington.

»Nun, was sagst du dazu?«

»Ich verfluche dich!«

»Ellen stirbt deinetwegen.«

»Ich bin unschuldig daran.«

»Durchaus nicht! Versprich mir auf dein Ehrenwort – ich weiß, du brichst es nie – daß du mein sein willst, und Ellen ist frei.«

»Ich gehöre Ellen allein. Stirbt sie, so muß auch ich sterben.«

»Nein, liebst du mich nicht, so stirbt sie; es ist also deine Schuld, wenn sie gemartert wird.«

»Weib, mache mich nicht wahnsinnig!« stöhnte Harrlington.

»Gehöre mir, fliehe mit mir!« fuhr Sarah unerbittlich fort, »und bei dem Heiligsten, was ich habe, bei meiner grenzenlosen Liebe zu dir, schwöre ich, Ellen soll frei sein, sie kann hingehen, wohin sie will, und kein Haar soll ihr gekrümmt werden. James, gehe ein auf die Bedingungen, es kostet dich nur ein Wort!«

»Nimmermehr! Auch Ellen wird tausendmal lieber sterben, als mich treulos sehen.«

»Ich werde es einmal versuchen,« lachte das Weib.

Sie winkte; zwei Indianer verließen das Gewölbe und kehrten gleich darauf mit Ellen zurück.

Dieselbe war nur an den Händen gebunden, die Füße waren frei, und ohne die Umgebung, ohne Miß Morgan zu beachten, flog sie mit einem Freudenschrei auf Harrlington zu, lehnte sich an dessen Brust und bedeckte sein Antlitz mit Küssen.

Wie hatte sie diese Gelegenheit ersehnt! Obgleich gefangen, wähnte sie sich doch im Paradies.

»James,« schluchzte sie freudetrunken.

Da stieß eine harte Hand sie zurück. Miß Morgan stellte sich wie schützend vor Harrlington, die Nebenbuhlerin mit wütenden Blicken betrachtend.

»Er gehört mir,« schrie sie.

Ellen bemerkte erst jetzt die Feindin; erschrocken taumelte sie zurück. Auf ein Wort Sarahs wurde sie ergriffen, die Füße wurden ihr gebunden und sie dann ebenfalls gegen die Wand gelehnt.

»Glaube ihr nicht, Ellen, ich hasse dieses Weib!«

Wie eine Himmelsbotschaft klangen diese Worte an Ellens Ohren, während die Indianer ihr Fesseln anlegten.

Jetzt trat Miß Morgan vor sie hin und deutete auf den Feuerherd.

»Weißt du, was das ist?«

Ellen blickte sie geistesabwesend an, die Besinnung drohte ihr zu schwinden, sie war fassungslos, sonst hätte sie ihrer Feindin wohl nicht mehr Rede gestanden.

»Nein.«

»Auf diesem Herde sollst du zu Tode geröstet werden.«

Jetzt begriff Ellen mit einem Male alles; wie Schuppen fiel es ihr von den Augen.

»James!« schrie sie entsetzt.

»Ich sterbe mit dir,« tröstete Harrlington.

»Tröstet dich das, wie?« fragte wieder Miß Morgan höhnisch die Unglückliche. »Sieh, dein Hochzeitsbett wird schon bereitet, die Indianer sorgen, daß es hübsch warm ist. Was meinst du, willst du lieber langsam darauf verbrennen, oder willst du jedes Anrecht auf Harrlington aufgeben? Sprich schnell, ich habe keine Zeit mehr zu verlieren!«

Da richtete sich Ellen plötzlich hoch auf und blickte das Weib mit unsagbarer Verachtung an.

»Ah so, nun verstehe ich dich erst,« sagte sie langsam. »Also du glaubst, durch Folterqualen könntest du mich dazu zwingen, James zu verkaufen? Nimmermehr, tue mit mir, was du willst, aber dein Ziel wirst du niemals erreichen.«

»Wir werden sehen, was du auf dem rotglühenden Blech sagst, und ob du dann nicht deine Meinung änderst,« spottete Sarah.

Der Lord stöhnte tief auf und schloß die Augen, als könne er, wenn er es nicht sähe, das Schicksal Ellens mildern.

»Nun, beharrst du noch bei deinem Entschlusse?«

»Ich tu's.«

»Auf den Ofen mit dem Weibe! Zündet das Holz an!« rief Sarah mit starker Stimme.

Harrlington schrie laut auf, Ellen wurde von drei Indianern gepackt, emporgehoben und auf die Eisenplatte gelegt, während ein anderer schon die Fackel von der Wand nahm.

»Erbarmen!« schrie Harrlington.

»Erbarmen? Für wen?«

»Für Ellen!«

»Hahaha, Erbarmen für diese! Seit Jahren ertrage ich Tag und Nacht Feuerqualen im Herzen, mag sie es nun auch einmal probieren, wie das schmerzt!«

»Um deiner Seligkeit willen, habe Erbarmen,« flehte Harrlington weiter, welcher sah, wie die Fackel schon das Holz berührte, daß es zu knistern begann.

»Hattest du mit mir solches?«

Die Flamme züngelte empor.

»Löscht das Feuer aus,« schrie Harrlington in höchstem Schmerz, »ich – will – alles – tun.«

»Was willst du tun?« fragte Sarah lauernd, dem beim Feuer stehenden Indianer winkend, ihrer Befehle zu achten. »Hast du dir's überlegt, willst du nachgeben?«

Doch Ellen selbst forderte den Geliebten zur Standhaftigkeit auf – allerdings fühlte sie die Hitze des Feuers noch nicht.

»Gib nicht nach, James,« rief sie von der Platte herunter dem Gefangenen zu, »ich ertrage gern die größten Qualen, nur gib diesem Weibe nicht nach! Was gilt mir das Leben ohne dich?«

Stöhnend schloß Harrlington die Augen.

»Mehr Holz nach, schürt die Flammen« befahl Sarah den Indianern und trat dann zu Harrlington.

»Siehst du, wie sie sich schon zu winden beginnt?« raunte sie ihm ins Ohr. »So habe ich mich Tag und Nacht gequält; wie Feuer brannte es mir im Herzen, wie siedendes Blei rollte es durch meine Adern, und daran warst du schuld, Grausamer, du erwidertest meine Liebe nicht, und deshalb mußte ich bei lebendigem Leibe verbrennen. Hörst du sie schon seufzen, James? Die Hitze beginnt zu wirken. Schlage die Augen doch auf, James, besieh dir dein Opfer. O James, liebe mich, und du sollst Ellen den Ofen verlassen sehen.«

»O, James, liebe mich,« beschwor ihn Miß Morgan, »und du sollst Ellen den Ofen verlassen sehen.«

»Jetzt sofort?«

»Sofort, aber du darfst Ellen nie wiedersehen. Meine Liebe wird dich trösten.«

Wieder stöhnte Harrlington laut auf, doch er öffnete die Augen nicht.

Ellen konnte übrigens die Wärme noch vertragen, ihre Kleider schützten sie auch vorläufig noch vor der unmittelbaren Berührung mit dem Metall.

Ein Schauer durchrieselte Ellens Körper, aber dennoch rief sie laut, ja, fast fröhlich:

»Sei standhaft, James, mir ist der Tod süß, wenn ich mich von dir geliebt weiß!«

»Ellen!«

»Traure nicht um mich! Davids starb für mich, er sagte, die Todesstunde sei seine schönste gewesen, und so sage auch ich jetzt. Glaube dem Weibe nicht, höre nicht auf die Teufelin. Ich habe keine Schmerzen.«

»O, sie werden schon noch kommen!« höhnte Miß Morgan. »Wenn die Kleider erst zu glimmen anfangen, wenn die Haut da, wo sie die Platte berührt, Blasen zieht, dann wirst du dich wie ein Wurm auf dem glühenden Blech krümmen, dann ...«

»Höre auf,« flehte Harrlington.

»Sage ein Wort, und Ellen ist frei.«

»Bleibe standhaft, James; liebe mich und verachte das Weib,« klang es von der Platte herab.

Die Indianer warfen Holz nach, die Flamme schlug höher, und die Platte wurde heißer.

Da stieß Ellen den ersten, gellenden Schrei aus, ihre Hand hatte eine heiße Stelle berührt und eine Brandwunde erhalten. Dieser Schrei des Schmerzes war zu viel für Harrlington, seine Kraft war gebrochen, er konnte Ellen nicht leiden sehen.

»Halte ein, halte ein,« schrie er wie ein Wahnsinniger, »nimm sie herab! Ja, Sarah, so schwöre ich dir denn beim allmächtigen Gott, ich will ...«

Er konnte nicht vollenden.

Plötzlich sprang die Wand auf, und herein trat ein einzelner, junger Indianer. Mit einem Blick seiner leuchtenden Augen hatte er die ganze Situation erfaßt, mit einem Sprunge stand er neben dem Ofen, hielt Ellen in seinen Armen und ließ sie zu Boden gleiten.

Ohnmächtig brach sie zusammen.

»Ich danke dir, Gott, du hast mein Gebet erhört,« stammelte Harrlington.

Miß Morgan stand sprachlos da, sie kannte diesen Indianer nicht, sie hatte ihn noch nie gesehen. Wie konnte er es wagen, so eigenmächtig hier aufzutreten, wo sie das Recht zu befehlen hatte? Diese Gefangenen waren ihr von Arahuaskar überlassen worden.

Doch die vier Indianer schienen den Eingetretenen zu kennen; scheu zogen sie sich von dem Ofen zurück und drückten sich an die Wand – sie mußten kein reines Gewissen haben.

Der junge Indianer ließ seine strahlenden Augen von Miß Morgan auf Harrlington gleiten und heftete sie dann auf eine der vier Rothäute.

»Was soll hier geschehen?« fragte seine klare, feste Stimme. »Wer hat den Befehl gegeben, das Feuer Huitzilopochtlis zu schüren? Arahuaskar? Sprich, Büffelauge!«

Der angeredete Indianer, dessen großes, hervorquellendes Auge ihm den Namen eingebracht haben mochte, deutete stumm auf Sarah.

Der junge Krieger wendete sich an diese.

»Du?« fragte er erstaunt.

Jetzt kam Leben in das Weib, es fand seine Selbstbeherrschung wieder. Dieser Indianer war jedenfalls ein Häuptling oder der Sohn eines solchen, jener Gäste, welche die Ruine beherbergte, und deshalb nur hatten diese Männer Respekt vor ihm.

Nun, mit dem wollte sie fertig werden. Sie trat einen Schritt auf ihn zu.

»Und mit welchem Rechte trittst du in dieses Gemach und störst mich in meinem Treiben?« fragte sie scharf.

»Mir gehört dieser Raum, ich habe hier zu befehlen und niemand anders.«

Diese Antwort war in einem so selbstbewußten Tone gegeben, daß Sarah bestürzt wurde.

Wer mochte das sein?

»Du?« entgegnete sie spöttisch. »Wer bist du denn?«

»Sonnenstrahl.«

Jetzt erschrak Sarah wirklich. Sie hatte den jungen Indianer noch nie gesehen, sondern nur von ihm sprechen hören, und sie hatte sich deshalb ein Bild von ihm gemacht, als wäre er noch ein halbes Kind, zutraulich, weich und lenksam wie ein Lamm.

Nun sah sie einen erwachsenen, starken und unbeugsamen Mann mit flammenden Augen vor sich stehen.

Außerdem wußte Sarah aber auch, daß es Sonnenstrahl streng verboten worden war, sich irgendwo sehen zu lassen, ebenso wie Waldblüte; sie durften ihr Gemach, in welchem sie sich zur Priesterweihe vorbereiten sollten, nur verlassen, wenn Arahuaskar sie rief, weil der alte Mann wegen seines hohen Alters kaum noch gehen konnte.

Sarah sah diesen Befehl übertreten, und daraus schöpfte sie Hoffnung, Sonnenstrahl irrezumachen.

»Du, Sonnenstrahl? Hast du von Arahuaskar nicht den strengen Befehl erhalten, dein Gemach nicht zu verlassen?«

»Was geht das dich an?«

»Sehr viel.«

»So, warum?«

»Weil ich die Freundin Arahuaskars bin. Ich habe Anteil an den Bestrebungen, Huitzilopochtlis Ansehen wiederherzustellen.«

Sonnenstrahl lächelte spöttisch.

»Du bist im Irrtum. Noch einmal, ich bin hier Herr und habe zu befehlen, nicht Arahuaskar.«

»Oho, das wollen wir sehen.«

»Gut, später. Was hast du mit diesen Gefangenen vor?«

»Sie gehören mir!« war Sarahs trotzige Antwort.

»Hast du sie gefangen?«

»Nein.«

»Wer hat sie dir geschenkt?«

»Arahuaskar.«

»Sie gehören nicht ihm, sondern mir. Sie sind Huitzilopochtli als Opfer bestimmt.«

»Aber Arahuaskar hat sie mir geschenkt«

»Arahuaskar hat nichts zu verschenken, nur ich.«

Sarah war klug, sie sah ein, daß sie jetzt nachgeben mußte, denn die Indianer standen natürlich auf der Seite Sonnenstrahls.

»Ich wollte sie auch nur Huitzilopochtli opfern,« entgegnete sie daher.

Ein seltsamer Blick traf sie aus dem Auge Sonnenstrahls.

»Du hast kein Recht an diese Gefangenen, sie gehören mir, und nur ich habe über sie zu verfügen.«

Er ging auf Harrlington zu, zog das Messer und machte Miene, diesem die Fesseln zu durchschneiden.

Da aber sprang Sarah dazwischen.

»Das darfst du nicht,« rief sie heftig.

»Wer wagt, es mir zu verbieten?«

»Ich.«

»Du? In wessen Namen?«

»Im Namen Arahuaskars!«

»Bah.«

»Er wird dir zeigen, daß er dir zu befehlen hat und daß ich seine beste Freundin bin.«

Harrlingtons Fesseln fielen; mit einem Jubelruf stürzte er auf Ellen zu, hob sie vom Boden auf und schloß sie an seine treue Brust. Sarah stand daneben, ihre Augen schillerten wie die einer Schlange.

»Das sollst du büßen!« zischte sie. »Du bist ein Feind der Indianer, du hältst es mit den Weißen!«

»Hüte deine Zunge!« warnte Sonnenstrahl.

»Es ist so, du bist ein Verräter!«

»Genug, ich will dir zeigen, daß ich hier zu befehlen habe,« herrschte er das Weib an.

»Befiehl nur!« höhnte Sarah.

»Du bist meine Gefangene.«

»Haha,« lachte Sarah laut auf, »sehr gut!«

»Bindet sie.«

Ehe noch Sarah wußte, ob der Befehl ernst gemeint war, wurde sie schon von den Indianern umringt und ihr die Hände auf den Rücken gebunden. An Gegenwehr hatte sie gar nicht denken können.

Vor ihr stand Sonnenstrahl mit drohendem Gesicht, hinter ihr ertönten Liebesworte, die Ellen und Harrlington wechselten. Miß Morgan war vor Wut außer sich.

»Das wirst du büßen müssen,« leuchte sie, »eine Freundin Arahuaskars so behandelt zu haben.«

»Du wirst es ihm erzählen?«

»Gewiß,« rief Sarah, in der Hoffnung, Sonnenstrahl empfände jetzt Gewissensbisse.

»Auf den Ofen mit ihr!« klang es kalt. »Du wirst es Arahuaskar nicht sagen können.«

Miß Morgan schrie vor Entsetzen laut auf, vergebens schlug sie mit den Füßen um sich, biß sogar nach den sie packenden Händen, sie wurde emporgehoben und zu dem Ofen getragen.

Die Platte war unterdes rotglühend geworden; schon von weitem fühlte Sarah die intensive, ausstrahlende Hitze, und schon schwebte sie darüber. Die acht Hände brauchten nur loszulassen, und sie wand sich auf der glühenden Platte, bis sie eine schwarze, verkohlte Masse ward.

Die Sprache hatte sie verlassen, Sarah konnte nicht einmal mehr schreien. Mit stieren Augen blickte sie hinunter auf den schrecklichen Ofen.

Doch die Hände hielten sie noch, Sonnenstrahl gab noch nicht den Wink, sie fallen zu lassen.

Da stürzten Harrlington und die von ihm entfesselte Ellen vor.

»Was wollt ihr?« fragte Sonnenstrahl.

»Töte sie nicht! Dieses Ende ist zu entsetzlich,« flehte Harrlington.

»Wenn du ein Herz in der Brust hast, so nimmst du deinen Befehl zurück,« fügte Ellen hinzu.

Sonnenstrahl winkte; die Indianer traten zurück und ließen Sarah zu Boden gleiten.

»Hörst du, deine Feinde bitten für dich! Sie wollen nicht, daß du so enden sollst, wie du es doch ihnen bestimmt hattest.«

Sarah murmelte etwas Unverständliches, der Schreck hatte sie halb tot gemacht.

»Ich hatte gar nicht die Absicht, dich zu töten,« fuhr Sonnenstrahl fort. »Nur zeigen wollte ich dir, daß ich, und kein anderer hier über Leben und Tod zu entscheiden habe. Es ist mir sogar wenig daran gelegen, ob du jetzt zu Arahuaskar gehst und ihm mein Vorhaben dir gegenüber mitteilst oder nicht. Tue es, ich erlaube es dir.«

Dabei durchschnitt er Sarahs Fesseln. Wie ein verwundetes Raubtier sprang sie auf und lief aus dem Gewölbe, ohne sich noch einmal umgesehen zu haben. Erst draußen stieß sie einen heiseren Wutschrei aus.

Verwundert betrachteten Harrlington und Ellen den jungen Indianer. Das war derjenige, von dem sie heute nacht geopfert werden sollten. Sie glaubten nicht mehr daran, neue Hoffnung zog in ihre Herzen ein. Sie kannten ja nun seinen edlen Sinn.

Doch sie schienen sich getäuscht zu haben.

»Ihr seid meine Gefangenen,« wandte sich Sonnenstrahl an sie, »folgt den Indianern, sie bringen euch in eure Zellen zurück!«

Ellen warf sich aus die Knie und umklammerte seine Füße.

»Was ist unser Los? Sage es uns!« bat sie. »Lasse uns nicht länger in der schrecklichsten Ungewißheit!«

Doch Sonnenstrahl zeigte sich durchaus nicht so gnädig, wie die beiden Gefangenen wohl geglaubt hatten; finster schaute er auf Ellen herab.

»Der Tod ist euer aller Los.«

»Warum hast du mich jetzt befreit? Hättest du mich doch lieber sterben lassen!«

»Nicht der Rache dieses Weibes solltest du zum Opfer fallen, Huitzilopochtli wartet auf dein Blut.«

»O, Sonnenstrahl, gedenke des, was du mir versprochen hast, du wolltest mir ein Freund sein!«

»Als Freund schlachte ich dich auf dem Altar, der Gott will es so.«

»Dann nimm dein Messer und stoße es mir ins Herz, aber beende diese Qual!«

»Laß mich los!«

»Ich lasse dich nicht, töte mich und meinen Freund!«

Sonnenstrahl bückte sich, löste mit Gewalt die Hände Ellens und schleuderte sie unsanft von sich. Es hatte einige Zeit gedauert, ehe er sich von ihr befreite.

Ellen erhob sich langsam, strich sich die Haare aus der Stirn und schaute lange in Sonnenstrahls Gesicht, in dem nichts von Mitleid zu lesen war. Dann warf sie sich plötzlich an Harrlingtons Brust, lehnte ihr Antlitz an dessen Wange und schluchzte laut.

Dem Lord wollte das Herz vor Wehmut zergehen, er hatte schon Lust, sich auf den Indianer zu werfen, ihm das Messer zu entreißen und diesen Leiden ein Ende zu machen. Doch was war das? Weinte Ellen oder lachte sie, er konnte es nicht unterscheiden. Doch da schlugen auch Worte an sein Ohr.

»Verstelle dich!« lispelte es deutlich. »Sonnenstrahl hat mir zugeflüstert, er sei unser Freund, er rettet uns, aber nichts merken lassen, James.«

Mehr brauchte Harrlington nicht zu hören. Mit jubelndem Herzen, aber mit weinenden Augen umschlang er Ellen und drückte sie wieder und wieder an die Brust, bis ihn die Indianer aufforderten, ihnen in die Zellen zu folgen.

Sie gehorchten willig, die Kerker hatten ihre Schrecken verloren. Ein sicheres Gefühl sagte ihnen, daß sie in Sonnenstrahl einen aufrichtigen Freund besaßen, doch er mußte seine Rolle weiter spielen, sollten seine Freunde befreit werden.

Noch einen langen, langen Kuß, dann ging Harrlington auf dem Korridor links, Ellen rechts, und die Kerkertüren schlossen sich hinter ihnen.

Die sie begleitenden Indianer hatten nicht gewagt, sie auch nur scheel anzusehen, denn Sonnenstrahl war nicht weit von ihnen, und wie er über die Opfer Huitzilopochtlis dachte, hatten sie soeben gehört; die Gefangenen gehörten ihm, kein Haar durfte ihnen vorher gekrümmt werden, und wehe dem, der hier eigenmächtig handelte – der Röstofen war noch immer glühend, er wartete der Ungehorsamen. –

Als Sonnenstrahl den Teil des Bauwerkes erreichte, von welchem aus sich der Gang nach seinem Gemache abzweigte, sah er in der Ferne das unsichere Leuchten einer Fackel, und er konnte auch drei Gestalten erkennen.

Schon wollte er einen anderen Weg einschlagen, aber gleich darauf umschwebte seine Züge ein flüchtiges, spöttisches Lächeln, und er setzte seinen Weg fort.

Er wußte nämlich, wen er dort treffen sollte, jedenfalls Arahuaskar, den alten Vater und das weiße Mädchen, und man wollte ihn zur Rede setzen. Den ersteren erkannte er schon an dem eigentümlichen Geruche, welcher plötzlich die Kellergewölbe ausfüllte, an jenem ekelhaften Schlangenfett.

Sonnenstrahl wollte ihnen zeigen, wie wenig er sie fürchte, sorglos ging er weiter und traf nicht weit vom Eingange zu seinem Gemach mit ihnen zusammen.

Arahuaskar, jetzt sehr gebückt und schwer am Arme des alten Freundes hängend, blieb stehen und bohrte die Augen fest in die des jungen Indianers, der alte Vater zeigte nichts Außergewöhnliches, er hielt die Fackel, doch Miß Morgan konnte ein triumphierendes, schadenfrohes Lächeln nicht verbergen.

Sie glaubte nicht anders, als jetzt erhielte Sonnenstrahl eine scharfe Rüge erteilt.

Auch Sonnenstrahl mußte stehen bleiben, die drei versperrten vollständig den Gang und schienen ihn nicht vorbeilassen zu wollen.

»Warum bist du nicht in deinem Gemache?« begann Arahuaskar mit leiser Stimme.

»Weil ich es verlassen mußte.«

»Warum? Gab ich dir nicht den Befehl, es nicht zu verlassen?«

Sonnenstrahl war nicht geneigt, hier anders zu sprechen, als vorhin zu Miß Morgan.

»Nicht du gabst mir den Befehl, sondern Huitzilopochtli,« entgegnete er scharf.

»Wohl, Huitzilopochtli sprach durch mich zu dir.«

»Huitzilopochtli sprach aber diesmal selbst zu mir: ›Geh und verlaß das Heiligtum, es sollen zwei Opfer, die mir gehören, getötet werden von frevelnden Händen. Ich will es nicht haben.‹ So sprach Huitzilopochtli zu mir, und ich gehorchte ihm.«

Der alte Indianer erschrak, er war sprachlos, er sah sich plötzlich in seiner eigenen Falle gefangen. Sonnenstrahl war schlauer als er.

Sein Freund konnte ein boshaftes Lächeln nicht unterdrücken.

»Huitzilopochtli spricht nur zu mir, nicht zu dir, weil du noch nicht sein Priester bist,« sagte dann Arahuaskar, sich sammelnd.

»Er sprach zu mir durch Waldblüte.«

»Waldblüte kann ihn nicht verstehen.«

»Wie?« rief Sonnenstrahl jetzt heftig. »Willst du mich der Lüge zeihen? Ich sage, er sprach durch Waldblüte zu mir, er zürnt dir sogar, daß du die beiden Gefangenen diesem Weibe in die Hand gabst, er hatte es dir nicht geheißen. Oder willst du mich etwa glauben lassen, auch Waldblüte könnte ihn nicht verstehen, obwohl sie seine Priesterin ist?«

Arahuaskar sah sich plötzlich von aller Verstandeskraft verlassen, er blickte hilfesuchend in das Gesicht des alten Vaters, sah aber dort nur ein boshaftes Lächeln.

Er hatte bis jetzt geglaubt, Sonnenstrahl verehre Huitzilopochtli wirklich und sei der Meinung, er selbst, Arahuaskar, könne nur mit dem Gott verkehren. Nun sah er ein, daß Sonnenstrahl nicht mehr an diesen Humbug glaube, ebensowenig wie Arahuaskar und der alte Vater selbst.

»Laßt mich vorüber, ich kann nicht länger hier verzögern. Huitzilopochtli will, daß ich mich würdig vorbereite, um heute nacht mein Amt antreten zu können.«

Arahuaskar atmete auf. So war Sonnenstrahl also kein Abtrünniger, wie er erst fürchtete, er wollte noch seine Rolle weiterspielen. Doch mit Arahuaskars Herrschaft war es nun aus. Sonnenstrahl war kein Kind mehr, welches dem Lehrer folgte. Saß er erst auf dem Thron, so duldete er keinen Vormund.

Doch Arahuaskar war befriedigt, er trat zur Seite.

»Ich konnte meiner weißen Tochter nicht recht geben,« sagte Arahuaskar entschuldigend zu Miß Morgan, »wenn Huitzilopochtli es ihm aufgetragen hatte, so mußte er gehorchen.«

Sarah antwortete nichts, mit einem sehr verächtlichen Zug im Gesicht, der mehr als alle Worte sagte, verließ sie die beiden.

»Elende Heuchler,« murmelte sie, als sie nach Flexans Aufenthaltsort eilte, »ihr betrügt einander und euch, selbst, mich aber könnt ihr nicht täuschen. Lächerlich wenn man euch so ernsthaft von euren Göttern sprechen hört, an die ihr selbst nicht glaubt. Es wird die höchste Zeit, daß ich handle, sonst geht mir meine Rache verloren. Ich Törin, daß ich glaubte, in diesen Rothäuten Bundesgenossen zu haben; hätte ich lieber auf eigene Faust gehandelt. Fast scheint es, als könnte Ellen meine Rache nicht mehr treffen, aber,« fügte sie triumphierend hinzu, »ihr Blut werde ich dennoch heute nacht, wenn der erste Morgenstrahl anbricht, fließen sehen.«

Arahuaskar und der alte Vater standen sich lange wortlos in einem Gewölbe gegenüber.

»Was sagt mein weißer Bruder dazu?«

Der alte Gelehrte zuckte mit den Schultern.

»Sonnenstrahl ist unserer Aufsicht entwachsen,« entgegnete er, »wir haben ihm so viel von Ruhm und Macht vorgeschwatzt, bis er auch uns nicht mehr gehorchen zu brauchen glaubt. Doch das macht nichts, unserer Absicht wird er nicht untreu.«

»Meinst du nicht?«

»Auf keinen Fall! Wie kannst du so etwas glauben? Ich kenne Sonnenstrahl; als ich ihn das letztemal sprach, um ihn für einige Tage in seine Kammer zu verweisen, schmachtete er nach dem ihm versprochenen Ruhm, wie der durstige Hirsch nach Wasser. Wie weit sich unterdes diese Sucht in ihm entwickelt hat, haben wir jetzt eben gesehen: er will selbst uns, seinen Lehrern, schon befehlen.«

»Laß ihn, es ist gut so,« entgegnete Arahuaskar, »gern will ich mir von ihm befehlen lassen, wenn er nur nach unseren Sinnen befiehlt.«

»Das tut er sicher,« sagte der alte Gelehrte und verließ das Gemach, um sich nach jener Zelle zu begeben, in welcher der Holländer gefangen saß. Er wollte schon lange mit van Guden sprechen, jetzt war die letzte Gelegenheit dazu, denn in wenigen Stunden schon war keiner der Gefangenen mehr am Leben. –

»Gelungen?« wurde der eintretende Sonnenstrahl von einer Stimme begrüßt.

Diese rührte nicht von Waldblüte her, sondern sie kam aus jener Ecke, wo Mythra behaglich auf Fellen ausgestreckt lag, aber nicht wie ein Bär, sondern eher wie ein Mensch, denn das Tier stützte den Kopf auf eine seiner Tatzen.

»Deine Freunde sind gerettet,« entgegnete Sonnenstrahl und erzählte nun alles, was sich ereignet hatte.

»Famos,« schrie Nick Sharps Stimme aus der Bärenumhüllung, »aber dieses satanische Weib soll noch dafür büßen müssen, oder ich will Zeit meines Lebens als Bär herumlaufen. Aber seid klug. Sonnenstrahl und Waldblüte, noch ist nicht alles gewonnen. Das schwierigste Stück Arbeit habt ihr noch vor euch; verläßt euch der Mut bei der Rolle, die ihr spielen sollt, so sind wir alle verloren und ihr mit.«

Sonnenstrahl lächelte verächtlich.

»Sonnenstrahl hat Mut,« entgegnete er stolz, »er wird nicht mehr mit sich spielen lassen, sondern wie ein Mann nach eigener Ueberlegung handeln.«

»Und Waldblüte wird auch den Mut dazu haben,« fügte die Schwester hinzu, »gilt es doch unsere Freunde zu retten. Gelingt es uns nicht, müssen die Gefangenen sterben, so wird Waldblüte als Freundin mit ihnen zu sterben wissen.«


 << zurück weiter >>