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38.

In Seenot auf der Prärie.

Die Dämmerung brach schon an, und der Wagen, welcher über die in einen Sumpf verwandelte Prärie fuhr, hatte sein Ziel noch nicht erreicht. Ein schlimmes Stück Arbeit, unter solchen Verhältnissen einen Wagen über die Prärie zu lenken, denn die unbemerkbaren Löcher bieten zahllose Gefahren.

In dem starkgebauten, hölzernen Gefährt saßen zwei Männer, von denen der eine in Decken gehüllt war. Das Fieber mußte ihn plagen, denn ab und zu ging ein Zittern durch seinen Körper.

Jetzt hielt der Kutscher seine beiden Pferde an, denen man ansah, daß sie schon mehrmals aus Sumpflöchern herausgezogen worden waren, und wandte sich auf dem Bocke um.

»Was gibt's?« fragte der Gefährte des Kranken, das verstört aussehende Gesicht des Kutschers bemerkend.

»Es wird Abend, Sir.«

»Das merke ich.«

»Und wir haben die Hazienda noch nicht erreicht.«

»Schlimm genug. Macht zu, daß wir bald das Haus zu Gesicht bekommen.«

»Ist es meine Schuld, daß wir so langsam von der Stelle kommen?«

»Freilich nicht. Wer hätte das auch gedacht! Ich mache euch auch keine Vorwürfe. Nun aber treibt Eure Gäule an, wir wollen die Nacht nicht hier kampieren.«

»Die Pferde stürzen jeden Augenblick in ein anderes Loch.«

»Dann müssen wir sie eben jedesmal wieder herausziehen,« entgegnete der Wageninsasse gleichmütig.

Oft schon mußten sie dieses unangenehme Geschäft verrichtet haben, denn seine, wie des Kutschers Kleidung war durch und durch naß und mit Schlamm bespritzt. Sie sahen nicht viel besser, als die Pferde, aus.

»Fahrt weiter!« drängte der Mann.

»Ich kalkuliere, es ist besser, wenn wir, ich und Ihr, ein Wagenpferd nehmen und vorausreiten.«

»Und mein Diener?«

»Der mag so lange hier bleiben, bis wir ihn abholen.«

»Ich habe Euch schon einmal erklärt, daß ich auf diesen Vorschlag nicht eingehe. Mein Diener ist krank. Ueberdies müßten wir dann doch wieder zurück und ihn abholen, hätten also nur doppelte Arbeit.«

»Ach was, jeder ist sich selbst der Nächste.«

»Ich verlasse meinen Gefährten nicht.«

»So laßt mich allein reiten und bleibt bei ihm. Ich komme mit frischen Pferden zurück.«

»Ich traue Euch nicht, weil bei Euch der Spruch gilt: Jeder ist sich selbst der Nächste.«

Der Kutscher nahm dies nicht übel, er lachte pfiffig.

»Und daß ihn einer von uns vor sich auf's Pferd nimmt, geht auch nicht,« entgegnete er dann. »Die Pferde sind so müde, daß sie kaum einen Reiter tragen können, und Ihr seid beide von starkem Gewicht. In diesem Sumpfe bleiben sie beim ersten Schritte stecken.«

Der Kranke war von hohem, starken Körperbau, sein Gefährte überragte ihn noch. Insofern hatte der Kutscher recht.

»Und schließlich ist es immer noch besser, die Nacht überrascht uns im Wagen, wo wir uns gemütlich einrichten können, bis sich das Wasser verlaufen hat, als daß wir ermüdet vom Pferde herabfallen.«

Der Fremde blickte auf.

»Was soll das heißen? Ah, ich verstehe, Ihr wißt überhaupt nicht mehr, wo Ihr seid.«

»Stimmt,« erwiderte der Kutscher offen, »ich will's Euch jetzt nicht mehr verhehlen. Ich habe schon seit einigen Stunden keine Ahnung mehr, wo ich mich befinde.«

Anstatt in Schelten über den unkundigen Wegeführer auszubrechen, erwiderte der Fremde ruhig:

»Ich kann Euch deswegen nicht zürnen, Freund. Da auch ich in der Prärie zu Hause bin, weiß ich recht gut, daß sich bei einer Überschwemmung der erfahrenste Präriejäger wie ein Neuling verirren kann. Aber das nützt nichts, den Kopf deswegen sinken zu lassen. Treibt die Pferde an und fahrt geradeaus, wir können doch nicht weit von der Hazienda entfernt sein!«

»Nehmt Vernunft an, Sir,« sagte der Kutscher rauh. »Die Nacht bricht an, und wollen wir nicht hier kampieren, so müssen wir beide Pferde nehmen und reiten. Es steht Euch ja frei, dann Euren Diener abzuholen. Dieser Karren hier wird schon nicht gleich wegschwimmen.«

»Ich lasse meinen Gefährten nicht im Stiche. Steckt die Lampen an und fahrt zu. Vielleicht sehen Cow-boys die Lichter und suchen uns auf.«

Der Kranke richtete sich etwas auf.

»Reiten Sie und lassen Sie mich zurück!« sagte er unter hörbarem Zähneklappern. »Ich weiß bestimmt, Mister Hoffmann, daß Sie mich nachholen.«

»Torheit, Snatcher, ich lasse dich nicht im Stiche.«

Der Kranke wollte noch Einwände machen, aber Hoffmann gab seinen Entschluß nicht auf.

Eben war der Kutscher damit beschäftigt, die beiden Lampen zur Seite des Bockes anzuzünden, als Hoffmann plötzlich freudig rief:

»Dort sind Lichter!«

»Wahrhaftig, das sind die erleuchteten Fenster der Hazienda. Hurra, wir sind nicht weit davon ab.«

»Dann gebt den Pferden die Peitsche zu schmecken. Freue dich, Snatcher, heute nacht sind wir unter Dach.«

Snatcher murmelte etwas Unverständliches vor sich hin.

Der Kutscher hatte neuen Mut bekommen. Er ergriff die Zügel. Die Pferde zogen an, und nach einigen Anstrengungen gelang es ihnen, den unterdes tief eingesunkenen Wagen wieder in Bewegung zu setzen. Es ging nur langsam vorwärts, aber Schrittfahren kennt man in der Prärie nicht, auch auf diesem sumpfigen Wege mußten sie in Trab fallen.

Die Entfernung bis zum Hause mochte noch zwei bis drei englische Meilen betragen, doch der Wagen sollte die Hazienda nicht erreichen.

Die Pferde waren noch nicht weit getrabt, als plötzlich das eine aufbäumte, es wollte zurück, das andere zog es vorwärts, und sofort war es spurlos verschwunden. Aber nicht genug damit, es zog auch das zweite Pferd mit in die Wassergrube hinein.

Diese war ganz außergewöhnlich tief. Sonst sahen wenigstens die Köpfe der gestürzten Tiere heraus, diesmal verschwanden beide spurlos unter der Wasserfläche. Die heftig bewegte Oberfläche zeigte an, was für ein Kampf da unten vor sich ging.

Mit einem fürchterlichen Fluche sprang der Kutscher vom Bock herab. Bis an die Knöchel sank er in den Schlamm, ihm nach sprang Hoffmann. Im Nu waren die Stränge gelöst, und beide Männer tauchten die Hände ins Wasser. Sie konnten eben noch die Mähne des obersten Pferdes fassen.

»Schnell,« keuchte der Kutscher, »oder sie ertrinken!«

Trotzdem hatte er keine Hoffnung, die Tiere herauszuziehen. Wer sollte solch ein schweres Pferd am Halse heben? Ratlos stand er da, doch Hoffmann herrschte ihm zu, Hand anzulegen.

Der Kutscher hielt es kaum für möglich, aber seinem herkulischen Fahrgast gelang es doch mit einer riesigen Kraftanstrengung, das erste Tier herauszubringen, fast ohne daß ihm der Eigentümer dabei half.

Es zeigte sich sofort, daß das Tier für sie unbrauchbar war, mit gebrochenem Beine lag es im Schlamme. Das andere herauszuziehen hatte keinen Zweck mehr, das war schon längst ertrunken.

»Himmel und Hölle,« fluchte der Kutscher, »was nun? Zwei Pferde eingebüßt zu haben, ist hart, noch härter aber, daß ich jetzt so in der Patsche stecke. Ich verfluchter Narr, daß ich Eurem verrückten Vorschlage nachgeben mußte, Euch in meinem Wagen über die Prärie zu kutschieren.«

»Still, Mann, Euer Fluchen hilft nichts, es bringt uns nicht weiter,« sagte Hoffmann barsch. »Ihr selbst habt mir übrigens angeboten, mich fahren zu wollen.«

»Schon recht,« war die brummige Antwort, »aber wenn mein Fluchen nichts hilft, was sollte uns sonst helfen?«

»Wir müssen einfach nach der Hazienda marschieren, das ist alles.«

»Durch den Sumpf?«

»Ich möchte, ich wäre von vornherein zu Fuß gegangen, dann hatte ich die Hazienda schon längst erreicht. Oder wollt Ihr allein hierbleiben?«

Der Kutscher warf einen prüfenden Blick über seinen Wagen und dann nach den freundlich blickenden Lichtern in der Ferne, die ihm Bequemlichkeit versprachen.

»Hm, ich ziehe vor, mit Euch zu gehen. Aber was wird aus dem Kranken?«

»Er kommt mit.«

»Er kann nicht so lange durch den Sumpf waten.«

»Dann trage ich ihn.«

»Hm, ein schweres Stück Arbeit. Ich erkläre Euch gleich von vornherein, daß Ihr nicht zu glauben braucht, an mir einen Ablöser zu finden.«

»Ich brauche Euch auch nicht. Möchtet Ihr nie in solch eine Lage kommen, wie diese da; wehe Euch, wenn der Himmel Gleiches mit Gleichem vergilt.«

Hoffmann wandte sich zu Snatcher.

»Hast du gehört, was wir ausgemacht haben?«

»Ja.«

»So komm, ich trage dich!«

»Mister Hoffmann, Sie muten sich zuviel zu, ich bin ein schwerer Mann.«

»Du wirst sehen, daß es mir ein leichtes ist, dich eine Stunde zu tragen.«

Damit hüllte er den fiebernden Snatcher fest in die Decke ein und nahm ihn, wie ein Kind, auf den Arm, während der Kutscher einige Sachen zusammenschnürte, die er mitnehmen wollte.

»So, nun kann die Reise losgehen. Hoffentlich fressen die Schakale bis morgen meinen Wagen nicht auf.«

»Mich wundert's, daß sich keine sehen lassen.«

»Sie werden wegen des Regens in ihre Löcher gekrochen sein.«

»Damit sie ersaufen,« lachte Hoffmann spöttisch; er sah immer mehr ein, welchen Mißgriff er bei der Wahl dieses Mannes als Kutscher durch die Prärie gemacht hatte. Er benahm sich oft wie ein unbeholfenes Kind, das nie die Stube verlassen hat.

»Wo sollten sie denn sonst sein?« entgegnete er jetzt. »Bei solch einem Wetter sucht jedes Tier einen trockenen Schlupfwinkel.«

»Aber nicht der Schakal. Das stets hungrige Raubtier weiß ganz genau, daß ihm nach einem anhaltenden Regen reichliche Beute zufällt.«

»Welche?«

»Ersoffene Ratten und Mäuse, Maulwürfe, Hasen und so weiter.«

»Also schöpft Ihr Argwohn, weil sich die Schakale nicht herumtreiben?«

»Allerdings. Diese Tiere haben Instinkt, der manchmal schärfer sein kann, als unser Verstand.«

Langsam bewegten sich die beiden vorwärts, Hoffmann kam, obgleich er wegen seiner schweren Last auf dem Arm fast bei jedem Schritte bis ans Knie einsank, noch eher von der Stelle als der Kutscher.

Plötzlich blieb er stehen.

»Horch.«

Ein Rollen war hörbar.

»Es donnert,« sagte der Kutscher.

»Nein, das ist kein Donner.«

»Mister Hoffmann, das sind fliehende Büffel oder Rinder,« sagte Snatcher mit schwacher Stimme, »ich kenne das Geräusch, es kann nichts anderes sein.«

»Zurück zum Wagen,« schrie Hoffmann und eilte so schnell nach dem Gefährt, daß ihm der Kutscher nicht folgen konnte. Atemlos gelangte er endlich dort an. Die Lampen brannten noch, Hoffmann hatte den Kranken schon wieder ins Innere gehoben und war selbst eingestiegen.

»Meint Ihr wirklich, das fliehende Büffel hierherkommen?« fragte der Kutscher ängstlich.

Hoffmann nickte nur kurz; die weitere Antwort kam von selbst. Immer näher erscholl das dröhnende Stampfen von zahllosen Hufen, und jetzt konnte man im Mondschein schon die Unmenge der behörnten Köpfe sehen.

»Jesus Christus,« schrie der Kutscher, »wir sind verloren.«

Er blickte sich um und sah in einer Entfernung von etwa einer Meile hinter sich die ersten Bäume eines Waldes stehen.

»Wir müssen nach dem Walde fliehen und uns auf die Bäume retten.«

Er machte schon Miene, vom Wagen herabzuspringen und sein Vorhaben auszuführen, allein Hoffmanns eiserne Faust hielt ihn zurück.

»Ehe Ihr hundert Meter gelaufen, seid Ihr eingeholt und niedergetreten. Hier geblieben.«

Hochaufgerichtet stand er im Wagen und blickte der anstürmenden Herde entgegen. Der Kutscher war in die Knie gesunken.

»Warum fliehen sie?« murmelte Hoffmann. »Kein Gewitter, kein Sturm treibt sie, es ist ganz schönes Wetter, und noch dazu achten sie diesen morastigen Boden nicht. Und wo sind die Schakale? Sonderbar.«

»Mister Hoffmann,« sagte Snatcher an seiner Seite, den im Augenblicke der Gefahr das Fieber verließ, wir sind in keiner so großen Not, wie Sie vielleicht meinen.«

»Ich weiß, ich weiß.«

»Die Herde kann geteilt werden.«

»Und das werde ich tun. Gelingt's, dann sind wir gerettet, wenn nicht, so können wir nur noch ein Notgebet murmeln.«

Sein scharfes Dolchmesser schlitzte eine Matratze auf die im Wagen lag. Er zog das innen befindliche Seegras auseinander und etwas heraus, nahm eine Lampe, löschte sie aus und goß das Oel über die ganze Matratze aus.

»Angefaßt,« rief er dann dem Kutscher zu.

Mechanisch half ihm dieser, die Matratze hinauszuwerfen, Hoffmann schleppte sie noch etwas vom Wagen ab und blieb dann hinter ihr stehen, während der Kutscher eiligst wieder nach dem Wagen zurückkehrte.

Mit ungeheurer Schnelligkeit näherten sich die angsterfüllten Tiere. Ruhig erwartete sie Hoffmann, das Auge fest auf die Reihen gerichtet, welche weder nach links noch nach rechts ein Ende zeigten.

Cow-boys waren hier nicht zu sehen, sie ritten entweder zur Seite oder voraus, aber außer Gesichtsweite.

Jetzt hatten die vordersten Tiere den Mann fast erreicht. Im nächsten Augenblick mußte er zerstampft am Boden liegen, ebenso der Wagen mit seinen Insassen, da aber flammte eine hohe Feuersäule aus der Matratze zum Himmel auf.

Die Tiere stauten sich. Sie erschraken vor dem Feuer.

Mit einem Sprunge stand Hoffmann auf dem Wagen, ergriff eine Decke und schwang sie unter lautem Rufen um den Kopf.

Der nächste Augenblick mußte entscheiden, ob die Tiere ihren Weg fortsetzten oder sich teilten. Fast schien es, als wollten sie das erstere tun, denn die nachfolgenden Tiere drängten zu sehr nach vorn, als eine Explosion die Luft erschütterte – Hoffmann hatte einen Explosivstoff in das Heu geworfen.

Entsetzt prallten die Tiere zurück; dann stürmten sie weiter, teilten sich aber nach links und rechts, und keinem Rind fiel es ein, den einmal gemiedenen Platz zu durchqueren.

Wie auf einer Insel standen die Männer, umringt von unübersehbar vielen Büffeln, und sorgten durch Deckenschwingen noch dafür, daß die Sicherheit ihres Standes nicht erschüttert wurde.

Nach einer halben Stunde war die letzte Reihe vorbei, die Prärie glich jetzt einem Moor.

»Gott sei gedankt,« jubelte der Kutscher aus tiefstem Herzen auf, »wir sind gerettet. Nun aber schnell, daß wir die Hazienda erreichen!«

»Gemach,« entgegnete Hoffmann, »die Rinder sind nicht ohne Ursache geflohen. Snatcher, was meinst du, warum sie dies taten?«

Der Gefragte musterte den Horizont.

»Die Ursachen sind oft ganz verschieden. Ehe die Tiere aber so mutlos werden können, daß sie beim Rascheln eines Blattes die rasende Flucht ergreifen, müssen sie vorher durch irgend etwas erschreckt worden sein, durch Blitz oder Donner oder durch sonst etwas.«

»Ganz meine Ansicht, also durch ein Naturereignis. Vielleicht haben sie ein solches auch nur geahnt.«

Alle drei spähten in die Ferne.

»Ha, der Mond spiegelt sich dort im Wasser,« rief plötzlich Hoffmann.

»Eine Ueberschwemmung!« schrie Snatcher.

Der Kutscher heulte laut auf. Dem Tode erst entronnen, sah er sein Leben abermals in Gefahr. Doch das Wasser ließ sich durch seine Verzweiflungsausbrüche nicht aufhalten, mit reißender Schnelligkeit kam es näher.

»Wir bleiben auf dem Wagen,« entschied Hoffmann, »vielleicht steigt es nicht so sehr hoch und verläuft sich bald. Es muß ein Wolkenbruch stattgefunden haben.«

»Wir ersaufen,« jammerte der Kutscher.

»Nein, der Wagen wird uns tragen.«

»Dann schwimmen wir weg.«

»Höchstens bis an den Wald, dort können wir uns einstweilen festhalten.«

Hoffmann richtete seine Augen weniger auf das ankommende Wasser, als vielmehr auf die Hazienda. Dort wußte er die Damen und Herren, unter ihnen seine Braut. Was mochten sie wohl beginnen? Würden sie auf Pferden fliehen oder im Hause der Ueberschwemmung zu trotzen wagen? Hoffmann wünschte, sie täten das erstere.

Auch Snatcher bangte für jemanden auf der Plantage.

»Wenn er nun ertrinkt?« sagte er leise.

»Dann kommen wir zu spät, er ist schon Gottes Gerechtigkeit verfallen.«

»Ich möchte lieber, er bliebe am Leben! Ach, könnte ich den Augenblick genießen, ihm gegenüberzustehen, ihm, der mir alles geraubt hat!«

Das Wasser war herangekommen. Erst bedeckte es den Boden nur handhoch, da es aber so schnell dahinrollte, daß man ihm mit dem Auge kaum folgen konnte, so konnte man daraus schon schließen, welcher Schwall noch kommen mußte.

Mit rapider Geschwindigkeit stieg es. Nach kaum einer Viertelstunde schon hatte es die Räder des Wagens bedeckt, welcher sich zwar noch nicht hob, aber nicht weit davon sein konnte.

»Wird er uns auch tragen?« fragte der Kutscher ängstlich.

»Sind wir heute nicht schon mehrere Male auf ihm über Flüsse geschwommen?«

»Ja, das war aber Flußwasser.«

Hoffmann mußte über die Dummheit des Kutschers lachen.

»Sollten die Räder nicht so fest im Schlamme stecken, daß er nicht gehoben werden kann?« fragte Snatcher.

»Ich habe vorhin den Wagen ausgehoben und gefunden, daß er nur lose im Schlamme steckt,« war Hoffmanns Antwort, »außerdem weiß ich genau, wie weit das Wasser reichen muß, ehe er schwimmen kann. Sollte er es dann doch nicht tun, so müssen wir eben ins Wasser und ihn freisetzen.«

»Halten Sie unsere Lage für gefährlich?«

»Durchaus nicht. Wir schwimmen eben, wie Noah in seiner Arche, herum, bis wir nach einer hügeligen Gegend getrieben werden, oder bis sich das Wasser verlaufen hat. Unsere Fahrt wird allerdings eine sehr schnelle sein, denn diese Gegend hat ein starkes Gefälle nach der Küste zu, und wir müssen daher vor allen Dingen verhüten, daß der Wagen an einem Baumstamme zerschmettert, dann könnten wir auf dem Baume vielleicht Hungerqualen erdulden. Hier haben wir glücklicherweise Proviant, um uns lange Zeit vor Not zu schützen.«

»Ob die auf der Hazienda wohl geflohen sind?«

»Hoffentlich haben sie sich auf Pferde geworfen, anstatt im Hause dem Wasser zu trotzen.«

»Glauben Sie, daß ein Pferd diesem schnellfließenden Wasser entgehen kann?«

»Gewiß. Ich habe ganz andere Ueberschwemmungen erlebt und bin auch zu Pferd entkommen. Die Tiere leisten, wenn sie das drohende Wasser hinter sich wissen, ganz Unglaubliches, Eine gute Führung ist natürlich nötig, um die tieferen Löcher zu vermeiden.«

Hoffmann beobachtete das steigende Wasser. Ab und zu kam ein Kadaver vorbeigeschwommen, auch die Leiche eines Menschen war einmal darunter.

»Jetzt müßte sich der Wagen heben, und er tut es noch nicht,« murmelte er. »Wir haben keine Zeit zu verlieren, Kutscher, in's Wasser und auf der anderen Seite gehoben.«

Er machte sich bereit, hinabzuspringen, der Kutscher ebenso, und auch Snatcher legte die Decke ab.

»Du bleibst,« sagte Hoffmann.

»Das Fieber ist vorüber.«

»Aber du bist zu schwach.«

»Ich fühle mich stark genug.«

»Wohl, um den Wagen zu heben, aber nicht, um der Strömung zu widerstehen. Du bleibst, ich befehle es dir.«

Snatcher fügte sich scheinbar.

Hoffmann und der Kutscher sprangen in's Wasser – es reichte ersterem bis unter die Arme – und hoben den Wagen. Auf des Deutschen Seite war er sofort frei, nicht aber auf des Kutschers Seite.

»Er ist zu schwer,« ächzte der Mann, dem das Wasser schon bis an den Hals ging.

»Versuch' es noch einmal! ermunterte ihn Hoffmann.

»Es geht nicht.«

Hoffmann hörte ein Plätschern, er wußte sofort, daß Snatcher dem Kutscher zu Hilfe gesprungen war. Da es zum Verhindern zu spät war, so schwieg er.

Jetzt hob sich der Wagen auch auf der anderen Seite und wurde sofort von der Strömung erfaßt.

»Hinauf!« schrie Hoffmann und schwang sich auf den pfeilschnell dahinschießenden Wagen.

Ebenso schnell hatte der Kutscher festen Boden, von Snatcher aber war nichts mehr zu sehen.

Hoffmann bog sich über das Geländer des Wagens, vielleicht hielt er sich noch daran fest, zu schwach, um sich allein ins Innere zu helfen.

»Snatcher – Snatcher!«

Keine Antwort folgte. Niemand war zu sehen. Der Wagen schoß schnell davon, die Unglücksstelle war schon weit entfernt und ringsum nichts als wogende Wasserwüste, aus der kein Kopf auftauchte.

Bis zum Tode erschrocken blickte Hoffmann den stumpfsinnigen Kutscher an, der nicht sonderlich erregt war.

»Er ist eben weggespült worden,« sagte er achselzuckend.

»War er immer bei dir?«

»Bis zuletzt, da ich mich in den Wagen schwang. Die Strömung war ihm zu stark.«

»Konntest du ihn denn nicht halten, als du sahest, daß ihn die Kraft verließ?« schrie Hoffmann außer sich.

»Ich habe ihn ja gar nicht beachtet.«

Hoffmann hätte am liebsten den Kutscher dem Verunglückten nachgeschleudert, doch er bezwang sich. Rettung war nicht möglich, selbst wenn Snatcher in weiter Ferne treiben gesehen worden wäre. Der Wagen folgte steuerlos der Strömung.

»Armer Snatcher,« murmelte Hoffmann, »so nahe deinem längst ersehnten Ziel, hast du es doch nicht erreicht. Doch vielleicht ist es besser so. Seine Familie hat nie einen Vater gehabt, sie wird ihn nicht vermissen, wenn ich für sie sorge. Aber derjenige, der Schuld an seinem Unglück ist, soll seiner Strafe nicht entgehen, wenn nicht ein Mächtigerer, denn ich schwacher Mensch, seine Rache bestimmt hat.«

Der Wagen nahm eine andere Richtung an, als Hoffmann vorhin gedacht hatte. Er wurde nicht dem Walde zugetrieben, sondern schwamm den Waldsaum entlang, und dies war für ihn sehr günstig, so kam er nicht in Gefahr, an einem Baumstamme zerschmettert zu werden.

Während er dahintrieb, machte sich Hoffmann daran, die Deichsel abzunehmen, um aus ihr eine Art Ruder herzustellen. Der Kutscher sollte ihm dabei helfen, aber dieser war so apathisch, daß es erst eines energischen Auftretens Hoffmanns bedurfte, ehe er es für gut befand, hilfreiche Hand anzulegen.

Der Wald trat jetzt mehr hervor, so daß der Wagen vom Wasser, welches schon die Gipfel der niedrigen Bäume berührte, zwischen diese getrieben wurde. Mit Hilfe des improvisierten Ruders war es Hoffmann ein leichtes, dieselben zu vermeiden, denn er wollte noch nicht, daß sein Fahrzeug hängen bliebe.

Das Wasser schien jetzt seinen höchsten Standpunkt erreicht zu haben; es stieg nicht mehr, fiel aber auch nicht. Wenn letzteres eintrat, dann erst wollte Hoffmann den Wagen an einem Baum befestigen, denn dann mußte sich das Wasser wegen des starken Gefälles der Prärie nach Süden hinunter bald verlaufen haben.

Stunde auf Stunde verging. Immer trieb der Wagen zwischen den Wipfeln der Bäume dahin. Manchen Stoß erhielt er von versteckten Aesten, oft auch blieb er sitzen und dann hatte Hoffmann stets die größte Mühe, den schnell um sich drehenden Wagen frei zu bekommen.

Er hatte deswegen nicht Zeit, die Umgegend zu mustern, weil er seine ganze Aufmerksamkeit der Lenkung des Fahrzeuges zuwenden mußte, der Kutscher tat dies so eifrig, als ob er das Nahen eines rettenden Kahnes erwarte.

Einmal berührte er Hoffmanns Arm, als dieser gerade mit der Ruderstange arbeitete.

»Herr, die Prärie brennt,« sagte er schüchtern.

»Unsinn, wo denn?«

»Dort.«

Hoffmann blickte auf und sah in der angegebenen Richtung wirklich einen blutigroten Schein zwischen den Bäumen.

»Wahrhaftig, dort brennt es, die Prärie aber jedenfalls nicht. Es mag ein Haus sein; der untere Teil muß schon unter Wasser stehen, und nur der obere brennt noch. Es sei denn, es steht auf einem Hügel. Wir hätten den Feuerschein schon eher sehen müssen, wenn wir aufgepaßt hätten.«

»Merkwürdig, mitten auf der überschwemmten Prärie ein brennendes Haus.«

»Merkwürdig? Sagt lieber schrecklich! Wehe denen, die vom Feuer im Schlafe überrascht wurden und, ins Freie eilend, dem nassen Element in die Arme liefen.«

Hoffmann hatte den Wagen wieder frei bekommen.

»Stecke die ausgegangene Lampe wieder an!« sagte er zu dem untätigen Kutscher.

»Wozu?«

»Es möchten Menschen umhertreiben, die wir auf den Wagen retten könnten.«

»So laßt sie ersaufen! Ich bin nicht gesonnen, den Wagen so mit Menschen zu überladen, daß er sinkt. Jeder ist sich selbst der Nächste.«

Plötzlich stand Hoffmann mit blitzenden Augen vor dem Erschrockenen.

»Gehorche!« donnerte er ihn an.

»Es ist kein Oel mehr drin,« war die kleinlaute Antwort.

»Du hast welches mit, hast du selbst gesagt.«

»Aber so nehmt doch Vernunft an, wir können doch nicht jeden Schwimmenden aufnehmen!«

»Wenn du innerhalb fünf Minuten die Lampe nicht in Ordnung gebracht hast, fliegst du ins Wasser,« rief Hoffmann drohend.

Der Kutscher wagte nicht, nochmals zu widersprechen. Bald leuchtete vom Bock des Wagens die letzte Lampe in die dunkle Nacht hinaus. Mitternacht mochte nicht mehr fern sein.

Zwar fiel das Wasser noch nicht, aber die Strömung war schon sehr schwach. Welch ungeheuren Schaden mochte die Ueberschwemmung angerichtet haben!

Jetzt trieb der Wagen in einer Gegend, von welcher aus sie die Ursache des Flammenscheines sehen konnten. Das Feuer war im Verglimmen; ab und zu zuckte noch eine Flamme in der Ferne zum Himmel auf.

»Was für ein Haus mag das gewesen sein, hier mitten in der Prärie?« murmelte Hoffmann.

»Jedenfalls ein Holzhaus.«

»Diese Bemerkung war sehr dumm, denn ein Steinhaus kann nicht brennen, dennoch glaube ich nicht, daß es ein Holzhaus gewesen ist. Selbst eine starke Blockhütte und wäre sie noch so klein, müßte vom Wasser fortgespült worden sein. Dieses Gebäude aber muß eine ziemliche Höhe gehabt haben.«

»Halt, vielleicht kann ich Euch eine Erklärung geben. Obgleich ich hier nicht eben zu Hause bin –«

»Was du mir aber gesagt hast, Halunke.«

»Nun ja, was tut man nicht alles wegen des Geldes?«

»Was wolltest du also sagen?«

»Ich habe erzählen hören, daß hier ein großes, steinernes Gebäude stehen soll, das heißt eigentlich kein Gebäude, sondern nur ein viereckiger Steinkasten, ohne Fenster und ohne Türen.«

»Wahrscheinlich ein Grab der alten Azteken.«

»Richtig, so was Aehnliches habe ich sagen hören. Auf diesem Steinbau nun haben pfiffige Menschen eine Blockhütte errichtet, in welcher sie schlafen können, ohne Angst haben zu müssen, von den Schakalen gefressen zu werden.«

»Ist der Steinbau hoch?«

»Ziemlich hoch, aber die Ueberschwemmung hätte ihn doch erreicht.«

»Und breit?«

»O je, die kleine Blockhütte hat eben Platz darauf.«

»Dann ist es der Begräbnisplatz eines Aztekenhäuptlings. Führen Stufen hinauf?«

»Nein, eine einfache Leiter.«

Man verlor das Feuer jetzt außer Sicht; vielleicht war es im Wasser verlöscht.

»Du meinst, daß dieses Haus hier steht?«

»Diese Gegend mag es ungefähr sein.«

»Dann wird auch wahrscheinlich das Blockhaus auf dem Gemäuer gebrannt haben, denn steinerne Häuser mit hölzernem Dachstuhl stehen hier nicht so einsam in der Prärie, man findet sie höchstens auf Plantagen.«

»Hier gibt es nur zwei Plantagen, die von Flexan und die von Rickert. Es muß also schon das Grabgebäude sein, wie Ihr sagt –«

Der Mann wollte in seinen Vermutungen noch fortfahren, aber Hoffmann unterbrach ihn. Schnell zog er die Ruderstange in den Wagen, legte die Hand ans Ohr und lauschte angestrengt in die Nacht hinaus.

»Klang das nicht wie ein Ruf?«

»Der Wind pfeift in den Bäumen.«

»Nein – da, nochmals.«

Jetzt vernahm auch der Kutscher das Rufen, es klang noch weit, weit entfernt, zu sehen war nichts.

»Das ist eine Weiberstimme!« schrie er. »Was aber ruft sie? Das ist kein Hilferuf.«

»Es ist der Ruf des Seemanns, wenn er das rettende Boot sieht,« entgegnete Hoffmann aufgeregt. »Halte den Wagen an den Zweigen des nächsten Baumes fest.«

Der Mann gehorchte, Hoffmann selbst band die Lampe an die Wagendeichsel fest und richtete diese hoch.

Wieder erscholl jener Ruf, mit welchem die Matrosen das Heulen des Sturmes zu übertönen suchen, tief einsetzend, dann immer höher schwellend, bis er mit einem gellenden Ton abreißt. Jetzt erklang es schon viel näher. Ja, es mußte ein Weib sein, ein Mann hätte nicht so hoch, ein Kind nicht so laut rufen können, und Hoffmann wußte auch, daß die Ruferin absichtlich das Schiffersignal benutzte.

Da sahen sie im Mondschein in der Ferne einen dunklen Gegenstand geschwommen kommen, fast wie ein Mastbaum aussehend, wahrscheinlich ein Balken; auf demselben lag ein dunkler Gegenstand, und auf dem hintersten Ende saß rittlings eine Gestalt, den Balken rudernd und lenkend.

»Sie treiben vorbei, und wir können den schweren Wagen nicht dirigieren,« sagte Hoffmann angsterfüllt.

Aber der Balken sollte nicht vorbeitreiben.

Noch einmal erklang lang ausholend der Schifferruf; nur die hinterste Person konnte ihn ausstoßen, denn sie schwang dabei den Arm. Sie also war das Weib, welches den Balken durch die Strömung lenkte, und allem Anschein nach lag darauf eine andere Person bewegungslos. Dann rief die Frauenstimme klar und deutlich.

»Was für ein Licht ist das?«

»Johanna!« schrie Hoffmann auf.

»Nicht Johanna!« tönte es zurück, dann glitt die Gestalt ins Wasser, drehte den Balken und stieß ihn vor sich her, direkt auf den Wagen zu.


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